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Mär von Rig

Rigsmal

Die Leute erzählen in alten Mären, daß einer von den Asen, namens Heimdall, seine Fahrt nach einer Meeresküste gerichtet. Da kam er an eine Stätte mit Häusern und nannte sich Rig. Nach dieser Sage wird folgendes gesungen:

1

Gewandert einst, sagt man, sei grünende Wege,
Mit raschen Schritten die Reise fördernd,
Ein stattlicher, stolzer und starker Ase,
Der wissensreiche, rüstige Rig.

2

In der Mitte des Weges weiter wandernd,
Sah er ein Pförtchen lehnen am Pfosten
Und trat in die Hütte. Kein Herd war vorhanden,
Auf dem Estrich von Lehm lohte das Feuer.

3

Gehüllt in Hadern hockte daneben
Ein in Arbeit ergrautes greises Pärchen,
Aï, der Ahn, und Edda, die Ure.

4

Er setzt' auf die Bank sich zwischen die beiden,
Und während sie saßen an seiner Seite,
Wußte Rig ihnen Rat zu geben.

5

Zu 5. skutill: ärmlichere Art von Tisch als bjođ, z. B. eine Bank, die als Eßtisch benutzt wird, in der Eile aus Planken hergestellte Tafel. – Das kulinarische Urteil des alten Heiden, der dies Lied verfaßte, verdient Anerkennung. Glücklicher konnte er die Bettelmahlzeit nicht satirisieren als mit der Angabe ihres köstlichsten Gerichts, des schlecht nährenden, daher dem kräftigen Manne höchst widerlichen gesottenen Kalbfleisches.

Auf jetzt nahm aus der Asche Edda
Einen klebrigen Kloß von Mehl und Kleien
Und brachte dann mehr zum Mahl auf den Brettisch;
Sie tischte noch auf Teller von Tunke
Und gekochtes Kalbfleisch als köstlichste Labe.

6

Dann erhob sich Rig zur nächtlichen Ruhe,
Suchte das Lager und legte sich nieder
Zwischen den beiden inmitten des Betts.

7

Das nämliche tat er drei folgende Nächte;
Dann wich er von hinnen und wanderte weiter. –
Als zum neuntenmal der Mond sich erneute.

8

Zu 8. Thräl = Knecht. – Daß der hier verloren gegangene Halbvers von den Knien (kné, knja, knjam – knjom) handelte, ist mit Sicherheit zu schließen aus der vorbereitenden Alliteration kropnir knuar.

Ward ein Bube von Edda geboren,
Welchen sie weihend mit Wasser benetzten.
Sie hießen ihn Thräl. Er war schwarz und häßlich,
Doch wuchs und gedieh er zu derben Kräften.
In der Haut der Hände schwollen ihm Schwielen,
An den Knöcheln bekam er knorplige Knoten,
Auf gebogenen Beinen knickten die Knie.
Sein Rücken war schief, weit ausgeschoben
Nach hinten die Fersen, dick die Finger
An seinen Tatzen, das Antlitz tierisch.

9

Er lernte verwenden die Leibesstärke,
Mit Bast verbundene Bürden tragen
Und Holz zum Brennen nach Hause bringen.

10

In eben den Weiler kam auch ein Weibsbild,
Das sich lahm gelaufen, mit schwärenden Löchern
In ihren Sohlen. Die sengende Sonne
Hatte ihr braun gebrannt die Arme.
Gewippt und niedrig war ihre Nase,
Thyra der Name der täppischen Magd.

11

Die setzte sich breit auf die Mitte der Brettbank
Und neben ihr hockte der Sohn des Hauses.
Bei Geplausch und Geplapper vergaßen die Plage
Ihrer traurigen Tage Thräl und Thyra
Und lagen die Nächte nebeneinander.

