Willibald Alexis
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
Willibald Alexis

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Dreizehntes Kapitel.
Auch Vater und Sohn.

Wenige Minuten nach dieser Szene erhielt Walter van Asten ein Billett von seiner Braut, so geeignet, ihn aus seiner Ruhe aufzureißen, als es von Adelheids äußerster Unruhe Zeugnis ablegte. Er erkannte in den wild hingesprühten Worten seine besonnene, klare Freundin nicht wieder. Er verstand das ganze Billett nicht, denn zu Anfang sprach es von einem Abgrunde, an dem sie schaudernd stünde, sie strecke vergebens die Arme nach Hilfe aus, dann entzifferte er in den von Tränen ausgelöschten Worten, daß er sie retten könne; aber die Schlußworte widerriefen das Vorangehende. Sie sei in einem Fieberzustand, er möge nicht auf sie hören, sie lassen, wo sie sei, sich selbst, ihrem Schicksale überlassen. Wenn sie unterginge, sei es vielleicht das beste für ihn und sie. Gewiß, gewiß, sie werde sich auch dann erholen, die Geheimrätin habe sie nur prüfen wollen, hinter dieser Medusenmaske schlüge vielleicht ein gefühlvolles Herz. Sie drang in ihn endlich, nicht zu kommen, sich durch nichts stören zu lassen, was er höre.

Wenn sie das gewollt, warum nur die Nachschrift? Warum hatte sie den Brief nicht zerrissen, einen neuen geschrieben oder die Absendung ganz unterlassen? Sie befand sich also in einer Aufregung, welche ihr die Besinnung geraubt, und in diesem Zustande hatte ihr Herz nach ihm verlangt. An ihn hatte sie zuerst gedacht, als sie nach Rettung aufschrie. Die Resignation war erst nachher gekommen. Er war aufgesprungen, sein Entschluß gefaßt, nur ihrem ersten Willen zu gehorchen, und eben hatte er den Oberrock vom Nagel gerissen, als ein zweites Billett von unbekannter Hand ihm überbracht ward. Der Bote war verschwunden, das Wirtsmädchen hatte nicht nach dem Absender gefragt, und der unterzeichnete Name, als er es aufgerissen, war ihm fremd. Jemand, der sich einen Sekretär des neuen Ministers nannte, forderte ihn auf, sich morgen in einer Frühstunde bei demselben melden zu lassen, indem Seine Exzellenz ihn kennenzulernen wünsche. Auch hier ein Postskript des Inhalts, daß der Minister bereit sei, ihn schon heute nachmittag zu empfangen. Die Stunde war benannt, und Walter hätte eben nur Zeit gehabt, seine Toilette danach einzurichten, wenn er der letzteren Weisung, die fast wie ein Befehl klang, hätte Folge leisten wollen.

Was wollte der Minister von ihm? – Natürlich, er hatte seine Schrift gelesen, seine Ansichten hatten ihn angesprochen, er wollte mit dem Verfasser – »Endlich!« brach es von seinen Lippen, und seine Stirn klärte sich auf, aber der Glanz verschwand schnell wieder. Nach so vielen Enttäuschungen vielleicht eine neue! Hatte ihm nicht ein ängstlicher Freund aus der Schulzeit zugeflüstert, daß er aus höheren Kreisen gehört, wie man seine Vorschläge für naseweis halte, daß seine Anmaßung eigentlich eine Rüge verdiene? Und bedurfte es für ihn solcher Zuflüsterung nach der eigenen Erfahrung, die er bei einem befreundeten Minister gemacht! Zwar, nach seinem Ruf im Publikum, war der neuen Ideen zugänglich, er hege selbst großartige Pläne, aber er sei eigensinnig, hieß es, dringe damit nicht durch, darum verdrießlich, und jetzt so gut wie ohne Einfluß. Auch er mochte ihn nur warnen wollen.

Aus dem Zweifel, ob er den Überrock oder den Frack anziehen solle, riß ihn ein neues Klopfen, eine neue Überraschung. Sein Vater trat in die Stube. Er war noch nie hiergewesen, aber auf seinem Gesicht ersah man nichts von der Verwunderung, welche sich auf dem des Sohnes ausdrückte, weder eine freudige noch eine betrübte. Er reichte dem jungen Mann die Hand: »Ich muß doch auch mal sehn, wie's dir geht«, und setzte sich, wie ermüdet vom Wege, auf einen Sessel.

