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. Tilla aber schrieb Brief auf Brief nach Süden, bot sich und ihren Bräutigam als Gehilfen an. Aber kaum eines von beiden brauchte man da oder dort, und trennen mochten sie sich nicht mehr. Darüber rann unendlich langsam der Dezember und der Januar dahin, während es draußen trübe und still war ebenso wie in der Apotheke. Dort ging es jetzt so einsilbig, ja tot zu, daß sogar der verliebte und abenteuerliche Doktor von allen wie ein wenig matter Sonnenschein empfunden wurde. Sogar von Theo, dessen Vertrauen in Tilla unerschütterlich war, und der sich bloß in der verfluchten Geldfrage für geschlagen, in der Liebe aber Sieger wußte.

Sonst blieb alles eintönig, still und grau. So trist und langweilig war es im alten Gerümpel der »Blauen Gans« geworden, daß sogar das dortige Faktotum sich endgültig zum Trinken entschlossen hatte. Der Mensch aus der Hinterstube, der überlange Blondgesell mit wäßrigen Augen, die bei Alkoholgenuß trauften wie eine Trauerweide im Nebelreißen. Der Zauberlehrling. Hatte er da und dort eine Mixtur zu filtern, eine Mischung im Mörser zu verreiben, ein Dekokt oder eine Latwerge zu bereiten, von Dienstag bis Samstag konnte man ihm sehr unschuldige Mittel stets anvertrauen. Denn er begann erst um Wochenende feierlich und langsam zu saufen, und das hielt bis Montag mittag. Abends dann war er wieder brauchbar. Jetzt aber soff leider der Zauberlehrling die ganze Woche durch den grämlichen Winter tot, und durch die große Stille der »Blauen Gans« erklang das Weinen des Kerls, der beständig das heulende Elend hatte.

Auch die reale Kälte in der »Blauen Gans« und um sie war arg. Miaulis der Kater fing halberfrorene Vögel in Hof und Garten. Aber schnell kam er wieder in die Stube und kroch so nahe an den Ofen, als wollte er sich versengen. Und dann schlief er auf der Bank an der schönen Kachelsetzung aus dem Jahre tausendsiebenhundertundelfe sogar die Mitternächte durch. So fest, daß wie einst in der Sommersonne sogar die Flöhe bei solchem Gottesfrieden aus seinem weißen Pelz zutage traten und sich ebenfalls wärmten.

Neben ihm auf der Ofenbank lag der angetrunkene Zauberlehrling. Er hing mit den Beinen über zwei zurechtgerückte Stühle hinweg und gab vor, Nachtdienst zu halten. Aber damals erfror jeder Bazillus; niemand war krank im Städtchen Lindenau. So blieb es schauerlich still im Eingeweide der »Blauen Gans«. Möglich, daß die Quenzlerin Heimweh in so regungsloser Luft bekam und nach langem einmal wieder aus der Wand hervortrat … Dort, wo die Schuhe zum Putzen bereitstanden, die der Zauberlehrling wegen des großen Frostes und seines Dämmerzustandes heute kaum abgewischt hatte.

Wahrhaftig: gleich als würde es unhörbar an einem Schnürchen gezogen, rollte das pechäugige Nachtgesicht wachsig über blauem undeutlichen Gefluder dahin. Und dann sah es in den Mörser.

Miaulis, der erwachte Kater, knurrte, fauchte, sträubte Rücken- und Schweifhaar, mauzte dann kläglich und suchte trotz des Fuselduftes, der aus Zauberlehrlings Seelenöffnung brach, dessen dringlichste Nähe.

Der Zauberlehrling erwachte. Mondlicht war in der Offizin. Zum ersten Male sah und erkannte er auch gleich die Quenzlerin.

Das Zichorienblau ihres Gewandes, die Haube, welche Onkel Mappe stets die »altholländisch verschollene« nannte, das Durcheinanderwabern ihrer meist zerfließenden Erscheinung – der Zauberlehrling buchte es zuerst auf die Kräfte des spiritus vini diluti, wie er gelehrt zu sagen pflegte. Aber das Phantom hielt aus. Es hatte die Lochaugen über dem Mörser und betrachtete den Urfisch aus Stein.

