Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Viertes Capitel.

Allabendlich war man nun im Theater, in großen Gesellschaften; der Morgen brach erst am Mittag an. Erich hatte, der Mahnung Bella's gemäß, die rückständigen Besuche gemacht und wurde in der Regel auch eingeladen.

Er sah das Gesellschaftsleben, wie aus einer fremden Welt kommend, mit neuen Augen an. Was verhüllt sich Alles in diesen lächelnden, sich gegenseitig so freundlich begrüßenden, geputzten Menschen! Er schauderte oft über die Gemeinheit in weißer Cravatte. Im Rauchzimmer wurden unzüchtige Geschichten erzählt, Einer überbot den Andern, und dann ging man wieder in den Tanzsaal zu Frauen und Töchtern und war manierlich und fein.

Erich verhielt sich in bescheidener Zurückhaltung, Bella neckte ihn, daß er sich nicht auch in den Strudel begebe; sie schwamm lustig im Strom rauschender Freuden und es vergnügte sie, eine der Ersten, wenn nicht die Herrschende zu sein.

Fürst Valerian war sehr zuvorkommend gegen Erich und erzählte ihm viel von Knopf und einem wunderbaren amerikanischen Kinde, das auf Mattenheim sei.

Prancken grüßte in der Regel stumm, und sprach kaum mit Erich.

Von den ersten Würdenträgern des Staats und des Hofes hörte Erich bald da, bald dort, wie lobreich die Gräfin von Wolfsgarten und ihr Gatte von ihm gesprochen.

Mit Weidmann gerieth er in jene Beziehung, in der man immer beiderseits bedauert, einander so wenig habhaft zu werden, und bei allem guten Vorsatze doch nie zu Weiterem kommt. Nur Einmal gelang den Beiden eine nähere Verständigung; sie sprachen von Clodwig, und Beide in gleichmäßiger Hochachtung; dennoch konnte Weidmann nicht umhin, zu sagen:

»Ich bewundere diese Kraft, aber ich könnte sie nicht bethätigen. Unser Freund vermag es, ganz in die Sphäre einzugehen, in der er lebt; er kann gewissermaßen seine Seelenstimmung aus- und anziehen wie einen Gesellschaftsfrack; für sich lebt er in ganz anderen Interessen, ja in einer Verwerfung dieses Getriebes; sobald er aber in diese Sphäre eintritt, merkt man in seinem Behaben nicht die Spur eines Widerspruchs, man glaubt ihn vollkommen in Uebereinstimmung.«

Erich verstand, und das Auge Weidmanns ruhte mit Nachdenken auf ihm, da er erklärte, daß er seinerseits nicht in die Gesellschaft tauge.

»Die Menschen sagen das eine Mal: Recht so, daß Sie aufflammen über Schlechtes, und das andere Mal verlangen sie, daß man gleichgültig daran vorübergehe, es ohne Verwerfung bestehen lasse. Das kann ich nicht und so tauge ich nicht in die Gesellschaft.«

Weidmann schien das, was Erich beunruhigte, anders zu fassen, denn er sagte ihm, er könne vollkommen zufrieden sein, da er in solcher Umgebung einen Jüngling wie Roland zu edlen Gedanken erziehe.

Ganze Abende wurde aber Erich seines Zöglings kaum ansichtig, denn die tanzende Jugend, Männer und Mädchen, umgaben ihn stets und hätschelten und bevorzugten ihn. Die Brust voll Cotillonorden, kam Roland spät heim und Tages darauf war er müde und zerstreut; ja, Erich bemerkte, daß der Portier ihm bisweilen duftige Briefchen zusteckte. Von regelmäßigem Unterrichte konnte nicht mehr die Rede sein, Roland trällerte meist am Tage die am Abend vorher gehörten Tanzweisen. In seinem Schreibpulte verwahrte er mit Heimlichkeit die Tanzkarten und auch manche andere Gedenkzeichen. In seinem Blick war etwas Scheues.

Prancken war erfreut, die Seinigen – denn so nannte er die Familie Sonnenkamp – inmitten der Gesellschaft zu finden, und nun ergab sich, daß auch Roland in dem französischen Lustspiel eine Rolle zufiel. Er sollte einen Pagen am Hofe Ludwigs XIV. spielen, da die junge Gräfin Ottersweier, der die Rolle zugetheilt, an den Masern erkrankt war.

Ein schönes Gewand wurde Roland bestellt, all sein Denken war nun auf das Schauspiel und die Proben gerichtet.

