Henry Benrath
Die Kaiserin Konstanze
Henry Benrath

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Zweites Kapitel

Como, 16./17. November 1187

Der König Heinrich hatte sich bei seiner Gemahlin für die Abendmahlzeit entschuldigen lassen. Konstanze war über die Absage nicht allzu unzufrieden. Denn sie hatte – zwei Tage vor ihrer Abreise nach Deutschland – noch viele Dinge zu ordnen, Aufträge zu erteilen – vor allem aber jenen wichtigsten Brief nach Palermo zu schreiben, den sie in Gedanken schon viele Male geschrieben hatte. Sie entließ ihre Hofdame, die Gräfin Anne de Perche, eine entfernte Verwandte ihres Hauses, nach Tisch und schickte auch die alte Kammerfrau Berengaria, welche sie seit ihrer Geburt betreute, zu Bett. Dann schrieb sie im Lichte der Kerzen, die in hohen Standleuchtern brannten:

›Kaiserliche Pfalz zu Como, 16. November 1187.

Wenn Sie, geliebter Freund und Bruder, nun schon einige Wochen nichts von mir hörten, so besagt dies gewiß nicht, daß ich Ihnen weniger nahe gewesen sei als in der vorhergehenden Zeit. Es besagt nur, daß ich den Augenblick herannahen fühlte, wo ich Ihnen – zum erstenmal seit unserem Abschied in Salerno am 2. August 85 – so schreiben können würde, wie es mir ums Herz ist. Ich habe es mit Absicht vermieden, Ihnen seither mehr mitzuteilen, als Sie zur ungefähren Kenntnis meines neuen Lebens wissen mußten. Denn ich war nicht sicher, durch welche Hände diese Briefe vielleicht gehen würden, vor allem auf apulisch-sizilischem Boden. Die Feinde der ›Überläuferin‹, wie sie mich nannten, warten ja nur auf die Gelegenheit, etwas zu erfahren, das sie gegen mich ausschlachten könnten. Sie haben zwar auf dem Reichstag von Troja vor einem Jahre die Anerkennung meiner Ehe und meiner 74 Erbfolgerechte beschworen, sie haben mir und dem König Heinrich als ihren zukünftigen Herren gehuldigt: aber ich habe mich gerade wegen meines langen Fernseins von Sizilien niemals auch nur einen Augenblick lang in Sicherheiten gewiegt, welche durch nichts anderes gewährleistet waren als einen Eid apulischer und sizilischer Barone. Ich gehöre nicht zu den Naturen, welche gestern empfangene Lehren in den Wind schlagen, weil sich heute ein Horizont aufhellt. Dieses Schreiben nun aber wird durch so sichere und treue Übermittlung in Ihre Hände gelangen, daß ich ihm meine ganze Seele anvertrauen kann. Indem ich die Worte auf das Pergament setze, ist es mir, als ob ich zu Ihnen spräche. Keines anderen Menschen Bild steht so wie das Ihre in meinem Leben, bannt so liebevoll und schmerzlich zugleich mein Gefühl, weckt mir so heftigen Wunsch nach Wiederkehr. Alles, was mir Heimat heißt, kreist um Ihr Dasein. Was es aber sonst in meinem Leben gibt, ist Umgetriebensein um eine Pflicht, der ich die Kammern des Herzens verschließe: wie sehr ich ihr auch die Bereiche des Geistes und des Willens öffne.

Ein ganzes Menschenleben schon, will es mir manchmal scheinen, trennt mich von meinem abgeschiedenen Leben mit den frommen Schwestern in Palermo. Nicht, daß mich etwa die Fülle der Feste umnebelte, die sich seit dem Tumult meiner Hochzeit in Mailand in vielen oberitalischen Städten folgten: Sie wissen, wie wenig ich auf derlei Schauwerk gebe: aber der Raum, in den ich nun mit soviel Sichtbarkeit und äußerer Pflicht gestellt bin, ist der Raum eines völlig veränderten Daseins. Der Kaiser Barbarossa hat mit mir oft über die Aufgaben gesprochen, die er in meine Hände 75 gegeben sieht. Daß eine Fürstin, und nehme ihr Geist, ihr Wille, ihr Verstand noch so lebhaften und bestimmenden Anteil an den Geschäften des Staates, als mütterliche Frau empfunden und geliebt werde: das sei dem Throne eine nicht mindere Stütze als alle Waffenschaft und alle Staatskunst. Kein Zweifel, daß er recht hat: aber kein Zweifel auch, daß ihm gerade die Sorge, mir möge vielleicht jede Anlage zu solchem Frauentume fehlen, seine Hinweise eingegeben hat. Denn es ist für mich offenkundig, daß mich die deutschen Frauen im Hoflager als fern und fremd empfinden. Nicht, weil ich ihre schwere, meinem Ohre hartklingende Sprache nur unvollkommen spreche, sondern weil eine gewisse Starre meines Wesens, eine ausgesprochene Unbegabtheit zu leichtem Gespräch über die tausend kleinen Belanglosigkeiten eines Damen-Lebens, ein Gelangweiltsein durch die Berichte über Hausstand und Kinder sie selbst mir gegenüber befangen und unbeholfen machen. Sie können nur schwer begreifen, daß in meinen Zielen andere Wünsche stehen als die ihres Gattinnen- und Mutterdaseins . . . Der König hingegen versteht mich gut. Er sieht an seiner Seite auf dem Thron bestimmt lieber eine Frau meiner Art als eine solche, die beim Sticken Liebeslieder seufzt und als demütige Magd ihrem Herrn und Gebieter die Riemen von den Schuhen löst, wenn er von der Balz heimkommt . . . So wenig leidende Hingabe mein Wesen ausmacht: so wenig werbende Bemühung das seine. In diesen gewichtigen Mängeln sind wir einander sehr nahe. Sie wären, scheint mir, stark genug, die Grundlage einer hohen Freundschaft zu bilden: denn sie sind bedingt durch eine gleich hohe, unser ganzes Denken 76 beherrschende Auffassung von unserer Aufgabe. Oft fragt er mich um Rat, viele Stunden lang läßt er sich erzählen, was sich seit dem Tode meines Vaters in Sizilien ereignet hat. Kopfschüttelnd hört er die Schwäche der Könige – den Übermut der Barone. Und immer wieder, wütenden Gesichtes, als ginge es um seine eigenste Sache, murmelt er in sich selbst hinein die Antwort auf das Gehörte: ›Und in einem so kleinen Reiche sollte der König nicht fertig werden mit der feudalen Rattenplage . . . Werden wir es denn nicht in unserem großen?‹

