Sagen aus der Hanse
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Klaus Störtebeker und Godeke Michels

Woher Störtebeker stammt, weiß niemand recht. Einige sagen, er sei in Ostfriesland geboren, aber die meisten berichten, er sei eines Edelmanns Sohn aus Halsmühlen bei Verden an der Aller. In seinen jungen Jahren hat er lustig gelebt, hat Fehden ausgefochten, gerauft, geschmaust und gezecht und danach in Hamburg mit andern wilden Gesellen so lange bankettiert und gewürfelt, bis er Hab und Gut verpraßt hatte. Und wie ihm nun zuletzt die Hamburger seiner Schulden halber sogar das ritterlich Gewand und Rüstzeug genommen und ihn der Stadt verwiesen haben, da ist er unter die Vitalienbrüder gegangen und ein Seeräuber geworden, wie vor ihm noch keiner gewesen ist.

Deren Anführer war damals Godeke Michels (nach heutiger Art zu sprechen: Gottfried Michaelsen), ein tapferer gewaltiger Mann, auch guter Leute Kind, über dessen Heimat sich Holstein, Mecklenburg, Pommern und Rügen streiten; andere aber nennen eine verfallene Burg bei Walle im Verden'schen als seinen Geburtsort. Der hat den neuen Genossen mit Freuden aufgenommen; und nach abgelegten Proben seiner Kraft (denn er hat eine eiserne Kette wie Bindfaden zerreißen können) wie auch seiner Unerschrockenheit und Tapferkeit, hat er ihm gleich ein Schiff unterstellt und hernach den Oberbefehl über die ganze Brüderschaft mit ihm geteilt. Und weil der neue Genoß, der seinen adligen Namen abgelegt, so ganz unmenschlich trinken konnte, daß er die vollen Becher immer in einem Zuge ohne abzusetzen hinunterstürzte und dies Becherstürzen täglich unzählige Male wiederholte, so nannte man ihn den Becherstürzer, oder plattdeutsch Störtebeker.

Als die Raubgesellen einstmals die Nordsee recht leer geplündert hatten, fuhren sie nach Spanien, um dort zu rauben. Störtebeker und Godeke Michels machten wie immer gleiche Teile der Beute, nur die Reliquien des heiligen Vincentius, die sie aus einer Kirche genommen, behielten sie für sich und trugen sie seitdem unter ihrem Wams auf der bloßen Brust. Und daher ist's gekommen, daß sie hieb- und schußfest gewesen sind; kein Schwert und Dolch, keine Armbrust, Büchse oder Kartaune hat sie je verwunden, geschweige denn töten können – so ging die Sage.

Und nach ihrer Vertreibung aus der Ostsee haben sie von ihren Schlupfwinkeln auf Rügen und andern Orten lassen müssen. Darauf haben sie aber in Ostfriesland gute Freunde gewonnen und dort ihren Raub bergen und verkaufen können. Besonders bei Marienhave haben sie viel verkehrt und dort gibt's noch viele Erinnerungen an Störtebeker. Der Häuptling, Keno ten Brooke, wurde sein Schwiegervater, denn dessen schöne Tochter verliebte sich in den kühnen mächtigen Mann und folgte ihm auf sein Schiff und in sein schwankend' Reich.

Wenn Störtebeker Gefangene machte, die ein Lösegeld versprachen, so ließ er sie leben. Waren sie aber arme Teufel und alt oder schwächlich dazu, wurden sie gleich ohne weiteres über Bord geworfen. Erschienen sie ihm jedoch tüchtig und brauchbar, so machte er erst eine Probe mit ihnen. Wenn sie nämlich seinen ungeheuren Mundbecher voll Wein in einem Zuge leeren konnten, dann waren sie seine Leute, dann nahm er sie als Gesellen an. Die es aber nicht konnten, die wurden auch abgetan.

Störtebeker und Godeke Michels haben zuweilen Reue über ihr Leben gefühlt. Und deshalb soll jeder von ihnen dem Dorn zu Verden sieben Fenster, zur Abbüßung ihrer sieben Todsünden, geschenkt haben; das Störtebeker'sche Wahrzeichen, zwei umgestürzte Becher, ist in einem dieser Fenster angebracht. Auch Brotspenden an dortige Arme haben sie gestiftet. Und hierin finden viele eine Bestätigung der Angabe, daß beide Verden'sche Landeskinder gewesen seien.

Als Störtebeker endlich gefangengenommen worden war, machte man in Hamburg, kraft des vom Kaiser verliehenen Blutbannes über Seeräuber, kurzen Prozeß mit den Piraten. Störtebeker saß in einem Keller des Rathauses, der »Störtebeker's Loch« genannt worden ist. Die Sage erzählt: Als man sein Todesurteil ihm verkündet, hat er nicht gern daran gemocht und hat für Leben und Freiheit dem Rat eine goldene Kette geboten, so lang, daß man den ganzen Dom, ja die Stadt damit umschließen könne; die wolle er aus seinen vergrabenen Schätzen herbeischaffen. Der Rat aber hat solch Anerbieten mit Entrüstung von sich gewiesen und der Justiz freien Lauf gelassen.

