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Neuntes Kapitel.
Die Grille

»O weh, weh denen, die ein Herz haben, wenn sie
betrachten, und keines, wenn sie handeln.«

(Tagebuch)

 

Die Franzosen, die wie keine andere Nation in ihrer Sprache eine Terminologie der weltlichen Liebe herausgebildet haben, bezeichnen mit »femme fatale« diejenige Frau im Leben eines Mannes, die, ob er will oder nicht, den Gang seines Schicksals bestimmt, weil ihre Vorzüge und seine Schwächen – und umgekehrt – wie Zahnräder ineinandergreifen. Welche Frau war, so angesehen, die »femme fatale« im Leben Grillparzers? War es die schuldige Charlotte, seine »Tragische Muse«, deren unerlöster Schatten die Rolle der tragischen Schuld im Trauerspiel seines Lebens spielte? War es die unschuldige Kathi Fröhlich, die der Wiener Volksmund nicht ohne zureichenden Grund seine »Ewige Braut« nannte? Charlotte war eine kinderreiche Frau, die jung starb; Kathi ein zu ewiger Jungfräulichkeit verurteiltes Mädchen, das uralt wurde. Beide schön, waren sie doch auf eine grundverschiedene Weise schön, die eine auf eine gefährlich blendende, die andere auf eine lieblich bindende Art, und auch als Charakterbilder sind sie ganz gegensätzlich. Sie verhalten sich zueinander wie die brillante Sappho und die »geistesarme« Melitta. Aber zog nicht auch Phaon in Grillparzers Trauerspiel, zwischen zwei Frauen stehend, die niedliche Melitta der bestrickenden Persönlichkeit der von der hohen Woge ihrer Berühmtheit in seine Arme gleitenden, leierkundigen Griechin vor? Phaon aber war Grillparzer, noch bevor er Grillparzer wurde, und es verschlägt wenig, daß er, als er »Sappho« schon schrieb, weder Sappho noch Melitta, weder Charlotte noch Kathi erlebt hatte. Ja, es mag nur um so aufschlußreicher sein, daß er, als er halb unbewußt noch diese beiden Frauenbilder aus sich heraus bildete, die Liebeswahl Phaons zugunsten Melittas entschied. Er war kein Freund der interessanten Frauen, so uninteressant er die anderen mitunter fand.

Kathi war Charlottens Nachfolgerin, wenn auch nicht die einzige. »Sie löste andere ab, wie sie von anderen abgelöst wurde«, sagt der Grillparzerforscher Professor Sauer von ihr. Nicht eben mitfühlend ausgedrückt, ist dies leider richtig. Charlotte, die sich mit der Schattenwelt seiner Medea verbündet, kam früher, Marie Daffinger, deren Knie ihm auf der Rückfahrt vom Heurigen so deutlich entgegenkam, später. Die unglückliche Marie Piquot, auf die arme Kathi tödlich eifersüchtig, vergeht lautlos, klaglos, an ihrer schwindsüchtig-hitzigen Leidenschaft zu dem gleichen Manne. Wie unglücklich jede von den dreien ihn liebte, wußte nur jede ganz allein. War er Don Giovanni zwischen Anna, Elvira und Zerline? War er ein dichtender Lovelace, Verführer auf dem Papier? Das zweite sicher nicht; hat er sich doch, wie er seinem Gewissensspiegel gesteht, »nie mit einer Frau eingelassen, die ihm nicht deutlich merken ließ, daß sie sich mit ihm einzulassen wünschte«. Das ist nicht der Weg Lovelaces, noch ist es der Weg Don Juans, der die Widerwilligen erobert. Aber freilich, es gibt, außerhalb der Opernwelt, auch passive Don Juans, verführte Verführer, die unter Umständen noch größeres Unheil anrichten, und möglicherweise ist der nur im Trauerspiel das Dasein verneinende Dichter dieser Gruppe beizuzählen. Freilich, wenn Don Juan, war er Don Juan mit einem Gewissen, das als ein sittlicher Leporello den Spaßverderber in seinen Liebeshändeln spielte. Weiblichem Reiz im höchsten Maße zugänglich – »Ich wünschte keinem Mädchen um meinet- und ihretwillen, mit mir im Grünen abends allein zu sein – besonders nicht im März und Mai!« notiert er siebzehnjährig – war er doch selbst in seinen donjuanesken Jungmännerjahren nie ein wohlfeiler Liebhaber, geschweige denn ein feiler, der jeder entgegenkommenden Schönen immer gleich Ja sagte. Allein, er war auch keiner, der, was ebenso schlimm ist, immer gleich Nein sagt. Er erweckte Hoffnungen, von deren Erfüllung er sich erst nach längerer Überlegung, innerlich schaudernd, zurückzog. So war es im Falle Charlotte gewesen, als er aus seinem Sinnenrausch erwachte und in die Tragödie flüchtete; so im Grunde auch im Falle Kathi Fröhlich.

Wie sah sie aus, als er der Einundzwanzigjährigen bei einem Konzert im Hause des Bankiers Geymüller zum erstenmal etwas tiefer in die Augen schaute? Sie waren schön, diese »Feuerbälle«, das wissen wir bereits, aber sie waren nicht das einzige, was schön an ihr war. Eine Miniatur »aus der Zeit« verrät uns ein eirundes Gesichtchen, eine klare Kinderstirn, Ringellöckchen und einen Zuckermund. Daß er sich angezogen fühlte, ist begreiflich; daß er sich besann, verständlich. Er tat es früh genug für sein Gewissen; zu spät für sie.

Zwei Jahre später gesteht er seinem Tagebuch, daß »seine Grille, das Mädchen nicht zu genießen«, an allem schuld gewesen wäre.

Das ist das Schlüsselwort dieses Romans; die Grille war schuld.

