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Die Professorin fuhr mehrere Tage mit dem Doctor auf die Landpraxis, sie gewann dadurch selbständige Einsicht in das ländliche Leben.
Dann legte sie den in Gemeinschaft mit Fräulein Milch entworfenen Plan Herrn Sonnenkamp vor; er genehmigte ihn mit Bereitwilligkeit und an der Anschaffung der Nähmaschinen hatte er sein besonderes Wohlgefallen. Das ist nicht nur etwas Amerikanisches, es bringt auch Gerede in die Welt. Er reiste selbst nach der Residenz und kaufte die Maschinen.
Die Zeitungen brachten ruhmreiche Kunde, wie Herr Sonnenkamp den Wohlstand des Volkes fördere. Die Cabinetsräthin kam und glückwünschte zu dem schönen Erfolge, indem sie hinzufügte, daß nach einer Nachricht ihres Mannes diese Thätigkeit des Herrn Sonnenkamp höchsten Ortes wohl vermerkt sei.
Nun war in Sonnenkamp ein großer Eifer, er wollte die öffentliche Stimme nicht ruhen lassen, sie sollte jeden Tag von ihm reden; aber Prancken, der zu Besuch gekommen war, sagte, daß es besser sei, etwas inne zu halten, um dann wieder aufs Neue zu überraschen.
Ein Weg am Ufer entlang wurde durch schöne Wiesen von der Villa aus nach dem rebenumrankten Häuschen angelegt, und eines Tages bat Sonnenkamp die Professorin, mit ihm nach dem Garten zu gehen, und die Hausbewohner mußten mitgehen.
In die Mauer, die den Park umgab, war eine neue Thür eingebrochen. Sonnenkamp sagte, die Professorin solle die Erste sein, die diesen Eingang betrete. Er überreichte ihr den Schlüssel; sie öffnete und ging durch das Thor den Weg entlang, die ganze Familie, auch Prancken folgte ihr. Man ging nach dem rebenumrankten Häuschen und die Professorin war erstaunt, hier ihren ganzen Hausrath und die Bibliothek ihres Mannes wohlgeordnet aufgestellt zu finden. Auch Tante Claudine war wieder da.
Mit einem gewissen Stolze stellte Sonnenkamp seinen Kammerdiener Joseph vor, der Alles so schön geordnet hatte.
Erich erhielt ein großes Paket Bücher, dabei einen Brief des Professor Einsiedel und einen Bogen Notizen. Er lobte Erich, daß er eine Abhandlung über Begriff und Wesen der Sklaverei schreiben wolle, es sei ein ergiebiges Thema.
Erich verschloß die Bücher, denn es war ihm lieb, daß Roland vorerst weder an Sklaverei noch an freie Arbeit dachte, er strebte jetzt nach ganz Anderem.
Der Sohn der Cabinetsräthin, der Cadett, befand sich auf Urlaub in dem neu erworbenen Landhause und eiferte Roland an, er solle bald eintreten. Roland war nun nur darauf bedacht, so bald als möglich in die oberste Classe eintreten zu können; er sprach davon mit dem Vater und Prancken. Der Vater aber nahm ihn einst bei Seite und sagte.
»Mein Kind! Es ist gut und es freut mich, daß Du Dich so eifrig vorbereitest, aber Du sollst erst eintreten . . . ich ehre Dich, indem ich Dir das mittheile. Ich halte Dich für reif genug.«
Er hielt inne und Roland fragte:
»Wann soll ich denn eintreten?«
»Du sollst erst eintreten, wenn Du adlig bist.«
»Ich adlig? Du auch?«
»Ja, wir alle; um deinetwillen muß ich den Adel erwerben, Du wirst das später einsehen. Freust Du Dich, adlig zu werden?«
»Weißt Du, Vater, wann ich vor dem Adel Respect bekommen habe?«
Sonnenkamp sah ihn fragend an und Roland fuhr fort:
»Auf dem Bahnhofe, wo ich einen wahnsinnigen Betrunkenen sah; Alles hatte Respect vor ihm, weil es ein Baron war. Es ist doch eine große Sache, ein Adliger zu sein.«
Er erzählte die Begegnung am Morgen seiner Flucht, und Sonnenkamp war erstaunt über die Wirkung auf Roland und was Alles in ihm lebte. Dann sagte er:
»Nun gib mir die Hand, daß Du Herrn Erich nichts davon mittheilst, bis ich es ihm selbst sage.«
Zögernd gab Roland die Hand.
Der Vater erklärte ihm weiter, wie mißlich es wäre, wenn er, mit bürgerlichem Namen eingetreten, erst im Cadettenhause den Adel erhielte.
Roland fragte, warum er Erich nichts davon mittheilen solle.
Der Vater verweigerte den Grund und verlangte unbedingten Gehorsam.
So hatte Roland ein doppeltes Geheimniß zu bewahren, eines vor dem Vater und eines vor Erich; das beschwerte die Seele des Jünglings, und es kam zu seltsamem Ausdruck, als er Erich einst fragte:
»Haben die Neger in ihrer Heimat auch Adlige?«
»Es gibt an sich keine Adlige,« erwiderte Erich, »einzelne Menschen sind nur von Adel, wenn und so lange Andere sie dafür halten.«
Erich hatte geglaubt, daß das ausschließliche Hinstreben Rolands nach dem Cadettenhause alles frühere Grübeln und Denken zugedeckt habe, jetzt sah er, daß es dennoch lebte und eine seltsame Gedankenverbindung angenommen hatte, die er nicht zu deuten wußte.
Während des Urlaubs war der Sohn der Cabinetsräthin sehr eifrig beim Unterricht zugegen; in Uebereinstimmung mit der Cabinetsräthin trat Sonnenkamp mit dem Vorschlage heraus, daß der junge Cadett auf einige Zeit austreten solle, um in Gemeinschaft mit Roland unterrichtet zu werden.
Roland war beglückt über diesen Plan, aber Erich widerstrebte; und als Sonnenkamp ihm entgegenhielt, daß er ja vordem gewünscht habe, Roland mit einem Kameraden zu unterrichten, ward es Erich schwer, ihm zu erklären, daß dies nunmehr unthunlich sei. Der Lehrgang, den er mit Roland eingehalten, sei ein durchaus persönlicher, so daß jetzt eine Kameradschaft und ein Rücksichtnehmen auf fremdes Wissen nur störend sei.
Erich entfremdete sich damit nicht nur Sonnenkamp und die Cabinetsräthin, sondern auch auf geraume Zeit seinen Zögling selbst, der unwillig und widerspenstig war, als der Cadett in die Residenz zurückkehrte.