Ja – sie werden es, beide, der Kaiser und der König! Was sie – in vier Jahren – auf der Grundlage des Vertrages von Konstanz, also des Friedens mit dem Lombardenbunde, in sämtlichen Provinzen Reichsitaliens geschaffen haben, hat mir gezeigt, was Staatswille und Staatskunst imperialer Prägung bedeuten. Es hat mich oft mit Bewunderung, aber öfters noch mit Besorgnis erfüllt . . .

Solange der politische Gleichklang zwischen dem König und mir besteht: solange ist allen Opfern, die ich bringe, auch der Entgelt gefunden. Der tödliche – der gefährliche – Schmerz begänne da, wo diese Bindung risse, etwa deshalb, weil über die Anwendung von Machtmitteln verschiedene Auffassungen herrschten. Wer will voraussagen? Wer will errechnen? Gerüstet zu sein, ist alles. Nicht nur von Tag zu Tag, sondern von Stunde zu Stunde für Menschen, die als Herrschende leben müssen.

Noch will es mir unfaßlich scheinen, daß in wenig Tagen die Bilder meines Lebens abermals wechseln werden . . . daß ich dann auf die Schneeberge, die vor mir stehen, aus den jenseitigen Tälern hinaufsehen 77 werde – daß ich langsam, langsam in die deutschen Ebenen niederziehen werde, die mich vielleicht in tiefem Winter empfangen . . . Schon über ein Jahr ist der Kaiser heimgekehrt: nun besteht auch – nach der Befriedung in Italien – kein Grund mehr für den König, hier zu bleiben . . . Was er erreichen wollte, ist erreicht: mit dem Einsatz aller Kräfte, über die ein Mensch verfügt: auch mit dem einer hemmungslosen – –‹

Sie zog den Kiel von dem Pergament zurück. Einem heftigen, inneren Befehl gehorchend, hatte die gleichmäßig dahinlaufende, eher rasch als langsam schreibende Hand gezögert, das folgende Wort zu setzen.

Sie erhob sich, zog den Vorhang von dem schmalen Fenster zurück und atmete die laue Nachtluft, in der ein ferner Föhn verwehte. Breite Goldtropfen, zum Fallen bereit, hingen im Äther . . . Sie ertrug diese letzte südliche, an Heimat gemahnende Schau nicht, zog den Vorhang wieder zu und setzte sich auf den Rand einer Truhe. Die gestreckten Arme auf die Kante stützend, so daß die goldgrünen Brokatärmel fast bis zum Boden niederfielen – den Blick im Flimmern einer Kerze, begann sie rückwärts zu denken . . .

Was war da alles gewesen!

Noch war ihr der Lärm der Hochzeitstage in Mailand, Geläute, Gebläs, Getrabe, Getrampel nicht aus dem Ohr, noch der Duft von welkem Grün und Weihrauch in San Ambrogio und den Straßen, von Wein und Roß und Mann bei Gelagen und Umzügen nicht aus der Nase gewichen, als schon der Tanz mit der Kurie begann. Urban III., der neue Papst – ein Crivelli, also ein Feind der Staufer – ließ die zunächst bewahrte Maske fallen und von Verona aus den Sturmwind 78 seines Hasses losbrechen. Es wurde ein Verfahren gegen den Patriarchen von Aquileja eingeleitet, welcher Heinrich zum römischen König gekrönt hatte: weil dieses Recht nur dem Erzbischof von Mailand, also dem Papste selbst, zugestanden hätte . . . Barbarossas Verlangen nach Heinrichs verfrühter Kaiserkrönung wurde abgewiesen. Das reiche feindliche Cremona wurde gestützt. Das Versprechen, den gegnerischen Volkmar nicht in Trier als Erzbischof einzusetzen, wurde gebrochen. Die Einsetzung erfolgte. Sie bedeutete Krieg. Cremona wurde besiegt. Daß es nicht zerstört wurde, zeigte die Staatskunst Heinrichs. Noch mehr der Umstand, daß er der Stadt die Möglichkeit ließ, einen Gegenbund gegen den Lombardischen Bund zu schaffen. Das war die Methode des tertius gaudens, der Zunge an der Waage . . .