»Ein unerwarteter Besuch, mein Vater.«

»Da du nicht zu mir kommst, um zu sehn, wie's bei mir aussieht, muß ich zu dir kommen, um zu sehn, wie's bei dir aussieht. Wir kommen ja sonst ganz auseinander.«

»Das hab ich nie gefürchtet, und Ihr Besuch bestätigt meinen Glauben«, sagte Walter, während der Vater seine Blicke flüchtig umherschweifen ließ.

»Nu, das ist ja alles recht hübsch ordentlich. Deine Lektionen müssen auch schon was Erkleckliches eintragen, freilich, und die Schriftstellerei auch! Um wen man sich so reißt, daß man gar kein Exemplar mehr kriegt, und wenn man's mit Gold aufwiegt. Schreibst du wieder was Neues?«

»Es würde Sie sowenig interessieren als das alte.«

»Du willst, wie ich höre, die Bauern verbessern. Das ist hübsch. Mach nur die Lümmel gescheit. Du erinnerst dich wohl nicht mehr, als wir Niederlanken gekauft hatten.«

»Doch, mein Vater. Sie sahen sich genötigt, es wieder zu verkaufen, weil die Bauern mit den Hofediensten schwierig waren.«

»Weil ich kein Adliger sei, sagten die Schlingel. Weißt du, wie ich es jetzt machen würde? Ich nähme einen Edelmann als Kompagnon.«

»Sie nahmen auch Juden, was manchen an der Börse verdroß.«

»Juden, Heiden, Atheisten, je wie sich's zum Geschäft paßt. Ein Kaufmann muß Augen und Ohren aufhaben. Wo's gilt, schnell zugegriffen, verlegene Ware fortgeschmissen à tout prix. Er muß mit der Zeit fortschreiten. Das tust du ja wohl auch?«

»Ich fürchte, die Zeit schreitet über uns fort.«

»Ja, ja, sie hat jetzt lange Beine.«

»Mein Vater, ich kenne Sie, und ich glaube, Sie kennen mich. Sie haben den sauren Weg, der mich erfreut und beschämt, nicht ohne Absicht angetreten?«

»Wer fällt denn gleich mit der Türe ins Haus? Ich wollte mit dir vorher ein bißchen über Krieg und Frieden diskurrieren, europäische Weltverhältnisse. Du bist ja jetzt ein Politiker, und ich hoffe, doch noch immer mein Sohn, der mir mit Rat und Tat zur Hand sein wird, wenn es seines Vaters Wohl gilt.«

»Zum Spotten ist die Zeit zu ernst.«

»Was, spotte ich? Geht einen Kaufmann Krieg und Frieden nichts an?« Der Alte stampfte mit seinem Rohr auf den Boden. »'s ist Ernst, Herr Sohn. Wenn ein Kaufmann Schiffe auf der See hat, so geht ihn der Sturm sehr viel an; und wenn die Portepeefähndriche bis zu den Generalen hinauf in seinen Büchern stehen, so ist ihm ihr Leben noch viel teurer als dem Vaterlande.«

»Als ein umsichtiger Kaufmann, wie ich Sie kenne, werden Sie Ihre Unternehmungen nach den letzten kritischen Zeitumständen eingerichtet haben.«

»So? Hoffst du das?«

»Sie mußten den Krieg als wahrscheinlich im Auge haben und Ihre Spekulationen, wenn nicht darauf einrichten, doch danach abmessen.«

»Wenn ich nun auf den Frieden spekuliert hätte!«

Indem Walter seinen Vater aufmerksam betrachtete, suchte er, ob hinter der barocken Wolke, mit welcher van Asten seinen wahren Gesichtsausdruck zu verbergen wußte, nicht eine andere Stimmung lauere. Doch keiner der schlauen Blicke züngelte zu ihm auf; er saß, die Hände auf den Stock gestützt, seine Augen auf den Boden gerichtet.