Da überkam den Zauberlehrling eine große Erleuchtung. Er näherte sich. Schwankend, vertraulich beinahe, da ja auch er ein Spiritus war. Aber er nahte sich sittsam der nicht umzubringenden Bürgersdame und begann, trotzdem sie ihn bloß den nebelflattrigen Rock von hinten sehen ließ:

»Madam.«

»Madam.«

Nichts. Dieses Ungeding sah in den Mörser.

»Euer Gnaden, Baronin von Quenzler?«

Das Grauenzeug schien ihm zu kichern; es war wenigstens so, daß der Zauberlehrling vom Fledermauston erschrak. Da es ihm aber, schlau abwartend, wie ihm schien, den Rücken drehte, war ihm das nicht unangenehm. Denn wenn es ihn ansah und einen Totenschädel zeigte, dann mußte ihn nach alter Überlieferung der »Blauen Gans« der Herzschlag treffen. Eine Weile also stand der Zauberlehrling hinter dem bald sichtbaren, bald zerbändernden und wie ein Nordlicht ungewiß wafelnden Problem. Er wartete, wie ein Bittsteller eben muß. Wiewohl stark schwankend. Sein Rausch und seine Habgier waren größer als seine Angst, die durch das benebelte Sensorium und dessen großes Schlafbedürfnis gemildert und stumpf geworden war.

»Ich muß Ihnen was sagen, Frau Geist«, fuhr der Zauberlehrling mit der ganzen Beharrlichkeit eines Angetrunkenen fort. Ja, er versuchte sie zutraulich am zichorien- oder delfterblauen Rockzipfel zu fassen, was aber so unmöglich war, daß ihm beinahe zum Umfallen schwindelte. Er wehrte sich schwierig dagegen. Weil er immer daneben griff und nie wußte, ob es die Unberechenbarkeit des Geistes oder seiner eigenen Spiritualität wäre. Endlich stand er wieder gegrätscht und breitspurig, aber leidlich fundamentiert hinter der grauenhaft unverständlich sinnierenden Nachtflatternis, durch die immer deutlicher der Mond zu scheinen begann. Jetzt hatte er Angst, er könnte seine gute Stunde verpassen.

»Sein's guat, sein's gütig, Frau Geist«, begann er noch einmal. »Sein's do amal g'scheit! Schaun's her: I, was i da steh, i g'hör' sowenig in dös Haus wia Sö! Sö war'n a G'schäftsfrau. I bin a G'schäftsmann. Freilich, i hab' dazu ka Geld. Sö woll'n außi. I will außi. I erlös' Eahna. I hilf Eahna zu an christlichen Begräbnis. I bin guat mit'n Zauberpfarrer von Großglavin! Leihen's ma sechstausend Schilling, Frau Geist! Sö haben's ja. Kann i's net z'ruckzahlen und Sö wollen ka christliches Begräbnis, so können's ja immer no woanders umadum spuk'n! Aber, Frau Geist? Frau Geist!«

Weg war die Quenzlerin. Nichts sah er mehr. Und im Gefühl rettungsloser Betrunkenheit fiel der Zauberlehrling um. Auch wohl vor Grauen und Enttäuschung fiel er um, und das geschah so krachend nebst zwei Stühlen, daß alles in der Apotheke aufschrak und herunterlief, sogar Tilla.

Was denn geschehen wäre?! Mau rüttelte den Zauberlehrling empor.

»Die Quenzlerin«, sagte er stierend, glasaugig, schaurig.

Ob sie ihren Totenkopf gezeigt habe?

»N–na. Den A – –. Den andern Teil.«

»Hat sie was gesagt?«

Der Zauberlehrling verneinte mit dem Kopf.

»Was haben Sie zu ihr gesagt?«

»An'pumpt hab' i's.«

»Und sie?«

»Hat sich genau so benommen wie ein Sterblicher.«

In diesem Augenblicke stob eine Fledermaus durch die alte Apotheke hin und her, aber sie rief beinahe wie ein Segler, bloß viel höher und kaum hörbar: »Dschriii, dschriii.«

»Aufmachen das Fenster«, schrie Theo.

Tilla riß einen Glasflügel auf, die Fledermaus wankte hakenschlagend wie eine beschossene Schnepfe zum Luftloch hin, stob von der Kälte zurück, begleitete alle vier Wände entlang die Stube und war dann weg; fast genau dort, wo die Schuhe zum Putzen an der Wand bereitstanden.

