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[Reise zu den Unseligen]

*

Erste Reise zu den Unseligen.

Den 26. Oktober Nachmittags gleich nach 1 Uhr, fiel sie sehr geschwächt in einen tiefen Schlaf. – Schon der Vormittag, an welchem das Mädchen ganz niedergeschlagen war, verkündete einen wichtigen Auftritt. – Als sich ihr Führer bei ihr eingestellt hatte, sagte er:

»Nun will ich dir den ersten Grad, von den Unseligen, die aus dieser Welt gegangen sind, zeigen, und sezte hinzu, daß diese noch Hoffnung hätten, daraus befreit zu werden, die Zeit ihrer Befreiung selbst sey in Tage, Monate und Jahre eingetheilt.«

Dort angekommen sagte sie:

»Dieser Aufenthaltsort sey ein unübersehbares finsteres Thal, wo es den abgestorbenen Geistern weder wohl noch wehe sey, sie alle sehen betrübt und bekümmert aus. Wenn eines nach diesem Leben dahin versetzt werde oder komme, so werde es nach der Länge seiner Strafzeit eingetheilt, es seye nicht, daß es von unten herauf gehe, es richte sich nach dem Verhalten bei Leibes Lebens, denn in der andern Welt geschehe Niemanden nicht um ein Haar breit weder zu viel noch zu wenig; sowohl bei den Unseligen und Verdammten, als wie bei den Seligen walte die größte Ordnung vor, sagt ihr ihr Führer, denn alle Befehle und Anordnungen gehen von Gott unmittelbar aus, das seye so: Gott richte alle und jede Menschen, dazu seye eine Menge Geister da, die das Befohlene auszurichten haben, auch sey der Ort weder kalt noch warm: in der Mitte des Tales sey ein Gang von einer ziemlichen Breite, auf beiden Seiten aber lehnten sie dicht aneinander, wie aufgelehnte Scheiter; je weiter oben im Thal, desto näher sey auch die Befreiung und je weiter unten, desto länger die Strafzeit.«

Auf diese Aeußerung wurde sie von ihrem Bruder, der mit ihr in Rapport stand, gefragt: ob denn die Unseligen von seligen Geistern nicht auch einen Unterricht zu der Beförderung ihrer Erlösung erhalten?

Darauf erwiederte sie:

»Gegenwärtig werde ich keine dergleichen gewahr.«

Sodann nahm sie Rücksprache mit ihrem Führer, wobei man bemerkte, daß sich ihre Lippen und Zunge bewegten, – wie es auch nachher immer geschahe – es konnte aber nicht das Mindeste gehört, viel weniger verstanden werden. – Als dieses vorüber war, so fing sie an, mit den deutlichsten Worten, gleich dem besten Wachenden zu reden:

»Mein Führer sagte mir, es fahren häufig von Zeit zu Zeit selige Geister herunter, und predigen, geben ihnen auch Unterricht, und sobald eines und mehrere von diesem Strafort befreit werden, so werden diese von seligen Geistern abgeholt und dann an den mindesten Ort von Seligkeit, (den Mond), geführt; auch dieser bleibt nicht ihr beständiger Aufenthaltsort, denn die Seligkeiten wachsen in ewige Ewigkeiten fort.«

Sie wurde bei dieser Gelegenheit gefragt: ob sie in diesem Strafort nicht auch solche Geister angetroffen habe, die ihr auf dieser Welt bekannt gewesen sind? Da sagte sie:

»Ja wohl, es sey ihr aber von ihrem Führer mit Ernst und Nachdruck untersagt worden, diese anzuzeigen, indem es ganz gegen den Willen Gottes wäre. Selige, die sie antreffe, dürfe sie sagen, aber auch nur, in so ferne es ihr von ihrem Führer gestattet werde.«

*

Zweite Reise zu den Unseligen.

Den 28. Oktober Nachmittags halb 2 Uhr wurde sie von ihrem Führer zu der zweiten Klasse der Unseligen geführt.