»So bin ich wenigstens davon überzeugt, daß Sie Ihr Geschäft übersehen haben. Wenn eine Unternehmung Ihnen fehlschlüge, werden Sie nicht selbst geschlagen sein. Des Renommee des alten Hauses van Asten und Kompanie –«

»Die ältesten Häuser stürzen beim Erdbeben. Krieg ist ein Erdbeben. Lerne was von mir, was dir gefallen wird: ein Kaufmann, der immer nur auf Nummer Sicher setzt, hat bald ausgewirtschaftet.«

»Mein Vater, wenn Sie auf den Frieden Ihr alles setzten –«, sagte Walter nachdenklich.

»So ist wieder Unfriede zwischen uns«, fiel der Alte ein, »denn du hast dein alles auf den Krieg gesetzt. Ich weiß es.«

»Was ist mein alles, Vater!«

Der Kaufmann winkte ihm mit der Hand, zu schweigen. »Ich weiß es ja, darum kam ich nicht her. Ich will nicht richten mit deinen heroisch patriotischen Stimmungen, ein guter Geschäftsmann kann auch damit etwas anfangen, wenn die Leute danach sind! Da aber die Leute nicht danach sind, so – habe ich meine Rechnung auf den Friedensfuß gesetzt.«

»Und die Armee –«

»Ist auf den Kriegsfuß gesetzt, das heißt, der Lieutenant kriegt soundso viel, und der Obrist soviel Zulage. Die bezahlt der Schatz, und wenn keiner da ist, der Bürger und Bauer. Nun sehe ich aber nicht ab, was der Fuß in Stiefel und Sporen mich bange machen soll, wenn der ganze Leib noch im Schlafrock steckt.«

»Der Schlafrock wird ihnen abgerissen!«

»Bist du auch dabei?« Jetzt erst warf der Alte einen seiner schlauen Blicke zu ihm hinauf. »Man will heut in der Komödie ein paar Raketen in die Luft schicken. Das Sprühen und Prasseln soll gewissen Leuten die Augen und Ohren öffnen. Wenn sie nun aber absolut nicht sehen und hören wollen! Kinder sollten nicht mit Feuerzeug spielen.«

»Sie wissen, daß wir wirklich das verlassene Hannover besetzt haben.«

»Und wir verproviantieren die Franzosen in Hameln.«

»Aus dieser Zweideutigkeit Preußen herauszureißen ist jetzt die Aufgabe aller Besseren.«

»Und du siehst, der König zaudert, wie er vorhin gezaudert. Kaiser Alexander selbst mußte kommen, um ihn zu elektrisieren. Nun der Exekutor fort ist, fallen wir in unsere Natur zurück. Wie sagt doch da der Lateiner von der furca expellas?«

»Wenn der Degen zu Dreiviertel aus der Scheide gerissen ist!«

»So steckt immer noch ein Viertel drin, und das kann man so langsam rausziehen, bis es zu spät ist und der Krieg an der Donau vorüber ist. Bonaparte hat Wien genommen, weißt du das schon? Die beiden russischen Heere unter Kutusow und Buxhövden werden Mühe haben, sich um Olmütz zu vereinigen. Die Nachricht kam eben auf der Börse an.«

»Wien genommen!« rief Walter. »Und Haugwitz?«

»Hat sich von Bonaparte hinschicken lassen, weil in Wien ein Gesandter am besten aufgehoben ist. Der Kaiser hat sehr viel Rücksichten gegen ihn gehabt, fand es unschicklich, daß ein preußischer Minister und Diplomat sich im Heerestroß mitschleppen lasse.«

»Und Haugwitz ließ sich fortschicken?«

»Was wird er nicht! Er liebt die Kommodität. Sehr langsam reist er schon, damit ihm kein Unglück widerfahre. Und hat gewiß recht gehabt; ein Unglück, was unserm Premierminister zustieße, wäre ja eines für den ganzen Staat!«

»Und er traf ihn –«

»In Brünn gerade bei den Vorbereitungen zu einer neuen Schlacht. Da hatte Napoleon natürlich keine Zeit, sich mit ihm zu unterhalten. Wenn ich zur Messe in Leipzig bin und meine Bude vollsteht von Juden, Türken und Armeniern, wo es einen Handel gilt um alle meine Waren, und die Spitzbuben wollen mich übers Ohr hauen oder ich will sie, was bei einem Kaufmann auf eins rauskommt, und da käme ein lieber Sohn oder Kommis von einem Geschäftsfreunde, den ich zum Teufel wünsche, um sich mir zu präsentieren und mir Freundschaftsversicherungen zu machen oder mir guten Rat zu geben, wie ich mit den Juden handeln soll, glaubst du, daß ich solchen ungelegenen Gast anhörte? – Ich schmisse ihn zur Tür raus. Nein, Napoleon war höflicher, sagte zu ihm: ›Lieber, jetzt habe ich keine Zeit, gehn Sie nach Wien und warten, bis ich Zeit habe, dann wollen wir sprechen.‹«