*

Unbefangene Forschung kann nicht länger daran zweifeln, daß Grillparzer durch seine schuldhafte Beziehung zu Charlotte sich seelisch bedrückt fühlte. Ein Vetter ist ein Vetter, und ein hochgestellter Vetter, der den ärmeren Verwandten in freigebiger Weise protegiert, ihm zu Wagenplätzen in Italien und zu Anstellungen in Hofämtern verhilft, ist noch etwas mehr als ein Vetter. Dazu kam der Selbstmord der Mutter, deren wahrscheinlich unausgesprochen gebliebene Vorwürfe die Gewissensprüfung um so bitterer machten; dazu die Vollendung des wunderbaren Triptychons der »Medea«, die hervorzurufen der leidenschaftlichen Charlotte Sendung gewesen war. »Halb Charis steht sie da und halb Mänade!« Aber nun, nachdem das griechische Kostüm von ihr abgefallen war – oder sie es abgelegt hatte –, war sie wieder Frau von Paumgartten, eine junge Dame der »ersten« Wiener Gesellschaft, die, in einer scheinbar einwandfreien Ehe lebend, sich aus ihren Liebeswirren in Kindbetten rettete und doch den Mitschuldigen nicht freigeben wollte. Schluß! mochte Grillparzer denken, der kein playboy war. Und wie jemand, der sich, von seinem Ziel abkommend, im nächtigen Wald verirrt hat, versuchte er den Weg zurückzugehen: den Weg von der Schuld zur Unschuld. Wobei er sich zum zweitenmal beinahe – aber doch nur beinahe diesmal – tragisch verirrte. Denn hatte er sich vor zwei Jahren mit Schuld beladen, so belud er sich diesmal mit Unschuld. Ein verhängnisvoller Ausweg.

Das Schlimmste war, daß einer solchen Erlösung durch die reine Liebe eines unberührten Mädchens scheinbar nichts im Wege stand. Er lernt die vier Musik machenden Schwestern in einwandfreier Weise in einem ihm gemäßen gesellschaftlichen Lebenskreise kennen. Er fängt Feuer an den feurigen Augen der dritten, Einundzwanzigjährigen, die mit Recht für eins der schönsten Mädchen des zu voller Lieblichkeit erblühenden Wiener Nachwuchses gilt. Der um zehn Jahre ältere, kürzlich erst berühmt gewordene Burgtheaterdichter wird von den älteren Schwestern gleich eingeladen. Gäste willkommen! ist die Devise ihres Musik machenden Hauses, in dem die Eltern der Vier irgendwo im verborgenen blühen. Es liegt auf der Hand, daß die erfahrenen Schwestern die Jüngere, die sich beruflich noch nicht entschieden hat, gern verheiraten oder, wie sie unter sich wohl sagen: unter die Haube bringen möchten. Aber das ist schließlich kein Grund, ein so liebenswürdiges Haus zu meiden; am wenigsten für Grillparzer, der die Musik liebt und als ein ewiger Gast durchs Leben geht.

Über die Beziehung der Liebenden zueinander entscheidet meistens endgültiger, als sie selbst im ersten Augenblick merken, der erste Augenblick. Das wußte Grillparzer, der Dramatiker, der sich darauf versteht, seine Figuren einzuführen, besser als irgendeiner, und darum ist es von besonderer Bedeutung, was er seinem Freund Altmütter und durch ihn der Nachwelt über seine erste Begegnung mit Kathi Fröhlich anvertraut. »Die mit den Augen« fällt ihm gleich auf durch ihre Lebhaftigkeit im Gespräch – mit anderen – und durch die »Sicherheit ihres Auftretens«. Er beobachtet sie während des kleinen Konzerts, das die drei Schwestern geben, und als es vorbei ist, schließt er sich den Beifallsfreudigen an, die nach vorne zum Klavier drängen. Auch Kathi ist aufgesprungen und eilt enthusiastisch auf die Schwestern zu. Daß sie und Grillparzer unter diesen Voraussetzungen miteinander bekannt werden, ist unvermeidlich. Aber wie werden sie es? »Einer der Anwesenden«, erzählt Grillparzer seinem Freunde, »stellte mir die vier Schwestern vor mit dem Ausdruck: ›Vier Ihrer wärmsten Verehrerinnen!‹ ›Wer wäre das nicht!‹ ruft die lebhaft herzutretende Nichtsängerin – Kathi.« Vielleicht war der Dichter, als er diesen Bericht zu Papier brachte, sich der Bedeutung der Wendung, »stellte mir die vier Schwestern vor«, gar nicht bewußt. Aber bewußt oder nicht, er gebrauchte sie, weil es so war: nicht er wurde den Damen Fröhlich, wie dies sonst in Gesellschaft üblich, vorgestellt, sondern sie ihm. Und warum? Weil der Vorstellende, gleichfalls unbewußt, oder nur halb bewußt, ihm offenbar einen höheren gesellschaftlichen Rang einräumt. Und dies in einem Augenblicke, in dem die Konzertgeberinnen, unmittelbar nach ihren Darbietungen, schon aus diesem Grunde ihrerseits den Anspruch auf einen höheren Rang ihren dankbaren Zuhörern gegenüber erheben dürfen.

Dem Dichter, der bei aller Eigenbrötelei in den Umgangsformen der besten Gesellschaft wohlbewandert war, ist dies auch keineswegs entgangen. Und er zieht den Schluß aus seiner Beobachtung mit dem Satz, den er nun folgen läßt. »Ein gewisses beinahe demütiges, einen Unterschied zwischen sich und der Gesellschaft setzendes Betragen«, wäre ihm an den Damen Fröhlich gleich aufgefallen. Auch ist er um eine Begründung dieser »Demut« dem Freunde gegenüber nicht verlegen: die älteste der Schwestern nämlich sei Musiklehrerin im Hause des Festgebenden. Da haben wir es, das hochmütige Vorurteil einer klassenbewußten Wiener Gesellschaft, das sich auf der anderen Seite in »Demut«, das heißt in ein gesellschaftlich nicht ganz unterdrückbares Minderwertigkeitsgefühl verwandelt. Bei den erfahrenen älteren Schwestern kommt es durch die etwas stürmische Einladung des ihnen zugeführten Gesellschaftslöwen – denn das war der gefeierte Dichter zu jener Zeit – zum Ausdruck; bei Kathi durch die ihr nachgerühmte »Sicherheit des Auftretens«, die nichts anderes war als, psychoanalytisch ausgedrückt, ein überkompensierter Minderwertigkeitskomplex. Das Entscheidende aber ist, daß das werbende Mädchen und der umworbene Mann von allem Anfang an nicht auf gleicher Stufe stehen; er mag sich neigen, sie mag sich strecken, ihre »Station«, wie die Engländer den Standplatz nennen, den jeder im Leben einnimmt, ist und bleibt verschieden. Und diese Verschiedenheit wird sich früher oder später fühlbar machen.

