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Erstes Gudrunlied

Guđrunarquiđa fyrsta

0, 1

Zu 0, 1. Die angeblich prosaische Einleitung steht in Wahrheit, wenn man von geringen Verschiebungen und Zusätzen absieht, auch im Original in Versen, allerdings ohne Versandeutung, wie übrigens in den alten Handschriften der gesamte Text. Das ist seltsamerweise unbemerkt geblieben, obgleich der Stil vom sonstigen Prosastil grundverschieden, die Kettung der Stabreime unverkennbar ist und die Verse sich fast ohne Änderung des Wortlauts herstellen lassen:

Guđrun sat yfir Sigurđi dauđum,
hon gret eigi sem ađrar konur;
at springi af harmi hiarta var buin.
gengu konur baeđir ok karlar
at hugga hana. Þat var eigi auđvelt
at hefđi etiđ af Fafnis hiarta
ok skildi raþa fugls rödd.

Gudrun saß beim toten Sigfrid.
Ob zum Springen ihr Herz von Gram auch voll war,
Sie weinte nicht wie andere Weiber.
Ein da traten, um sie zu trösten,
Frauen und Männer – ein fruchtlos Bemühen,
Da Gudrun weiland gegessen hatte
Vom Herzen Fafners und so der Vögel
Stimmen auch verstehen gelernt.

1

Stunden hindurch wie zum Sterben entschlossen
Saß sie bei Sigfrid unsäglich wehvoll.
Kein Schlag auf die Stirn, kein Schluchzen, Stöhnen,
Kein Wimmern und Winseln wie andere Weiber.

2

Es kamen die Grafen, die Großen des Reiches,
Ihr schweres Leid zu beschwichten und lindern;
Doch weil auch der Trost der Tränen ihr fehlte,
Blieb sie vom Schmerze niedergeschmettert,
Als ob in der Brust ihr Herz schon bräche.

3

Um Gudrun saßen die goldgeschmückten
Vornehmen Frauen der Fürsten und Edeln,
Und jede erzählte vom bittersten Jammer,
Den sie im Leben erlitten habe.

4

Zu 4. Wir sind in Gefahr, diese fünfmalige Verwitwung komisch zu finden, was der Dichter gewiß nicht beabsichtigte. Man vergesse nicht, daß in der germanischen Vorzeit, als Kampf für die eigentliche Bestimmung des Mannes und ein anderer Tod als auf dem Schlachtfelde fast für schimpflich galt, Wiederverheiratung häufiger, oft erzwungen war und nicht selten geboten wurde von der Pflicht, dem gefallenen Gemahl einen Rächer zu gebären.

»Mich«, sagte Gyflög, die Schwester Gibichs,
»Ereilte auf Erden das ärgste Elend.
Fünfmal beweinen mußt' ich Verwitwung,
Zweimal den Tod geliebter Töchter,
Geschwister eilf. Nur ich blieb übrig.«

5

Stumm blieb Gudrun, erstarrt die Gabe,
Die grausame Qual des grimmigen Grames
Über den Mord ihres Heldengemahles
Schmelzen zu lassen in Schmerzenstränen.

6

Die hunische Fürstin Herburg sagte:
»Härteres Herzeleid häufte sich mir auf!
Sieben Söhne verlor ich im Südland,
Und mein Gatte fiel in derselben Feldschlacht.

7

Die Mutter, den Vater und vier meiner Brüder
Trieb als Leichen ans Land ein entsetzlicher Seesturm,
Der ihr Schiff zerscheitert' in brausender Brandung.

8

Mir allein da lag der letzte Dienst auf:
Ich mußte allein die Leichen bekleiden,
Ich allein zur Helfahrt den Holzstoß schichten.
Ein halbes Jahr hat mit all dem Jammer
Mich überschüttet und solche Schickung
Kein tröstender Freund mir tragen geholfen.

9

Kaum herum war das Halbjahr – und heergefangen
Mußt' ich morgens die alte Gemahlin
Eines kleinen Häuptlings kleiden helfen,
Ihr die Haare scheiteln, die Schuhe binden.

10

Ich hatte vom Unmut der Eifersücht'gen
Derbe Schläge sogar zu erdulden.
Je mehr sich der Mann als mitleidsvoller
Gebieter bewies, desto böser das Weib.«

11

Stumm blieb Gudrun, erstarrt die Gabe,
Die grausame Qual ihres grimmigen Grames
Über den Mord des Heldengemahles
Schmelzen zu lassen in Schmerzenstränen.

12

Zu 12. Von Schwestern Gudruns ist sonst nirgend die Rede. Aber der Dichter brauchte eine für sein Lied und erfand sie mit gleich gutem Recht, wie er sich eine Schwester Gibichs und eine hunische Fürstin Herborg erfunden, die nach unsäglichem Unglück an den Hof Gunthers gelangt sei. Zu der überflüssigen und gegen 17, 4 schwer haltbaren Annahme, daß Gullrand nur uneigentlich Gibichs Tochter genannt werde, als mit Gudrun erzogene Gespielin oder Milchschwester, verleitete die Anrede fostra, das ist Pflegeschwester, aber auch Pflegemutter, und letztere Bedeutung ist die hier allein mögliche. Denn nicht Gudrun, sondern nur einer der beiden Vorrednerinnen kann Gulrand vorwerfen, sie verstehe sich schlecht auf den für eine jung Verwitwete geeigneten Zuspruch. Dafür, daß mit der Pflegemutter jene Schwester Gibichs gemeint sei, die zuerst ( 4) geredet, spricht ihr Name Giaflög, das ist die mit Gaben Eilende, flink Bewirtende, erinnernd an Homers χαριζομένη παρεόντων.

