Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Elftes Capitel.

Am Morgen, als Erich und Roland im grünen Häuschen Abschied nahmen, kam eine Botschaft von Fräulein Milch, die sich und den Major zu Gaste bei der Professorin einlud.

Die Professorin rühmte gegen Claudine den feinen Tact dieser Wirthschafterin, die es wohl fühlen mußte, wie einsam es ihnen heute zu Muthe sei.

Es schneite unaufhörlich und hinter den Scheiben grüßte die Mutter ihren Sohn und Roland, die im ersten Wagen vorüberfuhren, und dann auch Herrn Sonnenkamp und Fräulein Perini, die zum Wagen herausnickten; Frau Ceres lag tief eingehüllt in einer Ecke, sie bewegte sich nicht.

Bald kam der Major und mit ihm Fräulein Milch. Der Major hielt sich stets streng militärisch und ließ sich von keinem Leiden seine stramme Haltung nehmen; er war heut nur etwas heiser und konnte daher noch weniger sprechen als sonst; er gratulirte indeß der Professorin und der Tante so förmlich als herzlich.

»In diesem Jahre,« sagte er, »werden es fünfzig Jahre, daß wir uns kennen.«

Er deutete auf Fräulein Milch und seine Miene sagte: ein besseres Menschenkind als sie ist, trägt die Erde nicht.

Man war wohlgemuth bei Tische und Fräulein Milch erzählte, welche Freude die Geschenke in allen Häusern gemacht.

Der Major zwang sich, seiner Unpäßlichkeit Herr zu werden, er wollte die drei Frauen gehörig unterhalten, er rühmte die Professorin, daß sie nicht nur gelehrt sei, sondern auch so vortreffliche Suppe kochen könne.

»Ja, ja,« lächelte er, »ich habe Herrn Sonnenkamp eigentlich zwingen müssen, daß man Suppe an seinem Tische bekommt. Sehen Sie, wenn ich einen Tag ohne Suppe leben muß, ist mir's, wie wenn ich ohne Strümpfe mit nackten Füßen in den Stiefeln gehen müßte; die Grundlage im Magen ist kalt.«

Man lachte über diesen Vergleich und der Major, hierdurch angeregt, fuhr fort:

»Ja, Frau Professorin, der heutige Tag ist ein Tag wie gestern und weil er Neujahrstag heißt, meint man immer, es wäre etwas Besonderes. Mir ist, als hätte ich an diesem Tage weiße Wäsche für ein ganzes Jahr angezogen.«

Wieder entstand beifälliges Lachen und der Major schluckte zufrieden; er hatte heute das Seinige geleistet, er konnte nun die Anderen gewähren lassen.

Nach Tisch that es die Professorin nicht anders, der Major mußte sein Schläfchen halten; sie hatte zu diesem Zweck das Bibliothekzimmer heizen lassen und der Major war nicht wenig stolz, daß er im Lehnstuhl des Professors schlafen sollte.

»Ja,« sagte er, »schlafen kann ich so gut wie der beste Professor. Aber die vielen Bücher – die vielen Bücher! Es ist doch schrecklich, daß ein Mensch so viele Bücher lesen muß! Ich weiß nicht, wie man das kann.«

Der Major schlief den Schlaf der Gerechten; er hätte keine Ruhe gefunden, wenn er eine Ahnung davon gehabt, was jetzt unter den Frauen vorging.

Fräulein Milch saß am Fenster bei der Professorin und diese staunte, als die einfache Wirthschafterin äußerte, wie unbegreiflich es sei, daß Erich das markerschütternde Drama Othello vorgelesen, da doch darin so viele Punkte seien, die man in diesem Hause nicht berühren sollte.

»Kennen Sie das Stück?« fragte die Professorin.

»O doch,« erwiderte Fräulein Milch und ihr ganzes Gesicht erröthete bis zur Einrandung ihrer Haube hin.

»Sie glauben also, daß es unpassend war, das Stück zu lesen, weil Herr Sonnenkamp Sklavenhalter war?«

»Bitte, ich wollte nichts weiter sagen,« lenkte Fräulein Milch ab, »ich spreche nicht gern über Herrn Sonnenkamp, es freut mich . . . nein, das ist nicht das richtige Wort, es beruhigt mich, daß er mich kaum beachtet und sich geringschätzig gegen mich benimmt. Ich bin ihm darüber nicht bös, eher dankbar, denn ich habe nicht nöthig, Freundlichkeit gegen ihn zu heucheln.«

»Nein, Sie weichen mir nicht aus. Können Sie mir nicht sagen, warum Sie es unpassend fanden? Mein Sohn und ich wir sollten doch wissen, in welche Verhältnisse wir gestellt sind.«

»Ich kann nicht,« entgegnete Fräulein Milch mit klagendem Tone.

Claudine, die zu bemerken schien, daß Fräulein Milch etwas mittheilen wollte, was sie vielleicht nicht hören sollte, schlich leise davon.

»Jetzt,« sagte die Professorin, »sind wir ganz allein, Sie können mir Alles sagen. Soll ich Ihnen eine Betheuerung geben, daß ich verschwiegen bin?«

»Ach, ich kann mich nur anklagen, daß ich so weit ging,« stotterte Fräulein Milch und zog ihre Haubenbänder durch beide Hände. »Seit der Major und ich beisammen sind, ist es das erste Mal, daß ich einen Besuch mache und an einem fremden Tisch esse; ich hätte es nicht thun sollen.« Ihr Angesicht zuckte und ihr braunes Auge glühte.

»Ich glaubte, daß Sie mich als Freundin betrachten,« sagte die Professorin und streckte ihr die Hand entgegen.

