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. »Ah! Wirklich, Königliche Hoheit darf man keinen Augenblick allein lassen«, sprach Professor Vollrat in die verwunderten Augen des immer noch sehr verschlafenen Patienten hinein. »Ich vertrete unsern lieben Doktor nur für eine halbe Stunde, dann ist er zurück.«

» Sie kommen – der Republikaner?«

»Der Mensch zu einem wertvollen Leben; aber Schmeicheln ist nicht meine Sache. Hoheit wissen es von der Stadt her …«

»Ja«, entsann sich der Herzog eines derben Wortes. »Aber Sie sagen: ein wertvolles Leben. Wenn's eins wäre: Ist denn das in Gefahr?«

»Wenn Hoheit so weitermachen mit diesen verrückten Schlafmitteln, dann ja.«

»Ach, hier hat es sich doch in der Hauptsache um kein Schlafmittel, sondern um Schmerzfreiheit gehandelt. Erst dann habe ich was eingenommen, um nur nicht wieder aufwachen zu müssen. Oh, im Finstern zu liegen und daran zu denken, was Alter, Krankheit und das traurige letzte Ende uns noch zu knacken aufgeben werden! Ich sage Ihnen: Professor? Ja? Gratuliere! Ich sage Ihnen also, Professor, die Wesen ohne graue Hirnrinde, sie sind unsere Leiter und Führer! Sehen Sie die fabelhafte Klugheit, ja Raffiniertheit an, mit der die Blumen ihre Liebesaffären besorgen, sich Kupplerinnen aus der Insektenwelt bezahlen, ihre Wurzeln in mehr als salomonischer Weisheit umhersenden, unfehlbarer als der Bergmann die Erzader sucht und findet.«

»Das ist ein ergreifendes Studium, Königliche Hoheit«, sagte Vollrat, diesmal in ehrlicher Überzeugung. »Königliche Hoheit sollten aber grade die paar nicht durchschlummerten Nachtstunden dran verwenden. Ich selber würde Hoheit immer neue Entdeckungen dazu übermitteln. Aber Morphium! Und dann noch – ist es denn wahr, daß der Doktor in seiner Anhänglichkeit die Schwäche hatte, Ihnen noch ein zweites Schlafmittel zu geben? Unsinn! Sie sind ja gegen drei verschiedene Mittel schon völlig immun. Medinal, Adalin – –«

»Medinal, nein; das ist veraltet«, sagt er. »Veronal meinen Sie vielleicht.«

»Was kann es also gewesen sein?«

»Ich sagte Ihnen schon, es war was Unbekanntes, aber gar zu Wirksames. Ich schlief so lange süß und fest, bis ein natürliches Bedürfnis mich erweckte.«

»Ohne Harnzwang?« fragte der Professor.

»Ach nein. Ich meinte – ein derberes Bedürfnis.«

»So! Abgegangen ohne Beschwernis?«

»Ach, Sie Pessimist! Wie nach einem laxierenden Mittel!«

»Und danach fühlten sich Hoheit wohl?«

»Mir ist immer noch ganz dumm im Kopfe, und mit Ihrer Erlaubnis möchte ich bald wieder ein wenig weiterschlafen; ich sehe ja alles doppelt.«

»Mich auch?«

»Freilich! So sehr, daß ich Sie nicht gleich erkannte. Meine Sehstrahlen müssen vollkommen parallel zueinander eingestellt sein.«

»Aber das ist doch eine Beeinflussung des – gestatten Hoheit, daß ich mir das alles noch schnell notiere, damit Ihr Arzt Gegenmittel aus der Apotheke bringt? Hatte das Mittel – war es flüssig?«

»Ja.«

»Hatte das Mittel irgendeinen spezifischen Geschmack?«

»Nach Benzoe; das kenne ich nämlich aus den Tropen her.«

»Das ist ja ein bloßes Geschmackskorrigens. Drang nicht sonst noch ein bestimmter Geschmack vor?«

»Nach Narkose, unbedingt nach Narkose«, rief der hohe Herr mit Lebhaftigkeit.

