Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Sechzehntes Capitel.

Prancken blieb, er ging mit Manna in den Garten und sie klagte ihm, sie fühle bereits schmerzlich, wie das Weltleben zur Unwahrhaftigkeit verleite, denn sie wünsche, aufrichtig gestanden, keineswegs, daß Lina zum Besuch käme, und habe doch einstimmen müssen.

Sie unterdrückte schnell die Worte, die sie noch auf den Lippen hatte, denn sie wollte bekennen, wie ihr von dem Gewirre des Hauses bereits wirbele und sie die geregelte reine Stille des Klosterlebens schwer vermisse; sie sagte nur, daß sie sich so fremd in der Welt vorkäme. Als Prancken ihr für dies Vertrauen dankte, schrak sie in sich zusammen und sagte kaum hinhauchend: die Welt mache redselig, auch wenn man zurückhaltend sein wolle.

»Es freut mich,« nahm Prancken auf, »daß Sie der Zurückhaltung erwähnen, die ganz mit denselben Worten der Kirchenfürst in diesen Tagen mir eingeschärft hat, denn er sagte: Bleiben Sie zurückhaltend! Die viel und leicht sprechenden Menschen sind im Grunde eigentlich Dilettanten.«

Er glaubte, daß Manna merke, wie er auf Erich ziele, aber diese gab kein Zeichen, daß sie den Vorwurf des Dilettantismus auf Erich beziehe. Prancken fragte nun geradezu:

»Finden Sie nicht auch ein Dilettantisches in dem viel sprechenden Herrn Dournay?«

Manna erwiederte:

»Der Mann spricht viel, aber . . .«

Sie machte eine Pause; Prancken war gespannt, was sie hinzufügen würde.

». . . er spricht viel, aber er denkt auch viel,« vollendete Manna.

Nun wählte Prancken behutsam eine Richtung, die bei scharfem Visir das Ziel nicht verfehlen konnte.

Es war dies kaum nöthig, denn ein Mann, der die Linie seiner Bethätigungen so weit ausdehnte, wie Erich, bot Angriffspunkte genug.

Prancken fand es zunächst anmaßend, daß Erich eine Tempelweihe für seine Gottlosigkeiten in Anspruch nehme, er sagte: es sei eine Falschmünzerei, mit der vielleicht ein kindlich vertrauendes Gemüth getäuscht werden sollte. Er blickte dabei innig auf Manna, diese aber schwieg.

»Nehmen Sie sich in Acht,« fügte er hinzu, »er biedert sich an bei allen Menschen.«

Das Wort schien ihm zu gefallen, er wiederholte es:

»Dieses Sichanbiedern ist eine geschickte Methode, aber sie läßt sich durchschauen. Geben Sie Acht, wie oft er das Wort Menschheit gebraucht; ich hab' ihm einmal nachgezählt, in einer einzigen Stunde hat er es vierzehnmal gesagt. Er thut sehr bescheiden, aber sein Dünkel geht über die Grenzen des Unerlaubten.«

Prancken lachte, er wußte, wie leicht es ist, einen hochgestimmten, in starker Action stehenden Menschen lächerlich erscheinen zu lassen, und nicht ohne Befriedigung gewahrte er, daß seine Worte bei Manna Eindruck fanden. Hat man einen Menschen in den Gesichtswinkel gestellt, wo er lächerlich erscheint, so rettet ihn nichts mehr; das wußte und das hoffte Prancken. Er setzte indeß hinzu:

»Unser Roland hat Mancherlei bei dem Biedermanne gelernt, nun aber ist es genug und Zeit, daß er bald in die höheren Sphären eintritt.«

Manna kehrte nach dem Hause zurück. Auf der Freitreppe begegnete ihr Erich; Beide hielten an. Erich glaubte etwas sagen zu müssen und er begann:

»Ich kann mir denken, daß es Ihnen peinlich sein mag, Ihr Daheimsein mit einem Feste zu beginnen; der kommende Tag erscheint dann leicht leer.«

»Weßhalb wollen Sie meine Gedanken wissen?« entgegnete Manna und ging weiter.

Sie ging die Treppe hinan, sie preßte wie im Zorn die Lippen, die so Hartes gesagt hatten. Wie kam dies auf ihre Lippen? War es geheime Furcht vor Annäherung? War es Stolz? Hatten die Einflüsterungen Pranckens sie dazu verleitet oder wirkte Alles zusammen?

Sie bereute, daß sie am ersten Tage ihrer Rückkehr ins Elternhaus einen Menschen verletzt hatte.