»Ja, das sind Sie,« rief Fräulein Milch und faßte die dargereichte Hand in beide Hände und hielt sie mit Inbrunst fest. »Sie können nicht wissen, wie ich Gott danke, daß er mir das noch vor meinem Tode beschieden. Seit ich mich ihm widmete, habe ich allen Menschen entsagt, Sie sind die Erste, mit der ich leben möchte. Ach, ich meine, Sie müßten Alles wissen, man hat Ihnen nichts zu sagen.«

»Ich weiß nicht Alles. Was wissen Sie von Herrn Sonnenkamp?«

Traurig senkte Fräulein Milch den Kopf, dann schlug sie beide Hände vors Gesicht und rief:

»Warum muß ich es denn sagen?«

Sie rückte näher und leise, kaum hörbar, theilte sie der Professorin einige Thatsachen aus dem Leben Sonnenkamps mit. Die Professorin hielt sich mit beiden Händen an der Nähmaschine, die vor ihr stand. Es wurde kein Wort gesprochen. Draußen war es so still und nur der Schrei von einem Flug Raben, die über den zugefrornen Rhein schwebten, war vernehmbar.

»Ich glaube,« sagte die Professorin endlich, »Sie würden so etwas nicht auf bloßes Gerede mittheilen. Gehen Sie weiter, sagen Sie offen, woher wissen Sie das?«

Scheu blickte Fräulein Milch um und sagte:

»Ich habe es von dem glaubwürdigsten Mann, dessen Neffe eine Kind hier im Lande zur Erziehung hat; er kennt den Namen, den Herr Sonnenkamp früher trug, er kennt seine ganze Vergangenheit. Aber liebe, edle Frau, warum soll ein Mensch, was er auch gethan, nicht ein anderes Leben, ein neues Dasein beginnen können?«

»Davon ein andermal,« drängte die Professorin. »Nennen Sie mir den Namen des Mannes, der Ihnen das mitgetheilt hat.«

»So sei es denn. Es ist Herr Weidmann.«

Die Professorin bedeckte sich mit beiden Händen das Gesicht.

»Was haben Sie von Herrn Weidmann?« sagte der plötzlich eintretende Major. »Ich sage Ihnen, liebe Frau Professorin, wer den Mann nicht kennt, kennt das Echteste auf der Welt nicht. Der ist ein Meisterstück Gottes, an dem muß Gott selber seinen Gefallen haben; tagtäglich, wenn er vom Himmel heruntersieht, muß er sich sagen: die Welt ist doch nicht so übel, dort drunten habe ich meinen Weidmann, das ist ein Mensch, ein . . . wirklicher Mensch. Damit ist Alles gesagt, da geht nichts drüber.«

Die beiden Frauen waren wie erlöst durch den Hinzutritt des Majors. Der Major machte sich nun mit Fräulein Milch auf den Heimweg. Als sie schon einige Schritte gegangen waren, rief die Professorin Fräulein Milch noch einmal zurück und fragte leise:

»Weiß der Herr Major auch . . .?«

»O nein, er könnte das nicht ertragen. Ach bitte, verzeihen Sie mir, daß ich Sie so belastet habe. Glauben Sie mir, es ist mir nicht leichter dadurch; nein, nur noch schwerer.«

Die Gäste gingen davon. Bald darauf brachte der Briefbote einen Brief aus der Universitätsstadt. Professor Einsiedel, der seit bald drei Jahrzehnten der Professorin seinen Glückwunsch dargebracht hatte, wollte auch heute nicht fehlen; es waren herzliche und bedeutsame Worte, die er schrieb, sie kamen wie aus einer ganz fremden Welt. Zweimal las sie die Nachschrift, denn da war ein Gruß an Erich mit der Nachricht, daß der Professor bald eine angekündigte, vor Kurzem erschienene Schrift über die Sklaverei schicken werde; er fügte die Mahnung hinzu, Erich solle im neuen Jahre sein Werk vollenden.

Die Professorin sah nachdenklich drein. Was ist denn das? Erich hatte ihr nie von solcher Arbeit gesagt. Sie fuhr mit der Hand durch die Luft an der Stirn vorüber. Eine Erinnerung tauchte auf. Noch heute in der Morgenfrühe hatte sie zu Claudine den Gram kund gegeben, daß sie keine Wohlthätigkeit aus dem Eigenen mehr üben könne. Was sie leistete, erschien ihr als nichtig, nur die Gabe als bedeutend. Fast unwillkürlich öffnete sie die Kasse, in der das ihr von Sonnenkamp anvertraute Geld lag. Wie soll sie künftig den Beschenkten sagen: Wendet eure Dankbarkeit Herrn Sonnenkamp zu?

Sie raffte sich auf und ging nach dem Bibliothekzimmer, dort stand sie und schaute hinaus. Es war als nagte etwas körperlich in ihr. Trotz innern Widerspruchs hatte sie sich in dies Verhältniß eingelassen und ihr klarer verständiger Blick schien eine Weile verdunkelt.

Stromabwärts ertönte ein Dröhnen und Brausen, Zischen und Krachen, wie wenn eine neue Welt sich aufthun müßte; die Eisdecke hatte sich gebrochen. Auf dem Strome schwammen große Eisschollen dahin, stießen einander an, überstürzten sich, knirschten, zerschellten, bildeten neue und schwammen weiter. Jede große und jede kleine Scholle war mit einem Kranze umgeben, das waren die bei der Auflösung zerriebenen und in die Höhe geschobenen Eissplitter; die Schollen rannten schnell den Strom hinab, jetzt erst sah man, wie rasch und stark die Strömung allzeit ist.

Die Sonne sank glühend hinab über dem Rhein und halblaut sagte die Professorin vor sich hin:

»Dieser erste Tag des Jahres hat mir Entsetzliches gebracht. Es muß getragen und zum Guten geführt werden.«


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