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Einsegnung zu den Reisen in das neue Jerusalem.

In einer der lezten Sonnenreisen sagte sie einmal: daß sie am 7. Januar, aber erst Abends 8 Uhr, eine Reise machen werde, in welcher sie zu den Reisen, welche sie in das neue Jerusalem machen dürfe, eingesegnet werde. An demselbigen Tage war sie meistens außer dem Bette, unterhielt sich viel mit den Ihrigen, und denjenigen, welche sie besuchten; sie genoß aber den ganzen Tag über sehr wenig, klagte über keine besondere Mattigkeit, sondern blieb immer bei heiterer Laune.

Kaum 6 Minuten vor 8 Uhr, als Niemand es vermuthet hätte, verfiel sie sitzend in Schlaf, worauf sie sogleich zu Bette gebracht wurde. Mit dem Schlag 8 Uhr stellten sich ihre Führer ein und gleich darauf sagte sie:

»Es fehlet einer meiner Brüder, holet ihn sogleich herbei, ich will nicht, daß er bei dieser heiligen Handlung fehle.«

Bei den vielen Anwesenden wurde Niemand besonders vermißt; sie aber gab die Gesellschaft namentlich an, in welcher sich ihr Bruder befinde; als derselbe zurück kam, redete sie ihn – schon auf der Hinreise begriffen – folgendermaßen an:

»Lieber Bruder, ich bitte dich um Jesu Christi, ja sogar um seines Leidens und Sterbens willen, fliehe und meide jede böse Gesellschaft! Wenn gerade auch nichts besonderes auffallend Sündliches darinnen vorgeht, so ist es schon um deßwillen auffallend und nachtheilig, weil Reden gewechselt werden, welche zu den faulen Geschwäzen gehören, diese sind nichts nütze zur Lehre und zur Besserung. Und um so mehr muß ich dich zu allem Guten, zur Gottseligkeit und zu jeder Tugend aufmuntern, weil du bald das älterliche Haus verlassen und in der sündenvollen Welt herum wandeln mußt, wo die Verführungen unzählig sind. Jener Bruder war übrigens weder unartig noch unfolgsam, nur liebte er gerne gesellschaftliche Unterhaltung. Ich empfehle Dir aus dem Liede: »Jesu, deine tiefen Wunden etc.« Nr. 47 in dem alten Württembergischen Gesangbuche folgenden Vers:

»Will die Welt dein Herz verführen,
Auf die breite Wollust-Bahn,
Da nichts ist als Jubiliren,
Ach so schau doch emsig an
Seine martervolle Last,
Die er ausgestanden hat;
So kannst du in Andacht bleiben,
Alle böse Lust vertreiben.

Wie wird es dir dann dereinst, wenn es bei dir zum Sterben geht, so wohl thun und seyn, wenn du sagen kannst:

Daß ich an dir habe Teil,
Bringet mir Trost, Schutz und Heil,
Deine Gnade wird mir geben,
Auferstehung, ew'ges Leben.«

»Was ich meinem Bruder hier sagte, das gilt auch jedem Einzelnen.«

Die vorstehend angeführten Verse – die lezte Strophe ist aus demselben Liede – hatte sie nie auswendig gelernt. – Sie ermahnte nun Alle im Allgemeinen auf das allerdringendste zur Liebe Gottes und des Nächsten, so wie zu einer wahrhaftigen Demuth und Barmherzigkeit gegen die Armen und Nothleidenden. Darauf forderte sie alle Anwesende zu einem stillen Gebete zu Gott, ihrer Einsegnung wegen, auf, indem sie sagte:

»Diese ist meine Lezte; zu den bevorstehenden Reisen werde ich von einem Diener Gottes eingesegnet, und zwar von Johann Arndt. – Nun bin ich oben, und das auf einem Berge, derselbe heißt Golgatha, auf diesem stehet einzig ein Tempel. Bei dieser Einsegnung erscheinen neben meinen 2 Führern, noch 2 erschaffene Engel, ebenfalls als Zeugen; ehe ich in den Tempel eingeführt werde, wird mir von den erschaffenen Engeln ein mehr als stärkendes Wasser zu trinken gegeben. – Nun werde ich elender Erdenwurm in den Tempel eingeführt.«

Nach einem Stillschweigen von 7 Minuten sagte sie:

»Nun ist meine Einsegnung vorüber. – Arndt erschien auf einmal, und kam mir auch, ohne daß ich es bemerkte, wieder fort. Mit welch' einer göttlichen Klarheit, Herrlichkeit und Krone auf dem Haupte derselbe erschienen ist; mit welch' hoher Würde und salbungsvollen Worten, die nicht anderst tönten, als ein wahrer Donner, womit er mich segnete, das Alles kann ich unmöglich aussprechen; wenn ihr nur ein einziges Wort hättet hören können, ihr wäret darüber zu Boden gesunken. Demungeachtet war Arndt gegen die 4 Zeugen und gegen mich voll lauterer Liebe und Freundlichkeit; ich dachte nachher bei mir selbst: wenn die Diener so sehr erhaben und herrlich sind, wie muß denn Gott selbst seyn! Die 2 erschaffenen Engel haben mir, ehe sie sich von mir entfernten, ihre Hände aufgelegt und auch einen kurzen Segen über mich ausgesprochen.«

»Ich habe meine Führer gefragt: ob ich denn einer solchen Gnade und Barmherzigkeit würdig sey? Darauf antworteten sie mir: Wenn dich Gott für würdig dazu findet, so mußt du dich beruhigen, nie aber erhebe dich dieserhalben über deine Nebenmenschen, sondern bleibe in immerwährender Demuth, im Glauben und in der Liebe und Hoffnung, Gott wird Alles herrlich hinausführen und vollenden.«

Nach einem Stillschweigen von 5 Minuten sprach sie:

»Meine Reise ist vollendet und meine Führer haben mich verlassen; Bruder wecke mich auf.«

Nach dem Erwachen waren ihre Gesichtszüge noch eine Zeit lang voll besonderer Freundlichkeit, jedoch ernsthaft, was sich aber, je länger sie wachte, allmählig mehr und mehr verlor. Sie unterhielt sich darauf noch 2 Stunden mit den Anwesenden, sang geistliche Lieder mit, und verlangte sodann, daß die Getreuen noch länger bei ihr verweilen möchten.

* * *


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