Schon folgenden Tags fand die Hinrichtung auf dem Grasbrook statt. Das Volkslied sagt, daß diese 72 wilden verwegenen Gesellen, die ihrer Bitte gemäß im besten Gewand so stattlich und mannhaft hinter Trommlern und Pfeifern in den Tod geschritten, von den Weibern und Jungfrauen Hamburgs sehr beklagt seien. Der Scharfrichter Rosenfeld enthauptete sie und steckte ihre Köpfe auf Pfähle hart am Elbstrande.

Der Sage nach durchsuchten die Hamburger Störtebeker's Schiff besonders eifrig nach seinen ungeheuren Schätzen. Außer einigen Pokalen und anderem Gerät fanden sie aber anfangs nichts, bis endlich ein Zimmermann, der mit der Axt zufällig gegen den Hauptmast schlug, eine Höhlung darin entdeckte, welche voll geschmolzenen Goldes war. Von diesem Schatz wurden die beraubten Hamburger Bürger entschädigt und die Kosten des Kriegszuges bezahlt. Von dem Überrest aber, so heißt es, ließ der Rat eine schöne goldene Krone für den St. Nicolai-Kirchturm anfertigen. Aber noch war Godeke Michels mit dem Rest der Vitalienbrüder zu vertilgen. Gleich nach Störtebeker's Hinrichtung liefen die Hamburger wieder in die Nordsee aus, um ihr Werk zu vollenden. Wiederum war es Simon von Utrecht auf seiner bunten Kuh, dem nach den alten Berichten der Preis auch dieses Seezuges gebührt, der mit völliger Niederlage der Piraten endete. Unter den 80 nach Hamburg gebrachten Gefangenen war Godeke Michels mit seinem Unterhauptmann Wigbold, einem gelehrten Magister der Weltweisheit, der seinen Stand auf dem Rostocker Katheder mit dem Schiffskastell vertauscht hatte.

Auch diese 80 Seeräuber wurden ebenso wie ihre früheren Spießgesellen auf dem Grasbrook enthauptet.

Die Sage geht noch weiter: Als der ehrbare Rat, welcher der Hinrichtung beigewohnt, die schwere Arbeit des Scharfrichters wahrgenommen, da habe er ihn teilnehmend gefragt: ob er ermüdet sei? Darauf soll Rosenfeld grimmig gehohnlacht und trotzig gesagt haben: es sei ihm nie wohler gewesen, und er habe genug Kraft, um noch den ganzen Rat ebenfalls zu köpfen. Wegen dieser höchst verbrecherischen Antwort sei der Rat sehr entsetzt gewesen und habe den Kerl sofort entlassen.

Störtebeker's Andenken haben noch verschiedene in Hamburg als Kuriositäten und Merkwürdigkeiten aufbewahrte Dinge frisch erhalten. Eine kleine Flöte oder Pfeife, mit der er auf dem Schiff im Sturm oder Kampf seine Signale gegeben, soll früher nebst dazu gehöriger silberner Halskette in der Kämmerei gewesen sein. Eine 19 Fuß lange eiserne Kanone (sogenannte Feldschlange) sowie Störtebeker's Harnisch hat man im vormaligen Zeughaus aufbewahrt. Das Richtschwert Meister Rosenfeld's kann noch jetzt im Arsenal des Bürger-Militairs gesehen werden.

Als größte Merkwürdigkeit Hamburgs aber und als zweites Wahrzeichen der Stadt (das erste und älteste war der Esel mit dem Dudelsack im Dom) galt der sogenannte Störtebeker, ein silberner Becher, aus dem er getrunken haben soll. »Wer nach Hamburg kommt, und sollte nicht in die Schiffer-Gesellschaft gehen, damit er aus Störtebeker's und Godeke Michels Becher trinke, und seinen Namen in das bei dem Becher befindliche Buch schriebe, der wäre nicht in Hamburg gewesen«, heißt es in einem alten Buch, betitelt: Die lustige Gesellschaft. Auf dem Becher, der etwa 1/4 Elle hoch ist und vier Bouteillen faßt, ist eine Seeschlacht dargestellt, die mit dem andern Bildwerk darauf Störtebeker's Leben andeuten soll. Er ist aber, wie schon die darauf eingegrabenen schlechten hochdeutschen Verse lehren, später angefertigt, und sicher nicht von ihm gebraucht gewesen. Er befindet sich jetzt im Schiffer-Armenhaus.

 


 


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