12

So hielten sie Haus und bekamen Kinder.
Die hießen, wie ich höre, Hirtmann, Schreihals,
Flegel, Fleischbauch, Flausenmacher,
Lümmel, Leckermaul, Lästerzunge,
Schneckschritt, Schnupfig und Baldimbette.
Sie umgrenzten die Äcker mit Rain und Graben,
Zogen Zäune, hüteten Ziegen,
Stallten die Schweine und stachen den Torf.

13

Die Töchter hießen Tappfuß, Humpel,
Wadendick, Wippnas, Maulreiß, Mühfroh,
Schnippig, Schnepfbein und Haderhemdle.
Von jenen Dienern und diesen Dirnen
Knospen her die hörigen Knechte.

14

Richtige Wege weiter wandernd,
Erreichte Rig ein Haus. Unverriegelt
Sah er die Pforte lehnen am Pfosten.
Im Hause fand er auch hier das Feuer
Auf der Tenne von Ton; doch tätig saßen
Bei ihrer Arbeit die Eheleute.

15

Er schnitzt' eine Stange zum Webegestelle.
Sein Bart war geschoren, sein Haar gescheitelt
Und sauber gekämmt, sein Kittel gegürtet;
Eine Kiste stand auf dem Estrich der Stube.

16

Sie wickelte fleißig Flachs um den Rocken
Und spann auf die Spule den feinen Faden.
Den Kopf umschmiegte ein schmuckes Käppchen.
Ein leinener Latz an Schulterlitzen
Verbarg den Busen; ein Bindetüchlein
Umhüllte den Hals. So hielten behäbig
Haus dort Afi und Mutter Amma.

17

Rätliches lehrte Rig die Gatten.
Nach der Mahlzeit, ermüdet und schläfrig,
Sucht' er das Lager und legte sich nieder
Zwischen den beiden inmitten des Betts.

18

Das nämliche tat er drei folgende Nächte. –
Als zum neuntenmal der Mond sich erneute,
Ward ein Bube von Amma geboren.
Nachdem sie ihn weihend benetzt mit Wasser,
Wickelt' ihn die Mutter in Windeln von Leinwand.
Sie nannten ihn Karl. Die Wangen des Kindes
Blühten rosig, sein Haar war rötlich;
Munter in die Runde rollten die Äuglein.

19

Er wuchs und gedieh zu derben Kräften,
Zähmte den Zugstier, zimmerte Pflüge,
Baute Scheuern und Schindelhäuser,
Formte Gefäße und furchte den Acker.

20

Man brachte dem Karl zur Braut ein Mädchen
Zu Schlitten ins Haus, mit Schlüsseln behangen,
In zierlichem Pelz von Ziegenfellen.
Im leinenen Schleppkleid und langen Schleier
Nahm die schnell ihren Sitz als Schnur ein.
Sie wechselten Ringe und wohnten zusammen,
Breiteten Laken aufs bräutliche Lager,
Hielten Haus und bekamen Kinder.

21

Wacker, Weidner, Köllmer, Käthner,
Beilmann, Bauer, Bindgarb, Breitfeld,
Baumann, Bodmer, Borstkinn und Gernherr
Hießen die Bursche. Die Töchter der beiden

22

Zu 22. Es ist beachtenswert, daß von diesen witzelnd erfundenen Weibernamen keiner anspielt auf die Stellung, die häuslichen Pflichten oder Feldarbeiten der Bauersfrau. Während sich die Mannesnamen auf Rangstufen im Bauernstande, auf Besitz oder irgendeine landwirtschaftliche Tätigkeit beziehen, bezeichnen diese Frauennamen nur allgemeine weibliche Sinnesart und Charaktereigenschaften. So machen sie den Eindruck beabsichtigter Satire auf standesvergessene Hoffart, Putzsucht und arbeitsscheue Vornehmtuerei der dem Dichter zeitgenössischen Bauersfrauen.