»Wenn's jetzt nicht so kalt gewesen wäre, sie wäre auf und davon«, sagte Onkel Mappe traurig. »Schade.«

»Anpumpen also muß man sie. Das hält sie nicht aus«, sagte Theo.

Jetzt erst bemerkte Onkel Mappe die Trunkenheit des Zauberlehrlings, und er benutzte sie sogleich, um dem unbrauchbaren Säufer zu kündigen. Der legte sich lethargisch auf die Ofenbank, neben den immer noch grün starrenden entsetzten Kater Miaulis.

»Ich geh, ich geh schon … S – sobald ich ausg'schlafen bin«, sagte er. »Da is keine Solidität im Haus. Nicht einmal das G'spenst ist reell. G'spenster haben einen Schatz zu hüten. G'spenster haben was loszulassen. Was herzugeben. Es is eine notige Apotheken da, eine lumpige. Ja. In der »Blauen Gans« da. Gute Nacht.«

Und knurrend und halb schon schnarchend, drang seiner Weisheit letzter Schluß noch dreimal an die Ohren der sich still entfernenden Hausgenossen:

»Eine ölendige, eine notige Apotheken! Eine lumpige. Gute Nacht.«


Der Zauberlehrling wurde bald ersetzt.

Einmal kam der Doktor mit dem reizenden Stubenmädchen der Herzogin an, welches für seine Herrin ein Toilettenrezept machen lassen mußte, in das der Mediziner durchaus keinen Einblick haben durfte. Der Zauberlehrling hatte neulich sogar in jener trüben Duselstimmung, welche ihm jetzt eigen war wie einer Pfütze Undurchsichtigkeit und Unkenklage, ein Dekokt vollkommen verfehlt. Im Mißtrauen gegen sich selber, daß er da und dort eine Null doppelt sehen könnte, hatte er überall die Hälfte genommen, bis er sich entsann, daß er ja normal sähe. Da nahm er von den weiteren Ingredienzen augenblicklich das Doppelte. Da aber gerade hier eine Dosis Akonitum dabei war, so gab das Gefahr. Der Zauberlehrling war nicht mehr zu gebrauchen. Hätte der Provisor das Unheil nicht entdeckt, so hätte der Eisenhut trotz der winzigen Dosierung immerhin merkbar werden können.

»Aber nehmen Sie doch was Junges, Frisches in dieses alte Geisterhaus«, sagte der Doktor lachend. »Die kleine Neza hier ist ein geschickter Teufel; dort drüben bei der alten Fürstin vertrauert sie ihre Jugend und ist uns ganz verzweifelt. Die Fürstin sieht es selber ein, will ihr eine Aussteuer geben, und es handelt sich nur mehr darum, was es hier Gehalt gibt. Nicht wahr, Neza?«

Neza sah sich den großen schlanken Apothekergehilfen an, dessen prächtig blaue Augen wehmütig auf dem jungen Dingelchen ruhten, das wie er schon verlorene Jugend zu beklagen hatte, und sagte: »Ich gebe nicht auf viel Geld; meine Eltern haben ganz guten Weinhandel. Ich sehe auf liebe Behandlung und ein bißchen Radio, ein bißchen Kino –«

»Ein bißchen Liebe«, fügte Onkel Mappe lächelnd hinzu.

»Nein«, sagte der fremde Doktor. »Sie hat keinen Liebhaber; sie stellt verdammt hohe Ansprüche. Bauernburschen vor allem haben schon im vornherein bei ihr nichts zu erwarten. Ihr Sinn geht nach Höherem.«

»Das ließe sich ja hören,« sagte Onkel Mappe freundlich, »und vielleicht, lieber Doktor, verhandeln Sie mit der kleinen –«

»Neza«, sagte sie.

»Neza? Also Agnes. Sind Sie Slowenin?«

»Von der Grenze, so daß unser Wein keinen Zoll zu bezahlen hat.«

»Also, der Doktor wird mir Bescheid und hoffentlich den Abschluß bringen.«

So kam wieder Leben in die alte Apotheke.