Zunächst freilich hat man beiderseits Wichtigeres zu tun, als sich über die Chineserei altösterreichischer Standesunterschiede den Kopf zu zerbrechen. Grillparzer, der sich in diese neue Liebe nach allem, was er hinter sich hat, wie in ein Reinigungsbad stürzt, nimmt die Einladung der Gesangschwestern, ihn mit noch anderen Liedern und Musiknummern bei sich zu Hause bekannt zu machen, bereitwillig an, er macht Besuch, er kommt wieder, er verkehrt im Haus seiner Angebeteten. Denn schon ist sie das, wie aus seinem an den Freund gerichteten Brief hervorgeht, und auch die Kathi hat jetzt ihren »Herzenspagel«, wie sich die ältere Schwester gelegentlich etwas unfein ausdrückt. Aber kaum ist es so weit, so fangen die beiden an sich zu zanken. Bald zanken sie mehr und schließlich zerzanken sie sich. Warum? Worüber? Wir sind auf Vermutungen angewiesen. Immerhin, es gibt verbriefte Äußerungen und lang geheimgehaltene Tagebuchnotizen, aus denen sich einiges erschließen läßt.

Eine dieser Eintragungen lautet: »Solange sie (die er Lucie nennt und die Kathi heißt) auf der Welt ist, hat sie sich noch nie einfallen lassen, daß eine Sache zwei Seiten haben könne …« Die Folge, daß »bei ihr Veranlassung, Wahl und Entschluß das Werk einer und derselben Minute sind …« Bei ihm aber, der über lauter Erwägungen zu keinem Entschlusse gelangt, ist es gerade umgekehrt. Er hat keinen solchen »one track mind«, amerikanisch geredet, keine solche eingeleisige Gedankenbahn, und es ist anzunehmen, daß das Mädchen ihm gerade dies, und mit Recht, übelnahm. Denn diese Eingeleisigkeit hätte ihn zwangsläufig dazu führen müssen, sie zu heiraten. Aber die Heiratsscheu des geborenen Junggesellen läßt ihn diese Möglichkeit nur mit Widerwillen in Betracht ziehen. Wie ein Prediger, der nach einer Bibelstelle sucht, um seinen Text zu verschönern, spießt er einen Vers von Byron in seinem Tagebuch auf, der, was er sich heimlich sagen mag, wenn er das Mädchen halst, ohne sich zu binden, ins Licht rückt:

Although they both are born in the same clime:
Marriage from love, like vinegar from wine.

Eine andere Meinungsverschiedenheit, bei deren Erörterung die Gegensätze einander bekriegen, läuft auf einem weiten Umweg im Grunde auf das gleiche hinaus. Kathi hat, ihr Ziel vor Augen, sich einen Plan zurechtgelegt, der ihrem eingeleisigen Denken entspricht. Sie will einen Beruf ergreifen, um hinter ihren Schwestern nicht zurückzubleiben, und wahrscheinlich auch, was ihr alle Ehre macht, um zum Haushalt der verarmten Eltern etwas beizutragen. Was für einen Beruf? mochte der Liebhaber, der etwas paschamäßigen Anschauungen in bezug auf Frauen huldigt, mißvergnügt fragen. Selbstverständlich einen künstlerischen Beruf, antwortet ihm das Mädchen; sie kann sich einen anderen gar nicht vorstellen. Sie will zum Theater gehen, Sängerin oder Schauspielerin werden. Der Gedanke ist so uneben nicht, Grillparzer selbst bezeugt in einer Tagebuchnotiz ihre »außerordentliche Darstellungsgabe« auf Privatbühnen, deren es in der theaterbesessenen Stadt Wien zahllose gibt. Auch auf andere Sachverständigengutachten kann sie sich berufen. Die große Schröder, Grillparzers Ahnfrau und Sappho, die lieber seine Melitta gewesen wäre, wäre bereit, sie für die Bühne auszubilden, vielleicht, weil sie die heimliche Absicht des Mädchens durchschaut, durch etwas Theaterglanz ihre Stellung in den Augen ihres Liebhabers zu verbessern und aus einer, »die man nicht heiratet«, eine, die man doch heiratet, zu werden. Aber Grillparzer bei seiner wiederholt betonten »Abneigung gegen das Schauspielerwesen« – die ihn nicht gehindert hat, sich in jüngeren Jahren wiederholt in schöne Schauspielerinnen zu verlieben – »verbietet« ihr, diesen Weg, diesen Ausweg, einzuschlagen. Das Unglück ist, daß er über die Theaterleute ungefähr wie sein Vater dachte, und wie dieser über Sappho geurteilt hätte, erfahren wir aus Phaons Mund, der in seinem Monolog im zweiten Akt des Trauerspiels diese Frage aufwirft und beantwortet: in Vaters Augen wäre die Siegerin in Olympia und erste Dichterin Griechenlands nur eine »freche Zitherspielerin« gewesen. Phaon aber, der Mann zwischen zwei Frauen, der sich im Trauerspiel für die »geistesarme« Melitta gegen die geniale Sappho entscheidet, ist ein Selbstbildnis des jungen Grillparzer. Was ihn bezaubert, ist die Demut des Mädchens, ist seine Reinheit. Sie bezaubert ihn so sehr, daß er, seiner Verliebtheit Grenzen ziehend, sie sich und ihr um jeden Preis erhalten will. Heiraten will er sie nicht; aber verführen will er sie auch nicht; zur Frau nicht gut genug, ist sie ihm zur Geliebten zu gut. Und erst nach geraumer Zeit wird ihm klar, daß er das rettungslos in ihn verliebte schöne Kind dadurch nur auf andere, nicht minder grausame Weise ins Unglück stößt. Und wieder zu Byron in Gedanken flüchtend, zitiert er aus dessen »gräßlichem« Manfred:

She had …
Pity and smiles and tears which I had not; …
Humility and that I never had.
Her faults were mine, her virtues were her own –
I loved her and destroyed her.

»Der letzte Vers paßt nicht; soll nie passen!« fügt er im Tagebuch eilends hinzu.

Leider paßte er trotzdem.