»Und Haugwitz schüttelte nicht die Toga! Er ließ nicht die zweimal hunderttausend Bajonette zwischen seinen Drohworten klirren.«

»Drohworte! Er ist ja ein feiner, gebildeter Mann!«

»Aber sein Auftrag –«

»Kennst du den? Ich kenne ihn nicht. Es werden hier nicht zehn, nicht drei sein, die ihn kennen. Soviel man uns schreibt, sprach er als ein tiefgekränkter Freund, daß Napoleon die guten, wohlmeinenden Ratschläge, die Preußen ihm gegeben, so außer acht gelassen. Oh, ich zweifle gar nicht, er wird sehr sanft und elegant gesprochen haben – schade, sehr schade, daß Napoleon gerade nicht den Ossian las, sondern sich die Reiterstiefel anzog.«

Walter war auf einen Stuhl gesunken und barg sein Gesicht im Arme. Als der Vater den Seufzer hörte, den er unterdrücken wollte, stand er leise auf und berührte sanft die Schulter des Sohnes:

»Mein lieber Walter, dein Vater hat doch wohl recht gehabt. Wenn wir uns sonst nicht vertrugen, weil deine Gedanken woanders hingen als meine, so mag ich unrecht gehabt haben. Gedanken sind zollfrei, und ich dachte als Kaufmann nur an die Ware. Solange man im Schmetterlingskleide über die bunten Wiesen flattert, da lasse man doch die Kinder spielen. Ich bitte dich um Verzeihung, daß ich damals meinte, ich könnte dich mit einem Bindfaden leiten, den ich an deine Flügel band. Aber wenn der Schmetterling sich verpuppt hat und aus den Gedanken Pläne werden, wenn sie die Ideen marktgerecht zurichten und an den Mann bringen wollen, ist's was anderes. Nun, sehe jeder, wie er's treibe. Du bist jetzt ein Mann, ein Kaufmann für dich; wenn du spekulierst, mußt du so gut wie dein Vater auf ein Fallissement gefaßt sein. Dein Vater würde sich zu schicken wissen in das, was nicht zu ändern ist, und du auch; du bist mein Sohn. – Aber wenn man für den Staat spekulieren will, ist das erste, daß man sich die Menschen ansieht, die, für die man spekuliert – die Leute, ob sie danach sind. Die Gedanken, oh, die sind wunderschön. Aber was sind Ideen ohne Menschen, die sie tragen! Das große Vaterland, oh, das ist das Erhabenste, was es gibt, wer wollte nicht dafür Gut und Blut opfern! Wenn nun aber das Vaterland bloß Erde und Stein wäre und die Menschen ausgestorben? Würdest du dafür auch dein Blut dransetzen? Oder die Menschen drin wären alle blind oder taub oder Kretins. Ja, ich weiß doch nicht, ob es recht wäre, sich selbst darum hinzugeben, für eine große Blindenanstalt, für ein Taubstummeninstitut oder gar für ein Haus voll lauter Blödsinnigen. Mein lieber Walter, dein Vater hat sich nun durch ein Menschenalter die Menschen angesehen, wie sie sind, und darum hat er jetzt auf den Frieden spekuliert, und ich glaube, er hat recht spekuliert.«