Hießen Spaßig, Bräutle, Schmucklieb,
Heftig, Hochhinaus, Prahlig, Mannlieb,
Schämig und Heldisch. Aus deren Schoße
Wurde geboren das Bauerngeschlecht. –

23

Weiter wandernd auf richtigen Wegen,
Gelangte Rig an ein reicheres Haus,
Das nach Süden stand mit der Stirnseite.
Unverriegelt, versehn mit dem Ringgriff,
Lehnte die Pforte am Pfostenrahmen.

24

Drin fand er mit Fliesen den Boden gepflastert.
Da saßen gemächlich Vater und Mutter,
Mehr eins nach dem andern die Augen richtend,
Als das leichte Geschäft ihrer Finger beschauend.

25

Er seilerte sich von Darm die Sehne,
Bespannte den Bogen, bespitzte Bolzen;
Sie bügelte Leinwand glatt und glänzend,
Steifte mit Stärke Ärmelstülpchen
Und äugelte eitel nach ihren Armen.

26

Sie faltete keck nach oben ihr Kopftuch;
Ihr schmückte die Brust ein gülden Geschmeide.
Blau war ihr Leibkleid, lang die Schleppe
Des wallenden Gewandes; breit ihre Brauen,
Die Brust und der Hals heller als Schnee.

27

Auf die Mitte der Bank, zwischen den beiden,
Setzte sich Rig und gab ihnen Rat.

28

Drauf holte die Mutter ein musterbuntes
Tafeltuch und deckte den Tisch,
Die Teller befleihend mit dünnen Fladen
Und Wecken vom weißen Mehle des Weizens.

29

Sie füllte Schüsseln von schimmerndem Silber
Mit gespicktem Wildpret, spießgaren Wachteln,
Aus Kannen voll Wein die vergoldeten Kelche.
So saß man trinkend und traulich plaudernd,
Bis der Tag sich neigte zum nächtlichen Dunkel.

30

Nun erhob sich Rig und suchte das Ruhbett,
Und genau so hielt er's drei folgende Nächte.
Dann wich er von hinnen und wanderte weiter. –
Als zum neuntenmal der Mond sich erneute,

31

Gebar einen Buben die Mutter. Den band sie
In Windeln von Seide. Man weiht' ihn mit Wasser
Und tauft' ihn Jarl. Die Löckchen des Jungen
Leuchteten blond, seine Wangen blühten.
So scharf und schlau, wie 'ne kleine Schlange
Zu blinzeln pflegt, blitzten die Augen.

32

Daheim erwuchs er und ward unterwiesen
Den Schild zu schütteln, die Sehne zu seilern,
Den Bogen zu spannen, Bolzen zu spitzen,
Den scharfen Pfeil, den Schaft zu schießen,
Rosse zu reiten, mit Hunden zu hetzen,
Das Schwert zu schwingen, den Sund zu durchschwimmen.

33

Da kam aus dem Forst und ward sein Gefährte
Der wandernde Rig und lehrt' ihn die Runen,
Sagt' ihm, er sei sein leiblicher Sohn,
Dürfe sich nennen mit seinem Namen
Und erben von ihm als Eigentümer
Adelsäcker und Ahnengehöfte.

34

Nachmals ritt er nächtliche Wege
Durch Nebelgebirg' und erreicht' eine Burg.
Da schüttelt' er den Schild, da schwenkt' er den Schaft,
Da spornt' er den Hengst und hieb mit dem Schwert,
Da reiht' er seine Recken, da schlug er Schlachten,
Da wurde vom Blute rot das Blachfeld,
Da fielen die Feinde – das Land war sein Lohn.

35

Zu 35. Um schon durch den Text die Anschauung zu vermitteln, die man sich von den Baugen aus den Altertumsmuseen holen kann, habe ich die drei Worte des Originals hió sundr baug, »hieb entzwei Bauge«, sinngemäß in zwei Langzeilen ausgeführt

Alleingebieter in achtzehn Burgen
Beteilt' er alle mit teuren Geschenken,
Geschliffenen Steinen, schlanken Stuten,
Mit reichlich gewährten roten Ringen.
Er schnitt sogar von der goldenen Schnecke
Um den eigenen Arm einen Umlauf ab.