*

Die Krankengeschichte dieser Liebe, die nicht leben und nicht sterben konnte, kann man aus Grillparzers Briefen an Kathi deutlich herauslesen, die Liebe deutlicher aus den ihren. Es sind nur ein paar erhalten geblieben, die sie in etwas späteren Jahren als Begleiterin ihrer kunstreisenden Schwester an den zu Hause gebliebenen Teil der Familie richtet. Die dem Herzensfreund zugedachten, die im Anfang der Beziehung zahlreich gewesen sein mögen, sind, wenn Grillparzer sie überhaupt aufgehoben hat, entweder von ihm oder von ihr, vielleicht sogar erst von der überlebenden Schwester vernichtet worden. Der Grund dürfte in allen drei Fällen der gleiche gewesen sein; die Briefe waren »kritzlich«, wie er einmal schulmeisterlich anmerkt, und bedauerlich unorthographisch. Das geht so weit, daß sie einmal sogar »Grüllparzer« schreibt; ein andermal schreibt sie »schehr Mama« oder sie sieht, in Prag, »Ma c h beth« im Theater. Sie nennt ihn, ganz grillparzerisch, ein »göttliches Werk«, aber sie schreibt ihn falsch. Kein Zweifel, Melittas Schulbildung läßt allerhand zu wünschen übrig.

Dies unbeschadet, welch ein Goldschatz unausgemünzter Liebe ist in diesen ihren wenigen Briefen verborgen, welch eine schöne Natur lebt sich unbekümmert darin aus. Wie klar bleibt sie sich in jedem Augenblick bewußt, daß sie das Beste in ihrer Entwicklung ja doch nur »Ihm«, den sie auch im Fürwort immer groß schreibt, zu danken hat. Einmal berichten ihr die Schwestern aus Wien, Grillparzer sei nicht heiter. »Nicht heiter?« antwortet sie: »Ach Gott, wie gerne gäbe ich mein Leben hin, sie (die Heiterkeit) ›Ihn‹ zu erkaufen!« Ein andermal steht sie auf dem Prager »Ratschin« (Hradschin) vor dem Standbild des Böhmenkönigs Ottokar, den Grillparzer ein Jahr vorher aufs Burgtheater gebracht hat. Kein Wort von der Dichtung, aber: »Es ist etwas Eigenes«, gesteht sie der Schwester, »um das Gefühl, wenn man seine Ansichten ohne Scheu einem solchen Manne mitteilen kann. Es geht ihm doch wohl? …« In Mailand, fünf Jahre später, »treumt« sie fast jede Nacht von ihm: »Ein Zeichen, wie innig ich zu meinem Unglück an ihn denke.« Die Schwestern, schreibt sie, sollen ihn von ihr küssen; die Schwestern sollen sich um ihn kümmern; die Schwestern sollen ihm sagen, sie schreibt ihm nicht, um ihn nicht zu »quellen«; aber demnächst wolle sie ihm doch wieder ein Lebenszeichen geben. »Sage mir nur daher, liebe Netti, ob es ihn nur nicht zuwider ist, denn daß es ihm Freude machen würde, das wage ich nicht zu hoffen.« Und bei einer anderen Gelegenheit: »Sollte es ihm unangenehm sein, so würde ich halt recht selten schreiben.« Die seelische Haltung, die rührend in solchen Wendungen zum Ausdruck kommt, mag den deutschen Leser an Kleists demütig liebendes Käthchen von Heilbronn erinnern, das den Geliebten immer nur als »Mein hoher Herr« anspricht. Für den angelsächsischen Leser, dem die Frau als ein zumindest gleichberechtigtes Wesen gilt, gibt es kaum eine Parallele in der neueren Literatur, und in einer jahrhundertalten höchstens Shakespeares »Cordelia«, die »liebt und schweigt«. Aber derjenige, für den sie liebt und schweigt und alles über sich ergehen läßt, war immerhin ein Vater und ein König. Im Wien der Grillparzer-Zeit war es ein Liebhaber und Burgtheaterdichter. Und ein recht ungnädiger dazu. Oft läßt er monatelang überhaupt nichts von sich hören. Kommen dann schließlich doch ein paar mißvergnügte Zeilen, ist ihre verbriefte Reaktion die einer »wahnsinnigen Freude«.

Dabei ist diese unorthographische Geliebte, die weder an Bildung noch gesellschaftlich mit ihrem Liebhaber Schritt zu halten vermag, keineswegs eine sentimentale Liebhaberin, wie sie damals in weinerlichen Stücken des Wiener Theaterrepertoires gang und gäbe war. Kein sterbendes Mädchen wie in des gleichzeitigen Schubert »Der Tod und das Mädchen«, vielmehr die verkörperte Lebenslust und Daseinsfreude; Frische des Wesens ist ihre kennzeichnende Eigenschaft, Gesundheit ihr größter Reichtum, Humor ihre Stärke. Einmal schreibt sie, gleichfalls von Mailand, an ihren sechsjährigen Neffen Wilhelm, das Söhnchen ihrer Schwester Betty Bogner – der mit den Stiefeln –, der für sie eine Art Ersatzkind in ihrem unrealisierten Verhältnis zu Grillparzer geworden ist. Der kleine Junge lernt beim Dichter der »Medea« schreiben, was diesem augenscheinlich Vergnügen macht, und diese von ihr wahrscheinlich eingefädelte Verbindung ausnutzend, beauftragt sie Wilhelm, ihn von ihr zu küssen. Was sie mit folgenden Worten tut: »Küsse ihn von mir recht herzlich, lieber Wilhelm, und drücke ihn so lange, bis er schreit.« Und ein andermal, in der gleichen Absicht: »Wilhelm soll etwas schreiben und Grillparzer soll ihn die Hand führen, so bekommen wir doch einen Fleck, wo beider Hand geruht.«