»Diesen Ort bezeichnete sie wieder als ein Thal, größer, finsterer und kälter als das vorige: die Gestalten häßlicher. Die Zahl derer, die sich hier aufhalten, sey unzählig und unübersehbar, sie seyen nicht nur dicht aneinander gelehnt, sondern zum Theil wie Scheiter aufgebeugt. – Sie wurde über deren Zustand so bekümmert, daß sie in mehr als lautes Weinen ausbrach.«

Als sie sich noch in diesem bekümmerten Zustande befand, wurde sie gefragt: ob denn diese Unglücklichen nicht auch noch einen bessern Zustand zu erwarten hätten? Nachdem sie lange geschwiegen hatte, so erwiederte sie endlich:

»Ich erhalte keine bestimmte Antwort, es mögen wohl Ewigkeiten verstreichen, bis eine Milderung eintritt.« Auf dieses betete sie: »Herr! lehre mich thun nach deinem Wohlgefallen, denn du bist mein Gott, dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.« Dann fuhr sie fort:

»Die im ersten Grade sind schon sehr zu bedauern, diese aber noch weit mehr. Man denke sich nur wie hart es ist, wenn die Seele nach dem Tode des Menschen von keinem Schlafe mehr erquickt wird, sondern das Peinliche und Schmerzhafte ewig in gleichem Grade fortgehet. –

Mein Führer sagt mir:

»Du wunderst dich so sehr über die im ersten und zweiten Grade, in welch' ein Erstaunen wirst du erst gerathen, wenn du in den dritten Grad zu den ganz Unseligen geführt wirst.«

Nachdem sie ausgeredet hatte, so verließ sie ihr Führer, und sie erwachte nach einer Viertelstunde, indem sie sehr über Mattigkeit klagte. Obgleich ihre Gesichtszüge die Betrübniß ihrer Seele mehr als zu deutlich verriethen, so wußte sie doch von dem, was vorgegangen war, nicht das Mindeste.

*

Dritte Reise zu den Unseligen.

Den 31. Oktober Nachmittags halb 2 Uhr, verfiel sie, wie sie es vorher angekiindigt hatte, wieder in einen tiefen Schlaf. Sie wurde diesesmal von ihrem Führer durch eine dicke und lange Finsterniß geführt, und brach während des Durchgehens öfters in die Worte aus:

»O lieber Führer! laß mich doch nicht allein!«

Man bemerkte sehr deutlich, wie fest sie ihn faßte, so daß der stärkste Mann nicht vermögend gewesen wäre, ihre rechte Hand zu öffnen. Ihre Eltern glaubten, sie werde, ehe sie diese Reise vollende, unterliegen und ihren Geist aufgeben.

Als sie nun in dem dritten Grad anlangte, da brach sie in einen Strom von Tränen und mehr als lautes Schluchzen und Seufzen aus, nachdem sie sich ein wenig erholt hatte, fing sie von selbst zu reden an, wie folgt:

»Ich habe Euch den ersten und zweiten Grad traurig genug geschildert, aber diese Schilderungen kommen mit dem dritten Grade in gar keinen Vergleich. Das Thal ist weit größer und die Anzahl der hier Befindlichen unzähligemal mehr; hier ist nichts als ein erschreckliches Seufzen, Murren, Wehklagen und Zähneklappern, die Gestalten sind mehr als abscheulich und häßlich, und beinahe gar nicht zum Anschauen; sie verwünschen und verfluchen sich unter einander und zürnen sogar mit Gott, Jesu und dem Geist Gottes selbsten. Der Ort ist gleichsam

dick finster, es sei hier oft unausstehlich kalt und oft wieder unerträglich heiß. Mein Führer sagt mir: dieses ist die wahre Hölle, daraus ist in ewige Ewigkeiten keine Erlösung mehr, diese führen den Namen: »die Verdammten.«

Darauf unterhielt sie sich wieder eine geraume Zeit mit ihrem Führer, welches an Mund und Zunge deutlich bemerkt wurde, und fing sodann wieder von selbst zu sprechen an mit den Worten:

»Folgendes darf ich Euch offenbaren. Ich fragte nämlich: da ich in den drei Klassen von Unseligen und Verdammten nicht nur Massen, sondern ja unzählbare Millionen angetroffen habe, die ich ja lange nicht einmal übersehen konnte, – wer kann denn selig werden? Worauf mir mein Führer antwortete: ist dir das theure und wahrhaftige Evangelium Jesu nicht bekannt? wie liesest Du? Stehet denn nicht darinnen »die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben (zur Seligkeit) führet, und wenige sind ihrer, die ihn finden, und wiederum: » Viele sind berufen aber Wenige sind auserwählt; ferner: Das Himmelreich will mit Gewalt an sich gerissen werden.« – Sodann fuhr sie fort: mein Führer sagt, die Zahl der Unseligen und Verdammten sei freilich viel größer als die der Seligen; doch sey deren Zahl auch gar nicht unbeträchtlich. Es sey der ernstlichste Wille Gottes, daß allen Menschen geholfen würde, und daß Alle zur Kenntniß der Wahrheit kämen, (wer verloren gehe, der gehe daher durch eigene Schuld verloren) und daß alle diejenige, denen es nicht wahrhaftig und mit allem Ernste nach den Vorschriften des göttlichen Wortes um die Seligkeit zu thun sey, abgewiesen werden. Sage den Erdenbewohnern mit Nachdruck: daß hier durchaus kein Ansehen der Person, wer es auch auf Eurer Welt, die so fürchterlich im Argen liegt, gewesen seyn mag, Statt finde. Ich gebe dir die heiligste Versicherung, daß es der größte Geizhals auf deinem Sündenballe, wo es seinen Vortheil betrifft, nicht so genau in seiner Rechnung nimmt, als es Gott mit der Sünde nimmt; denn Gott läßt es sich von den Erdenbewohnern nicht vorschreiben, was er Alles noch zu thun habe, wenn sie die von ihm so treulich und mehr als wohlmeinend angebotene Seligkeit annehmen wollen, sondern die Bedingungen sind und bleiben von Seiten Gottes unabänderlich. Besonders gebe ich dir auf, sage es laut deinen Erdenbewohnern: daß von dem, was Jesus der Welterlöser verkündete, und seine Apostel nach seiner Auferstehung geschrieben haben, hier in dieser Welt, die in ewige Ewigkeiten fortgehet, nicht ein Buchstabe weggenommen wird, die sündhaften Menschen mögen es glauben oder nicht, denn hier gilt zur Seligkeit nichts, denn eine neue Creatur. Warum legen doch die sündhaften Erdenbewohner nicht den größesten Werth in die so wahrhaftige Eigenschaften Gottes, daß Er allwissend, allgegenwärtig, allsehend, gerecht, heilig und wahrhaftig ist, und mißbrauchen seine Langmuth so ewig unverantwortlich. – O, wie bedaurungswürdig sind diejenigen Menschen, die ganz und gar keine Belohnung des Guten und Bestrafung des Bösen annehmen wollen und glauben; wie bedaure ich die, die erst dann glauben, daß sie gestraft werden, wenn sie schon gestraft sind etc. etc.«

Nach diesem wandte sie sich, während sie ihren Führer um ein längeres Bleiben inständig gebeten hatte, an ihre umstehende Eltern und Geschwistern, – sonst war damalen Niemand anwesend, – brach aber vorher in einen Strom von Thränen aus und bat sie:

»um Gottes und Jesu Christi willen, ja allen nur möglichen Fleiß anzuwenden, daß sie von den Orten, die ihr gezeigt worden sind, bewahret bleiben. Liebe Eltern und Geschwister! rief sie aus: wenn jeder meiner Blutstropfen sich in tausende Zungen verwandeln würde, so wäre ich nicht vermögend, die Qual der so ewig, ewig verdammten genugsam zu schildern. Lasset diese meine Worte, wiewohl sie auch in Gottes Wort alle ausgezeichnet sind, der Welt nicht unaufgedeckt und schweiget nicht!«

Nachdem sie dieses ausgesprochen hatte, so sagte sie: »nun kehret mein Führer mit mir zurück.« –

Bei dieser Rückreise wurde bemerkt, daß sie sich wieder eisenfest an ihren Führer einklammerte. Nachdem sie derselbe verlassen hatte, schlief sie noch gegen anderthalb viertel Stunden. Bei ihrem Erwachen sagte sie:

»O wie matt bin ich doch! ich meine die ganze Welt durchwandert zu haben, und weiß doch wieder nicht das Mindeste zu sagen!«

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