Neza sang den ganzen Tag, wendisch und deutsch durcheinander. Hatte sie etwas im Mörser zu stoßen, so »drischackte« sie, wie man das »Windischläuten« der Glocken nannte. Die Slowenen ziehen, namentlich bei Ankündigung eines Festes am Vorabend, nicht an den Strängen der Glocken, sondern klopfen sie in höchst kompliziertem und wechselndem Dreitakt mit Hämmern. Das geht so stundenlang, ohne daß es eintönig würde, weit über Rebenhügel und Waldberge dahin und hat seinen melancholischen Reiz. Neza wandelte den Mörser zur Kirchenglocke und sang, von ihrem außerordentlich feinen Gehör unterstützt, zu den dabei entstehenden Ober- und Untertönen ihre bald schwermütigen, bald lustigen Melodien. Sie war ungemein einfach konstruiert in ihrer Seele. Entweder lachte sie, oder sie weinte wie ein Negermädchen. Als man ihr die braungoldenen Stuben mit den stolzen theresianischen Schränken und dem vielen alten Zinn und Silber zeigte, dessen Behandlung sie vom Herzogshause her natürlich längst verstand, und dessen Wert sie wie jenen der alten türkischen und persischen Teppiche sogleich abschätzte, da sagte sie munter und naiv: »Oh! Da wär' aber gut einbrechen!«

»Es bricht niemand ein«, lächelte Onkel Mappe. »Und wenn das Haus leer stünde; es bricht unter Garantie niemand ein.« Und dann erzählte er ihr (für den Fall, als dennoch einmal ein Liebhaber sich für des Hauses Schätze interessierte) von der Barbara Quenzlerin. Und einmal sei von einem Diebe bloß die Haut auf der Ofenbank gelegen, log er. »Das andere hatte die Quenzlerin nach hinterlassenen Blutspuren durch den Schornstein verschleppt. Wohin nur? Wohin? Niemand ist drauf gekommen …«

Das Mädel bekreuzigte sich und wollte augenblicklich zur Fürstin zurück.

»Solange jemand im Hause singt, kann sie nicht heraus«, sagte Onkel Mappe. »Und überdies geht sie niemals in die Mansarde! Dort aber haben Sie bei Ihrer Kammer den Provisor immer als Schutz gleich daneben. Unser Fräulein schläft übrigens im ersten Stock, und niemals hat sie sich vor der Quenzlerin gefürchtet.«

Neza verlangte den Garten zu sehen. Luft, um sich von dem Schreck zu erholen, den die Nachricht ihr gemacht hatte. Nun haben alle behaglichen steirischen Gärten das sogenannte Salettel, ein kleines, sehr helles Gartenhaus, in dem man sogar an sonnigen Wintertagen hinter den geschlossenen Fenstern herrlich zu Mittag essen kann; und am Abend heizt die Petroleumlampe.

Neza war schon wieder beruhigt. Sie war begeistert über die vielen Bilder aus farbig illustrierten Zeitungen, die hier nach alter Weingartenmanier mit Reißnägeln angeheftet die Wände gänzlich bedeckten, und sagte: »Da wär' gut Tarock spielen!«

»Was? Sie können auch Tarock?«

»Mit was hätt' ich denn sonst die alte Herzogin und ihre Damen unterhalten sollen? Ich kann sogar Bridge.«

Von diesem Augenblick besaß Neza sogar Onkel Mappes Herz. Weder Tilla noch der Provisor rührten eine Karte an, und der Kauz der Athene erklärte das Kartenspiel nach Schopenhauer für den deklarierten Bankrott an allen Ideen. Gedanken hätten Männer von Herz und Hirn auszutauschen, nicht aber Karten. – In diesen bedrückten und trüben Tagen aber, die Onkel Mappe doppelt fühlte, weil sein, einem weichen Herzen entschlüpftes halbes Versprechen ihn jetzt bedrückte und reute, suchte auch er Vergessen wie der hinausgeworfene Zauberlehrling. Nicht im Alkohol – hier blieb er sparsam. Desto mehr ergab er sich dem ehedem wenig geübten Kartenspiel, in dem die kleine, sehr geschickte Neza ihm einen Trick nach dem andern beibrachte. Na, der Pfarrer von Großglavina, wenn er kam, der konnte sich freuen, so zu dritt oder zu viert!

Und wirklich, der Pfarrer wurde bald eingeladen und kam. Er kam, und Neza sah ihn entsetzt an.

