Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Zehntes Capitel.

Früh am Morgen kam ein Wagen von Wolfsgarten, um Claudine abzuholen.

Seit bald dreißig Jahren, seit ihrer Verheiratung mit dem Professor hatte die Mutter keinen Tag ohne dessen Schwester gelebt. Es schien Beiden kaum denkbar, daß Eines fern vom Andern lebte, und doch hatte man es beschlossen und es mußte sein.

Sonnenkamp war von großer Zuvorkommenheit; er verpflichtete Claudine, daß sie sein Haus als ihre Heimat betrachten und nur wenige Tage Gast auf Wolfsgarten bleiben solle.

Er gab dem Kutscher einen Korb voll behutsam eingehüllter Trauben und Bananen mit; der Käfig mit dem Papagei stand neben Claudine. Der Papagei schrie und zankte, als man davon fuhr, und schrie und zankte den ganzen Weg; er schien Villa Eden nicht gern zu verlassen.

Der Besuch Bella's hatte eine Unruhe im Hause verursacht, die noch auf Jeglichem lag, und dieser Unruhe wurde man immer aufs Neue inne, da man Claudine vermißte; Bella hatte etwas mitgenommen, was wie nothwendig zum Leben gehörte. Das Haus war wieder tonlos.

Während Erich durch strenge Pflichterfüllung jede Nachwirkung von der heftigen Gemüthserschütterung durch Bella bannen konnte, war die Mutter voll Unruhe. Sie hatte erreicht, was sie ihr Lebenlang sich als Ideal gewünscht: ein tägliches Leben und Walten in einem großen Pflanzengarten; nun, da es ihr geworden, gab es ihr nicht die volle Befriedigung.

Ein Mann wie Sonnenkamp mochte sich in der Ruhe seines Landhauses, in der Pflege der Pflanzen genügen, die Professorin hatte das Verlangen, auf Menschen zu wirken.

Die Einwirkung auf Frau Ceres genügte nicht, denn hier war ein Naturell, so räthselhaft und unfaßlich, daß sie sich ganz hilflos erschien; sie wollte ihrem Sohn nicht bekennen, daß das Haus für sie etwas Beklemmendes habe, weil die Familie ihren Glanz und Stolz im äußeren Besitzthum hatte, und alle aus sich selbst erblühende Kraft zu mangeln schien.

Fräulein Perini sprach von Frau Ceres stets als von der lieben Leidenden. Welches aber war das Leiden der Frau Ceres?

Die Professorin hatte einmal leichthin davon gesprochen, wie sehr Frau Ceres ihre Tochter vermissen möge; da erhob sich Frau Ceres und ihre Augen funkelten wie die einer Schlange, die sich plötzlich aufrichtet; sie schickte Fräulein Perini, die zugegen war, in den Garten und sagte zur Professorin, sich scheu umblickend:

»Sie ist nicht schuld, ich, nur ich. Ich habe ihn strafen wollen, da ich es dem Kinde sagte, aber das habe ich nicht gewollt.«

Die Professorin bat um Vertrauen, aber Frau Ceres lachte.

»Nein, nein, ich sag' es nicht noch einmal, und Ihnen gewiß nicht.«

Jene Angst, die die Professorin bei der ersten Begegnung mit Frau Ceres empfunden hatte, erneuerte sich; sie glaubte jetzt das Leiden der schwarzäugigen, bald trägen, bald eidechsartig unruhigen Frau zu kennen; sie mußte an einem Gedanken leiden, den sie nicht offenbaren und doch nicht ganz zurückhalten konnte.

Wie man einem Kinde ein Märchen erzählt, ließ sie sich auf Bedrängen der Frau Ceres bisweilen herbei, das Einzige, was diese zu beleben schien, zu berichten, nämlich von Hoffesten. Sie konnte ihr mehrmals dieselben Sachen erzählen und Frau Ceres war erfreut davon.

Die Professorin wußte hervorzuheben, daß eine Fürstin zu jeder Stunde eine bestimmte Pflicht zu erfüllen habe, und was gemessene Haltung in jeder Lebenslage bedeute; sie sprach eindringlich und kam oft darauf zurück, daß eine Frau wie Ceres, die in einer Republik geboren, von alledem keinen Begriff habe, es müsse ihr sein, wie wenn wir uns plötzlich in ein anderes Jahrhundert versetzt sähen.

