Sagen aus der Hanse
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Die Saake

Die Bremer Saake ist keineswegs, wie man nach dem Sprachgebrauch annehmen sollte, irgendein menschliches Wesen, das sich bösen Künsten und der Zauberei ergeben hat, sondern ein grauenhafter Spuk, ein mitternächtlicher Unhold. Es ist ein tückisches Scheusal, das träge in irgendeiner dunklen Ecke oder hinter dem Vorsprung eines Hauses hingestreckt liegt, bis jemand arglos die Straße herunterkommt, dem es sich in Blitzesschnelle auf den Rücken schwingt, um sich von ihm tragen zu lassen, bis der Unglückliche zu ersticken droht oder bewußtlos niedersinkt.

Es hat aber die Saake größere Gewalt über böse, frevelhafte Menschen als über den Gerechten. Weshalb es auch jedem frommen Mann, der in ruchloser Gesellschaft bei Bier und Wein sitzt bis in die späte Nacht, geraten sein mag sich nicht hinreißen zu lassen durch gottlose Reden der andern, sondern seine Zunge im Zaum zu halten. Denn man kann der Saake nicht ausweichen, weil sie unsichtbar ist, außer daß ihr Augenpaar in der Dunkelheit schimmert wie glühende Kohlen. Wer ihr aber einmal in die Feueraugen geschaut hat, dem ist es nicht mehr möglich zu entrinnen, seine Füße stehen festgewurzelt am Boden, und er kann sich nicht eher von der Stelle bewegen, als bis er fühlt, daß der Spuk sich um seine Schultern und Hüften gelegt hat, wie ein schwerer Kornsack. Dann mag er fortarbeiten mit seiner Last in Schweiß und Todesangst.

Und so ist es vor diesem nichts Seltenes gewesen und hat manchen rechtschaffenen Bürger getroffen, daß er, vom Schütting, wo in frühern Zeiten eine Weinschenke war, vom Fulbras auf der Wachtstraße, oder aus dem Ratskeller kommend, wo er lustig und guter Dinge gewesen, und ohne die mindeste Ahnung des Unheils, das ihn erwartete, in aller Zucht und Ehrbarkeit ein Glas nach dem andern zu Leibe gesetzt hatte – beim ersten Kreuzweg spürte, wie es ihn mit Zentnerschwere überkam und in die Beine schoß, daß er sich kaum noch aufrecht zu erhalten vermochte auf seinen Füßen. Und die Häuser und Straßen fingen an zu tanzen und zu springen und sausten zuletzt wie toll und töricht um ihn her im Kreise, so daß er die Richtung verlor, nicht wußte woher noch wohin, und aufs Geratewohl fortschob, bis ihm der Schweiß von Stirn und Wange lief. Dabei lagen ihm allerlei Steine im Wege, groß und klein, die er sah, und er mußte die Füße hoch in die Höhe heben, wenn er hinüberschreiten wollte. Und es kamen ihm wiederum alle Augenblicke Steine und Spitzen in die Quere, die er nicht sah, so daß er darüber stolpern mußte, bis er endlich erschöpft und von der schweren Last, die er zu tragen hatte, überwältigt zu Boden sank und die Besinnung verlor, bis etwa ein vorübergehender Nachtwächter oder ein anderer guter Mann ihn wieder emporrichtete.

Da erinnerte er sich denn deutlich, daß er die Saake habe tragen müssen, und erkannte mit Erstaunen, daß er seit den fünf Stunden sich noch keine zwanzig Schritt vom Weinkeller entfernt habe. Mit solchen Fährlichkeiten hatte der zu kämpfen, welcher mit der Saake zu tun hatte. Daher ist es leicht erklärlich, wie alle Welt eine solche Angst und Scheu vor dem Ungetüm hatte, daß es gemieden wurde wie die Pest und der Tod.

 


 


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