Sie war auch keineswegs nur Cordelia, die liebt und schweigt, sie hatte auch etwas von Shakespeares Käthchen, der »Widerbellerin«, die, wie wir aus »Der Widerspenstigen Zähmung« wissen, den Mund am rechten Fleck hatte. Einmal schreibt er ihr von Jamnitz, dem mährischen Gut des Grafen Stadion, daß er nächster Tage nach Wien zurückkehre und darauf rechne, daß »von heut über acht Tage« sie sich mindestens »schon achthundertmal gezankt haben würden«. Kein Zweifel, daß dieser Zuckermund sich aufs Zanken ebensogut verstand wie aufs Küssen, und je weniger geküßt wurde, desto besser. Sie konnte ihrem grillenfängerischen Dichter die Hölle gehörig heiß machen, worauf sich übrigens auch die Schwestern in zunehmendem Maße einzurichten begannen, zumal die mit den Stiefeln, Wilhelms Mutter. Die nimmt sich kein Blatt mehr vor den Mund und nennt in einem an die von Wien abwesende Kathi gerichteten Bericht Grillparzer einmal geradezu einen »Schweinickel«, weil er bei einem Besuch auf den Teppich gespuckt habe, oder, noch giftiger ausgedrückt, weil er »immer auf den Teppich spuckt«. Aus solchen Bemerkungen, die unwidersprochen blieben, kann man schließen, daß das Haus der musikbeflissenen Schwestern keineswegs nur ein nach Lavendel duftendes »Dreimäderlhaus« war. Es wurden auch andere Töne darin angeschlagen als Schubertische. Es war ein ehrbares Haus und die konzertierenden Damen des Weinschweflerpaares hatten sicherlich ihre Verdienste, als Jüngerinnen der Kunst in jungen, als Lehrerinnen in späteren Tagen. Daß die häusliche Atmosphäre, die sie und Kathi umgab, die Kulturbedürfnisse des von sich selbst und der besten Wiener Gesellschaft verwöhnten Dichters befriedigen konnte, wird sich schwerlich behaupten lassen. Es fehlte nicht nur der guten Kathi, sondern auch ihrer Umgebung an Erziehung, über welchem Mangel er wohl auch zuweilen die eigene vergaß. Wenn jemand in einem Zimmer auf den Boden spuckt, so ist es hin und wieder wohl auch die Schuld des Bodens.

Unter den Briefen des Dichters, die das Mädchen sammelte, findet sich auch derjenige, der damals in Mailand eine »wahnsinnige Freude« hervorrief. Er ist 1830 geschrieben, neun Jahre nachdem er Kathi kennengelernt hat; keine Spur von Verliebtheit ist darin zu entdecken, kein Hauch von Zärtlichkeit. Die Anrede ist »Liebe Katti« – seine eigene, kratzbürstige Art, den Namen auszusprechen – die Schlußformel, das was die Franzosen »la formule« nennen und worin sie Meister sind, lautet, nicht minder distanziert und unfreundlich: »Neuigkeiten gibt es nicht. Adieu. Grillparzer.« Nur der Anfang verrät ein gewisses Verlangen, wohlerzogen und gefällig zu sein bis zu dem Grade, in dem man allenfalls an eine langjährige verdiente Haushälterin schreibt: »Ich habe Ihren Brief mit viel Vergnügen erhalten. Es geht aus demselben zwar eigentlich nicht viel Zufriedenheit hervor; aber wer ist denn auch zufrieden?« Dann, im zweiten Absatz, verallgemeinert er das hiemit angeschlagene Thema seiner brieflichen Unterhaltung: »Sie sind nicht gern in Mailand, ich wäre gern dort. Könnten wir tauschen, wäre uns beiden geholfen … Jeder Mensch kann glücklich sein, wenn er nur will.« Folgt eine Beschreibung seines täglichen Lebens, die gerade auch nicht aufmunternd sich liest: »Die Menschen ennuieren mich, das Theater widert mich an.« Abendliche Lektüre, von Schlafanfällen unterbrochen, sein einziger Trost. Die Zähne machen ihm zu schaffen, er hat sich eine neue Behandlungsart zurechtgelegt … Wie alt ist der Mann, der in diesem Ton an seine Herzensfreundin schreibt? Siebzig? Nein, kaum vierzig. Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten des reaktionären alten Wien, daß man früh anfing alt zu sein, um es lang zu bleiben.

Freilich, es gibt auch jüngere Briefe an sie von seiner Hand. Der zärtlichste unter den uns erhalten gebliebenen ist eine nach zweijähriger Bekanntschaft zu Papier gebrachte Herzenswallung: »Ich küsse Dich in Gedanken aufrichtig. In Wirklichkeit wäre es mir lieber! Ich bin rasend in Dich verliebt geworden. Ich habe in Jamnitz (von wo er schreibt) ganz vergessen, welch ein Ungeheuer Du bist. Eigentlich bleibst Du doch ein lieber Narr. Adieu. Baldiges Wiedersehen. Grüße die Schwestern und den Vater und Bogner.«

Daß er den Vater und die ganze ehrbare Familie, einschließlich den Schwager Kathis, so gewissenhaft grüßen läßt, beweist seine bereits unabänderlich ehrbaren Absichten. Schon ist die kurze Blütezeit ihres »Du« vorüber, bald werden die Liebenden beim ersten »Sie« halten, dem traurigen Schlußpunkt einer verunglückten Liebe. Nur dazwischen scherzt er noch ein bißchen. So etwa, nach Prag, 1826; »Ihr Zettel« (in dem sie von einer kleinen Heldentat auf der Fahrt berichtet) »hat mir große Freude gemacht. Wenn Sie zu Ihren übrigen kriegerischen Neigungen auch noch Courage hinzufügen, wer mag da bestehen im Streit.« Oder zwei Jahre später, wiederum von Jamnitz, wo er sich in aristokratischer Gesellschaft langweilt und nur mit dem Hofmeister, einem gewissen Flury, geistig und menschlich sich verbunden fühlt: »Machst Du Dir meine Abwesenheit auch recht zunutze? Nicht im Theater gewesen? Geschaut? Getanzt? Komödie gespielt? Ich werde alles erfahren.« Und weil er doch schon im Fragen ist, fragt er gleich, in gleicher Tonart, weiter: »Bist Du nicht mehr zanksüchtig? Nicht mehr zornig? Nicht mehr –? Auf diese letzten Fragen werde ich mir mündlich die genaueste Auskunft ausbitten.« Einer dieser Briefe enthält sogar ein richtiges Kompliment für Kathi, in das sie sich mit dem von ihm bevorzugten Flury teilen mag: »So wie Du«, gesteht er ihr, »derjenige Mensch bist, den ich am wenigsten hasse, ist er derjenige, der mich am wenigsten langweilt.« Es gehörte so viel Humor dazu, wie sie hatte, und so viel Lachlust, um über eine solche, wenngleich gutgemeinte Bemerkung zu lachen.