Als Oberitalien ins Gleichgewicht gebracht war, kam Tuskien an die Reihe. Andere Voraussetzungen, andere Mittel. Gestützt wurden die Kräfte, welche den Reichsgedanken vertraten: Adel und Klerus. Was für die handeltreibenden lombardischen Stadtrepubliken galt – Schonung der bürgerlichen Elemente – hatte in dem bäurisch-feudalen Tuskien keinen Sinn. Auch mußten strategische Gründe berücksichtigt werden. Die Apennin-Pässe wurden gesichert, so wie vorher schon die Reichsstraßen durch die Alpen befestigt worden waren. In der Romagna wurde das Werk der Ordnung und des Ausgleichs mit Zähigkeit fortgesetzt. Die Kurie, welche, aus Rom verjagt, immer noch in Verona residierte, wurde blockiert. Mt. Cenis und St. Bernhard wurden gesperrt, um ihr jeden Verkehr mit den Westmächten unmöglich zu machen. Wer als 79 Bote des Papstes erwischt wurde, büßte mit Verstümmelung oder mit seinem Leben. Abschneiden der Nase war milde Strafe . . . Dann ging es um die rücksichtslose Eroberung des Kirchenstaates. Aber der Papst Urban gab nicht nach. Er drohte mit dem Bann. Verona, als Stadt des Lombardischen Bundes gehalten, die Rechte des Kaisers zu wahren, entzog dem Papste die Aufenthaltsbewilligung. Er ging nach Ferrara, eine Flamme von Wut. Das Allerschlimmste stand bevor: die Entfesselung des Kampfes der beiden obersten Weltmächte auf der ganzen Linie: da gerade starb der Papst, am 20. Oktober 1187. Nun war der Friede gesichert mit der Wahl des Kaiserfreundes Albert von Morra, der als Gregor VIII. den Stuhl Petri bestieg. So unzweideutig gesichert, daß der König es wagen durfte, Italien zu verlassen. Die durch die kaiserliche Politik in Italien geschaffenen Zustände wurden von der Kurie anerkannt. Der Preis für diese Anerkennung aber würde das Gelübde zu einem Kreuzzug sein müssen. Das war – zur herrschenden Stunde – allen klar, auch wenn der Papst die Forderung noch nicht erhoben hatte . . .

Dies alles, nur in seinen Endergebnissen überdacht, war in zwanzig Monaten ihr Erleben gewesen. Von Lager zu Lager war sie den Ereignissen nachgezogen. Menschen waren gekommen und gegangen wie Schattenbilder an der Wand. Namen hatten den Anspruch erhoben, behalten, Gesichter, wiedererkannt zu werden. Ermüdung hatte es nicht geben dürfen. Müdesein ist die Todsünde der Könige. Lächeln war die ewig gleiche Münze für alle gewesen, Lächeln die leblose, ewig gleiche Antwort. Wie sie in der langen Abgeschiedenheit ihres Klosterlebens in Palermo ganz auf sich selbst 80 gestellt gewesen war, so würde sie sich im Lärme der Welt, in den sie ihre Bestimmung gerufen hatte, wieder nach sich selbst zurücksehnen und sich doch vielleicht nie mehr ganz erreichen können – es sei denn . . .

Sie schloß die Augen, einen Augenblick lang. Ihr Gesicht, hätte sie es in einem Spiegel sehen können, wäre ihr wie ein erstarrtes Weinen erschienen, wie das Bekenntnis einer inneren Not, die sie sich selbst nur in den unbewachtesten Augenblicken eingestand . . .

. . . es sei denn, fuhr sie in ihren Gedanken fort, während sie sich wieder in dem Lehnstuhl vor dem Schreibtisch niederließ, in dem Sohn, in dem der Sinn meines Frauentumes offenbar würde . . .

Und wie sie diesen tausendmal durchdachten Gedanken wieder aufnahm, befiel sie auch wieder die Angst, in die er seit geraumer Zeit gebettet lag: die Angst, er könne nur Gedanke bleiben, ohne jemals Wirklichkeit zu werden . . . War nicht zweimal schon die Frist abgelaufen, in der sie hätte Mutter sein können? Und noch immer regte sich kein Leben in ihr . . . Starrten nicht heimlich die Hofdamen und die Dienerinnen auf ihre Hüften? Hatte die gute alte Herzogin von Spoleto, die Frau des Generals von Urslingen, nicht schon bei Mitternachtsmond gepflückte Kräuter aus ihrer schwäbischen Heimat geschickt? Hatte man nicht schon auch zu ihr, wie zur Königin Johanna, die arabischen Ärzte aus Salerno kommen lassen? Ihr Blick fiel auf eine Petunienknospe, die sich langsam am Rande der Vase aufschloß –

– Unsinn, sagte sie zu sich selbst. Kein Grübeln wird mir den Sohn bringen – kein wider alles Bedürfnis erzwungenes Beilager, wenn ihn die Gnade Gottes mir 81 nicht schenkt . . . Heinrich? Werkzeug, nicht mehr, nicht weniger . . .

Und sie fuhr fort in ihrem Briefe, wo sie aufgehört hatte:

Was er erreichen wollte – hieß der letzte Satz, den sie aufgeschrieben hatte – ist erreicht: mit dem Einsatz aller Kräfte, über die ein Mensch verfügt, auch mit dem einer hemmungslosen »Grausamkeit«, hatte sie schreiben wollen, als sich ihr die Feder versagte – »Härte« schrieb sie nun, sich fast über die Beschönigung schämend, in der sie eine Unehrlichkeit gegen den Menschen sah, der von allen Lebenden ihrem Herzen am teuersten war. War es denn schon so weit mit der Preisgabe ihres persönlichsten Empfindens gekommen? Auch diese Erwägung schob sie beiseite. Die Tochter eines Königs, sagte in ihr die wegweisende Stimme, und die Frau eines Königs bleibt sich unter allen Umständen bewußt, was sie der Stufe schuldig ist, auf die sie das Schicksal gestellt hat: es gibt Dinge, die sie niemals aussprechen wird: und verbrennten sie ihr auch die Lippen . . . Mensch und Rang – oh, wie sie es wieder fühlte in dieser Stunde der Rechenschaft – waren nicht zu trennen, wenn sie sich gegenseitig bedingten . . . Was ist denn – fragte sie sich schließlich – was ist denn Königtum, wenn es nicht – Königtum ist? Vieles hatte sie noch schreiben wollen über ihre Angst, nun über die Alpen in dieses rätselhafte Deutschland gehen zu müssen: aber sie unterließ es. Über alle Regungen hatte das Gefühl der Würde gesiegt, das Gefühl des Stolzes und der Pflicht gegen das Gesetz ihres Daseins. Auch der Sinn ihres Namens – wie so oft schon – fiel ihr ein: Konstanze: Constantia: 82 die zu sich selbst Stehende, die Standhafte, die Ausdauernde . . .