»Seine Königliche Hoheit konstatiert bei seinem Zustande auffällig mit der Heftigkeit plötzlich erwachender Erinnerung einen ausgesprochenen sogenannten ›Narkosegeschmack des Schlafmittels‹«, schrieb der Professor. Der Herzog nickte bestätigend.

»Seine Königliche Hoheit empfanden nach etwa sechsunddreißigstündigem Schlafe sofort das Bedürfnis zu einer darmentladenden spontanen Eruption. Richtig?«

»Richtig und treffend gesagt überdies«, entschied der hohe Herr lachend.

»Es trat noch« (Vollrat sah auf seine Uhr) »auffälliges Doppelsehen des hohen Patienten weiter ein.«

»Mein Gott ja, wie man es von Betrunkenen erzählt. Ich für mein Teil habe niemals Alkohol –«

»Und der wäre doch ein so unschuldiges Schlafmittel gegenüber dem chemischen Teufelszeug, das Sie da – aber ich will meinem Kollegen, der den Habitus Eurer Hoheit besser beurteilen kann, nicht vorgreifen.«

»So, so, also ein wenig Alkohol, meinen Sie? Ich wurde als Junge ebensosehr davor gewarnt. Es ist ein Volksmittel und läßt dem Volk eben nicht besonders gut an. Und wer dazu erzogen wurde, das Volk zu beherrschen, der soll auch von dessen, sagen wir sehr groben Schwächen frei bleiben.«

»Manche Generalstäbler mußten viel vertragen, um stärker zu bleiben als jene, welche sie führen sollten«, lächelte der Doktor.

»Ja, ja. Sie haben da recht. Manchmal habe ich selber dran gedacht. Ah, Professor, meiner Jahre und meiner Weisheit letzter Schluß ist ja doch nur diese stille Resignation: zu leben, zu vegetieren, wenn Sie wollen – obwohl das etwas sehr Edles ist –, wie die Bäume.«

»Bäume nehmen nichts aus der Apotheke«, sagte Vollrat sehr ernst und empfahl sich. »Von Pflanzen und von der Sonne und aus der erlauchtesten Süßigkeit der Natur aber kommt der verschriene Alkohol, der furchtbare! Dessen Herr man allerdings bleiben können muß – sonst wird man zu seinem Sklaven.«

»Sie sind ein gescheiter Mann, Professor. Erlauben Sie mir und sich einen Kognak? Jean, einen Kognak!«

Und als der hohe Herr getrunken hatte und selig wieder halb entschlief, zählte der Professor gewissenhaft den Pulsschlag, notierte sich den auch noch und empfahl sich leise.

»Sagen Sie unserm Doktor, die Angst um den Apotheker hätte mich angetrieben herüberzuschauen«, trug er dem Kammerdiener auf. »Aber, Gott sei Dank, es ist nichts! Vom Apotheker hab' ich der Hoheit natürlich nichts erzählt, ließe ich dem Doktor melden auf mein Ehrenwort.«

»Das verstehe ich nicht gut auszurichten. Bitte, hier ist das Laboratorium des Herrn Doktor. Wollten sich Herr Professor nicht einen Augenblick hereinbemühen und das aufschreiben?«

Vollrat trat ein. Er sah auf den ersten Blick die kleinen Gußformen für Suppositorien und nahm kurzerhand eines von den zehn Näpfchen zu sich. Dann schrieb er den kollegialsten Brief, den er in seiner reichen Erfahrung jemals konzipiert hatte, an den ausgezeichneten Kollegen. »Ein Herz und eine Seele! – Gewühlt wird nur unterirdisch«, zitierte er den guten alten Theater- und Hochschulspruch, lachte leise in sich hinein, als er auf den Soziussitz seines jungen Freundes und Hörers stieg und mit ihm wie ein gut gelaunter Teufel davonflitzte.

 


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