Als die erste Costümprobe abgehalten wurde und Roland in dem kleidsamen Gewande, in eng anliegenden weißseidenen Tricots, vor den Seinigen erschien, waren Alle voll Bewunderung; die Mutter zumal konnte sich in ihrem Entzücken gar nicht fassen. Roland sah auf Erich, der seit geraumer Zeit finster dreinschaute; er wollte ihn fragen, warum er so pedantisch sei – denn so hatten ihn die Mitspielenden genannt – aber er unterdrückte es und sagte nur:

»Verlaß Dich darauf, ich werde später wieder Alles, was Du mir aufgibst, lernen; nur jetzt laß uns lustig sein.«

Erich lächelte traurig; er fühlte, daß etwas verwüstet wurde in seinem Zögling; aber was konnte er thun? Wohl war ihm der Gedanke durch die Seele gezogen, daß er, da Alles, was er so mühsam gepflanzt und gepflegt, zertreten werden sollte, sich nun auch zurückziehen müsse; nur die Betrachtung, daß dann Roland ganz dem Verderben anheimfiele, hielt ihn noch auf seinem Posten. Er hielt es für Pflicht, Herrn Sonnenkamp seine Besorgniß mitzutheilen; dieser tröstete ihn, die amerikanische Jugend sei in den Jahren reif und bewältige das Leben, wo die deutsche noch auf der Schulbank sitze und sich über eine geringe Censur abhärme.

Während Roland in den Proben des französischen Schauspiels war, hielt sich Erich oft im Lehrerverein auf. Leider fand er auch hier eine Aristokratie; die Lehrer der höheren Schulen sind getrennt von denen der Elementarschulen. Erich wurde von Vielen als Bekannter begrüßt und immer wieder erschien sein Ruhm vom Sängerfest, denn die Lehrer sind die eigentlichen Stützen des Chorgesanges; sie hatten hier einen besonderen Gesangverein und Erich sang mit seinen Genossen schöner als je.

Aus rauschenden Gesellschaften stahl er sich oft weg und ging in den Lehrer-Verein, wo es ihm war, wie wenn er plötzlich auf einen andern Planeten versetzt wäre.

Hier saßen ernste Männer und besprachen sich darüber, wie man eine Kindesseele leite und führe, und da drüben verbrauste und verpraßte die mit bester Kraft geleitete Seele alle Arbeit des Lehrers an einem einzigen Abend.

Wenn man wüßte, was aus dem eigenen Thun wird, man könnte nicht weiter leben. Der beste Theil unserer Idealität ist das Nichtwissen unserer Zukunft und der Glaube an volle Erfüllung.

Erich konnte nicht umhin, Herrn Sonnenkamp von den Abenden im pädagogischen Verein zu erzählen, und Sonnenkamp nahm viel Antheil; er fand es sehr schön, wenn andere Menschen die Idealität pflegten.

»Sie sind glücklicher als wir,« sagte er und trank dabei seinen schweren Burgunder.

Am Vorabende vor der Aufführung des französischen Lustspiels hatte Roland auf Geheiß seines Vaters und Pranckens alle Mitspielenden zu einer Abendgesellschaft im Gasthofe eingeladen. Nur die Männer erschienen, von den Frauen Bella allein.

Bella nahm Sonnenkamp bei Seite und sagte ihm vertraulich, er bringe die Frauen nur dann in seine Gesellschaft, wenn er die Professorin bei sich habe. Sie gestand es sich nur halb, daß sie bei der Rückkehr auf das Land eine gewisse Beschämung vor der Professorin empfinden werde, mit der sie oft die Nichtigkeit und Hohlheit der gesellschaftlichen Zerstreuungen besprochen hatte; darum sollte Alles in den Strudel, damit Keines sich vor dem vorwurfsvollen Blicke des Andern zu fürchten habe. Ueberdies war es volle Wahrheit, daß Sonnenkamp nur dann, aber dann auch mit Sicherheit eine gesellschaftliche Stellung gewinne, wenn die Professorin sein Haus repräsentirte.

Bella war boshaft genug, Sonnenkamp zu sagen, daß die Cabinetsräthin ihn ausbeute, aber in Gesellschaft verleugne und ihre Verbindung nur als eine nothgedrungene, nachbarschaftliche bezeichne.

Sonnenkamp war ingrimmig, aber er mußte die freundlichste Miene bewahren.

Das Schauspiel wurde aufgeführt. Alles war voll Bewunderung über die Schönheit und gewandte Grazie Rolands; selbst Bella, die ihre Vielseitigkeit heute zur Schau stellen konnte – denn sie hatte eine sogenannte Schubladenrolle mit dreifacher Verkleidung – wurde von dem Eindrucke, den Roland machte, fast in den Schatten gestellt.

Die Fürstin ließ Roland zu sich rufen und unterhielt sich lange mit ihm; man sah Roland und sie lächeln. Der Fürst kam selbst auf Sonnenkamp und dessen Frau zu und glückwünschte ihnen zu diesem prächtigen Sohn, indem er fragte, wann Roland in die Cadettenanstalt eintrete.