Alles in allem ist der Ton, den er in seinen brieflichen Äußerungen anschlägt und der dann durch die Jahrzehnte weiterklingt, derjenige eines anfänglich etwas besser, später etwas schlechter gelaunten Vorgesetzten, der sich mit einer Untergebenen unterhält, ohne, bei aller Wertschätzung, den Standesunterschied zu vergessen. »Wie geht's den Schwestern?« fragt er etwa: »Viele Grüße an beide, die glückliche und die unglückliche Liebhaberin. Oder sind sie etwa beide seither glücklich geworden?« So fragt er einmal wohl auch sie selbst in einer Nachschrift: »Wie gefallen Dir sonst die jungen Herren?« Ihre Antwort steht in einem ganz anderen Brief, der, an eine Schwester gerichtet, wahrscheinlich ihm nie unter die Augen kam. Da lesen wir die schlichte Wahrheit, von einem treuen Herzen bezeugt, daß es nie einen anderen Mann für sie gegeben habe und nie einen anderen geben werde als Grillparzer.

Er hat es gewußt, aber nicht zu schätzen gewußt. Das Verhältnis, das sie verband, ohne sie zu vereinigen, war und blieb ein Mißverhältnis. Wozu nur allzu bald noch etwas anderes kam. Die viel zu schöne Marie Smolk, nachherige Marie Daffinger, die ihm gegenüber wohnte, zupfte, am offenen Fenster stehend, ihr Spiegelchen in der Hand, so lange an ihrem geringelten Haar, bis er herüberschaute, worauf sie so lange zurückschaute, bis der Don Juan wider Willen über die Gasse kam. War Kathi auf sie eifersüchtig, wie Charlotte es zweifelsohne war? Freilich, die hatte Ursache, es zu sein, Kathi war zu solchem Luxus nicht berechtigt. Gehörte sie doch in jeder Hinsicht den, wie man im alten Österreich sagte, besitzlosen Klassen an. Sie war nur eine Weinschweflerstochter, er ein Advokatensohn mit patrizischer Verwandtschaft; sie ein unorthographisches kleines Mädchen, er ein berühmter Dichter. Das war es, was der gesellschaftlich verwöhnte und leider auch klassenbewußte Mann bei der ersten Annäherung auf dem gebohnten Parkett des Geymüllerschen Salons gleich gespürt hatte; der Standesunterschied, der zwischen ihr und ihm bestand, war am Ende doch unüberbrückbar. »Unsere Art zu denken scheint zu verschieden und unsere Art zu fühlen ist vielleicht zu ähnlich, als daß ein näheres Verhältnis mit Glück zwischen uns bestehen könnte … Den Freund wirst Du nie vermissen!« schreibt er ihr nach einem Jahr; und fügt, eine ungeweinte Träne zu Papier bringend, eilends noch hinzu: »Leb wohl, liebe, liebe Katti!«

Das Unglück war, daß sie, bei allem sozialen Abstand und Bildungsunterschied, beide arm waren und – blieben. Dreißig Jahre später noch, als ausgedienter Hofrat in den wohlverdienten Ruhestand übertretend, merkt er in einer Art Selbstverteidigung bissig in seinem Tagebuch an, daß er in seinem zweiundsechzigsten Lebensjahr noch immer nicht in der Lage wäre, eine Familie zu erhalten.

Das mag seine Entschuldigung sein, wenn es eine gibt.

*

Nach jenem ersten Abschiedsbrief lesen wir in seinen Aufzeichnungen von Zeit zu Zeit, daß er mit Kathi endgültig gebrochen habe. Dann schreibt er ihr wieder, dann zanken sie wieder, entzweien sich aufs neue und kommen aufs neue nicht zusammen. »Wir glühten, aber ach wir schmolzen nicht!«, steht als Epitaph über dem unschuldigen Grab dieser Liebe. Doch ist ein zunehmendes Erkalten an den Schlußformeln seiner beiläufigen Mitteilungen deutlich feststellbar. »Mit Gruß und Kuß« unterzeichnet er sich in den ersten Jahren, dann verflüchtigt sich das trauliche Du, und Gruß und Kuß verwandeln sich in ein wenig ermutigendes »Auf Wiedersehen!«, dann kommen die Grüße an den Vater und den Schwager, dann erspart er sich auch diese und sagt nur noch »Adieu«. Und schließlich, nach fünfzehnjähriger Bekanntschaft, sagt er nicht einmal mehr Adieu. Aber auch in der Blütezeit ihrer Liebe, die er ihr in Gedichten bezeugt hat, zeichnet er »Grillparzer«. Nie Dein, nie Ihr, nie Franz. Er nennt, was ihn davon abhält, »Schamhaftigkeit der Empfindung«, die ihn abhalte, seinen inneren Menschen nackt zu zeigen. In Wahrheit war es wohl auch eine weniger sympathische Angst, sich dem Mädchen gegenüber zu verpflichten. Er vermied krampfhaft, auch nur den Schein einer innigeren Verbindung zwischen ihnen aufkommen zu lassen.

Dieser quälende Zustand, nicht Fleisch, nicht Fisch, erhält sich durch Jahre als eine Art Büchsenliebe, die eine richtige Mahlzeit verspricht, ohne je eine zu werden. Daß die menschliche Beziehung zwischen ihnen, beiderseits auf höchster Achtung und größter Bewunderung beruhend, von solcher Trübsal unangefochten blieb, geht aus dem Brief hervor, den er, nach fünfjähriger Bekanntschaft, von Koburg an sie richtete, um über das wahrscheinlich bedeutendste und heiligste seiner Erlebnisse, den Besuch bei Goethe, Nachricht zu geben. An keine andere, weder an Charlotte, noch an das »Rätsel« Marie hat er damals geschrieben. Er nannte die viel zu Schöne ein Rätsel, obwohl sie alles andere eher war. Aber das gehört auf ein anderes Blatt, vielleicht auf dasjenige, auf das er ein Jahr später, als er Marie den Abschied gab, die langstieligen Verse schrieb:

Denn wie du jetzt bemühst dich, halb vergebens,
Zu malen dir dies Band als schwere Last,
Es bleibt denn doch die Krone deines Lebens,
Für alle Zeit das Beste was du hast.

