Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Siebentes Capitel.

So oft Frau Ceres Roland sah, sagte sie beständig:

»Aber Roland, Du siehst so blaß aus! . . . Sieht er nicht sehr blaß aus?« wendete sie sich dann regelmäßig zu Erich, und wenn dieser verneinte, war sie ruhig.

Heute konnte Erich nicht verneinen, da die Mutter mit Schrecken ausrief:

»Aber Roland, Du siehst ja so blaß aus!«

Erich ging mit ihm auf sein Zimmer und Roland klagte:

»Ich weiß nicht, wie mir ist.« Er schaute rings im Zimmer um und sagte: »Mir ist, als drehte sich Alles mit mir. Was ist denn das? Ach! Ach!«

Er setzte sich auf einen Stuhl und fing plötzlich heftig an zu weinen.

Erich stand rathlos.

Roland sank in Ohnmacht.

Er schlug die Augen auf und starrte Erich an, wie wenn er ihn gar nicht sähe.

»Roland, was ist Dir?« fragte Erich.

Der Jüngling antwortete nicht, seine Stirne war eiskalt.

Erich riß an der Klingel, dann beugte er sich über den Jüngling.

Sonnenkamp trat ein und fragte, warum sie nicht zur Tafel kämen.

Erich wies auf Roland.

Der Vater stürzte auf diesen zu und stöhnte wie zu Tode getroffen.

Joseph kam, er wurde schnell nach einem Arzte geschickt und durch Essenzen gelang es, Roland wieder zum Bewußtsein zu bringen. Der Vater und Erich trugen ihn auf das Bett und entkleideten ihn. Fieberfrost schüttelte den Jüngling, daß er die Zähne zusammenschlug und wimmernde Töne von sich gab.

Der Arzt kam, er machte eine bedenkliche Miene. Sonnenkamp schaute ihn erstarrt an.

»Es ist ein Anfall, ich weiß nicht, was daraus wird. Hat er öfter solche?« fragte der Arzt.

»Noch nie! Noch nie!« rief Sonnenkamp.

Belebende Mittel wurden angewendet und das Erste, was Roland sprach, war:

»Ich danke Dir, Erich!«

Der Arzt befahl, daß man ihn in Ruhe lasse, damit er schlafen könne; er ging weg, kam aber nach einer Stunde wieder, nach einer Stunde voll Bangens, in der Erich und Sonnenkamp kaum mit einander zu reden wagten. Als der Arzt jetzt den Kranken neu betrachtete, sagte er:

»Das Nervensystem des jungen Mannes ist übermäßig angespannt, es kann ein Nervenfieber bevorstehen.«

»Es kommt kein Unglück allein,« sagte Sonnenkamp; das waren die einzigen Worte, die er während der ganzen Nacht sprach. Er saß im Nebenzimmer auf einem Stuhle wachend und kam manchmal auf den Zehen schleichend an das Bett des Kranken, um seinen Athem zu hören.

Frau Ceres hatte fragen lassen, warum Roland nicht komme. Man gab einen Vorwand und bat sie, zu Bett zu gehen. Sie kam indeß in der Nacht dahergeschlichen, sie hörte, daß Roland leicht unwohl sei, sie ging an sein Bett, sah, daß er ruhig schlief, und kehrte wieder in ihr Gemach zurück.

»Es kommt kein Unglück allein,« wiederholte Sonnenkamp, als in der ersten Morgendämmerung der Arzt erklärte, das Nervenfieber sei ausgebrochen. Er befahl die behutsamste Pflege, er wollte eine barmherzige Schwester schicken, aber Erich sagte, daß Niemand Roland besser pflegen würde als seine Mutter.

»Glauben Sie, daß sie kommt?«

»Gewiß.«

Sofort wurde ein Telegramm nach dem grünen Hause geschickt. Schon nach einer Stunde war die Antwort da, daß die Professorin und Claudine abreisen.

In der Stadt hatte sich schnell die Nachricht von der schweren Erkrankung des schönen Jünglings verbreitet; Diener in allen Livreen und selbst Männer und Frauen der ersten Gesellschaft kamen, um nach ihm zu fragen.

Am Mittag, als die Parade mit klingendem Spiele vorüberzog, schrie Roland laut auf:

»Die Wilden kommen! Die Wilden kommen! Die Rothhäute! Hiawatha! Lachendwasser! Dem Hausknecht gehört das Geld! Nicht gestohlen! Hut ab vor dem Baron, willst Du? Pfui! Die Schwarzen! Ah! Franklin!«

Erich erbot sich, beim Commandanten die Weisung nachzusuchen, daß die Parademusik durch eine andere Straße ziehe oder mindestens vor dem Hotel die Musik unterbreche.

Der Schnee war plötzlich geschmolzen und vor der ganzen Fronte des Victoria-Hotels wurde auf der Straße Stroh gelegt, so daß man kein Wagengerassel vernahm.

