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Harbartslied

Harbarđsliođ

0, 1

Von der Reise nach Osten
War Thôrr auf dem Rückweg.
Als die Sonne schon sank,
Erreicht' er einen Sund.
Ein Ferge hütete
Hüben sein Fahrzeug.
Da richtete Thôrr
Den Ruf an den Recken:

Zu 0,1. Diese Strophe:

Þórr fór aptr – or austrvegi
Ok kom at sundi siþ. – Fley var hinnig
Ok ferio hirđir. – Kallar Þórr á þegn:

geben einige Papierhandschriften an Stelle der prosaischen Einleitung:
Thôrr kam von der Ostfahrt an einen Sund. Auf der anderen Seite stand ein Fährmann mit seinem Boot. Da rief Thôrr:

Zu 1. a) Wörtlich: Wer ist so Dienerdiener (oder Knechtsknecht), daß er jenseits d. S. [müßig] steht, d. h. statt von selbst mich holen zu kommen, erst wartet, daß es ihm vom Oberfährknecht befohlen werde.

b) Wörtlich: Welcher Kerl aller Kerle schreit so über das Wasser? H. meint: Wer spielt sich da, obgleich er einen Korb auf dem Rücken trägt, also zu den allergeringsten Kerlen gehört, für einen vornehmen Herrn aus, indem er mich so gebieterisch anschreit?

Thôrr.

1

Was säumst du, Gesell,
Dort jenseits des Sundes?

Harbart.

Was erkühnt sich der Kerl,
So zu keifen von drüben?

Thôrr.

2

Setze mich über,
Ich sätt'ge dich morgen.
Im Korb, den ich trage,
Ist köstliche Speise.
Bevor ich ausfuhr,
Aß ich in Muße
Hering und Haferbrei;
Bin noch nicht hungrig.

Harbart.

3

Vorschnell prahlend
Preisest du dein Frühstück.
Was dich erwartet,
Weißt du wohl kaum.
Trübsal wirst du
Treffen daheim,
Tot, vermut' ich,
Die Mutter finden.

Thôrr.

4

Was jedem den größesten
Gram bringt, sagst du,
Indem du mir meldest
Den Tod meiner Mutter.

Harbart.

5

Du siehst mir nicht aus,
Als besäßest du drei
Ergiebige Güter.
Mit nackten Beinen,
In Bettlertracht stehst du
Und hast nicht mal Hosen an.

Thôrr.

6

Steure dein Boot
Von eichenen Bohlen
Hierher, dann hörst du
Wo mein Gehöft liegt.
Doch nenne mir den Eigner
Des Nachens, den am Ufer
Hüben du hältst.

Harbart.

7

Hildolf heißt er,
Für den ich ihn halte.
Am Radseysund wohnt
Der ratkluge Recke.
Nur Wohlbekannte
Und Würdige darf ich
Herüberrudern,
Nicht Roßdieb' und Räuber.
Drum nenne deinen Namen,
Wenn du willst übers Wasser.

Thôrr.

8

Vernimm denn meinen Namen,
Ob ich hier auch mich selbst
Zusamt meiner Sippe
Bei Freunden befinde:
Du siehst in mir den Sohn
Des Allvater Odin,
Den Bruder Meilis,
Den Vater Magnis.
Mit der Götter Gewaltigstem
Worte zu tauschen,
Wird dir zuteil;
Denn Thôrr bin ich.
Laß nun mich vernehmen
Auch deinen Namen.

Harbart.

9

Harbart heiß' ich,
Selten verhehl' ich's.

Thôrr.

10

Weshalb auch es hehlen,
Wenn nicht Schuld dich scheu macht?

Harbart.

11

Ob ich schuldlos auch bin,
Mein Leben zu schützen
Vor deinesgleichen
Dünket mir dienlich;
Bald läg' ich entleibt sonst.

Thôrr.

12

Meine Traglast nässend,
Zu dir hinüber
Durchs Wasser zu waten,
Das ist mir zu leidig;
Sonst lohnt' ich dir, Lümmel,
Dein Stichelgeschwätz
Am Gestade drüben.

Harbart.

13

Hier beharr' ich,
Am Strande stehend
Mit dir zu streiten.
Keinen so trotzigen
Gegner noch trafst du,
Seit du den Riesen
Rungner getötet.

Thôrr.

14

Du gestehst also, Kunde
Zu haben vom Kampfe,
Den einst ich bestand
Mit dem starkgemuten
Riesen Rungner?
Sein Haupt war von Stein
Doch ich stürzt' ihn in den Staub.
Was, Harbart, indessen
Hast du getrieben?

Harbart.