Wie ganz anders klingt sein Nachruf – Nachruf bei Lebzeiten – für Kathi:

Gefühl, das sich in Herzenswärme sonnte,
Verstand, wenngleich von Güte überragt;
Ans Märchen grenzt, was sie für andre konnte,
An Heil'genschein, was sie sich selbst versagt.

siehe Bildunterschrift

Marie Daffinger. Ölgemälde von Moritz Michael Daffinger.
Wien, Albertina. Bildarchiv der österreichischen Nationalbibliothek.

siehe Bildunterschrift

Rahel Varnhagen. Stahlstich von C. E. Weber. 1817.
Wien, Städtische Sammlungen.

Der ganze Abstand zwischen Kathi Fröhlich und jeder anderen Frau im Leben des Dichters erhellt aus diesen beiden Vierzeilern, die beide den Stempel eines unbestechlichen Urteils in eigener Sache tragen. »Du bist an die Gemeinheit verkauft!« lautet der Wahrspruch in Sachen Maries, als sie den in ihre nur leibliche Schönheit verliebten »rohen Maler« Daffinger heiratete; ein »Heiligenschein« wird der um ihre Jugend betrogenen Rivalin schließlich zugebilligt. Wie teuer hat sie den sittlichen Triumph bezahlt. Was Ibsens Ella Rentheim zu dem falliten Bankdirektor John Gabriel Borckmann sagt: »Du hast das Liebesleben gemordet!«, das hätte beiläufig auch die arme Kathi, wenngleich nicht so literarisch zugespitzt, sagen können; ihr anklagendes Gefühl zielte in der gleichen Richtung, und ihr Dichter – denn der Dichter zumindest blieb der ihre – hat es erschütternd ausgedrückt in zwei Zeilen eines herzbewegenden Blattes seiner Aufzeichnungen. Er hat es in einer schauerlichen Gewitternacht »auf den Stufen des Theseustempels im Wiener Paradeisgartel« – wie wienerisch diese Dekoration! – sich abgerungen, während Kathi in der Wohnung ihrer Schwestern mit dem Tode rang. Von »Nervenfieber«, wie man damals den Typhus nannte, sprach der Arzt, aber die Schwestern wußten es besser und machten dem Abtrünnigen gegenüber, der ihr wieder einmal den Abschied gegeben hatte, kein Hehl daraus: Wenn Kathi starb, würde er an ihrem Tode schuld sein. Er weiß, daß sie im Recht sind, und wie ein Blutsturz rollt ihm der nachfolgende Monolog aus dem Munde.

»Weh, weh, daß du geboren bist! Besser nie anfangen, als so aufzuhören!«

Während er den »Blitzen zusieht, die … den schwarzen Himmel von Zeit zu Zeit erleuchten«, denkt er »… an die, die vielleicht eben im Begriffe steht, ihr Leben einzubüßen über dem verunglückten Versuch, den, der dort lag unter den Säulen, durch ein menschliches Band unter den Menschen festzuhalten. Vergeblicher Versuch … Gott hat deinen Feinden den Sieg gegeben.«

Ist diese Ergebenheit in die sogenannten Schicksalsmächte schlimm genug, so kommt es noch schlimmer, wenn er in seinem nächtlichen Selbstgespräch fortfährt: »Und doch ist es vielleicht das Beste, wenn sie stirbt. Da ist keine andere Entwicklung möglich. Das zu sagen, ist weder eigennützig noch hart, denn ich würde ebenso gern, ja lieber, durch meinen eigenen Tod den unauflösbar geschlungenen Knoten trennen … Dieses treue, edle Herz! Aber weiß Gott, es ist mehr ihre Schuld als die meine! Ihre Schuld? … Gibt's kein Unglück, durch den Lauf der Dinge und unabänderliche Beschaffenheit herbeigeführt? O weh, weh' denen, die ein Herz haben, wenn sie betrachten und keines, wenn sie handeln!«

Wodurch war dieser tragische Ausbruch, der fast den Tod des einen Teiles zur Voraussetzung hatte – unter der beinahe frevlerischen Zustimmung des anderen Teiles – verursacht? Durch einen der in gewissen Zeitabständen erfolgenden Brüche natürlich. Nur daß in diesem Falle der Bruch komplizierter war, da ihn nicht nur die hypochondrische Launenhaftigkeit des Liebhabers, sondern auch eine durch sein eigenes Schuldgefühl verschärfte Eifersuchtsanwandlung heraufbeschworen hatte. Kathi war nicht umsonst eines der schönsten Mädchen Wiens. Sie hatte Bewunderer, so wenig sie Wert darauf legte, Bewunderer zu haben – »dafür haben wir keine Zeit«, sagt sie einmal in einem Brief an die Schwestern –, und einer dieser zähen Bewunderer, seines Zeichens Gutsverwalter, der, wäre sie nicht unrettbar in einen Dichter verliebt gewesen, ganz gut zu ihr gepaßt hätte, wollte die nun beinahe Dreißigjährige um jeden Preis heiraten. Sie hat nichts dagegen, daß er sie »auszeichnet«, wie sie sich bescheiden ausdrückt, und verbringt in Gesellschaft ihrer Schwestern, die ihr wahrscheinlich zusetzen, ein Ende mit Grillparzer zu machen, einige Sommerwochen in der Achau, wo er zu Hause ist. Grillparzer kommt auf einer Ferialwanderung an dem kleinen Ort vorüber, vermutet ein schuldbares Einverständnis mit dem ihm bekannten Verwalter, und macht ihr demonstrativ keinen Besuch. Ein paar Wochen später schreibt er den Schwestern Fröhlich, die ihn wie gewöhnlich einladen, unmutig ab und stellt den Verkehr in ihrem Hause ein, mit der Begründung, daß er »nicht der Dupe sein« wolle. Darüber kommt es zum Bruche; darüber zu dem von dem in Liebesdingen vielleicht nicht genügend erfahrenen Arzt so benannten »Nervenfieber«. Wenig fehlte, so hätte es mit dem Tod der unschuldigen Desdemona geendet.

