Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Capitel.

Die Krisis war vorüber, die Genesung trat ein.

»Er ist gerettet!« sagte der Arzt, und: »Er ist gerettet!« ging's von Mund zu Mund durch die Stadt.

Der Arzt befahl, in der Behutsamkeit nicht nachzulassen und die geringste Aufregung von Roland abzuhalten. Dieser klagte, daß er so entsetzliche Langweile habe, aber lächelnd entgegnete der Arzt und wiederholte Erich, daß er die Vergnügungen voraus genossen habe, und Langweile die erste sichere Stufe der Genesung sei. Auch darüber, daß man ihn Hunger leiden lasse, klagte Roland, aber sein Angesicht wurde schön und groß, da er sagte:

»Hiawatha hat freiwillig gehungert.«

Gegen die Professorin war Roland am liebreichsten; er behauptete, daß er sie allein in seinen Fieberträumen erkannt habe, und es sei eine entsetzliche Pein gewesen, daß er das nicht habe sagen können; es hätten sich ihm beständig ganz andere Worte auf die Lippen gedrängt, als er eigentlich sagen wollte. Er freute sich, daß Maienblumen vor ihm standen; er erinnerte sich jetzt, daß er sie verlangt hatte.

»War nicht auch Manna bei mir? Ich habe immer ihre schwarzen Augen gesehen.«

Man erzählte ihm, daß sie das Kloster nicht verlassen durfte, da Heimchen schwer krank sei.

Er bat um die Photographie, auf welcher er als Page abgebildet war, und sagte zu Erich:

»Du hattest Recht, es wird mir später eine Erinnerung sein. Ach, ich meine, es wären zehn Jahre vorbei. Gib mir einen Spiegel, ich will wissen, wie ich aussehe.«

»Das darf jetzt nicht sein,« erwiderte Erich, »erst in acht Tagen.«

Roland war folgsam wie ein kleines Kind und dankbar wie ein erkenntnißvoller Mann. Am zweiten Tage bat er Erich, er möge ihm erlauben, sich aussprechen zu dürfen, denn es drücke ihn im Kopf.

»Wenn Du ruhig sprechen willst, will ich Dich anhören.«

»Ich bin auf dem Meere gewesen und Delphine tanzten um das Schiff. Plötzlich waren es lauter Negerköpfe, und da schwamm eine Kanzel und drauf stand Theodor Parker; er predigte mit mächtiger Stimme, lauter als das Meeresbrausen, und die Kanzel schwamm immer weiter und weiter mit dem Schiff . . .«

»Du sprichst schon unruhig,« unterbrach Erich.

Ganz leise, aber jedes Wort betonend, erzählte Roland ruhig.

»Aber jetzt kommt das Schönste. Ich habe Dir erzählt, wie damals, als ich zu Dir reiste – es wird jetzt bald ein Jahr – ich im Walde lag, da kam ein Kind mit langen, gewellten, blonden Haaren und sagte: Das ist der deutsche Wald! . . . und ich gab ihm die Maienblume, und das Kind wurde im Wagen fortgeführt und verschwand. Nicht wahr, Du erinnerst Dich an das Alles? Aber im Träumen war es noch viel schöner und glänzender. Das ist der deutsche Wald! das wurde immer gesungen wie beim großen Musikfeste von hundert und hundert Stimmen, ach, so schön . . . so schön!«

»Jetzt ist's gut,« brach Erich ab. »Du hast genug erzählt und nun bleib wieder allein.« . . .

Als Roland zum ersten Mal aufstehen konnte, staunten Alle, wie er in dieser Krankheit gewachsen war, und er selber war stolz, daß sich der Flaum auf seiner Oberlippe färbte. Als er das Stroh vor dem Hause sah, sagte er:

»So hat also die ganze Stadt von meiner Krankheit gewußt und ich habe allen Menschen zu danken? Hat Ihnen Erich gesagt, daß ich auch Parker gesehen habe?« fragte Roland die Professorin.

»Ja. Jetzt aber gib Dich wieder zur Ruhe.«

»Nein,« rief er, »nur noch das Eine!«

Er ließ sich sein Taschenbuch geben, in dem der Name des Hausknechts aufgeschrieben war, den er damals nach seiner Nachtwanderung im Verdachte des Diebstahls gehabt hatte; er schalt sich, daß er bisher immer vergessen, nach ihm zu forschen; er war ja hier als Soldat im Regimente.

Nun mußte Erich dafür sorgen, daß er gefunden und hergebracht wurde.