15

Fünf der Winter
Mit Fiölvar weilt' ich
Auf der Insel Allgrün,
Schlachten schlagend,
Feinde fällend,
So manches kostend
Und Mädchen küssend.

Thôrr.

16

Wie haben eure Weiber
Sich euch da bewährt?

Harbart.

17

Munter, aber minder
Weise, als wir wünschten,
Hübsch, aber hold uns
Minder, als wir hofften.
Aus fliegendem Sande
Flochten sie Seile;
In der Tiefe des Tales
Gruben sie den Grund aus.
Nur ich war allen
An Witz gewachsen.
In Liebeslust schwelgt' ich
Mit sieben Schwestern.
Was indessen, o Thôrr,
Hast du getan?

Thôrr.

18

Ich tötete Thiassi,
Den tobenden Riesen,
Den Sohn des Älwalt,
Und warf seine Augen
An den heiteren Himmel
Zu deutlichem Denkmal
Meiner Verdienste,
Den Sterblichen allen
Beständig nun sichtbar.
Was indessen, Harbart,
Hast du getrieben?

Harbart.

19

Mit mancherlei Minnekunst
Meistert' ich Nachthexen,
Entlockte sie listig
Ihren Geliebten.
Ich denk', ein gar derber
Riese war Dichtbart.
Sein Wünschelstäbchen
Gab er mir willig;
Entwendet mit dem
Hab' ich ihm seinen Witz.

Thôrr.

20

So vergaltest du böse
Die gute Gabe.

Harbart.

21

Was die eine Eiche
Verliert durch Windbruch,
Ist der andern Gewinn.
Für sich nur sorgt man
In solchen Sachen.
Was indessen, o Thôrr,
Hast du getan?

Thôrr.

22

Ich war auf der Ostfahrt.
Unhold' erschlug ich,
Bergwärts schleichende,
Boshaft listige
Buhlerinnen.
Zu mächtig würde
Die Menge der Riesen,
Ließe man alle
Leben bleiben.
Aus mit den Menschen
War' es in Mittgart.
Was indessen, Harbart,
Hast Du getrieben?

Harbart.

23

Ich wandert' in Welschland
Von Walstatt zu Walstatt,
Die Führer entzweiend,
Nie Zwiste schlichtend.
Von den fechtend Fallenden
Nimmt Odin die Fürsten
Und Thôrr in Besitz
Für sich das Gesindel.

Thôrr.

24

Du würdest, wenn dein Wille
Auch Wirkmacht hätte,
Unter die Asen
Ungerecht verteilen
Die Scharen der Tapfern.

Harbart.

25

Du hast Mark und Muskeln,
Nicht den mindesten Mut.
Du krochst in den Handschuh,
Verhehltest, daß du Thôrr seist;
Du wagtest in der Not
Weder zu niesen
Noch zu f....., aus Furcht,
Daß der Felsgigant höre.

Thôrr.

26

Du Schandmaul! Dich schickt' ich
Mit Hieben in die Hölle,
Wenn ich drüben am Strande
Den Arm nach dir streckte.

Harbart.

27

Was streckst du den nach dem Strand hier,
Wo Streit zu suchen
Doch nichts dich nötigt?
Was hast du, o Thôrr,
Noch ferner getan?

Thôrr.

28

Auf der Fahrt im Osten
Eine Furt verteidigt.
Die vom Stamme Schwarangs
Schwangen da Steine,
Warfen mit Felsen,
Doch mit wenig Erfolg.
Bald um Frieden
Mußten sie bitten.
Was indessen, Harbart,
Hast du getrieben?

Harbart.

29

Ich war im Osten
Und koste da mit einer.
In langem Verkehr
Belustigt' ich mich
Mit der Leinwandweißen.
Die goldig glostend
Gelockte beglückt' ich,
Und froh der Freuden
War da das Frauchen.

Thôrr.

30

So fandet ihr die Mädchen
Dort minnefügsam?

Harbart.

31

Sehr entbehrt hab' ich dort
Deines Beistands, Thôrr,
Zu des linnengleich weißen
Liebchens Gewinn.

Thôrr.

32

Auch hätt' ich den Weg
Dir wohl da gewiesen,
Wär' auch ich da gewesen.

Harbart.

33

[So gewiß, als fürwahr]
Ich getrost dir vertraut,
Daß du mich nicht betrögest.

Thôrr.

34

Ich bin kein Helfer
Wie der Hackenzerbeißer,
Der lederne, lange schon
Abgelegte Schuh
[Der schädigt, was er schützen soll].

Harbart.

Was hast du unterdessen
Getan, o Thôrr?

Thôrr.