Die Professorin kam. Sonnenkamp bewillkommnete sie herzlich und Frau Ceres klagte, wie entsetzlich es sei, daß Roland krank geworden; womit sie denn das verschuldet habe, sie sei ja selbst krank. Die Mutter hatte viel Mühe, sie zu beschwichtigen; sie wünschte indeß, daß man auch Doctor Richard kommen lasse, der Roland von früher her genau kenne.

Sofort wurde an Doctor Richard telegraphirt und spät in der Nacht kam er an. Er fand, daß Roland vollkommen entsprechend behandelt sei, und seine Hauptmahnung ging nun an Erich und die Mutter, daß sie bei ihrem ohnedies gesteigerten Geistesleben die Krankenpflege mit Gleichmuth aufnehmen, sich viel Ruhe und Zerstreuung gönnen, oft ausgehen möchten, um sich an neuen Eindrücken zu erfrischen. Er ließ nicht ab, bis ihm die Beiden das Versprechen gegeben hatten.

Nachdem er eine Berathung mit dem behandelnden Arzte gehalten, reiste er wieder ab. Aber als er schon die Hand zum Abschiede gereicht hatte, sagte er noch:

»Ich muß Sie vor der Gräfin Wolfsgarten warnen.«

Erich erschrak und die Mutter fragte, wie er das meine. Er erklärte, daß man ebenso höflich als entschieden ihre herrschsüchtige Weise ablehnen solle, in der sie allerlei Mittel wisse, um jede Krankheit zu heilen.

»Nicht wahr, er stirbt nicht?« fragte Sonnenkamp den Arzt auf der Treppe. Der Arzt erwiderte, daß man in allen äußersten Fällen sich auf nichts als auf die innewohnende Kraft der Natur verlassen könne.

Sonnenkamp suchte eine ergebene Miene zu machen, und doch war er voll Empörung. Er mit allem Reichthum sollte nichts leisten, nichts beibringen können und es sollte nichts übrig bleiben als die Naturkraft, in der Roland nicht mehr war, als der Sohn eines Bettlers!

Frau Ceres lag auf dem Sopha im großen Balconzimmer bei den Blumen und Vögeln und stierte mit offenen Augen drein. Sie sprach kaum ein Wort und genoß nur wenig Speise und Trank. Stündlich mußte man ihr berichten, wie es Roland erging, sie wagte es nicht, an das Bett zu kommen.

Die ganze Unzusammengehörigkeit dieser Familie brach jetzt hervor. Jedes lebte nur für sich, Jedes dachte, daß das Andere nur da sei, damit es nicht unglücklich werde und keinen Verlust empfinde.

Am Mittag schickte die Fürstin den Leibarzt. Sonnenkamp war voll Dank über diese Ehre, die er leider unter so traurigen Verhältnissen empfangen mußte.

Tag und Nacht saßen Erich, die Mutter und die Tante bald gemeinsam, bald abwechselnd bei dem kranken Jüngling, er kannte Niemand; die meiste Zeit dämmerte er im Halbschlafe vor sich hin; manchmal aber loderte eine Flamme auf und er bäumte sich glühenden Antlitzes und rief:

»Papa tanzt auf schwarzen Köpfen! Gebt mir meine blaue Schleife wieder! Ah! Ah!« rief er dann wie entzückt sich labend, »das ist der deutsche Wald . . . Ruhig, Satan! Da nimm die Maienblume . . . Blaue Schleife . . . Der Knecht hat den Ring gestohlen . . . Der Lachgeist . . . Gebt Acht auf den jungen Baron . . . Zurück, Greif!«

Wenn Erich ihm die Hand auf die Stirn legte, ward er ruhiger, und einmal, als der Vater zugegen war, sang Roland ein Negerlied, er sang es so unverständlich, daß man die Worte nicht herausbrachte, schnell aber rief er wieder:

»Die großen Bücher weg! Weg mit den großen Büchern! sie sind mit Blut geschrieben!«

Sonnenkamp fragte, ob Roland auch in gesunden Tagen das Lied gesungen habe und ob Erich nicht wisse, von wem er es gelernt. Erich hatte es nie gehört. Sonnenkamp sagte der Professorin, wie er erkenne, sie sei nicht zur Lustbarkeit gekommen, zu Nachtwachen und schwerer Geduld sei sie aber sofort bereit; er werde das nie vergessen.

Die Professorin sah, daß hier noch ein anderer Kranker zu heilen war, als der mit geschlossenen Augen Fiebernde. Sie ward zutraulicher gegen Sonnenkamp, und dieser klagte ihr seinen ruhelosen Schmerz, und zwischen hinein kam der Gedanke: Was ich will, will ich ja nur für diesen Sohn. Wenn er stirbt, tödte ich mich. Ich bin weit mehr als getödtet und Niemand darf es wissen. Ich habe keine Vergangenheit, darf keine haben, und nun soll ich auch keine Zukunft haben! . . .