»Sie und Ihren Sohn verstehe ich,« erklärte Frau Ceres. »Die anderen Menschen, den Major ausgenommen, höre ich wohl, aber ich weiß nicht, wo ich bin. Denken Sie, ich habe mich anfangs vor Ihnen gefürchtet!«

»Vor mir? Vor mir hat sich nie Jemand gefürchtet.«

»Ich werde es Ihnen ein andermal sagen. Ach, ich bin krank, ich bin immer krank.«

Es gelang der Mutter nicht, Frau Ceres aus ihrem Leben, das immer nur Schlafen und Aufstehen war, herauszubringen.

Sonnenkamp erwähnte mit großer Bescheidenheit, wie er das Gesetz inne gehalten und nie über das gefragt habe, was seine Frau spreche und wünsche; nur bitte er, das Eine fragen zu dürfen, ob Frau Ceres nie von Manna gesprochen.

»Allerdings, aber nur kurz.«

»Und darf ich das Kurze nicht wissen?«

»Ich weiß es selbst nicht, es blieb räthselhaft. Aber bitte, verleiten Sie mich nicht zu einem Vertrauensbruch.«

»Vertrauensbruch?« rief Sonnenkamp mit zitternder Lippe.

»Ach, es war nicht das rechte Wort. Ihre Frau Gemalin hat mir nichts vertraut; aber ich glaube, sie hat eine geheime Furcht, oder einen Zorn, oder einen Aerger über Fräulein Perini. Ich bin weit entfernt, Fräulein Perini dadurch schaden zu wollen, ich bereue fast, daß ich nur das gesagt.«

»Sie können darüber ruhig sein; meine Frau möchte Fräulein Perini täglich zehnmal aus dem Hause entfernen und täglich zehnmal zurückrufen. Es gibt keine Person, ich kann Sie selbst nicht ausnehmen, die ihr nöthiger und nützlicher ist, als Fräulein Perini.«

Sonnenkamp klagte, daß seine Frau sich nicht dazu eigne, die Familien der Umgebung zu begrüßen und eine Nachbarlichkeit zu pflegen. Die Professorin hatte selbst das Verlangen, in das hierländische Leben einen Einblick zu gewinnen. Zunächst wollte sie das Haus des Doctors besuchen.

Frau Ceres hatte mitzufahren versprochen; als es aber am Morgen eines hellen Herbstsonntages zur Ausfahrt ging, erklärte sie, es sei ihr unmöglich, und jetzt zum ersten Mal bemerkte die Professorin etwas Tückisches an ihr; sie hatte offenbar nur nachgegeben, um das Zureden zu vermeiden; nun machte sie unversehens ihren eigenen Willen geltend und schützte nicht einmal Unwohlsein vor.

Auch Fräulein Perini blieb zurück.

Man fuhr zuerst zu Herrn von Endlich; die Familie war verreist.

Vom Hause des Herrn von Endlich kehrte Sonnenkamp nach der Villa zurück und ließ Roland, Erich und die Mutter nach dem Städtchen fahren; er rief ihnen nur noch zu, sie möchten sich in Acht nehmen und nicht überall von dem Wein trinken, der ihnen aufgetischt würde.

Als die Mutter mit Erich und Roland dahinfuhr, kam ihr der Gedanke, daß sie diese Besuche nicht für sich mache, aber sie war bescheiden und willfährig, sich dem Gastfreunde zu Gebote zu stellen.

Unterwegs begegnete man dem Krischer. Roland ließ anhalten und stellte ihn der Professorin vor; sie reichte ihm die Hand und sagte, sie werde ihn auch bald einmal besuchen.

Als man am Städtchen ankam, läutete es eben von der neu erbauten protestantischen Kirche, die, auf einem Hügel stehend, hell ins Land hineinschaut.

Die Mutter ließ anhalten; sie wollte in die Kirche gehen.

Roland hatte nie eine protestantische Kirche während des Gottesdienstes betreten, er sagte das und die Professorin bat, er möge zurückbleiben und mit Erich einstweilen nach der Stadt gehen, aber er drang darauf, daß er sie begleiten dürfe.