»Jeziz, sveta Marja und Josip! Das ist aber ja ein Gespensterhaus!«

»Warum?«

»Der Pfarrer von Großglavina!«

»Na und?«

»Dort steht ja die Postela, der Burgstall aus der alten Heidenstadt! Es waren schreckliche Heidenkönige; aller Panzer war aus Gold. Sie haben gezaubert, so wie es der dort auch kann!«

Während Onkel Mappe lächelnd mit dem Gaste sprach, weil er die Sagen jener völlig abgeschlossenen Welt kannte, auch jene über den Pfarrherrn, erzählte Neza dem Provisor und seiner Braut, daß kein Hagelschauer Großglavina mehr verwüsten könnte, seit der letzte Hexenpfarrer dort alles hatte zerschlagen lassen. Der neue aber hat gesagt: »›Solange ich in Großglavina mit meiner Gemeinde in Frieden lebe, kommt mir kein Schauer mehr über Weingarten und Feld.‹ Wißt ihr, was er tut? Er tritt aus der Sakristeitür, die gegen die Wetterseite schaut, oder auch aus der Haupttür, wie die Wolken daher wollen. Er hat das Allerheiligste in Händen und bleibt auf der Schwelle stehen. Denn außerhalb der Kirche würden die Jenseitigen ihm's durch Sturmstoß wegfegen, und dann ist er verloren.«

»Na, das ist doch keine Hexerei«, lächelte Tilla.

»Aber erst recht. Hören Sie nur. Oft sagt er zum Mesner, der sein ganzes Vertrauen hat und den ich gut kenne: ›Frantischek, komm her und tritt mit deinem rechten Fuß auf den meinen. So, was siehst du?‹

Da hat der Frantischek einmal eine Krähe aus dem Feld aufstehen gesehen; die ist wie ein Fetzen im Wettersturm herumgetaumelt in die grauen und gelben und in die schaumweißen und roten Wolken hinein. Und wie sie drin war, schreit der Frantischek, daß ihm der Pfarrer den Mund zuhalten muß. ›Ich weiß es ja‹, hat der Pfarrer gesagt. ›Und du bleib' mir still, sonst hat sie nächstens dich beim Grips.‹

›Die alte Mara, die alte Mara Ledinegg‹, hat der Frantischek gekeucht. Die aber, sobald sie die Monstranz aufglühen sieht, da gibt's ihr einen Riß, als hätte wer nach der Hagelkräh' geschossen. Sie schwenkt ab – die ganze große Wolkentruppe ihr nach – – und Eibiswald bekommt die entsetzliche Gottesstrafe, weil dort Sozialdemokraten sind. Alles war verhagelt. Alles.«

Das war am Abend Mariä Lichtmeß gewesen, als Neza so erzählte: am zweiten Februar; und in jenen südlicheren Breiten, die zwischen sich und der Adria kaum mehr einen tausend Meter hohen Wall haben, über den der Jauk, der Ljuka, der warme Mittagswind frei herüberhaucht, beginnt dort der Frühling. Da Feierabend war, gingen Theo und Tilla ein wenig in die Weinberge, in denen, wunderbar anzusehen und köstlich zu erleben, im Freien die Arbeiter in Hemdsärmeln hackten und rigolten.

Es roch überall nach offener Erde.

»Alles fängt von neuem an«, sagte Tilla. »Nur wir – –«

»Hast du keine Hoffnung, Tilla?«

»Doch. Morgen reise ich nach Locarno. Das muß ja halb großstädtisch sein, seit der Völkerbund es berühmt gemacht hat. Dort wird man uns beide vielleicht nehmen, und wird der Sommer zu heiß und haben wir frei, dann führt uns der Simplontunnel gleich bis in die höchsten Berge.«

»Ach, wann und wo werden wir beide zugleich frei haben«, seufzte Theo. »Wir müssen froh sein, auch in der Ehe, nur nebeneinander arbeiten zu dürfen.«

»Und ist auch das nicht schön?«

»Ja, wenn's hier im Lande wäre, wo jeder Tritt Weges für uns eine köstliche Erinnerung ist: an keimende, wachsende und ausbrechende, heiße, treue Liebe. Da sieh, die Arbeiter in ihren Hemden; schöner und weicher kann solch ein hoffender Weinrebentag auch im Süden nicht sein. Und hier, Frühlingskrokus! Und dort – du, Tilla: der erste Zitronenfalter! Und im Wald, am Herwege, die vielen marienreinen Schneeglöckchen. Es risse mir ein Stück Herz ab, müßten wir von hier fort.«

»Und doch werden wir müssen. Dieser Mensch, der den Tropen und ihren Eingeborenen getrotzt hat, wird unüberwindlich zähe und rücksichtslos sein. Er ist ein ganzer Mann – –«

»Tilla!« bat der Provisor ein wenig schmerzlich.