Es ging gut aus und nach dieser schrecklichen Nacht »auf den Stufen des Theseustempels« trat beiderseits eine Erleichterung ein. Das Mädchen kam mit dem Leben davon und ihr unberechenbarer Herzensfreund schreibt kein andermal mehr ins Tagebuch »mit Katti gebrochen, wahrscheinlich für immer«. Eine Art Waffenstillstand kommt zustande, der den bestehenden Zustand, unerfreulich, wie er in seiner Unausgesprochenheit leider ist, für weitere vierzig Jahre verlängert. In den ersten Jahren wird er durch langausgedehnte Abwesenheiten Kathis, die ihre Schwester Josephine auf ihren Kunstreisen begleitet, für den bockbeinigen Hagestolz erträglicher gemacht. Dann schreibt er seine trockenen Briefe, während sie ihrerseits von einem Feldmarschall zu berichten weiß, der in einem Mailänder Gasthaus immer zu ihr »herüberplinzelt«, oder von einem blonden Gecken, der ihr Theaterkarten anträgt. In dem einen Fall lautet ihre Reaktion: »Der alte Esel ist uns recht zuwider«; in dem anderen: »So etwas können wir nicht brauchen.« Dann wieder berichtet sie von »fünf Nummern«, die sie in der »Gramer«, sie meint: »Grammaire«, entdeckt hat und gleich in der Lotterie setzt. Denn sie will »reich werden«. Reich für wen? Natürlich für »Grüllparzer«. Armes Kind! Die ganze Korrespondenz geht indirekt. Sie an die Schwester in Wien – er an die in Mailand. Dieser Isolierschichte bedarf es.

Aber die Geschichte mit dem Gutsverwalter aus Achau hat ein Nachspiel, das zur Goldprobe ihres Charakters wird. Es mag dazu beigetragen haben, das verfahrene Verhältnis zwischen den beiden wenigstens menschlich ins Gleis zu bringen und den Dichter der griechischen Mythen und der Habsburgerdramen in eine nähere Verbindung mit dem Wiener Volk zu rücken, das in seinem Leben am Ende doch nur durch die arme Kathi vertreten war. Die »Greißlerstochter« in seiner volkstümlichen Erzählung »Der arme Spielmann« ist sichtlich nach Kathis Ebenbild geformt.

Diese kleine, biedermeierliche Verwicklung, die einem Volksstück der Raimundzeit entnommen sein könnte, knüpft unmittelbar an jenes eifersüchtige An-ihrer-Tür-Vorübergehen in Achau an, von wo, nach Wien zurückgekehrt, Kathi dem schmollenden Liebhaber ihre Heimkunft im Namen der Schwestern bekanntzugeben wünscht. Sie schreibt einen Zettel, den die Marie – das Dienstmädchen der Fröhlichs – zu ihm hinübertragen soll. Aber die Marie hat was anderes zu tun, und die ältere Schwester gibt der ungeduldigen Kathi den Rat, einen »Buben«, den sie auf der Gasse sicher finden würde, zu ihm hinauf zu schicken. Die ungeduldige Kathi, die, auf der Gasse angelangt, einen ihr geeignet erscheinenden Buben weit und breit nicht zu entdecken vermag, zieht die naheliegende Folgerung, daß sie gleich selbst leichtfüßig die vier Treppen zu Grillparzers Wohnung hinaufspringt und – in seiner Abwesenheit – den Versöhnungszettel seiner Köchin einhändigt. Aber beim Hinunterlaufen begegnet sie der Schwester des heiratslustigen Verwalters, die von einer besseren Partie für ihren Bruder träumt und die Gelegenheit benützt, die Kathi bei ihm zu verdächtigen, daß sie »in der Wohnung« Grillparzers war. In der Wohnung eines unverheirateten Mannes gewesen zu sein, bedeutete im tugendhaften alten Wien den sittlichen Tod eines Mädchens, und so ist es verständlich, daß Kathi diese teuflische Intrige der »Maly«, von der sie erst in Mailand etwas erfährt, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft. Ist es doch sonnenklar, daß die Maly sie bei dem Bruder in »ein abscheiliches Licht« stellen wollte, das auf sich sitzen zu lassen sie keineswegs gewillt ist; denn »ein Frauenzimmer, sobald es ihren Ruf gilt«, müsse sich auch dem unbedeutendsten Verdacht gegenüber rechtfertigen. Dabei denkt sie so wenig daran, den Verwalter zu heiraten, daß sie ihm für die auch nach Mailand nachgesandten »Aufmerksamkeiten«, deutlich genug, nur »namens der Familie« dankt. Auch hat sie schon im vorangegangenen Sommer in Achau der Maly gegenüber kein Hehl daraus gemacht, daß sie »alles was gut an ihr ist«, dem Umgang mit Grillparzer zu danken habe. Sie wußte, wohin sie gehörte und hat es selbst in den Augenblicken äußerster Verzweiflung nie vergessen. Und schließlich weiß es auch die Maly.

So viel Tugend sieht sich dann am Ende doch, wenn auch spät und unlustig, belohnt. In seinem Testament ernennt der spröde Liebhaber seine ewige Braut zur Universalerbin, woraus dann wieder zehn Jahre später die segenswerte »Grillparzer-Stiftung« erblüht. Dergestalt fallen wenigstens die Zinsen seiner Unsterblichkeit an seine große Liebe, die Literatur. Auch hatte der Alternde die Wohnung in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens mit den Schwestern Fröhlich geteilt, die den zweiundsechzigjährigen Hofrat nach seiner Pensionierung bei sich aufnahmen. Er hatte, auch hier im vierten Stock, zwei blitzblanke Stuben inne, mit eigenem Eingang vom Korridor. Seine Wandnachbarin war die Kathi. Aber die Tür zwischen den beiderseitigen Schlafstellen war abgesperrt und außerdem, von seiten des alten Fräuleins, durch einen mannshohen Schrank gegen jede Mißdeutung versichert. Dieser zweiflügelige »Doppelchiffonneur«, wie man ein solches ungelenkes Möbelstück im alten Wien nannte, war, als sie beide alt und grau und schließlich weiß geworden waren, das was übrig blieb von ihrer töricht verhaspelten Liebesgeschichte – das wackelige Denkmal einer Grille.


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