Sie traten in die einfache und schmucklose Kirche, als eben der Gesang der Gemeinde austönte. Zu ihrem Schmerz hörte die Mutter eine im hochgezwängtem Tone vorgetragene Strafpredigt.

Als man wieder draußen den erfrischenden Ausblick in die schöne Landschaft empfing, nahm die Mutter Roland an die Hand und sagte:

»Wenn Du einmal reif genug bist, werde ich Dich mit einem Manne aus Deiner Heimat bekannt machen, von dem Du freiere und höhere Anschauungen gewinnen kannst.«

Sie erzählte von dem amerikanischen Geistlichen Theodor Parker, der eine sittliche Erneuerung der Religion anstrebte; sie hatte ihn selbst noch gekannt, denn er war auf seiner europäischen Reise einen Tag in der Universitätsstadt geblieben, wo er sich mit ihrem verstorbenen Gatten schnell und innig befreundete.

Erich und Roland wurden von Vielen begrüßt, die aus der Kirche kamen. Erich stellte seine Mutter dem Schuldirektor, dem Förster und dessen Frau und Schwägerin vor und sie geleiteten die Freunde in die Stadt hinein. Es war ein heiterer Zug in Gemeinschaft mit neuen Menschen in jener in sich begnügten Stimmung, mit der eine Gruppe verschieden gearteter Menschen aus der Kirche heimkehrt.

Die Frau Doctorin war nicht in der Kirche gewesen, sie ging Sonntag Morgens nie zur Kirche, sie blieb zu Hause, tröstete die Leute vom Lande, die namentlich des Sonntags früh kamen, über diese und jene Krankheit, verordnete manchmal lindernde Hausmittel und gab der Reihe nach an, wie die Leute bei dem rückkehrenden Doctor vorgelassen werden sollten. Sie wurde daher scherzweise Frau Petra genannt, denn sie habe gewissermaßen die Stellung des heiligen Petrus, sie müsse die Leute ausforschen, ehe sie ins Himmelreich der Heilung eingelassen werden.

Man trat ins Haus des Doctors. Wohnliche Sauberkeit glänzte auf den Fließen des Flures und auf der Treppe, überall hingen gute Bilder an den Wänden, keines schien blos dem Zufall sein Hiersein zu verdanken, und auf Consolen standen grünende Schlingpflanzen, die ihre Ranken weithin schickten. Im Wohnzimmer war Alles sonntäglich aufgeräumt, auf dem Nähtisch am Fenster, vor dem sich ein Straßenspiegel befand, stand ein blühender Rosenstock. Im Nebenzimmer hörte man die Doctorin laut sagen:

»Ja, Nannchen, das ganze Jahr sprecht Ihr von Religion und von Fügsamkeit in den Willen Gottes und jetzt thut Ihr so verzweifelt und habt keine Geduld und seid nicht tauglich zu nachgiebiger Pflege. Mein Mann kann Medicin geben, aber Liebe und Geduld müßt Ihr Euch selbst geben. Und Ihr, Anna, verfüttert Euer Kind und da soll man allemal wieder nachhelfen; den Verstand kann man nicht in der Apotheke holen. Und Ihr, Peter, geht nur heim und macht den Umschlag mit warmem Essig.«

Die Thüre öffnete sich und die Doctorin trat ein. Sie begrüßte die Professorin herzlich und es ergab sich schnell eine gute Beziehung, da die Doctorin mit Lustigkeit erzählte, sie habe es schwer annehmen wollen, aber es sei doch das Beste, wenn man den Leuten, die immer nur klagen, mit Grobheit begegne.

Man saß wohlgemuth beisammen und die Doctorin gab der Mutter eine Liste Derer, die sie nothwendig besuchen mußte, dann fragte sie:

»Verzeihen Sie meine Unbescheidenheit, ist es wahr, daß Manna aus dem Kloster kommt und Sie deren Erziehung vollenden?«

Die Professorin staunte. Was kaum wie ein dämmernder Gedanke in ihr aufgestiegen war, ging schon in der Gegend umher; sie konnte nicht fassen, woher diese Sage kam; die Doctorin wußte auch nicht mehr, von wem sie es gehört.