Das Wort nahm Gullrand, die Gibichstochter:
»Du Gerichtet an die Gyflög der 4.  Str. bist klug und pflichttreu als Pflegemutter;
Doch wenig weißt du, was jungen Witwen
Das Herz erleichtert. Nicht länger lasset
Die Leiche des Helden verhüllt liegen.«

13

Rasch auf die Seite riß sie von Sigfrids
Leiche das Laken und legte der Gudrun
Sein Haupt in den Schoß. »Beschaue«, rief sie,
»Den verlornen Geliebten! Küsse die Lippen,
Als ob du umhalstest den lebenden Helden.«

14

Zum ersten Male seit der Ermordung
Erblickte Gudrun das Antlitz des Gatten.
Die Locken steift starres Blut;
Erloschen im Aug' ist das strahlende Licht;
Vorn auf der Brust klafft breit
Der Ausbruchsspalt von der Spitze des Speers.

15

Sie beugt sich zur Bahre, sie sinkt auf die Seite;
Die bleichen Wangen sind plötzlich blutrot;
In Stücke zerbricht ihr Stirnreif; die Haare
Fliegen gelöst. Nieder fluten
In ihren Schoß Schauer von Tränen.

l6

Ja, nun träufeln die trotzigen Tropfen,
Und so gellend erklingt Gudruns Klagruf,
Daß die draußen im Hofe gehegten Gänse
Darob erschrecken und mit schreien.

17

Jetzt sagte Gullrand, die Gibichstochter:
»Ich weiß es längst, daß euere Liebe
Bei den sterblichen Wallern im Staube der Erde
Ohnegleichen war. Glück, o Schwester,
Fühltest du niemals, fandest du nirgend
Sonst, als nur an der Seite Sigfrids.«

18

Auch des Wortes wieder mächtig
Rief nun Gudrun, die Gibichstochter:
»Wie den Wiesenkräutern der junge Waldbaum
Weit entschoßte, der schon zum Schaft taugt;
Wie die schmäler und schmäler im Halsgeschmeide
Aufgefädelten andern Karfunkel
Stolz überstrahlt der Stein in der Mitte: –
So stellte in Schatten die Stärke, die Schönheit
Meines Gatten Sigfrid die Söhne Gibichs.

19

Mich auch würdigte droben in Walhall
Höher die Schar der einherischen Helden,
Als alle Walküren des Königs der Götter.
Nun mein Teuerster tot ist, taug' ich zu nichts mehr,
Ein vom Wipfel gewehtes, verwelkendes Blatt.

20

Ihn such' ich umsonst nun im Sessel zum Plaudern;
Nun entbehr' ich im Bett des wonnigen Buhlen.
Wer beging die Sünde? Die Söhne Gibichs!
Wer hat mit Schwurbruch der eigenen Schwester
Den Gatten entseelt? Die Söhne Gibichs!

21

Euch wird, zum Weh des Volkes, Verwüstung
Der eigenen Marken den Meineid lohnen.
Nimmer des Goldes genießest du, Gunther;
Durch die roten Ringe verlierst du dein Leben,
Weil du den Schwager schwörend betrogst.

22

Trüber gestimmt in der Stadt war man niemals
Als an jenem Tag, da mein treuer Gatte
Sigfrid den Grani gesattelt hatte
Zum Ritt auf die Brautfahrt, Brunhild zu holen,
Die heillose Hexe, das höllische Weib.«

26

Zu 26. Daß diese Strophe nur zwischen 22 und 23 ihren richtigen Platz hat, bedarf keines Beweises. So nur wird alles verständlich, was bisher unentwirrbar rätselhaft schien.

Den ellernen Pfosten der Pforte umklammernd
Lauschte Brunhild. Brand lohte
Aus ihren Augen; Gift atmend
Blickte sie hin nach dem blutbefleckten
Ermordeten Sigfrid im Schoß der Gemahlin.

23

»Dort« – so rief sie Brunhild, dabei auf Gullrand deutend. nach Gudruns Rede,
» Dort ist die Hexe! Verdammt sei die da,
Weder Gemahlin noch Mutter zu werden,
Weil sie Gudrun Tränen vergießen lehrte
Und ihr viel zu zeitig die Zunge löste.«

24

Ihr erwiderte Gullrand, die Gibichstochter:
»Stumm zu bleiben, stünde dir besser;
Denn deine Worte sind die Verwünschung,
Mit welcher die Welt dein Urteil ausspricht.
Jeder schaudert vor dir und schilt dich
Aller Edeln Unheilsnorne.
Mit Elend, Verdammnis, Tod und Verderben
Suchtest du heim sieben Fürsten
Und mordetest mancher Frau den Gemahl.«

25

Bothels Tochter Brunhild versetzte:
»All dies Unheil hat Atli verschuldet,
Der Sohn des Bothel, mein Mitgeborner.
Als am hunischen Hof wir den Helden erblickten,
Geschmückt mit dem Golde des Giftwurms Fafner,
Da ward mir die Werbfahrt zum Keim alles Wehs;
Denn ihn ansehn und ihn ewig
Sehn wollen – war eins.«

Gudrun ging hierauf durch Wälder und Heiden
bis nach Dänemark, woselbst sie bei Thora, der Tochter
Hakons, sieben Halbjahre verweilte. Brunhild wollte
den Sigfrid nicht überleben. Sie ließ acht ihrer Knappen
und fünf dienende Frauen töten. Dann erstach sie sich
selbst mit dem Schwerte, wie das im kürzeren Sigfridsliede
erzählt ist.


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