Den ganzen Abend blieb sie auf ihrem Zimmer. Noch spät klopfte Roland an ihre Thüre und ließ nicht ab, bis sie ihm öffnete. Er setzte sich zu ihr und sagte:

»Ach, Manna, von Allem, was ich heut erlebt, will mir das Eine nicht aus dem Sinn. Jeder, dem ich eine Gabe brachte, sagte mir: Ich will auch für Sie beten. Kann man denn das, und was nützt es? Was nützt es, wenn ein Anderes für mich betet und zu Gott Alles Gute und Schöne von mir sagt und für mich wünscht? Was soll das helfen, wenn ich nicht selber brav in meiner Seele bin?«

»Roland, was sprichst Du? Was hast Du für Gedanken?« rief Manna und faßte ihn an beiden Armen; dann ließ sie den Erstaunten still stehen, eilte in ihre Kammer und warf sich dort auf die Kniee.

Heute schon sah sie den Zerfall im Hause. Sie betete für Roland, daß sein Geist erleuchtet und befreit werden möge, aber in ihr Gebet hinein zuckte etwas Fremdes. Sie rang die Hände, sie klagte, sie weinte. Ist es wahr, daß Niemand für einen Andern einstehen und für ihn sich opfern kann? Nein, es ist nicht wahr, es darf nicht sein! Wie von einer faßbaren Last niedergedrückt, die vom Himmel fiel, fühlte sie sich, da diese Frage und Klage sich in ihrem Denken bewegte. Was ist das? Ein Mensch kann einem Andern mehr Böses als Gutes thun? Ist das so? Muß das so sein? Heftig rang ihre Seele, aber endlich lächelte sie, denn es ging ihr auf: ihr ist ein großer Kampf beschieden; er beginnt bereits. Sie soll die Seele ihres Bruders retten und sie sagte sich, daß dies nicht in Heftigkeit, sondern nur in Milde und Sanftmuth geschehen könne.

Sie richtete sich auf und kehrte in das Zimmer zu Roland zurück; sie reichte ihm die Hand und sagte:

»Wir wollen einander helfen, immer besser zu werden. Ich habe Dir viel zu geben und viel zu nehmen. Doch das wird sich finden.«

Sie setzte sich ruhig zu ihm und hielt seine Hand.

»Ach,« rief Roland, »wie wohl muß Dir's sein, jetzt wieder daheim; das Kloster ist doch keine Heimat, für Niemand.«

»Darum ist es das Höchste,« erwiderte Manna. »Jeden Tag, jede Stunde zeigt es uns, daß wir heimatlos sind auf dieser Welt. Wenn diese Welt unsere Heimat wäre, so hätten wir Beide, Du und ich – nein . . . Was bringst auch Du mich zu so unpassenden Reden!«

»Erich hat Recht,« nahm Roland auf; »er sagt, Du seiest in Wahrheit eine fromme Seele; was Millionen nur mit dem Munde reden, das komme Dir aus dem Herzen.«

»Das hat Erich gesagt?«

»Ja, und noch viel mehr.«

»Aber Roland,« fiel Manna ein, »man muß nie erzählen, was Andere über einen Menschen gesagt.«

»Auch nicht, wenn es Gutes ist?«

»Auch dann nicht. Man kann nicht wissen – nein,« unterbrach sie sich, »Du bist wol recht glücklich, daß Du einen so zuverlässigen Freund an Erich hast?«

»Gewiß! Und gefällt er Dir nicht auch besser als Prancken?«

Manna wollte lächeln, aber sie unterdrückte es und sagte:

»Laß Dir von Deinem Lehrer die Lehre geben, daß man nie vergleichen soll. Nun aber bedenke, daß ich im Kloster war und viel allein sein muß. Gute Nacht.«

Sie küßte den Bruder.

»Vergiß nicht,« rief er ihr im Fortgehen noch zu, »daß Du Deine beiden Hunde mitnimmst, wenn Du spazieren gehst. Der Krischer wird sie Dir bringen.«

Manna durfte noch nicht allein sein. Sie hatte im Kloster keinerlei Bedienung gehabt, nun aber mußte sie sich – denn der Vater hatte es befohlen – von einer Kammerfrau entkleiden lassen.

Als die Kammerfrau die schönen schwarzen Flechten auflöste, rühmte sie das gesunde volle Haar.

Und doch – dachte Manna – wird dieses Haar fallen.

Es durchzuckte Manna ein Schreck, sie glaubte die Scheere zu hören, die das Haar durchschneidet.

Endlich war sie allein und nachdem sie lange in stillen Betrachtungen und Gebeten verharrt, schrieb sie an die Oberin:

»Wir feierten heute den Geburtstag meines Bruders und meine Rückkehr ins elterliche Haus, ich aber sehne mich nach meinem Geburtstag, der die Heimkehr ins ewige Vaterhaus sein wird.«


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