Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Achtes Buch.

Erstes Capitel.

Von Biegung zu Biegung ist es, als ob der mächtig dahinwallende Rheinstrom sich in einen See verwandle, bis er wieder, um die sich vorschiebenden Berge strömend, seinen Lauf fortsetzt.

Fast ist es in der Geschichte, die wir zu erzählen haben, auch so.

Zur Feier von Goethe's Geburtstag hatte Clodwig die Nachbarn von Villa Eden nach Wolfsgarten geladen.

Frau Ceres und Fräulein Perini blieben zurück.

Erich konnte ein Bangen nicht unterdrücken, wie er Bella zum ersten Mal begegnen würde. Sie kam mit Claudine den Besuchenden im Walde entgegen, sie umarmte die Professorin und dankte ihr nochmals, daß sie sich die Entbehrung auferlegt, Claudine bei ihr zu lassen; Erich reichte sie die Hand und sagte mit starrem Blick:

»Sie, Herr Hauptmann, waren heute sein erster Gedanke.« . . .

Weiter sagte sie nichts, sie nannte ihren Mann auch nicht geradezu.

Eben als man auf Wolfsgarten ankam, fing es zu regnen an, so daß man das Haus nicht verlassen konnte. Prancken war nicht zugegen; er hielt sich am Niederrhein bei einem kirchlich gesinnten Landwirthe, dem sogenannten Klosterbauer, auf; denn es gibt heute nichts mehr, dem man nicht eine kirchliche Färbung und Unterscheidung gibt. Prancken hatte dabei das Glück, in der Nähe des Klosters zu sein, denn der Landwirth hatte die Felder der Insel gepachtet, die er bebaute.

Man versammelte sich im großen Saale, dessen drei offene Balconthüren nach dem von Blumen und Schlingpflanzen bestellten und mit schönen Ruhesitzen versehenen Balcon führten.

Als man ruhig beisammen saß und durch einander plauderte, erhob Clodwig plötzlich die Hand, wie wenn er Stille gebiete; Alle verstanden. Er zog die Uhr heraus und sagte:

»Jetzt ist die Minute, in der Goethe vor mehr als hundert Jahren geboren. Ich bitte,« setzte er freundlich winkend hinzu, »Bella und Fräulein Dournay . . .«

Die Beiden verstanden, setzten sich zum Clavier und spielten vierhändig Beethovens Ouverture zu Egmont.

Bella spielte mit weit offenen Augen dreinschauend, Claudine hatte den Blick gesenkt und bewegte während des Spielens den Kopf beständig wie in einer Wogenlinie; Alles war geschwungen; nichts eckig.

Als das Musikstück geendet hatte, erzählte Clodwig von seinem Glücke, Goethe noch persönlich gekannt zu haben.

Die Professorin beklagte, daß es ihr nicht zu Theil geworden, die Stimme des Dichters zu vernehmen und in sein Auge zu schauen, und doch sei sie, als er starb, schon alt genug gewesen, um zu wissen, wer er war, wenn sie ihn auch noch nicht vollauf begriffen. Sie erzählte, wie in ihrem elterlichen Hause, als man sich eben zu Tische setzen wollte, ein Mann kam mit der Nachricht: So eben ist die Kunde vom Tode Goethe's eingetroffen. Eine ältere Dame war so ergriffen, daß sie sich nicht mit zu Tische setzen konnte. Damals zum ersten Male habe sie ihren Gatten, der mit an der Tafel saß, im Widerspruch kennen gelernt; denn er habe bei aller Verehrung für Goethe behauptet: der Meister habe es nicht nur als Hauptaufgabe des Mannes gestellt, die beste Frau zu finden, er habe auch die Dichtkunst selbst zu sehr verweiblicht, er habe die Frauen zu sehr in den Mittelpunkt des wirrenden Lebens gestellt und die Welt in dem Glauben gelassen, daß die Poesie und ihre Kenntnißnahme mehr eine Sache der Frauen sei.

Clodwig widersprach dieser Auffassung. Er betonte zuerst, daß unser modernes Leben den sogenannten Cultus des Genius nicht aufkommen lasse, denn der Cultus könne nur da entstehen, wo die Erscheinung des Vollkommenen, des Göttlichen angenommen werde; sobald man Einschränkungen setze, sei er nicht mehr möglich.

Bella, die sich nicht weit von Erich auf den Balcon gesetzt hatte, sagte zu ihm:

»Ich will nichts Vergangenes. Wollte ich Reliquien verehren, hätte ich in meiner Kirche genug. Mit der Verehrung für Vergangenes machen sich die Menschen zu etwas. Es lebe, wer da lebt, ist mein Wahlspruch.«

Mit Schrecken sah Erich, daß in dieser Frau ein Widerspruch gegen die ganze Tonart ihres Mannes war, der ihn das ehedem so harmonisch erschienene Zusammensein als ein durchaus peinliches erkennen ließ. Das Auge Sonnenkamps dagegen, der die Worte Bella's gehört hatte, ruhte groß auf Bella; sie wendete sich nun an ihn und bat, ihr bei der neuen Einrichtung ihres Treibhauses Rath zu ertheilen. Sie legte ihren Arm in den Claudinens, Beide gingen mit Sonnenkamp davon.

Clodwig und die Professorin saßen nun allein im Saale, während Erich und Roland auf dem Balcon still hielten und vernahmen, wie Clodwig hinzusetzte, daß die Zukunft, wenn dem thätigen Leben die Weihe des Geistes geworden, vielleicht die Form des Cultus nicht mehr bedürfe.