35

Gebändigt auf Lesey
Berserkerdirnen.
Sie frevelten ruchlos,
Berückten die Leute
Mit listigen Ränken.

Harbart.

36

Du hast gefrevelt,
Frauen zu schlagen.

Thôrr.

37

Wölfinnen waren sie,
Kaum noch Weiber.
Sie stießen mein Schiff
Von den stützenden Pfählen.
Sie fielen mich an
Mit eisernen Fuchteln
Und trieben mir fort
Den getreuen Thialf.
Was, Harbart, indessen
Hast du getrieben?

Harbart.

38

Ich befand mich beim Heer,
Das die Fahnen erhoben
Zur Fahrt nach hier
Und sich rüstete, Speere
Rot zu färben.

Thôrr.

39

Zu 39. Die Lesarten der Handschriften: oliyfan, oliufan, olifian, olillian, olisbann – at broþa sind wohl samt und sonders verderbt. Den annehmbaren Sinn meiner Nachbildung erhält man aus der Konjektur ölu-bann, welche auch das für sich hat, daß sie die fehlende Alliteration herstellt. Ölu (oder auch olar) ist abzuleiten von ek ël, ich ernähre. Ölu-bann also Bannung, Verhinderung der Ernährung, des Wachstums der Nahrungsmittel. Thôrr ist vor allem Gott des Ackerbaues, in Harbart, der ihn mit seinem Tragkorb nicht über den Sund läßt, rätselnd verkappt eine der das Gedeihen der Saaten hindernden Naturmächte, wahrscheinlich kein anderer als Thôrrs ständiger Gegner Loki.

So gestehst du, dich uns
Entgegenzustellen,
Um Not zu stiften
An Nahrungsmitteln?

Harbart.

40

Zu 40. Die spiralig um den Arm gewundenen Baugen aus dreieckigem Draht von Edelmetall vertraten auch das Geld. Zum Geschenk, als Kaufpreis oder Bußezahlung wurde je nach Schätzung ein Stück abgedreht. Da nun der Inhalt dieser Strophe in der folgenden für Hohn von ausbündiger Frechheit erklärt wird, ihrem Wortlaute aber wenig oder gar nichts davon anzumerken ist, wird die Annahme unerläßlich, daß eine begleitende Geste Harbarts die Bosheit augenscheinlich macht. Ein oft scharfsinniger Edda-Kommentator des vorigen Jahrhunderts, Gunnar Paulson, meint: Harbart habe bei obigen Worten auf die innere Öse gezeigt, mit welcher der Schild auf den Arm gestreift wurde. Näher, denke ich, läge die Annahme, daß er ein zu seinem Boot gehöriges Tau emporhebt, eine Schleife davon bildet und diese Strickschlinge mit der Gebärde der Arm- oder gar Halsumschnürung als Handbauge bezeichnet.

Ich erbiete mich, dir's zu büßen
Mit dieser Bauge da,
Je nachdem, uns zu scheiden
In Frieden, die Schätzung
Der Schiedsrichter ausfällt.

Thôrr.

41

Von woher nur hast du
Die höhnischen Worte?
Noch niemals vernahm ich
So nadelscharfe.

Harbart.

42

Zu 42. Die Strophe hat im Original keine Spur mehr von Alliteration. Unverkennbar beabsichtigt hingegen sind ihre drei unreinen Reime: mönnom – enom – aldraenum, zu denen, statt eines vierten, das Schlußwort skogom noch ein schwaches Endsilbenecho nachbringt.

Die hab' ich von Leuten
Vergangener Zeiten,
Die mit Schattenhäusern
Sich jetzt bescheiden.

Thôrr.

43

Zu 43 und 44. Sinn und Zusammenhang sind sehr unsicher. Vielleicht hat man den Armringwitz 40 mit der dazu vermuteten Geste auszulegen als eine Drohung H.s, den Th. hinunterzuschicken in die Häuser der Schatten. Dann bedeutete 42: so scharf zu drohen lernte ich bei früheren Gelegenheiten, bei denen ich Längstverstorbenen nicht nur drohte, sie im Schattenreich wohnen zu lassen, sondern ihnen das auch wirklich antat, wie ich es dir nun antun möchte. Dann meinte die Antwort 43: Also dem ungeheuern Frevel einer Mordtat an mir gibst du den unschuldig klingenden Namen: Anweisung einer Schattenwohnung? Worauf H. 44 bejahend erwidert: Ganz recht! So leicht nehme ich nach der mir einmal eigenen Denkart solche vermeintliche Missetat.
Übrigens kann far, obwohl der Sinn Gefahr, Verderbenstat, hier am nächsten liegt, auch Fahrt bedeuten, also slikt far: solche Niederfahrt zu den Schatten. – Auch hieraus also ersähe man wieder, daß die Götter durchaus nicht für unsterblich galten.

