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Der Major und Roland fuhren zum Krischer, mit dem in diesem Winter eine große Veränderung vorgegangen war. Nachdem er sich zuerst von den Menschen hatte bemitleiden lassen und er mit einem guten Trunk sich alle Sorgen und alle Gedanken verscheucht hatte, übte er nun die Beschwichtigung der Klagen durch den Alles vergessen machenden Wein.
Der Aichmeister und der Altbürgermeister erlustigten sich an seinen Klagen und tollen Ausbrüchen, an seinen Scherzen und Klugreden und gaben ihm zu trinken.
Als jetzt Roland und der Major zu ihm kamen, begrüßte er sie schon am Morgen mit schwerer Zunge. Roland war tief erschreckt davon, aber der Major sagte:
»Mach' Dir nichts daraus. Es ist wahr, der Mann trinkt zu viel, aber nur für seinen Magen zu viel. Was thut's? Ist der Mann glücklich mit einem Glas Wein zu viel, laß ihn glücklich damit sein.«
Es gelang dem Zureden des Majors und dem innern Frohmuth Rolands, diese erste Begegnung an dem so glücklichen Tage zu verwinden.
Vom Krischer ging es zum Siebenpfeifer, da war Fröhlichkeit über alle Maßen.
Der Major verstand, Roland ans Herz zu legen, daß er das Gute, das er thue, nicht so in die leere Luft hineinwerfe; Jeder solle die Segenswünsche Derer annehmen, die er befreie und beglücke.
»Und,« setzte er hinzu, »Fräulein Milch hat ein Wort, das sollte man in die Tempel schreiben: Die glücklichste Stunde ist die nach einer vollbrachten guten That. Schreib' Dir das ins Herz, Junge.«
Die Hunde sprangen um den Wagen und Roland rief ihnen zu:
»Ihr guten Thiere, euch kann ich nichts geben als Fressen, ihr braucht keine Kleider und Geld nun gar nicht.«
Aus einem Hause kam Roland wie auf der Flucht, leichenblaß.
»Was ist Dir geschehen?« fragte der Major.
»O fort, nur fort!« drängte der Jüngling ängstlich. »Der alte Mann, dem ich die Kleider und das Geld brachte, wollte mir die Hand küssen, der alte Mann – mir! Ich bin so erschrocken . . . Ja, und Sie lachen noch?«
»Ich lache nicht, Du hast Recht.«
Der Major erkannte in dieser Reizbarkeit noch die Nachwirkung der Nervenkrankheit. Er beruhigte Roland . . .
Während der Umfahrt Rolands saß Erich bei der Mutter, er klagte ihr, daß, obgleich er aus voller Ueberzeugung gehandelt, er nun doch unsicher sei, ob er nicht um der Mutter willen die Gabe Sonnenkamps hätte annehmen müssen. Diese hörte ihm ruhig zu, dann sagte sie:
»Du hast Recht gethan. Die Freundschaft gibt anders und es ist kaum ein Geben; von einem Freunde wie Clodwig kann man Alles annehmen. Hier sollte, wie es scheint, die Gabe Dich erniedrigen. Wie würde ich solchem Gelde meine Freiheit danken wollen! Beruhige Dich, vergiß alles Andere, sieh auf das Jahr zurück und freue Dich, daß aus Deinem Zögling etwas geworden, das nicht mehr zu Grunde gehen kann.«
In diesem Gedanken erhob sich Erich über jede Bedrückung und als er das grüne Haus verließ und Roland und den Major von ihrer Umfahrt zurückkehren sah, schloß er sich ihnen heiter an . . .
Roland saß an der reich besetzten Tafel und genoß kaum einen Bissen.
Man stritt leise hin und her, wer den üblichen Trinkspruch auf ihn ausbringen solle. Kam es Erich, kam es Prancken zu? Beide bedrängten endlich den Major und dieser erhob sich:
»Meine Herren und Damen!«
»Bravo!« rief Prancken.
»Danke Ihnen,« sagte der Major. »Unterbrechen Sie mich nur immer, ich habe voltigiren gelernt und jedes Hinderniß wird mir zum Absprung. Also, meine Damen und Herren! Das menschliche Geschlecht theilt sich ein in männliches und weibliches . . .«
Allgemeines Gelächter.
Der Major war ganz froh darüber.