Die Professorin bat ihn dringend, sich zu beruhigen, denn sie sei der Ueberzeugung, daß ein aufregendes Gemüthsleben der Umgebung auch auf den Kranken wirke; es gebe Einflüsse und Wirkungen, die Niemand ermessen und bestimmen könne.

In der stillen Nacht saß die Professorin am Krankenbette, sie hörte die Uhren vom Thurme schlagen, eine Spieluhr ist dabei, und bei diesen Glockentönen in der Nacht am Krankenbette des armen reichen Jünglings ging ihr eigenes Leben vorüber.

Erich klagte oft, daß er sich Vorwürfe mache, nachgiebig gewesen zu sein und Roland dem Strudel des Lebens überlassen zu haben, der ihn nun vielleicht tödte; im kalten Antikensaal beim Anblick der Niobidengruppe sei die Krankheit zum Ausbruch gekommen. Auch ihn hatte die Mutter zu beruhigen. Sie war die Einzige, die festen Halt bewahrte und an der ein Jegliches sich anlehnend Halt gewinnen wollte. Die Mutter fragte Erich, wie es mit der wissenschaftlichen Arbeit sei, zu der ihm auch Professor Einsiedel Notizen geschickt. Sie wollte wissen, ob Erich etwas von der Vergangenheit Sonnenkamps kenne, das er ihr vielleicht aus Schonung verberge; aber Erich antwortete durchaus harmlos, sein ganzes Denken war nur mit Roland beschäftigt. Die Mutter erkannte, daß er von der eigentlichen Vergangenheit Sonnenkamps nichts wußte; sie hielt jede nähere Mittheilung zurück, denn sie glaubte ihn in der schweren Sorge um den Kranken nicht noch durch das Denken an eine solche Vergangenheit belasten zu dürfen.

Dem gemessenen Befehle Doctor Richards gemäß ging die Professorin aus und besuchte alte Freundinnen, auch die Frau des Kriegsministers gehörte zu denselben. Sie vernahm zu ihrer Beruhigung, daß Erich eine Professur an der Cadettenschule erhalten könne, wenn Roland in den Dienst eintrete. Neu belebt kehrte sie von diesen Besuchen zurück.

Auch Erich machte Besuche und verbrachte manche Stunde bei Clodwig. Bella ließ sich nur selten und auf kurze Zeit sehen; sie hielt sich offenbar jetzt von jedem Zusammentreffen mit Erich allein zurück.

Prancken hatte oft nach dem Kranken gesehen und die Angehörigen besucht, hatte gefragt, gerathen, ohne etwas thun zu können; er hatte die schwere Aufgabe, Frau Ceres zu zerstreuen. Nun war er verletzt, daß man die Professorin hatte kommen lassen, ohne ihn vorher zu fragen; er fand, daß diese Dournay's die Familie Sonnenkamp umgarnten. Er kam, fragte nach Roland, hielt sich aber viel im Hause des Herrn von Endlich auf, wo er bei der jungen Wittwe saß, die aus Madeira zurückgekehrt war.

In zitterndem Schweben zwischen Furcht und Hoffnung schwanden Wochen dahin; die Vorstellungen des Kranken schienen sich zu verändern. Er sprach beständig mit Manna; er liebkoste sie, scherzte mit ihr, neckte sie mit dem heiligen Antonius. Man hatte Manna nichts von der Krankheit ihres Bruders mitgetheilt; warum sollte man sie auch belasten, da sie ja doch nichts helfen konnte.

Da Roland beständig mit seiner Schwester sprach, fragte Sonnenkamp den Doctor Richard, ob man sie nicht kommen lassen solle; der Arzt bejahte.

Mitten durch seinen Kummer ging es wie ein Gedanke der Befreiung, daß er nun das Kind aus dem Kloster reißen und nicht mehr von sich lassen könne; es erleichterte ihm das Herz, daß, wenn Roland genesen wäre, er beide Kinder um sich habe.

Sonnenkamp wollte, daß der Arzt an Manna schreibe, wie nöthig sie zur Genesung Rolands sei, aber Doctor Richard lehnte entschieden ab, da er nur zugegeben habe, daß die Anwesenheit Manna's unschädlich sei, aber geholfen werde Roland dadurch nicht.

Mit einem dringenden Briefe schickte Sonnenkamp den umsichtigen Lutz nach dem Kloster; er hatte auch die Professorin gebeten, daß sie dem Briefe einige Worte hinzufüge, aber sie hatte abgelehnt; sie wollte in keinerlei Weise, auch in der dringendsten Noth nicht, in das Leben Manna's eingreifen.


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