»Ach? Aber! Du? Du bist es ebenso. Und dazu hast du noch ein ganzes Herz! Er hat keines; sieh bloß seine Augen an, die sind wie blauer Stahl, deine sind wie blauer Himmel.«

»Solche Augen aber wollen die Frauen haben, wie er sie hat. Und Brutalität, die müssen sie auch haben.«

»Ich nicht, Theo. Ich nicht. Ich hab' selber viel zuviel Energie, um hier ein Negativpol zu werden.« Sie reichte ihm die kühle, ruhige Hand hin, die in der seinen niemals pochte und fieberte, wie seit einiger Zeit Nezas kleine Finger, in denen der erregte, taktlos gewordene Strom des südslawischen Frühlingsblutes bis in die letzten Spitzen klopfte.

Tilla allein wußte, daß der fremde Doktor das reizende, tolle Slawenmädel auf ihren Bräutigam anhußte: »Neza, ist er nicht schön? Neza, sogar dem Fräulein hier gefällt er, aber sie kann ihn nicht heiraten. Neza, ich weiß in Krapina-Töplitz eine Apotheke, dort braucht er eine einheimische Frau und muß wen haben für die Landessprache. Neza – –«

Da kam Tilla aus dem Laboratorium herzu, sah gleichgültig aus, als hätte sie nichts gehört, und war freundlicher als sonst gegen den Doktor.

Ihm half kein Ausforschen, sie blieb ruhig, heiter und undurchdringlich, bis er wirklich glaubte, sie hätte nichts gehört. Dann erzählte sie ihm, daß Onkel Mappe ihr Urlaub gegeben hätte. Ganz ruhig, nur mit wehmütigem Blick.

»Hat er was gesagt?«

»Nein.«

»Er hätte auch noch lange keinen Grund. Vor Herbst kann ich nicht im entferntesten an eine Praxis hier denken, Tilla; mein Ehrenwort darauf. Und bis irgendwer die Apotheke hier für mich übernimmt, das dauert ja noch viel länger. Denn erst muß ich selber hier verankert sein, Vertrauen fühlen, Patienten haben …«

»Die haben Sie ja jetzt schon.«

Er lächelte. »Frauen, ja. Die hübschesten Frauen. Bloß eine nicht.«

»Die wird nicht leicht krank«, lächelte sie. »Glauben Sie fest an ihre Natur. Die wird nicht krank.«

»Tilla, ich gebe nichts auf. Ich warte; und nehme Sie später, auch mit grau gewordenen Haaren.«

»Die werden Sie mir eher gemacht haben, als Sie denken«, entbrach es ihr. Tränen kamen ihr in die Augen. »Aber diese grauen Haare werden Sie nie sehen. Wir räumen Ihnen hier die Apotheke und gehen fort.«

»Tilla, das ist unmöglich! Eher verzichte ich auf ein Jahr, auf zwei Jahre! Handschlag drauf!«

Er faßte nach ihrer Hand und begann, Finger und Gelenk mit Küssen zu zerdrücken. Eine Weile litt sie es, weil sie überlegte, ob sie sein Ehrenwort annehmen solle. Dann sagte sie: »Es ist genug. Können Sie warten, so ist es schön; aber so nehme ich nicht den Handschlag eines Mannes an; so nicht. Geschäftsmann oder Kamerad, aber anders muß es geschehen.«

Da gab er ihr noch einmal die Hand wie ein Cowboy; ehrlich, gradehin und mit starkem Druck: »Bis zum Herbst also, Tilla.«

»Bis zum Herbst.« … Und in die Reben schoß schon das Lebenswasser …

Frist noch bis zum Herbst. Ein armes Halbjahr.

Das erzählte sie jetzt ihrem Geliebten; langsam und in ihrer ruhigen Art. Bloß von Neza erzählte sie nichts. Theos Phantasie sollte nicht erregt werden. Und am andern Tage fuhr sie nach der Südschweiz.

 


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