»Wenn er den gnädig verliehenen Namen haben wird,« antwortete Sonnenkamp gefaßt.

Der Fürst machte eine finstere Miene und ging weiter.

Sonnenkamp athmete schwer, er hatte offenbar einen Fehler gemacht, die Sache hier und in dieser Weise vorzubringen; aber es ließ sich nicht mehr ändern und – vorwärts hieß die Losung. Mit ingrimmigem Blicke schaute er umher, als wollte er die ganze Gesellschaft mit all ihrem Flitter zusammenballen und kneten und daraus machen, was ihm beliebt.

Seine Mißlaune wurde nicht verscheucht, denn Prancken kam und fragte, was er zum Fürsten gesagt habe, der Fürst scheine verstimmt. Sonnenkamp fand es nicht nöthig, seinen Fehl zu bekennen.

Mit schwerem Blicke schaute Erich alledem zu. Er stand an eine Säule gelehnt, neben ihm ließ eine schöne Palme ihre gefächerten Blätter matt herabfallen. Er starrte auf die Pflanze, sie verkommt in dieser schwülen Luft, in dieser Ausströmung des hellen Gaslichtes; man bringt sie wieder zurück, da wo sie wieder gedeihen soll, aber sie kränkelt und verkommt vielleicht ganz. Wird es auch mit Roland so sein? Wie soll er nach Idealen, nach höherer Bethätigung streben, wenn ihm so aller Glanz, alle Huldigung geworden?

Unwillkürlich dachte er sich den Professor Einsiedel hier herein. Er lächelte, denn er selber erschien sich als solch ein Professor Einsiedel. Was sind denn wir, die wir nur dem Gedanken leben? Zuschauer, nichts als Zuschauer. Da ist die Welt und ein Jagen und Raffen nach Genuß, Jeder raubt und eignet sich zu, was er haschen kann. Warum willst Du daneben stehen? Warum nicht mitten drin Dich tummeln? – Sein Herz preßte sich zusammen, seine Wange glühte. Da kam Roland auf ihn zu und sagte:

»Wenn ich es Dir nicht recht gemacht habe, liegt mir an allen Anderen nichts.«

Erich reichte ihm die Hand und Roland fuhr fort:

»Die Fürstin wünscht, daß ich mich in diesem Gewande photographiren lasse; alle Damen wünschen es und die ganze Schauspielgesellschaft wird das Gleiche thun. Ist das nicht schön?«

»Gewiß, es wird Dir später eine anmuthige Erinnerung sein.«

»Ach, später! . . . Später – Heute ist's schön, ich will von später gar nichts wissen. Ach, wenn man nur nicht schlafen müßte, sich ausziehen und morgen wieder anders sein! Man sollte ununterbrochen so fortleben können.«

Erich erkannte, wie berauscht von Lob und Ehre Roland war; jetzt war nicht die Zeit, sich dem entgegenzustellen.

Aber auch er wurde an diesem Abend in eine ungewohnte Bewegung versetzt.

Er hatte wohl bemerkt, wie eifrig Bella mit dem Kriegsminister gesprochen, der ehedem der Oberst seines Regiments gewesen; jetzt kam der Minister in seine Nähe. Erich verbeugte sich, der Minister knüpfte ein leichtes Gespräch mit ihm an und fragte endlich, ob er nicht Willens sei, wenn sein Zögling in die Cadettenschule eintrete, eine Professur an der Cadettenschule anzunehmen.

Erich sprach seinen Dank für diese große Freundlichkeit aus, aber er konnte nichts bestimmen, und als ihn der Kriegsminister fragte, ob er sich ein Festes ausgemacht habe bei Vollendung der Erziehung des jungen Amerikaners, erwiderte er, daß Doctor Richard Alles geordnet habe. Er erschrak aber, als ihn der Kriegsminister fragte, ob er durch diese Stellung nicht in seiner Wissenschaft zurückkäme, denn Bekannte aus der Universität hätten mit großen Hoffnungen von ihm gesprochen.

Als der Minister sich entfernt hatte, bemerkte er Bella's feuriges Auge, das auf ihn gerichtet war, und sobald er Gelegenheit fand, sprach er Bella seinen Dank aus, daß sie ihn dem Kriegsminister so freundlich empfohlen habe.

»Nichts als Eifersucht – nichts als Eifersucht. Ich will Sie aus dem Hause dort haben, ehe die bezaubernde Manna zurückkehrt,« erwiderte Bella, sie war sehr aufgeräumt.

Am andern Tage, während Roland mit den Genossen beim Photographen war und die Einladungskarten zum großen Sonnenkamp'schen Feste umhergetragen wurden, fuhr Sonnenkamp, von Lutz allein begleitet, nach Villa Eden.


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