›Gerne – fuhr sie also in ihrem Schreiben fort – gerne hätte ich Ihnen, lieber Freund, noch vieles von den Gefühlen gesagt, mit denen mein Herz die einzelnen Geschehnisse eines neuen Lebens umkleidet: aber es ist schon spät am Abend und ich denke auch, Sie erkennen das, was ist, aus dem, was ich nicht berühre. Ich fürchte aber auch beinahe, Sie zu ermüden, wenn ich Sie so lange mit unfrohen Einzelheiten hinhalte, anstatt darauf bedacht zu sein, Ihnen Ihre eignen Sorgen ein wenig zu mildern. Sie haben, wie man mir mitteilt, noch immer nicht den Kummer über den mißglückten byzantinischen Feldzug überwunden. Ich kann mir vorstellen, wie es Ihnen zumute gewesen sein mag, als Sie ein Unternehmen in dem Augenblicke scheitern sahen, wo Sie sozusagen den Sieg – und welchen! – schon in Händen hielten. Ich nehme aber an, Sie werden mit der Zeit doch dahin kommen, selbst in dem Unglücksfalle von Saloniki noch die gute Seite herauszufinden, nämlich einmal: daß Ihre herrliche Flotte und ihr Befehlshaber, der Admiral Margaritus, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen, in die Heimat zurückkehren konnten, sodann aber: daß dieser Feldzug Sie gelehrt hat, welcher Fehler es ist, den Feind zu unterschätzen. Mein Vater soll oft gesagt haben, daß nur die Erkenntnis unserer Fehler unsere Lehrmeisterin ist. Das mag Ihnen ein Trost sein. – Es wäre wohl von hoher Bedeutung gewesen, wenn Sie und Heinrich sich vor dem byzantinischen Krieg hätten persönlich kennenlernen und aussprechen können. Gerade die offenkundigen Gegensätze Ihrer Naturen hätten eine solche Begegnung 83 fruchtbar gemacht: wenngleich ich nicht glaube, daß ein Mensch, der, wie Sie, ganz aus seinen Sinnen heraus lebt, und ein andrer, der, wie Heinrich, bei fast verkümmerten Sinnen nur noch als übersteigerter Wille vorstellbar ist, sich jemals in einer Freundschaft der Herzen finden könnten.

Je länger die Zeitspanne, je weiter der Raum wird, die mich von Palermo trennen, um so quälender wird mein Heimweh nach dem Meere. Und wenn ich heute eines begreife, so das früher oft ungläubig Gehörte, daß die Kinder des Meeres auf dem meeresfernen Festland verkümmern müssen. Oft scheint es mir, wenn ich heimwärts denke, daß ich seine Brandung im Ohre höre: dann steigen gefährliche Bilder auf, die mein Wille zurückdrängt. Nennen Sie, geliebter Freund, die Bitten nicht kindisch, die ich Ihnen noch vortrage: sondern glauben Sie mir, daß ihnen ein tiefer Sinn innewohnt. Lassen Sie mir mit Ihren nächsten Boten, die nach Deutschland gehen, einen Behälter voll Sand schicken, den die Wogen unseres Meeres bespült haben, und einen anderen voll Erde aus meinem Garten bei Baida. Aus dem Garten von San Giovanni degli Eremiti aber ein paar Setzlinge und Samen der Datturabäume, die dort an der nördlichen Mauer wachsen, und des Gelsominstrauches, der den Ziehbrunnen umwuchert. Sie wissen, wie ich den Duft dieser Blumen liebe. Mönche, die sich auf Pflanzenzucht verstehen, haben mir versichert, daß sie beide Gewächse in besonderen Beeten zum Gedeihen bringen werden. Es will mir scheinen, ich ertrüge mein Leben in Deutschland leichter, wenn ich um mich diesen Hauch meines Landes spüre. Denn das Geringste vermag uns zu trösten und 84 zu stärken, wenn es uns die Seele des Teuersten ahnen läßt, das wir kennen.

Mit diesem Wunsche an Sie lassen Sie mich für heute abend von Ihnen Abschied nehmen. Was nicht in diesen Zeilen steht, mag Ihnen ihr Überbringer sagen: unser beider Freund Pedro Vaqueiras. Es wird Sie freuen, zu hören, daß ihn der König, um sein häufiges Verweilen bei mir über alles neidische und engherzige Gerede zu erheben, zu meinem Adjutanten ernannt hat. Halten Sie ihn nicht allzu lange bei sich, so lieb er Ihnen auch ist. Ich glaube, daß er mir in den kommenden Zeiten nötiger sein wird als Ihnen. Und wenn Sie ihn zurücksenden, lassen Sie ihn unterrichtet sein über das Kleinste, das meinem Herzen wohltun könnte: somit also über das Unscheinbarste auch, das Ihr eignes Dasein betrifft. Der Schwarzen Madonna aber in der Kapelle von Baida versäumen Sie niemals, in meinem Namen zu Dank und Hoffnung Tag und Nacht die gelben Kerzen anzuzünden, welche wir ihr an jenem denkwürdigen Abend stifteten. Und wenn Sie dort vorüberkommen, so lassen Sie Ihr Angedenken an mich ein Gebet sein. Wie viele deren mein Herz für Sie über die Schneeberge und das Meer sendet, wissen Sie.

