Honore de Balzac
Physiologie des Alltagslebens
Honore de Balzac

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Dreizehntes Kapitel
Der Amtsdiener

Zu Füssen jener Menschpyramide, deren höchste Spitze der Minister ist, sitzt und lebt ein glücklicher Mann. In einem verborgenen Winkel, hinter seiner spanischen Wand versteckt, in seine schöne Livree aus blauem Tuch mit bunten Borten gehüllt, führt er ein behaglich-stilles Dasein. Dieser Mann ist der Amtsdiener.

Am Abend verwandelt er sich nicht selten in den Logenschliesser oder Kassier eines Theaters, in den Austräger einer Abendzeitung.

Die Karriere des Amtsdieners geht nur bis zum Türsteher. Aber der Türsteher gibt es heutzutage nur noch wenige, und da die Minister und Generaldirektoren an die Erscheinung, das Gesicht, die Waden, die Manieren dieser Funktionäre gewisse Ansprüche stellen, bedeutet dieser Posten sozusagen den Marschallstab im Tornister des Amtsdieners, das heisst etwas ausserordentlich Seltenes.

In ihnen sieht man die wahren Säulen der Ministerien, die Experten aller bureaukratischen Gebräuche, die braven Leute, denen nichts fehlt, für die immer gut geheizt wird, denen der Staat Kleider gibt, die reich in ihrer nüchternen Armut sind. Sie prüfen die Beamten auf Herz und Nieren; sie haben ja kein anderes Mittel gegen die Langeweile. Sie kennen ihre Schrullen, sie wissen genau, wie weit sie ihnen Kredit geben können, und besorgen im übrigen mit der erforderlichen Diskretion ihre kleinen Aufträge. Sie führen für die Herren die notwendigen Transaktionen im Versatzamt durch, kaufen, wenn's nottut, die Pfandscheine auf und borgen ihnen, ohne Zinsen zu verlangen. Und warum? Kein einziger Beamter nimmt von ihnen die geringste Summe, ohne sie mit einem entsprechenden Trinkgeld zurückzuerstatten. Die Summen sind klein, die Fristen dieser Darlehen kurz, und das ergibt eine sichere und profitable Kapitalsanlage.

Trimolet

Diese Lakaien ohne Herren, die ihre Livree um fünf Uhr ausziehen, beziehen ein Gehalt von sieben- bis achthundert Franken. Neujahrsgeschenke, Trinkgelder erhöhen ihre Einkünfte bis zu zwölfhundert Franken. Sie sind in der Lage, mit diesem Kapital noch einmal soviel an den Beamten zu verdienen, und ihre Abendbeschäftigung bringt ihnen überdies ungefähr dreihundert Franken.

Ihre Frauen sind Krankenpflegerinnen oder reinigen und reparieren feine Spitzen, manchmal handeln sie mit abgelegten Kleidern oder führen einen Zigarrenladen, oder sie sitzen in der Portierloge vornehmer Häuser und verdienen ihrerseits ebensoviel wie der Gemahl.

Darum trifft man auch durchaus nicht selten Amtsdiener, die Wähler, Hausbesitzer in Paris sind. Nach dreissig Dienstjahren beziehen sie eine Pension von achthundert Franken. In den Pensionslisten figurieren aber auch Amtsdiener mit einem Ruhegehalt von dreizehn- bis vierzehnhundert Franken.

Die Gestalt dieses Beamten der niedrigsten Kategorie ist interessanter als man glaubt; denn dem wahren Philosophen begegnet man selten, und dieser, übrigens niemals ledige, Würdenträger ist eigentlich der Philosoph der Behörde.

Die Amtsdiener wissen alles, was in den Bureaus vorgeht. Sie haben ihr eigenes Urteil, sie treiben ihre eigene kleine Politik. Sie haben Bedeutung in den Augen des Publikums, sie sind die Eunuchen dieses grossen Serails. Je weniger sie zu tun haben, desto mehr beklagen sie sich. Wird einem zufällig an einem Tage zehnmal geklingelt, oder soll er dreimal von einem Ministerium zum andern gehen, oder wird er gar von einer Abteilung in eine andere geschickt, dann jammert er und erklärt, es sei »um den Verstand zu verlieren«.

Dies wäre ungefähr das Idealbild eines Amtsdieners. Als es 1830 die grosse nationale Bewegung gab, die von dem hohen politischen Gedanken des Liberalismus geleitet war und in dem berühmten Satze: »Geh fort, ich will mich auf Deinen Platz setzen!« zum klarsten Ausdrucke kommt, gab es auch in allen Bureaus Aufruhr. Alles wurde auf den Kopf gestellt. Und diese Revolution bedrängte besonders schwer die Amtsdiener, die sich ungern an neue Gesichter gewöhnen. Ein Freund, der einmal zu früher Morgenstunde in ein Ministerium kam, belauschte folgenden Dialog zweier Würdenträger dieses Ranges.

»Nun, wie geht's dem?« Es handelte sich um einen Abteilungschef.

»Ach, sprich mir nicht von dem. Ich kann nichts mit ihm anfangen. Er klingelt, um zu fragen, ob ich sein Taschentuch gesehen habe oder seine Tabaksdose. Er empfängt die Leute, ohne sie warten zu lassen Einfach würdelos. Ich, ich muss ihm sagen: ›Aber, Monsieur, der Herr Graf, Ihr Vorgänger, hat mit einem Federmesser an seinem Fauteuil geschnitzelt, damit man glaubt, er arbeite etwas.‹ Und dann bringt er mir alles durcheinander! Ich finde seine Sachen immer drunter und drüber; er ist ein erbärmliches Kirchenlicht. Und der deinige?«

»Der meinige, oh! Ich hab' ihn mir endlich erzogen! Er weiss jetzt den Platz für sein Briefpapier, seine Kuverts, sein Holz, kurz, was er zu tun hat. Mein früherer hat getobt, der jetzt ist süss . . . Aber ihm fehlt der ›Stil‹. Er hat nicht einmal einen Orden; ich mag es nicht, wenn der Chef keinen Orden hat: man könnte ihn für unsereinen halten, das ist entwürdigend! Er nimmt sich Papier aus dem Bureau nach Hause mit, und er hat mich gefragt, ob ich bei ihm servieren wolle, wenn er Gesellschaften gibt . . .«

»Ah, was für eine Regierung, mein Lieber!«

»Ja, die Welt ist schmierig . . .«

»Wenn man nur uns nichts abknapst!«

»Ich fürchte, es kommt sogar dazu. Die Kammern sind kleinlich geworden. Man knickert am Brennholz.«

»Na, die werden sich nicht lang halten, wenn sie diesen Ton anschlagen.«


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