Sagen aus der Hanse
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Des Teufels Stiefel

Vor vielen Jahrhunderten kam aus dem Pommerland ein Schustergesell nach Hamburg, der hieß Hans Radegast. Weil gerade das Schusteramt viele Gesellen verloren hatte, die vom Morgensprach-Herrn wegen Aufsässigkeit zum Wandern verurteilt waren, fand Hans Radegast in der Herberge gleich Arbeit, ohne daß man ihn um Geburtsbrief und Wanderbuch befragte. Weil er nun ein geschickter anstelliger Gesell war, behielt ihn der Meister gern und dachte nur bei sich: der Hans Radegast sieht zwar aus wie ein Wende und ist aus Pommerellen eingewandert, wo auf einen Deutschen zehn Wenden kommen, aber da er seine Sache versteht und sich stille hält, so will ich fünf grade sein lassen; war meiner Großmutter zweiter Mann doch auch ein Wende, und wenn sie's im Amt gewußt hätten, wäre ich nimmer Meister und Bürger geworden.

Hans Radegast aber wußte sehr wohl, daß er ein Wende war, und hätt's nicht verbergen können, weil er kein brieflich Zeugnis hatte, als echt, recht und Deutsch geboren, und man sah's seinem Gesicht auch gleich an, daß seine Mutter eine wendische Hexe konnte gewesen sein. So lange er unter den Pommerellen gewesen war, hatte ihn das nicht bekümmert. Als er aber nach Lübeck und von da nach Hamburg kam und unter den Deutschen lebte, da wurde er seines Unglücks bewußt, dieweil er so viel vernahm von der Wenden Bosheit und Grausamkeit, und wie sie vordem gegen das Christentum und in Hamburg mit Brennen, Morden, Rauben und Plündern gewütet und keinen Stein auf dem andern gelassen hatten, so daß ein ingrimmiger Haß entstanden war gegen alles wendische Wesen, der noch Jahrhunderte lang sich vererbte von Vater auf Sohn und Enkel – so daß in deutschen Städten ein Wende war wie ein Ausgestoßener und Verfehmter.

Und als er beichten ging zum Pfaffen, konnte er's nicht lassen, denn sein Geheimnis drückte ihn, als wenn es Sünde und Blutschuld wäre, und er offenbarte ihm, wenn er's gewiß niemandem weiter sagen wolle, so müsse er's bekennen: er wäre wendischer Abkunft. Und der Pfaffe hat sich bekreuzigt und lange besonnen, dann hat er gesagt, ein Verbrechen wär's zwar eigentlich nicht, das Wendentum, aber schön wär's auch nicht, und wovon er ihn absolvieren sollte, das wüßte er nicht, er möchte nur hingehen und sehen, wie er sich fromm und ehrlich durch die Welt schlüge, und still sein Unglück tragen.

Nun wäre das wohl so gegangen, aber Hans Radegast warf sein Auge auf eine feine Jungfer, die wollte er heiraten, und zuvor Meister und Bürger dieser Stadt werden. Das Geld dazu hatte er sich schon erspart. Altflicker oder Schuhknecht hätte er leichter werden können, aber dann hätte ihn die feine Jungfer nicht genommen, die trug einen hohen Sinn und wollte nur einen Meister haben, woran sie auch merken konnte, ob er ein Wende sei oder nicht. Als er sich aber bei dem Morgensprach-Herrn meldet und tut seinen Spruch und begehrt das Amt, da treten die Alterleute auf und fragen nach dem Geburtsbrief und sagen's ihm auf den Kopf zu, daß er ein Wende sei, der in kein zunftmäßig Amt kommen und das Bürgerrecht nimmer gewinnen könne.

Und da half kein Bitten und Flehen, die Alterleute wollten's nicht, und die Amtsrolle und Artikel zeigten's, daß sie im Recht waren. Und Hans Radegast kam in Zorn deshalb und vermaß sich, er wäre kein Wende und der beste Schuster in Hamburg und verstünde mehr als alle Meister, darum müßte er ins Amt und Bürgerrecht; und vermaß sich so sehr, daß er als Meisterstück alles zu machen verhieß, was die Alterleute von ihm fordern würden. Darauf dann die Alterleute, um seiner zu spotten und sein zudringlich Begehren gänzlich abzuweisen, ihm gesagt: falls er über Nacht bis Sonnenaufgang ein makellos Paar Reiterstiefel ohne irgendeine Naht machen könne, so solle er ins Amt kommen und Meister werden, ihrethalben auch zum Bürgerrecht gelangen. Würd's aber hernach entdeckt, daß er doch ein Wende oder Slawe war, so würde es ihm gehen wie dem Hans Swinegel 1466, dem sein fälschlich erworbener Bürgerbrief wieder abgenommen worden war.

Und als er nun gegen Mitternacht still und allein in der Kammer saß und bei seinem unmöglichen Unterfangen schier verzweifelte, da haben ihn Ehrsucht und Weltlust geblendet, daß er den Teufel rief, ihm beizustehen, und das Werk, dessen er allein nicht mächtig, zu vollbringen. Und der Teufel, der allemal erscheint, wenn ein junges Blut ihn nur an die Wand malt, kommt angeflogen mit Sausen und Brausen durchs Fenster herein, gehörnt, mit Pferdefüßen, ein scheußlich Ungetüm, davor ein anderer als Hans Radegast sich entsetzt hätte; aber das Wendenblut fürchtet solchen Satansspuk nicht und willigt ein, ihm seine unsterbliche Seele zu verschreiben und fortan den Namen Gottes nicht mehr zu nennen, da er ihm sonst sofort verfallen sein soll. Und als der Pakt geschlossen, setzt sich der Teufel flugs oben auf den Tisch und gebraucht Pfriemen und Pechdraht, als wäre er niemals was anderes als ein Schuster gewesen, und ehe der Hahn den Tag ankräht, ist das Stiefelpaar fertig, von braunem Leder, und nirgendwo ist eine Naht zu sehen, worauf der Teufel wieder mit Saus und Braus verschwindet.

Und als andern Tags die Alterleute kamen und die Stiefel besahen und keine Naht daran fanden, entsetzten sie sich und mußten ihr Wort einlösen, und Hans Radegast als Meister anerkennen. Und obwohl er nun ins Amt gekommen ist, so hat's ihm doch nicht geholfen, denn als er vor dem Rat den Bürgereid leisten will, und vergißt seinen Pakt und spricht die Worte aus: »alse my Gott helpe und syn hilliges Wort«, da fällt plötzlich ein Donner und Wetter vom Himmel mit Dampf und Rauch, und Hans Radegast ist stracks nach Nennung des Namens Gottes zu Boden geschlagen und nimmer wieder aufgestanden.

Und als die Herren des Rats sich von ihrer Bestürzung erholt und durch ihre Diener den toten Mann haben aufheben lassen, da hat er das Gesicht im Nacken gehabt und die Zunge schwarz zum Halse herausgereckt, so daß jeder mit Entsetzen gesehen, daß den wendischen Mann der Teufel geholt.

Die ungenähten Stiefel wurden durch einen geschickten geistlichen Teufelsbanner exorzisiert und mit Weihrauch besprengt; sie haben lange Zeit hoch oben an einem Pfeiler im Dom gehangen. Als der Dom zerstört wurde, kamen sie ins Artilleriezeughaus im Bauhof, wo sie bis vor wenigen Jahrzehnten zu sehen waren.

 


 


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