36

Feuchte Wege fuhren die Fürsten
Nach einem Gehöft, das ein Herzog bewohnte.
Da kam dem Jarl eine Jungfrau entgegen
In feiner Kleidung, so klug als reizend
Und von adliger Art, Erna geheißen.

37

Werber fuhren in stattlichen Wagen
Die Jungfrau heim in das Haus des Jarl,
Und sie legte für ihn das Verlobungskleid an.
Innig verbunden blieben die beiden,
Erzielten zahlreichen Nachwuchs, genossen
Lange Jahre die Lust des Lebens.

38

Zu 38. Bedeutung der Namen: 1. D. Geborene; 2. Knabe; 3. Edling; 4. Nachkomme oder Bruder, denn jođis und joþdis = Schwester; 5. Erbe; 6. zum Geschlecht gehörig, auch Stammhalter; 7. Sprößling; 8. Enkel; 9. Blutsverwandter; 10. von vornehmer Herkunft, Prinz.

Bur hieß ihr Ältester, Barn der zweite,
Die andern Adal, Jod und Arfi,
Mögur, Nidur, der achte Nidjungr,
Der neunte Kundur, der jüngste Konr.
Mit ihren Gesellen spielten die Söhne,
Warfen die Würfel, schwammen im Wasser.

39

Wacker wuchsen die jungen Jarle,
Zähmten die Zelter, pochten sich Panzer,
Schärften Geschosse, schüttelten Schäfte.

40

Konr, der letzte, lernte Runen,
Runen, die richtigen Rat erteilen
Zu langem Leben und Heiliges lehren.
So verstand er es bald, dem drohenden Stahle
Die Schärfe zu stumpfen, den Sturm zu beschwören
Und Menschen zu retten aus Meeresgefahr.

41

Ihm waren verständlich die Stimmen der Vögel,
Loderndes Feuer linderte, löscht' er,
Stillte Sorgen und machte die Stärke
Von acht Männern sich einem zu eigen.

42

Er wagte mit Rig Runenwettstreit
Und bewährte sich kund'ger in vielen Künsten.
So kam er in Ruf, so gewann er das Recht,
Selbst Rig zu heißen und Runenmeister.

43

Einst jagte Konr, der Jüngling, eifrig
Im niederen Dickicht, im dunkeln Walde,
Nach Vögeln fahndend und Pfeile schießend.

44

Da krächzt' eine Krähe vom Eichenaste:
Fürstlicher Jüngling, was soll dein Jagen
Und Vogelstellen? Dir ständ' es feiner,
Rosse zu reiten, rot zu färben
Das Feld des Gefechts und Feinde zu fällen.

45

Zu 45. Der Schluß des Liedes ist verloren. Man vermutet, daß es dem Isländer Jonsson Armgrim, der gegen Ende des 16. Jahrhunderts »Ergänzungen zur Geschichte Norwegens« schrieb, noch vollständig vorgelegen und das noch folgende Stück seine Quelle gewesen sei für eine sonst nirgends bezeugte Sage von der Entstehung Dänemarks, in welcher die in der letzten Strophe unseres Fragments angeführten Namen Dan und Danpr wiederkehren. Danach hätte Rigsmal noch erzählt, wie Rig-Konr die Dana, Tochter Danprs, eines Fürsten zu Danpsted, geheiratet, und wie sich der Sohn dieser beiden, Dan, zum König aller Dänen aufgeschwungen.

Denke daran, daß Dän und Danpr
Bessere Burgen, bess're Gebiete
Und Äcker als die eurigen eignen.
Sie sind Meister der Kunst, Kiele zu steuern,
Schwerter zu wetzen, Wunden zu schlagen ...


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