Konstanze.‹

Wieder entglitt die Feder der nun müden Hand. Der Kopf der Schreiberin aber sank über den gefalteten Händen auf die Tischplatte. Und wie sehr sie sich auch dagegen sträubte: sie konnte es nicht verhindern, daß in die dunklen Fäden ihrer Wimpern Tränen traten. 85

 

Als der kommende Morgen in solcher Bläue und Milde aufstieg, daß man sich an einem späten Apriltag wähnen konnte, entschloß sich die Königin Konstanze zu einer Fahrt auf dem See. Der König war mit diesem Entschluß um so zufriedener, als er den Herren von Planta-Juvalta und von Salis-Soglio, welche bei ihm zur Audienz erschienen waren, die Ehre erweisen konnte, ihnen auf ihrer Heimreise nach Graubünden das Schiff der Königin bis nach Varenna zur Verfügung zu stellen. Auch ergab sich auf diese Weise eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Leutseligkeit Ihrer Majestät zu erwünschter Wirkung zu bringen. Die Alpenpässe waren für jeden deutschen Kaiser die Voraussetzung einer gesicherten Herrschaft. Auf die freundliche und zuverlässige Haltung der nächsten Anwohner dieser Straßen rechnen zu können, war viele Gefälligkeiten wert. Als die Graubündner Herren mit ihren Pferden und Knechten an Land gegangen waren und ihre Reise in der Richtung auf Cólico fortgesetzt hatten, ließ die Königin das Schiff auf die Höhe des Wassers fahren und dort in der vollen Sonne ruhen . . . Die Stelle, wo man lag, gab den Blick in die drei Fjorde des Sees frei . . . Auf Monte Legnone und Grigna war Neuschnee gefallen, dem die auftauende Wärme der Mittagsstunde den Glanz erglühten Silbers lieh. Der Wind, der von den Firnen niederstrich, war lau und kühl zugleich, schmeichelnd und lösend, ein Wind, gemischt aus Hier und Dort: noch der Bruder des Seewindes, der aus den Mittelmeerbuchten über den Apennin heraufsteigt – und schon der Bruder jener näheren Lüfte, die von ›drüben‹ kommen . . .

Die Pelze über die Knie gebreitet, den Kopf an Kissen 86 gestützt, halb sitzend, halb liegend, überließ sich die Königin der unwahrscheinlichen Stunde . . . Ein Garten das Ufer – und am Himmel die Wacht der Fluhen: das hatte sie gesehen im Paradies der Ätnaküste – das hatte sie, manchmal auch, aber nicht häufig, in Palermo gesehen, wenn im Frühling die Kette der Madonie-Berge noch einmal unverhofft eine weiße Decke über sich gezogen hatte, indessen alle Hecken schon von Veilchen, alle Beete schon von Hyazinthen blühten . . . Und sie machte plötzlich, der Gewalt der inneren Gesichte folgend, eine Bewegung mit den Armen, als ob sie diese dunkelblau niederfließenden Schattenwände des Lago di Lecco auseinanderschieben, aufweiten müsse zu einer offnen Uferumrandung und das seidne, das glitzernde, das unendliche Meer vor das so geschaffene Halbrund hinzaubern könne . . . ihr Meer . . . in dem ihr Leben begonnen und beschlossen lag. Wie sie das Heimweh noch einmal schüttelte, in diesen Buchten der rettungslosen Umschlossenheit, in diesem Gefängnis der Schönheit, die sich aus Süße und Drohung mischte . . . wie es fast ausgebrochen wäre, wenn nicht – –

– – wenn sie nicht plötzlich, gerade in diesem Augenblick, an die graubündischen Herren hätte denken müssen, denen sie so liebenswürdige Dinge gesagt und so viele anteilnehmende Fragen gestellt hatte.

Pedro Vaqueiras war neben sie getreten.

– Ich will fahren lassen, sagte sie. Es wird hohe Zeit, an die Heimfahrt zu denken . . . Wir wollen zu Tisch gehen . . .

Nach dem Essen saß sie mit Vaqueiras an einem schützenden Vorhang des Mittelschiffes, 87 Anne de Perche und eine zweite Hofdame lehnten am Geländer des Hinterdeckes und folgten dem kupferglühenden oder kobaltstumpfen Vorbeigleiten der Uferfalten . . .

– Sind Sie nun ganz sicher, wann Sie aufbrechen? fragte Konstanze.

– Nicht auf die Stunde, Majestät, aber sicherlich Sonntag früh. Ich werde nicht mit den königlichen Kurieren reisen. Es hat sich reizvollere Gesellschaft gefunden . . .

– Wer?

– Zwei junge Deutsche, welche nach Sizilien wollen. Und von da nach Frankreich . . . Sie haben sich schon gestern nachmittag im Hoflager mit Empfehlungsbriefen gemeldet. Der König konnte sie wegen seiner Überlastung nicht empfangen, aber der Hofmarschall hat sie an mich gewiesen. Sie haben mir heute morgen ihre Aufwartung gemacht.

– Wer sind sie denn?

– Die ältesten Söhne der Herren von Münzenberg und von Ingelheim, junge Leute von einundzwanzig Jahren.

– Warum haben Sie sie nicht zu dieser Fahrt eingeladen? Es hätte ihnen sicher Freude gemacht, den See an einem solchen Tage zu sehen . . .

– Wie konnte ich wagen, Majestät – zumal die Herren von Planta und von Salis mitfuhren . . . Aber wenn Sie Lust haben, sie zu sehen, so bedarf es doch nur eines Wortes . . . Wir sind gegen fünf Uhr, mit der Dämmerung zurück . . .

– Gut. Bringen Sie sie um fünf zu mir und laden Sie sie in meinem Namen zur Abendtafel ein.

– Sie werden sie glücklich machen . . . Deutschland 88 konnte Ihnen an die Grenze keine liebenswürdigeren Boten entgegensenden . . .

– Diese Sendboten gehen dahin, woher ich komme . . .

– Ja . . . Aber doppelt nicht gerade dies den Sinn dieser zufälligen Begegnung?

– Dichter!

– Nein, Majestät: Deuter . . .

– Ist das nicht das gleiche?

– Manchmal.