Gelinde Benennung
Gibst du Leichenhügeln:
Du heißest sie beschönigend
Schattenhäuser.

Harbart.

44

Ja, so denk' ich eben
Von diesem Verderben.

Thôrr.

45

Dein freches Gekeife
Bekäme dir übel,
Wofern ich das Wasser
Durchwaten wollte.
Lauter als ein Wolf Heultest du wahrlich
Unter den Hieben
Von meinem Hammer.

Harbart.

46

Zu 46. Sif, Gemahlin Thôrrs, Personifikation des Saatfeldes. Loki schneidet ihr, als Herbst gedacht, das Goldhaar, die Ähren, ab. – Am Schluß der Strophe ergänze: als hier durch den unfurtbaren Sund zu waten.

Einen Buhlen beherbergt
Sif im Hause.
Ertappe du den
Bei seinem Getändel;
Deine Tapferkeit findet
Da tüchtig zu tun.
Weit schuldiger dir
Bist du dieses Geschäft.

Thôrr.

47

Dich reizt nur dein Maul
Zu Mißgerede;
Ersinnst dir Geschwätz,
Das am schwersten mich kränkt.
Ein falscher Teufel,
Ein tückischer Feigling,
Ein Verleumder bist du;
Ich weiß, daß du lügst.

Harbart.

48

Ich sage die Wahrheit.
Du säumst noch, zu wandern?
Weit hinweg schon
Wärest du lange,
Hättest an du gelegt
Andre Verlarvung. Andere Verlarvung; wie z. B. das Falkengewand der Freya zur Heimholung des Hammers.

Thôrr.

49

Du Lotterbube
Verlocktest mich listig
Zu langem Verweilen.

Harbart.

50

Ich hegte die Meinung,
Unmöglich sei es,
Daß ein Viehhirt in der Fahrt
Den Asathôrr aufhalte.

Thôrr.

51

Nimm redlichen Rat an
Und rudre herüber.
Laß ruhen den Hader,
Komm holen im Fährboot
Den Vater Magnis.

Harbart.

52

Umwandre das Wasser;
Dir Ferge zu werden,
Verweiger' ich fest.

Thôrr.

53

Wenn du dich weigerst,
Mich über das Wasser
Zu setzen, – so sag' mir
Wenigstens den Weg.

Harbart.

54

Der Mühe nicht wert ist's,
Dir das zu verweigern;
Doch weit ist der Weg.
Eine Stunde von hier
Siehst du stehn eine Stange;
Eine Stunde weiter
Einen Weiser von Stein.
Da lenke nach links,
So gelangst du nach Werland;
Da findet sich beim Sohn ein
Fiörgyu, die Mutter;
Die wird ihn die Wege
Der Verwandten lehren
Nach Odins Landen.

Thôrr.

55

Werde ich dort sein,
Bevor es dunkelt?

Harbart.

56

Zu 56. Mit Absicht zweideutig, wie Th. auch sogleich rügt. »Du wirst ankommen bei unweit vom Horizont stehender Sonne.« Aber ein »noch« oder »schon« hinzuzufügen, ist sorgsam vermieden; die Angabe kann also gleichgut »heut abend« wie »morgen früh« bedeuten.

Wenn du dich eilest
Und ordentlich anstrengst,
Wird überm Gesichtskreis,
Doch nahe dem Saume
Stehen die Sonne.

Thôrr.

57

Ich kürze die Zwiesprach,
Denn zweideutig rätselnd
Ist dein Gerede.
Wir treffen uns wieder;
Dann, trotziger Ferge,
Zahl' ich den Lohn
Der verzögerten Fahrt.

Harbart.

58

Zu 58. Gramir nicht »gespenstische Unholde«, sondern einfach die durch 46 so erfolgreich geweckten Qualen der Eifersucht. Eben den Entschluß Thôrrs, auf dem weiten Landwege heim zu hasten, hat H. erlisten gewollt. Triumphierend ruft er dem von dannen Eilenden nach: Peinige dich nun mit den dir aufgebannten »Gramen«. Unterwegs, meint er, mit der Wut, als Ehemann betrogen zu sein, daheim mit der Kränkung, deine Gemahlin Sif ihres Goldhaares beraubt zu sehen. – In betreff der Deutung unseres Liedes verweise ich auf Uhlands Sage von Thôrr.

So fahr' in die Ferne,
Wo Grimm und Gram
Sich deines Gemütes
Gründlich bemeistern!


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