Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Viertes Capitel.

Die Professorin, die im grünen Hause wohnte, fühlte bald, wie schwer es Erich werden mußte, für sich und Roland eine feste Stimmung, eine dauernde Richtung des Denkens zu bewahren, da er beständig mit einer zerstreuenden Reisestimmung zu kämpfen habe. In einem Hause mit weitreichendem Besitzthum und vielen Verpflichtungen nach verschiedenen Seiten unterbricht sich die Andacht des Geistes, die zur Durchdringung einer Erkenntniß so nothwendig; es ist schwer, in solchen Verhältnissen sich selbst nicht zu verlieren. Ohne sich darüber auszusprechen, war es ihr Vorsatz, Haltung für sich zu bewahren; da man erst, wenn man in sich gesammelt ist, auch Anderen etwas zu leisten vermag.

Wie von selbst bildete sich ein geweihter Bezirk um die Professorin; wer ihr nahte, nahm unwillkürlich eine edlere Haltung an, stimmte seine Rede in eine gemäßigte und geordnete Tonart. Sie glich einer Priesterin, die unausgesetzt die Flamme auf einem Altar zu pflegen hat.

Sauberkeit in der höchsten Bedeutung des Wortes war der Eindruck, den ihre Erscheinung und ihr Wesen machte, sie war eine reinliche Natur in Allem, was sie dachte und empfand; sie war dreizehn Jahre Hofdame gewesen, sie kannte die wirkliche Welt, aber ein Hauch der Idealität war ihr verblieben.

Verglich man die Professorin äußerlich und oberflächlich mit Bella, so stand die ältere Frau im Nachtheil; bei näherem Betrachten aber fand sich, daß die Professorin in ihrem Umgange ein Stetiges hatte, das, man könnte sagen, wahrhaft sättigend war, während Bella nur zu flüchtigen Erörterungen wie zu einem Kampfspiel anregte. Die Professorin war stolz, Bella war hochmüthig; jene war ablehnend gegen das, was ihr innerlich widersprach, diese suchte es niederzudrücken und unter den Fuß zu treten.

Bella verlangte nicht nur Aufmerksamkeit für ihre Erscheinung, für ihr Empfinden, sie liebte es auch, schwierige Fragen zu stellen; sie wollte immer etwas bewegen. Sie gab auf Alles, was man ihr sagte, äußerst geläufig überraschende Antwort und wußte das Gehörte gut umzusetzen. Das war anreizend bei der ersten Bekanntschaft, bei längerem Umgang aber zeigte sich, daß Alles äußere Gesprächsamkeit war.

Die Professorin dagegen heischte nichts, sie nahm dankbar und willig auf, was man ihr brachte, und zu Allem hatte sie ein vorbereitetes stilles Denken. Sie war nie das gewesen, was man eine auffallende Erscheinung nennt; sie war etwas wohlbeleibt, aschblond und von jener kühlen Sauberkeit, wie man sie in Bildern behäbiger Holländerinnen dargestellt sieht. Sie konnte ruhig jegliche Mittheilung anhören und blieb aufmerksam, bis sie erwiderte. Bei Fragen, die sie nicht gern beantwortete, ließ sie sich nie über eine einzuhaltende Grenzlinie hinausdrängen. Sie sagte kein Wort, um damit zu glänzen, lächelte nicht, wo nichts zu lächeln war, gab jedem Ausspruch den natürlichen Ton und jedem, was sie hörte, die entsprechende Aufmerksamkeit.

Mutter und Tante lebten in friedsamer Eintracht und waren doch im Charakter sehr verschieden, wie sie auch verschiedene Gebiete des Wissens hatten, worin sie ihre Erquickung fanden. Ihre Liebhabereien waren die beiden schönsten Dinge der Welt.

Tante Claudine war eine Sternkundige; sie brachte manche stille Abendstunde auf dem Thurm zu, meist mit einem kleinen Tubus, Beobachtungen anstellend, suchte aber mit großer Beflissenheit jeden Schein von Gelehrsamkeit abzuwenden.

Die Professorin war eine Pflanzenkundige und erfreute sich viele Stunden des Tages in den Treibhäusern und bei den Pflanzen des Freilandes.

Als Sonnenkamp ihr seine Obstzucht zeigte, sprach sie nicht Bewunderung und Staunen aus, sie zeigte vielmehr Sachkenntniß in der neuen französischen Gartenkunst und äußerte, wie eigenthümlich es sei, daß die unruhigen Franzosen, wenn sie sich aus dem Strudel des Lebens zurückgezogen, mit solcher zarten und anhaltenden Sorgfalt die Obstkultur treiben. Sonnenkamps Antlitz glänzte, da sie darlegte, es gehöre zu der Obstzucht, wie er sie übe, eine Art Feldherrntalent, denn er müsse genau zu beurtheilen wissen, welche Frucht zu großem Gedeihen gelangen könne; dieser zu lieb müßten die anderen geopfert und unreif abgepflückt werden.

Sehr verbindlich dankte Sonnenkamp, aber innerlich lächelte er, da er die feine höfische Sitte zu durchschauen glaubte.

Von Frau Ceres ließ sich die Professorin nur auf kurze Zeit in Anspruch nehmen, und was noch nie geschehen war, ereignete sich jetzt: Frau Ceres kam in andere Gemächer als die von ihr bewohnten.

Wenn Frau Ceres immer aufs Neue wissen wollte, wie man da und da bei Hofe gelebt, wußte die Professorin unversehens ein allgemeines Interesse in ihr zu wecken.

Obgleich die Tante sich äußerst zurückhaltend benahm, brachte sie doch eine ungeahnte Belebung ins Haus. Der große Flügel im Musiksaale, der seit langer Zeit stumm dastand, tönte hell und feierlich, und Roland, der die Uebungen in der Musik gänzlich vernachlässigt hatte, gewann neue Lust und wurde der Schüler der Tante. Sonnenkamps Antlitz zeigte einen Ausdruck der Befriedigung, wie man solchen noch nie an ihm bemerkt.

Eines Tages, als Tante Claudine schön gespielt und nach der Liebhaberei Erichs ein Stück zweimal wiederholt hatte, sagte Frau Ceres zur Mutter:

»Ich beneide Sie darum, daß Sie Alles dies so tief verstehen und genießen.«

Sie that sich offenbar etwas zu Gute darauf, diese eingelernte Redensart zu wiederholen, aber die Professorin zerriß ihr diesen aufgelegten Putz, denn sie erwiderte:

»Jeder hat seine eigene Freude, sei es an der Natur, sei es an der Kunst, wenn er nur wahr vor sich ist. Man braucht nicht Alles zu verstehen und genau zu wissen, um sich daran zu erfreuen. Ich freue mich an diesen Bergen, ohne zu wissen, wie hoch sie sind und welche Steinschichten sie bilden und was sonst die Gelehrten wissen. So auch können Sie sich an der Musik freuen.«

Frau Ceres wußte nicht, aber sie empfand es: man kann durch das, was man allein von der Natur mitbringt, die höheren Freuden empfangen . . .


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