Honore de Balzac
Physiologie des Alltagslebens
Honore de Balzac

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IV. Der Wortkarge

Ein Mann geht an Ihnen vorbei, finster, verträumt, die eine Hand steckt zwischen den Westenknöpfen, die andere stützt sich auf einen Spazierstock mit weissem Elfenbeinknopf. Dieser Mann wirkt wie ein Abbild der Zeit, er geht jeden Tag im gleichen Schritt den gleichen Weg, und sein Gesicht sieht aus wie im Backofen gebrannt. Er revolutioniert mit der unwandelbaren Regelmässigkeit der Sonne. Da Frankreich sich seit fünfzig Jahren ununterbrochen in bedenklichen Verhältnissen befindet, fällt dieser Rentier endlich der stets besorgten Polizei auf, die ständig damit beschäftigt ist, sich über irgend etwas Klarheit zu verschaffen. Er wird verdächtig. Sie folgt dem Mann und sieht ihn rue de Berry in ein Haus eintreten, geheimnisvoll steigt er zum vierten Stock hinauf, putzt sich mysteriös auf einer phantastischen Strohmatte die Schuhe, steckt den Schlüssel ins Loch und betritt vorsichtig die Wohnung. Was tut er dort? Man weiss es nicht. Man beginnt ihn also zu beobachten. Die Detektivs träumen von Bombenfabrikation, Falschmünzerei, Banknotenfälschung. Folgt man ihm am Abend, so erwirbt die Polizei die Gewissheit, dass der Wortkarge einen hohen Preis für die Genüsse zahlt, die dem Studenten geschenkt werden. Die Polizei belauert ihn, er wird von Detektivs verfolgt. Er geht aus. Man sieht ihn in einem Konfitürenladen, dann bei einem Apotheker eintreten. Er liefert diesem im rückwärtigen Raum Pakete ab, die er der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen hat. Die Polizei verdoppelt, verdreifacht nun ihre Bemühungen. Der gerissenste Agent wird zu ihm geschickt, spricht ihm von einer Chance, die sich in Madagaskar bietet, und verschafft sich so Eingang in das verdächtige Zimmer. Es zeigt alle Symptome der erbärmlichsten Misere. Der Agent erlangt die Gewissheit, dass dieser Mann, um seine Passionen bestreiten zu können, seine Zeit damit verbringt, Schokoladestangen zu drehen, einzupacken und mit Etiketten zu bekleben. Er errötet über seine Tätigkeit, anstatt über ihren Zweck zu erröten. Das ganze Leben dieses Rentiers konzentriert sich auf eine einzige Leidenschaft, als deren Folge er in völliger Verblödung seine Tage im Asyl für Unheilbare beschliesst.


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