Der Soldat kam und Roland händigte ihm ungefähr so viel Geld ein, als damals in seinem Geldtäschchen gewesen war. Der Soldat hätte nicht der scharfen Instruction Erichs bedurft, daß er Roland nicht durch vieles Reden und heftige Dankbezeugungen aufregen solle; er konnte ohnedies kein Wort hervorbringen, denn er stand wie in ein Märchen versetzt: In den großen Gasthof gerufen werden zu einem schönen kranken Jüngling, mit viel Geld beschenkt werden – das ist doch Alles wie in einer andern Welt.

»Ist es kalt draußen?« fragte Roland den Soldaten.

»Ja, es wird wieder grimmig kalt und ich muß heim.«

Der Soldat erzählte, daß er Urlaub erhalte.

»Haben Sie warme Kleider?« fragte Roland.

Der Soldat verneinte; Roland ließ bitten, daß sein Vater zu ihm käme, und Sonnenkamp mußte dem Soldaten einen warmhaltenden Rock schenken.

Glückselig lag Roland wieder im Bett und er bat den Vater, seine eigenen Kleider wegzuschenken, er wolle keines mehr von den früheren tragen.

»Und wünschest Du gleich die Uniform?« fragte Sonnenkamp.

»Nein, jetzt nicht; nur bald, recht bald wieder heim, nach der Villa, heim, heim!«

Sonnenkamp versprach Alles.

Die Professorin hatte bald junge Leute ausfindig gemacht, denen die Kleider Rolands paßten. Als man ihm dies andern Tages erzählte, rief er jauchzend:

»Jetzt ist's schön, jetzt gehen meine Kleider einstweilen durch die Straßen, bis ich selbst wiederkomme.«

Er hörte, wie alle Menschen so theilnahmsvoll gewesen, und bat den Vater, ihnen zu danken.

Das hatte Sonnenkamp ohnedies beabsichtigt. Es war die beste Art, besser als die glänzendste Gesellschaft, den angesehensten Männern und Frauen nahe zu kommen.

Mit dem besten Wagen und Geschirr wollte Sonnenkamp in der Stadt umher fahren. Er bat die Professorin, ihn zu begleiten; sie wollte ablehnen, aber Roland bat ebenfalls und so dringlich, er sagte, es sei die erste Bitte, die er nach seiner Wiederkehr ins Leben an sie richte, daß sie endlich willfahrte.

So schwer es der Professorin wurde, in diesem Geleite wieder vor die Menschen zu treten, um so leichter, wie auf ein Zauberwort, öffneten sich überall die Thüren, wo Lutz die Professorin und Sonnenkamp meldete.

Die Professorin begriff oft selbst nicht, daß sie dies that; sie trat damit in eine Verbindung, die sie doch von sich ablösen wollte, und so oft sie in den Wagen zurückkam, mußte sie Herrn Sonnenkamp bitten, nicht immer ihre mütterliche Sorgfalt für Roland hervorzuheben.

Sonnenkamp aber drängte sich bei den Besuchen mit großer Gewandtheit in den Mittelpunkt des Gesprächs, indem er den Hochsinn der Professorin rühmte und bescheiden hinzufügte, wie glücklich er sei, daß er sich einer solchen Familie anschließen dürfe. Immer aufs Neue freute er sich des Bewußtseins, daß alle Menschen wie Puppen zu gebrauchen sind; die Einen sind mit klingendem Golde, die Andern mit klingendem Lobe über ihren Edelsinn zu gewinnen.

Auf diesen Fahrten durch die Stadt genoß er seine beste Freude, denn diese war und blieb die Heuchelei, und in solcher Empfindung überwand er den Aerger über den Stolz der eingesessenen Familien; sie mußten ihn nun, wenn auch widerwillig, als Gleichen aufnehmen. Wo er sonst nur zu flüchtiger und nichtssagender Ansprache gekommen, gelangte er jetzt zu behaglicher Schaustellung seines viel erfahrenen Lebens, und Alles hatte dabei eine milde Abklärung, indem es mit dem wahren Gefühle versetzt war, mit dem Vatergefühl. Er lächelte immer vor sich hin, wenn er die Treppe hinabging, denn er wußte, die Menschen sagen jetzt: Wir haben den Mann gar nicht gekannt, er ist ein höchst bedeutender und tief fühlender Mann.

Die Mitglieder der Ordens-Commission, die, wie Prancken ihm besonders eingeschärft hatte, noch zu seinem Plane gewonnen werden mußten, behandelte er mit besonderer Aufmerksamkeit.

So hatte die Krankheit Rolands dem Plan der Standeserhöhung eine neue Triebkraft gegeben und die Professorin hatte widerwillig dazu mitwirken müssen.


 << zurück weiter >>