Mit angehaltenem Athem hörten Erich und Roland zu, wie Clodwig und die Mutter einander bekannten, was ihnen der Meister an Lebenskraft und durchdringender Erkenntniß geleistet, und wie sie jenes nicht genug erkannte Werk: »Goethe's Gespräche mit Eckermann,« erörterten, das uns den Meister zu lebendigem, persönlichem Umgange erneuert. An dem Verhältniß zu Goethe läßt sich der Bildungsgrad eines Menschen ermessen.

Clodwig meinte, daß die heutige Jugend eine bedingte Verehrung für den Meister habe, da sie vorherrschend die bürgerliche Pflicht fühle und ein eigentlich politisches Wirken Goethe nicht aufgegangen sei und seine Aufgabe nicht war.

Wieder stimmten die Beiden in einen Wechselgesang zum Lobpreise der Bereicherung und Vertiefung des Lebens ein, das ihnen durch Goethe geworden.

Erich und Roland saßen still und hörten zu; nur einmal sagte Erich leise:

»Sieh, Roland, das ist Ruhm, das ist Ehre; das ist das höchste Glück, daß ein Mann so fortwirkt, daß sein Geist stets neu belebt, daß hier oben nach Jahren zwei Menschen einander erbauen in Auferweckung dessen, was ein aus dem Leben Verschwundener festgestellt.«

Weiter sprachen die Beiden drinnen im Saal und jetzt hörte Erich seinen Namen nennen, denn die Mutter sagte: Erich verstünde sehr gut, Goethe'sche Gedichte vorzulesen.

Bella, Claudine und Sonnenkamp wurden herbeigerufen. Erich las, aber heute weniger gut als sonst, denn es kamen viele Anklänge vor, die auf die Bewegtheit seines Herzens und Bella's sich übertragen ließen.

Der Regen hörte immer noch nicht auf. Bella gab verborgene Künste zum Besten. Sie erschien in einer rothsammetnen Draperie, die sie als griechisches Gewand handhabte, und ahmte einer berühmten italienischen Schauspielerin mit bewundernswerther Kunst nach. Sie verschwand wieder und erschien als Pariser Grisette; dann verschwand sie abermals und trat als Tiroler Handschuhverkäuferin auf, immer neu, kaum zu erkennen.

Am meisten Heiterkeit erregte es, als sie rasch nach einander drei Bettlerinnen nachahmte, eine katholische, eine evangelische und eine jüdische Frau. Ohne in Caricatur zu verfallen, verstand sie es, auch Bekannte wiederzugeben, und das Alles mit vollendeter Grazie und Bestimmtheit.

Clodwig mußte an sich halten, eine Bitterkeit nicht merken zu lassen, daß durch solche Dinge sein Goethe-Tag ausgefüllt würde. Er fühlte sich wieder in seinem eigenen Hause heimatlos und fremd zu Bella.

Erich indeß sah diese Schaustellungen, denen er eine Bewunderung nicht versagen konnte, mit getheilter Empfindung an. Welch eine reiche Natur war Bella, und wie schwer mußte es ihr sein, ihre vielfältige Kraft im engen Bezirke eines Pflichtkreises zu halten. Bella aber hatte sich heute gewaltsam zum Aufgebot ihrer Künste gebracht; sie wollte jede Empfindlichkeit, jede Erinnerung vor sich und Erich vernichtet sehen. Sie erzählte Erich, daß der russische Fürst, der zu Weidmann nach Mattenheim gezogen war, oft seiner gedenke; er schreibe aber auch mit großer Anerkennung von dem früheren Lehrer Rolands, dem Magister Knopf.

In der Betonung des Wortes »Lehrer« schien Bella eine verschwundene Grenzscheide zwischen ihr und Erich wieder aufrichten zu wollen.

Gegen Abend hörte endlich der Regen auf und die Sonne ging mit jener unsagbaren Farbenpracht unter, die beim Durchleuchten der Regenluft über den wie durchglühten Bergen sich darstellt. Man machte sich rasch auf den Heimweg. Roland beklagte, daß seine Schwester Manna nicht einen solchen Tag miterlebt.

Clodwig fragte noch beim Abschied Sonnenkamp, ob er nicht nunmehr, da die Professorin in seinem Hause, die Tochter heimkommen lassen wolle.

Sonnenkamp war sehr dankbar für die Sorgfalt, die Clodwig seinem Hause widmete; er bot der Professorin die Hand dar und sagte:

»Wenn es Ihnen genehm ist, reisen wir morgen mit einander zu meiner Tochter.«

Die Professorin nickte beistimmend.

Sonnenkamp glaubte an die edlen Motive der Professorin und eine Weile fühlte er sich angenehm davon berührt.

Bald aber erhob sich wieder das Bewußtsein seiner triumphirenden Kraft; die Welt dient seinen Plänen und es ist eine Lust, die Menschen zu verwenden, mit ihnen zu spielen, auf ihren Schultern sich zu wiegen. Clodwig und die Professorin machten seinen geheimen Wunsch für Manna zu ihrem eigenen, sie mußten nun dankbar sein, daß er ihren Willen ausführte, und doch mußten sie ihm dienen, denn gerade durch sie sollte sein Hauptplan zur Ausführung kommen, erst dann hatte er das bestätigte Recht, ein Wesen höherer Gattung sein zu dürfen, das über Andere verfügt und sie mit Freundlichkeit begnadigt.

Noch am Abend der Heimkunft bestimmte Sonnenkamp, daß der Gärtner die Lieblingsblumen Manna's, und das waren besonders Reseden, am andern Tage überall in ihrem Zimmer anbringe.


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