Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Sechstes Capitel.

Ein fremder Gast war indeß auf Villa Eden erschienen.

Am Morgen nach der Abreise der Professorin war Roland nach dem Rebenhäuschen gegangen, um für Erich ein Buch aus der Bibliothek zu holen. Als müßte er sehen, wie es ohne die Mutter ist, trat er in das offene Zimmer derselben; da lag auf dem Tische ein aufgeschlagenes Buch und auf dem weißen Blatte stand in englischer Sprache: Meinem Freunde Dournay – Theodor Parker.

Roland erschrak. Das ist der Mann, von dem die Mutter vor wenigen Tagen gesprochen. Er nahm das Buch, brachte es Erich und bat, daß er es lesen dürfe. Erich war betroffen; aber nach einigem Besinnen überließ er Roland das Buch.

Unter den hohen Weiden am Ufer saß Roland und las und las, schaute bisweilen in den Strom und las weiter.

Da ist ein Kämpfer, ein begeisterter, Gott verehrender Kämpfer für die freie Sittlichkeit und gegen die Sklaverei. Er prophezeite einen großen Kampf und die Worte: »Alle großen Urkunden der Menschheit sind mit Blut geschrieben,« fielen in die Seele des Jünglings wie ein Feuerfunke. Weiter und weiter las er, bis er merkte, daß das Licht sich verdunkelte und es Nacht wurde. Seine Wangen glühten, als er zu Erich kam und ihm das Buch zurückgab.

Roland hatte eine verbotene Frucht vom Baume der Erkenntniß genossen und Erich war ergriffen, wie tief Alles in die Seele des Jünglings gedrungen war. Eine neue schwere Aufgabe stellte sich ihm: der Jüngling mußte zurückgehalten werden von jeder Mittheilung an seinen Vater.

Bis tief in die Nacht saß Erich bei Roland; er mußte den geraden Sinn desselben ablenken und das war fast das Härteste, was er in dieser Stellung auf sich genommen. Der Jüngling sollte erkennen, daß es eine Betrachtungsweise gibt, die die Sklaverei als berechtigt und nothwendig aufrecht erhält; er sollte nie seinem Vater Kunde davon geben, daß er im Gegensatze stehe und durch die Professorin mit einem Geiste bekannt geworden, der in diesem Hause nicht angerufen werden durfte.

Erich gedachte der Mutter, die ihn ermahnt, in den Lehrgang Rolands das zu bringen, was nothwendig sei, und nicht was der Jüngling beliebig wünsche; jetzt war etwas gekommen, wo er der Fährte nachgehen mußte, die der suchende Geist des Jünglings eingeschlagen hatte. Freuen mußte man sich, daß er selber den Weg fand, das war ja, was alle Erziehung wollte, und nun sollte Erich ihn von diesem Wege ablenken und die feste Grundsätzlichkeit: Du sollst und Du sollst nicht, auflösen und zersplittern?

»Mich hat ein großer Neger auf dem Arm gehabt,« erzählte der Jüngling, »dessen erinnere ich mich ganz deutlich; ich erinnere mich auch seines wolligen Haares, in dem ich ihn zauste; er hatte ein ganz glattes Gesicht, gar keinen Bart.«

Wie träumerisch fuhr er fort:

»Ich bin von Negern getragen worden . . . von Negern.«

Leiser und leiser wiederholte er das Wort, dann schwieg er. Plötzlich fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und fragte:

»Haben Menschen, die Sklaven sind, wol auch ihre Kinder lieb? Weißt Du keinen Gesang, den sie singen?«

Erich wußte nicht viel zu antworten; Roland wollte wissen, wie die vergangenen Völker die Sklaverei betrachteten. Erich wußte nur Oberflächliches darüber.

Bis tief in die Nacht hinein schrieb Erich einen Brief an Professor Einsiedel; er legte dem väterlichen Freunde dar, wie es ihm neu aufgegangen, daß zwei Gewalten in der Menschheit ringen, wie Herrschen und Dienen zu einem geschichtlichen und zu einem Naturgesetze gemacht werden sollte; er sprach seinen Vorsatz aus, in wissenschaftlicher Weise eine Geschichte der Sklaverei durch alle Zeiten hindurch aufzustellen, und bat seinen Lehrer um Angabe betreffender Schriften.

Als Erich von Roland geleitet am andern Tage den Brief an Professor Einsiedel nach dem Bahnhof trug, sahen sie das Schiff herankommen, auf welchem Sonnenkamp und die Professorin zu Berg fuhren; sie winkten und gingen nach der Anlände.

Sonnenkamp ging mit Erich voraus, er schien mißgestimmt.

Roland hielt die Professorin zurück, so daß eine große Strecke zwischen ihnen und den Vorausgehenden war, dann fragte er:

»Hat Ihnen Manna auch gesagt, daß sie Iphigenie sei?«

»Nein.«

Die Professorin preßte die Lippen zusammen, sie ahnte etwas, sie verstand nun die Klage Manna's, daß sie an sich selbst das Entsetzliche habe erfahren müssen.

Roland erzählte, daß er das Buch gelesen, das sie vergessen hatte.

Die Professorin erschrak, wurde aber wieder ruhiger, da Roland erklärte, wie Erich ihm Alles zurechtgelegt habe und wie er das Geheimniß bewahren wolle.

Dennoch war ihr tief bange, als sie in die Villa zurückkehrte; sie hatte einen Geist hierher gebracht, der nicht hier hausen sollte. Was sie verborgen gehalten, war in eine Wirkung ausgebrochen, über die sie nicht mehr Herr war und die plötzlich Schrecken und Verwirrung bringen konnte.

Frau Ceres war wieder krank, Fräulein Perini durfte nicht von ihrer Seite. Als die Professorin und Sonnenkamp sie besuchen wollten, ließ sie danken.

Wie ein Kind, das heiter in sich, nur dem nächsten Augenblick lebend, von keinem Wirrwarr, keiner Grübelei weiß, erschien der Major und Jegliches freute sich an seiner naturfesten Gleichmäßigkeit. Er fand es besser, daß Manna jetzt nicht käme, sie solle erst kommen, wenn die Burg fertig sei. Er freute sich auf die Zeit, wo wieder Alle beisammen seien, er konnte das Reisen und Auseinanderfahren nicht leiden; man habe es ja nirgends besser und schöner als hier zu Lande und mehr als Himmel und Wasser und Berge und Bäume gebe es doch nirgends.

Die Professorin begleitete den Major nach seinem Hause. Bis spät in die Nacht hinein saß sie bei Fräulein Milch und diese wurde zur ersten Gehülfin in der Organisation der Wohlthätigkeit bestimmt. Sie kannte alle Menschen und Verhältnisse, verlangte vor Allem, daß man ein Dutzend Nähmaschinen in die umliegenden Dörfer schenke, sie selbst wolle die Frauen und Mädchen in deren Handhabung unterrichten.

Vom Major und Fräulein Milch geleitet, kehrte die Professorin in die Villa zurück. Sie war ruhig, und als ob er gesungen wäre, tönte ein Spruch Goethe's ihr in der Seele: Nicht durch Nachdenken erkennst Du, was Du bist, sondern indem Du versuchst, Deine Pflicht zu thun.


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