»Nun sehen Sie ein Pärlein in diesem Garten Eden . . .«
Prancken reichte dem Major einen Apfel und rief:
»Brauchen Sie diesen vielleicht zur Weiterführung Ihres Bildes?«
Roland war ärgerlich, daß Prancken den guten Major so oft unterbrach; er redete ihm daher zu, sich nicht irre machen zu lassen.
Ganz leise, wie wenn er mit seiner Laadi spreche, nur brummend, sagte der Major:
»Sei ruhig, Junge, sei ruhig; ich stehe fest im Feuer.«
Und laut fuhr er fort:
»Also wir haben hier zwei Kinder, die Tochter des Hauses und den Sohn des Hauses, und die Kinder haben uns; sie haben die Eltern, sie haben eine angeworbene Großmutter und Tante, und sie haben da« – er schlug sich auf die Brust, daß es dröhnte – »einen Onkel. Wir haben sie so lieb wie leibhaftige Verwandte und sie haben uns auch lieb, nicht wahr?«
»Ja!« rief Roland, und Manna nickte.
Der Major fuhr fort:
»Also, wenn ich einen Sohn hätte . . . nein, das wollte ich nicht sagen . . . wenn ich für meinen, diesen Sohn einen Lehrer hätte . . . nein, auch das wollte ich nicht sagen . . . Also so: Unser Wildfang da . . . sehen Sie, er hat schon eine Anpflanzung im Gesicht . . . also, der Baumeister aller Welten segne ihn und lasse ihn ein Mann werden, der sein Glück versteht, für sich, für Andere, für alle Menschenbrüder alles Glaubens, aller Abstammung auf Erden.«
Amen wollte er sagen, aber er berichtigte sich und rief:
»Hoch! und zum zweiten und dritten Male Hoch!«
Der Major setzte sich nieder und machte sich unter der Serviette einige Knöpfe auf.
Nicht ohne gewandte Redegabe brachte dann Sonnenkamp einen Toast auf Erich, seine Mutter und Tante aus.
»Sie müssen auch reden . . . Sie müssen auch reden,« drängte der Major beständig Erich.
Erich erhob sich endlich, er hielt das Glas empor; die Sonne funkelte im Wein, und darauf deutend, sagte er:
»Die Sonne von heute begrüßt die Sonne eines vergangenen Jahres. Was wir trinken, ist das Erzeugniß verrauschter Tage, und was wir in die Seele aufnehmen, gezeitigt an der Sonne der Ewigkeit. Mein Roland! der heutige, lachende, sonnige Tag wird zum Feuer des Weines, das in kühler Erde ruht in festem Gefäß und zieht in die Lande zu fernen Menschen, sie erquickend und mit Sonne durchglühend. So werde die Sonne von heute Feuer in unserer Seele, die aufflamme, wenn einst kommen öde, kalte Tage. Möge zeitigen in Dir, mein Roland, was Dich erquickt und die Menschen erfreut und alles Leben schafft zum schönen, freien Tempel Gottes.«
Als er sich niedersetzte, begegnete er einem Blick aus den Augen Manna's; sie sah ihn erst jetzt. In seinem Antlitze war ein Gepräge des Geistes, das alle Affecte zu beherrschen schien, und eine männliche Entschlossenheit, so daß man sich sagen konnte: wenn Du in Gefahr diesen Mann zur Seite hast, bist Du mit Hilfe ausgerüstet. Sie aber bedurfte keiner Hilfe.
Sonnenkamp und Prancken zuckten die Achseln nach der Rede Erichs. Sie unterdrückten ein Lachen, und Sonnenkamp flüsterte Prancken zu:
»Es scheint fast, der Mann glaubt, was er sagt.«
Es kam neue Zufuhr, denn der Doctor fand sich ein und mit ihm Lina, die ihre Freundin bei der Rückkehr ins Leben – wie sie es nannte – begrüßen wollte.
Manna war dankbar für diese Zuvorkommenheit, bewahrte indeß eine gewisse Unnahbarkeit.
Sonnenkamp lud Lina ein, die Frühlingswochen bei seiner Tochter zuzubringen, und Manna konnte nicht umhin, ihre Beistimmung auszusprechen.
Unter Vorbehalt der elterlichen Erlaubniß sagte Lina zu; sie fuhr mit dem Doctor zurück, um andern Tages abgeholt zu werden.