– Lieber Pedro: wer wird mir antworten, wenn Sie nicht mehr um mich sind? Und wen werde ich fragen können?

– Deutsche Herren, Majestät, welche denen ähneln, die Sie heute kennenlernen werden . . . Warum sollten Sie anteilnahmslos bleiben an den Gütern, die Deutschland zu verschenken hat?

– Das sagen Sie mir, der Tolosaner aragonischen Geblüts?

– Warum nicht? Ich glaube an das Reich und den Sinn des Kaisertumes. Ich verabscheue die Kurie, so wie Hunderttausende es heute auch tun, ohne den Mut oder die Möglichkeit zu offnem Bekenntnis zu finden! Der Kaiser will die Einheit durch die Macht; aber der Papst will die Macht durch den Zwang der Gewissen . . .

– . . . durch den Glauben . . .

– Was hat der Glaube des Herzens mit dieser Kirche und ihren Dienern noch zu tun? Nichts mehr! Denken Sie an den Aufruf, den noch jüngst Gregor erlassen mußte – und den die Scheinheiligkeit der Kardinäle guthieß! Rückkehr zu einfachen Sitten! Keine Völlerei, keine Hurerei, keine Geckerei mehr! Schlichtes Leben 89 in dem Herrn! Hören Sie nicht das Gelächter im Lateran? Die Witze und Zoten in den Alkoven?

Die Königin antwortete nicht. Sie führte das Gespräch dahin zurück, wo sie es haben wollte:

– Haben Ihnen die jungen Deutschen gesagt, wohin nach Frankreich sie reisen wollen?

– Ja. Natürlich auch nach Romanien, wohin es heute alle zieht, die noch etwas von der Seele wissen, die sich ihre Flügel nicht stutzen läßt . . . von dem schönen Leben in Gott, das sich nicht von der Frechheit römischer Schergen vergewaltigen läßt.

– Pedro! . . . Aber woher wissen denn diese jungen Deutschen etwas von dem, was in Südfrankreich vorgeht?

– Woher sie es wissen? Aus ihrem eignen Lande . . . Bis in die Gegend der Lahn ist die große Bewegung der Kátharer schon gedrungen . . . Die leidenden Herzen horchen auf – die Not der Zeiten schreit nach einem Trost, der ein Trost sei . . . Die Menschen, wo immer sie wohnen, lernen begreifen, daß Kirchensteuern und Ablaßgroschen der Seele nicht helfen . . . So wie der König Wilhelm weiß, daß er das Wunder von Monreale nicht der Kirche errichtet hat, sondern Gott, zu dem er betet . . . Ich bin kein Kátharer, ich predige nicht die Entsagung, ich kann nicht leben von der Erteilung eines consolamentum; aber ich muß bewundern und mich neigen – wie alle, die noch unverfälschten Fühlens sind – wo ein Glaube durch die Tat bekundet, was er vorgibt zu sein: wo er sein Kreuz auf sich nimmt und – vielleicht daran stirbt . . .

– Sie sind ein Kátharer, Pedro, wenn auch in 90 andrem Sinn als jene. Sie sind trunken von allem, das Ihnen rein erscheint . . .

– Glauben Sie, daß es göttlichere Trunkenheit gibt?

– Nein. Aber es gibt ein Ruhen in Gott, das ohne Trunkenheiten ist . . .

– Ich weiß es . . . Ich lasse mir Zeit, seiner teilhaftig zu werden . . . Vergessen Sie nicht, daß jedem Alter seine Stufe gegeben ist . . .

– Pedro: Ich habe die Ihre nie gekannt . . .

– Sie hatten es nicht nötig sie zu kennen . . . oder Sie sind noch nicht bis zu ihr vorgedrungen . . .

Konstanze, welche das Gesicht der Sonne entgegengehalten hatte, wandte langsam den Kopf und sah Vaqueiras an:

– Woher wissen Sie meine geheimsten Gedanken?

– Aus meiner tiefen Verehrung für die Unerbittlichkeit Ihres Lebens . . . Wer so gehorcht wie Sie . . . wer so . . .

Er schwieg. Dann, verlegen, bittend:

– Verzeihen Sie, Majestät . . . Es sollte keine . . .

– Es war noch keine Grenzüberschreitung, Pedro. Es war eine Bitterkeit und ein Trost zugleich. Damit hebt es sich auf.

– Sie strafen mich hart . . .

– Nein. Ich schütze unsere große Freundschaft. Das Wort ist ein gefährlicher Läufer . . . 91

 

Also Sie wollen mit dem Grafen Vaqueiras bis nach Sizilien reisen? fragte Konstanze die jungen Deutschen, welche vor ihr standen.

– Wenn der Graf es uns gestattet, Majestät, wird er uns den größten Dienst erweisen, sagte Lothar von Ingelheim.

– Woher sprechen Sie so vollendet meine Muttersprache?

– Meine Mutter ist eine Jouy aus Lothringen. Aber mein Freund versteht und spricht ebenfalls Französisch.

– Sind alle Menschen in Ihrer Heimat so blond wie Sie? wandte sich die Königin an Kuno von Münzenberg.

– Nein, Majestät. In meiner Familie aber alle.

– Wie heißt Ihre Heimat?

– Die Wetterau.

– Und wo liegt sie?

– Ein wenig nördlich vom Main . . .

– Und die Ihre, Herr von Ingelheim?

– Am Rheine selbst, da, wo die kaiserliche Pfalz steht.

– Ach so . . . die berühmte Pfalz, welche Karl der Große erbaut hat, jetzt weiß ich natürlich . . .

– Ja, Majestät . . .

– Dann müssen Sie eine sehr schöne Heimat haben . . .

– Ja, Majestät . . . Unser Land ist das Land der Spargeln, der Pfirsiche und der Trauben . . . Es ist sehr lustig bei uns, besonders während der Weinlese . . . Es wird viel gesungen und getanzt am Rhein.