Als nun die Professorin Näheres um Manna fragte, erklärte die Doctorin, daß sie aus dem Hause Sonnenkamps Niemand als Roland kenne, von der Tochter wisse sie eigentlich nichts, aber Landrichters Lina sei ihre Freundin gewesen, dort werde man Näheres erfahren.

Der Arzt kam, blieb aber nicht lange; er hörte nur schnell den Bericht seiner Frau.

Die Professorin verabschiedete sich, Frau Petra hielt sie nicht zurück, sondern sagte geradezu, sie müsse noch mit dem und jenem sprechen, das jetzt davon ginge.

Erfrischt und belebt verließ man das Haus.

Beim Landrichter mußte man längere Zeit warten, da Frau und Tochter erst Toilette zu machen hatten. Als sie endlich erschienen, wurden viele Entschuldigungen vorgebracht, man habe sich beeilt und es sehe noch Alles so unordentlich aus, während doch Kleidung und Zimmer äußerst säuberlich und nett waren.

Der Amtsbote wurde nach dem Landrichter geschickt, der seinen Sonntags-Frühschoppen trank. Als endlich die Professorin den Platz in der Sophaecke eingenommen hatte, wo man vor lauter gestickten Kissen kaum sitzen konnte, ergab sich ein anmuthiges Gespräch. Die Professorin wußte Lina ins Gespräch zu ziehen und ließ sich von ihr das Klosterleben schildern. Lina, hiedurch aufgemuntert, wurde immer mittheilsamer und redegewandter.

Der Landrichter erschien; er hatte offenbar seinen Schoppen zu rasch hinuntergestürzt, denn stehen lassen kann man doch nichts. Er drückte der Professorin etwas stärker und länger als nöthig war die Hand. Mit gutem Humor – dem ernsten Gesichte des Männleins stand der Humor ganz seltsam – versicherte er sie seines obrigkeitlichen Schutzes. Er erzählte, daß der Pole aus dem Zuchthause ausgebrochen sei, man habe zwar einen Steckbrief hinter ihm erlassen, werde aber froh sein, wenn man ihn nicht wieder einfange.

Die Frau Landrichter und Lina holten ihre Hüte herbei und begleiteten die Gäste auf einem Umwege den Rhein entlang nach dem Hause des Schuldirectors.

Von selbst fing Lina an von Manna zu erzählen, wie sie gar so traurig sei und doch ehedem die Uebermüthigste gewesen; sie habe ihren Vater schwärmerisch geliebt, so daß man glauben mußte, sie könne ihn nie auf einen Tag verlassen.

Die Professorin hielt sich behutsam zurück, nach etwas zu forschen, sie hatte nur aus Höflichkeit diese Besuche machen wollen und nun stellte sich ihr dadurch eine neue Pflicht heraus. Hätte sie ahnen können, daß sie selbst nur von Sonnenkamp verwendet wurde, sie hätte noch mehr gestaunt über die verschiedenen Wendungen, die ein einfacher Vorgang nimmt.

Man kehrte nach der Villa zurück.

Der Erste, dem man im Hofe begegnete, war der Major; er sah etwas mißmuthig drein, aber sein ganzes Gesicht erglänzte, als die Professorin sagte, sie habe sich vorgesetzt, ihn und Fräulein Milch heute Mittag zu besuchen, und zwar, da sie leider nicht nach hiesigem Brauch zu jeder Tageszeit Wein trinken könne, zu einer einfachen Tasse Kaffee.

Der Major wußte sich bald zu entfernen, er schickte ein Kind des Castellans zu Fräulein Milch mit der Botschaft.

Die Professorin war äußerst belebt und Erich sprach seine Freude aus, daß auch sie etwas von der Berauschung empfände, die das Menschenleben und das Naturleben am Rhein über Jeden bringe.

Als Roland zu Tische kam, sagte er der Professorin leise:

»Ich habe im Conversationslexikon nachgeschlagen, heut ist der Geburtstag Theodor Parkers, heut ist ja der vierundzwanzigste August.«

Die Professorin erwiderte ihm flüsternd, er möge nur mit ihr davon sprechen.


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