– Und was hat Ihr Land Besonderes, Herr von Münzenberg? 92

– Mein Land ist das Land der Getreidefelder, der Wiesen und der Wälder. Im Sommer ist es eine einzige goldene Ebene, Kornfeld an Kornfeld und Weizenfeld an Weizenfeld. An seinem westlichen Rande ist ein Gebirgszug, der zum Taunus gehört, man nennt ihn den Winterstein. Er ist ganz mit Tannen- und Eichenwäldern bedeckt, in denen es viel Wild gibt . . .

– Gehen Sie viel auf Jagd?

– Nicht so sehr oft. Mein Freund und ich reiten und schwimmen lieber. Auch kundschaften wir gerne Land aus, das wir nicht kennen. Wir sind beide sehr neugierig . . .

– Das Beste, das man sein kann, warf Vaqueiras ein. Sind Sie auch neugierig in den Wissenschaften?

– Natürlich, sagte Lothar. Ich möchte kein gelehrter Mann werden, aber ein wohlunterrichteter Mann. Ich meine: ich möchte nicht mein Leben hinter lauter Pergamenten verbringen . . . Ich will wissen, was in der Welt vorgeht und alles lernen, was man braucht, um dies zu erfahren . . .

– Dann müssen Sie viel lernen, lächelte Konstanze.

– Das wollen wir beide, Majestät . . . Und deswegen haben uns unsre Eltern ja auch diese große Reise erlaubt und das Geld dazu gegeben . . .

– Aber wir möchten auch gerne Ritterdienste nehmen, wenn es uns irgendwo gut gefällt, warf Kuno ein, ohne die erneute Frage der Königin abzuwarten, was ihm einen bitterbösen Blick seines Freundes und ein Lächeln Konstanzes eintrug . . .

– Haben Sie eigentlich einen genauen Plan für Ihre Reise?

– Keinen ganz genauen, Majestät. Mein Großvater 93 Jouy hat uns geraten, ohne allzu große Aufenthalte nach Sizilien zu reisen. Er sagt: Mit dem Entferntesten soll man beginnen, denn das Nähere kann man viel eher wieder erreichen. Deshalb möchten wir vor allem – außer Rom natürlich – Palermo sehen. Von dieser Stadt hat man uns Wunder erzählt. Sie soll die schönste der Welt sein – und alle Völker sollen dort friedlich nebeneinander leben, frei ihre Sprachen sprechen und ihre Religionen ausüben –

– Ich will Ihnen nach Tisch vieles von meiner Heimat erzählen, was Ihnen sehr nützlich sein wird, und ich will Ihnen auch Briefe an den König Wilhelm mitgeben. Er wird junge Menschen wie Sie mit offnen Armen aufnehmen und Ihnen – wenn Sie dies wollen – sicherlich auch Hofdienst geben. Was mich, als Königin von Deutschland, ganz besonders beschäftigt, ist Ihre Absicht, an die südfranzösischen Minnehöfe zu reisen . . .

– Es ist eigentlich nur meine Absicht, sagte Lothar. Aber mein Freund wird mich begleiten, da ich ihm versprochen habe, auch mit ihm so lange in Sizilien zu bleiben, bis er die große Flotte genau gesehen hat . . .

– Die große Flotte? fragten gleichzeitig die Königin und Vaqueiras.

– Jawohl, Majestät, sagte errötend, wie wenn man sein Geheimnis verraten hätte, Kuno . . . Ich muß die größte Flotte der Welt sehen – ich muß den größten Admiral der Welt sehen, den Grafen Margaritus . . . Ich denke immer an das Meer und an die Schiffe . . . Ah, wenn ich eine Flotte kommandieren könnte – hinfahren von Hafen zu Hafen, von Land zu Land . . .

Die Königin und Vaqueiras sahen sich an. 94 Konstanze, gerührt von der Leidenschaft, mit der da eine Sehnsucht ausgebrochen war, in der sie plötzlich die Wünsche eines ganzen Volkes spürte, das sie noch nicht kannte und doch schon das ihre hieß, fragte:

– Admiral möchten Sie werden? In welchem Lande? Sie wissen, daß das Reich noch nicht über eine Flotte verfügt?

– Ich weiß es, sagte Kuno, die Augen senkend. Dann, nach kleiner Pause, den Kopf wieder hebend und die Königin aus seinen hellgrauen Augen ansehend:

– Die Leute sagen in Deutschland, daß wir nun ja Freundschaft mit Sizilien haben und daß ein junger Deutscher vielleicht in einer befreundeten Flotte Dienste nehmen kann . . .

– Das kann er sicherlich sofort mit einer Empfehlung von mir an den König. Aber ich möchte ihm raten, sich das sehr zu überlegen. Auf einer Flotte, welche nicht in die Häfen des eignen Vaterlands heimkehrt, ist der Dienst ein großes Heimweh. Die Ferne – glauben Sie Ihrer Königin – die Ferne hat nur dann einen Sinn, wenn sie auf die eigne Heimat zurückbezogen ist.

Lange Pause der Verwirrung und Verlegenheit . . . Schließlich Kunos Stimme, leise und betrübt:

– Lothar Ingelheim sagt das gleiche . . .

– Dann bedürfen Sie meines Rates nicht mehr . . . Sagen Sie mir, Herr von Ingelheim, was Sie nach Südfrankreich zieht . . .

Sie machte eine Handbewegung gegen die Herren, sich zu setzen.

– Mein Vater, Majestät, hat vor drei Jahren auf dem Reichstage von Mainz Herrn Guyot de Provins, den berühmten Trouvère, kennengelernt. Er hat ihn auf 95 unsere Besitzung eingeladen. Dort hat Guyot uns aus seinen Dichtungen vorgelesen und viel von Romanien erzählt, wo er mehr zu Hause schien als in Nordfrankreich. Er kannte alle Minnehöfe, alle Menschen, die sich an ihnen begegneten, alle Geschichten, die umliefen. Er kannte Foix und seinen Besitzer, Ramon Drut, er kannte natürlich Raimon von Toulouse und dessen Schwager, den Grafen Roger Taillefer Trancavel von Carcassonne und Bézier, er kannte die Sänger Bertran de Born, Arnold de Marveil, Peire Vidal. Er war der Gast des englischen Kronprinzen Richard Löwenherz gewesen und des Königs Alfons von Aragon. Er schilderte uns ein Leben von einer Pracht und Bewegtheit, wie wir es in Deutschland noch nicht kannten . . . Er machte uns den Mund lang nach diesem Leben, das kein schöner Traum sei, wie er sagte, sondern eine viel schönere Wirklichkeit. Ich wurde nun von einer großen Sehnsucht nach den heiteren südlichen Ländern ergriffen . . . Ich sah nicht ein, warum ich an ihrer Fülle nicht teilhaben sollte . . . Ich . . . liebe die Schönheit . . . und die Leichtigkeit . . . Ich liebe den blauen Himmel und die klare, stille Wärme . . . Ich liebe alles, was leuchtet und reich ist. Ich verstehe nicht, warum wir Deutsche uns so vieles versagen sollen, was anderen selbstverständlich ist. Aber ich liebe vor allem den Geist, der erst zu diesem erhöhten Genusse befähigt . . .

– Wenn ich Sie sprechen höre, sagte Konstanze, könnte ich meinen, der König Wilhelm von Sizilien stehe vor mir. Was Sie heute sagen, hat er vor zehn Jahren zu mir gesagt . . . Ich verstehe nun, warum Sie nach Sizilien und Romanien wollen. Aber – haben Sie nicht vielleicht noch andere Gründe? 96 Lothar schaute die Königin wie prüfend aus seinen schrägen, braungoldnen Augen an. Sie erwiderte den Blick, der sie beklomm und entzückte zugleich – und fragte dann mit einem Lächeln, das gar keinen Bezug zu ihrer Frage hatte.

– Sie haben keine Braut in Deutschland zurückgelassen?

– Nein, Majestät. Ich habe eine einzige Geliebte, welche ›die Ferne‹ heißt. Zu ihr gehe ich. Nach meiner Reise aber werde ich mich bei einem Pariser Gelehrten einschreiben lassen.

– Sie sind ein sehr zielbewußter junger Mann – und Sie haben die Kunst des Ausweichens, zum mindesten in meiner Sprache, schon vorzüglich beherrschen gelernt.

Wieder betrachtete Lothar die Königin mit dem gleichen, ruhigen Blick wie vorhin. Wieder begegnete sie diesem Blick mit der gleichen Freundlichkeit . . .

– Sagen Sie mir, Herr von Ingelheim – Sie sehen, ich lasse nicht locker – kennen Sie den Namen der Gräfin Esclarmonde von Foix?

– Gewiß, Majestät.

– Gedenken Sie sie zu besuchen?

– Es wäre Todsünde, es nicht zu tun . . . Am Schlosse Comminges reitet kein Ritter vorbei . . .

– Ah . . . Wollen Sie auch zu Esclarmondes Tante gehen, zu Adelaide von Carcassonne, die in den Pinienwäldern des Schlosses Poivers residiert?

– Ich habe Briefe für sie . . .

– Grüßen Sie sie von mir. Wir haben uns zwar nie gesehen – aber wir sind uns nicht fremd. Grüßen Sie auch Ramon de Pereilha, falls Sie nach . . . Montségur kommen . . . Und vor allem: grüßen Sie Esclarmonde . . . 97 Sagen Sie ihr, daß sich das Kloster Baida – können Sie den Namen behalten? Baida, das weiße – ihrer Güte in besonderem Dank erinnere.

– Wie soll ich Eurer Majestät danken?

– Lassen Sie von sich hören. So oft Sie mögen. Und wenn Sie Ihre Studien in Paris beendet haben, oder auch wenn Sie vorher einmal nach Deutschland zurückkommen: besuchen Sie mich . . . Seien Sie mit Ihrem Freunde zur Abendtafel um acht Uhr wieder bei mir. Ich werde Sie beide dem König vorstellen . . .

– Pedro, fragte die Königin, als die jungen Leute gegangen waren, Pedro: sind diese beiden Menschen Deutschland?

– Es scheint so, Majestät.

– Ich danke Gott für diesen Tag. Ich gehe leichter über die Schneeberge – –

Als sie spät am Abend in ihr Schlafzimmer trat, reichte ihr die Kammerfrau ein kleines, in blaue Seide gebundenes Pergamentbuch, das der Graf Vaqueiras abgegeben habe . . . Sie setzte sich auf den Rand des Bettes und schlug die ersten Seiten auf. Sie las:

Les voix de Palerme

und dann die Widmung:

Qu'à votre cœur lointain
Palerme soit présente
Comme le chant que chante
Votre douleur au mien

Sie blätterte bis zum Anfang des Textes . . . verlor sich in der ersten Kanzone: 98

Palerme, quand la nuit descend sur tes collines
Et que dans tes jardins respire toute fleur,
J'attends qu'au port lointain la rade s'illumine,
Pour lentement sentir l'ineffable douceur

De vivre près de toi comme pres d'une amante:
Toujours inassouvi, bien que toujours heureux
Que la bonté se mêle à sa splendeur troublante –
On la dirait la sœur de la Reine des Cieux.

Noch im Einschlafen sangen die Verse in ihr nach:

Palerme, quand la nuit descend sur tes collines
Et que dans tes jardins respire toute fleur
 . . .‹

sangen leise und leiser um das Bildnis eines jungen Deutschen, der schon der Abreise in ihr Vaterland entgegenschlief.

 


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