»Diese!« rief Walter aufstehend. »Ja, die Sie meinen, aber es gibt andere.«

»Wer zweifelt daran! Es gibt überall gute, rechtschaffene, kluge, sogar ausgezeichnete Menschen, es kommt nur eben darauf an, ob die Klugen die Dummen und die Guten die Schlechten überwiegen oder umgekehrt. Mein Sohn, ich will dir zugeben, daß euer recht viele sind, die fühlen und sagen: So geht es nicht mehr! Da's aber noch immer so geht, so müssen diese vielen doch immer noch die Schwächeren sein, sie dringen nicht durch, die andern bleiben am Ruder, und wer am Ruder sitzt, steuert, wohin er will, meinethalben ins Verderben; auf den blicken alle, der entscheidet, auf den kommt es an, in welchen Hafen das Schiff treibt. Ist Haugwitz abgesetzt, Beyme fortgejagt, Lombard eingesperrt? Deine Besseren und Edleren schreien freilich überall, es müsse so kommen. Noch aber ist es nicht gekommen. Umgekehrt. Die Prinzen, die Königin, so viele berühmte Generale, der halbe Hof, die Prinzessinnen an ihrer Spitze, kabalieren und verschwören sich beinahe an den Straßenecken gegen sie, und Lombard trinkt seine Schokolade und sein Weißbier so vergnügt wie vorher, Beyme macht alles, und was er redet, ist des Königs Rede, und Haugwitz ist zu Napoleon geschickt, um – die Rechnung zu arrangieren.«

»Sie gehen vor keinem Bilde Friedrichs vorüber, ohne den Hut abzunehmen, und, Vater, so gering schätzt ein Verehrer des großen Königs dessen Volk?«

»Weißt du noch unsere Tapeten aus Arras? Vor denen habe ich auch großen Respekt. Die da in unserem Eßzimmer stellen den Trojanischen Krieg vor. Was hat der Äneas für schöne karmesinrote Kniehosen an! Das Prachtstück ist auch viele Generationen in unserer Familie, König Franz I. hat es einmal in einem seiner Schlösser an der Wand gehabt. Darum kriegtet ihr Kinder auch immer Klapse auf die Finger, wenn ihr dran polktet. Sind mir auch jetzt nicht feil! Nimm sie aber mal ab und halte sie gegen die Sonne! Wie ein Sieb von Motten! Und bringe sie auf die Messe. Wenn's kein Raritätensammler ist, so frage, was sie dir bieten. Abgestandene Ware findet auf dem Markt keine Käufer.«

Walter schwieg einige Augenblicke; dann rief er: »Und scheine es heut nur Rost für den Raritätensammler, ein Geist wie Friedrichs kann nicht wie ein Meteor durch die Weltgeschichte geleuchtet haben, er kann nicht versunken sein ins Meer der Ewigkeit, ohne daß seine Strahlen gezündet und gezeugt haben. Andere Geschlechter müssen kommen, welche, wenn Rost und Schlacke abgeworfen, seinen Geist in seinem Volke widerspiegeln.«

»Das verstehe ich nun nicht«, sagte van Asten, der wieder Platz genommen hatte. »Mit der Ewigkeit hat ein Kaufmann nichts zu schaffen. Was er heute einkauft, will er morgen absetzen. Walter, sieh dich da recht vor, daß du nicht zu kurz kommst. Das, wie gesagt, ist nun deine Sache, aber warum kam ich doch gleich? Ja so – wirst du heut abend in die Komödie gehen?«

Walter suchte umsonst in dem wieder schlauen Blick des Vaters nach dem Sinn der Frage:

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Nun, ich meine, ob du auch einen Schwärmer abbrennen wirst? Man spricht von einem wunderschönen Kriegsliede, das sie singen wollen.«

»Ich billige diese Theaterszenen nicht, wo es eine große, ernste und heilige Sache gilt.«

»So! Na, das ist mir auch recht lieb, daß du dich nicht unter die Offiziere mengst. Die haben es bestellt. Ich glaubte nur von wegen des Liedes, weil du auch Verse machst. Ins Theater wirst du aber doch gehen, ich meine, ganz simpel?«

»Ich war noch nicht entschlossen.«

»Dann tu's mir zu Gefallen. Aber nicht ins Parterre. Da wird man zu sehr gedrängt. Ich habe dir im zweiten Range Logenbilletts genommen.«

»Mir?«

»Dir und der Cousine Schlarbaum. Die muß doch den Spektakel mit ansehen, und hat keinen, der sie führt. Ich, weißt du, geh nie ins Theater, da habe ich dich ihr vorgeschlagen.«

»Also darum –« Eine flüchtige Röte belebte Walters Gesicht, und ein schmerzlicher Zug ging um seinen Mund. »In dieser Angelegenheit, dachte ich, wären wir im reinen.«

»Du meinst doch nicht, daß ich meine Puppe einem Taugenichts aufdringen will, der sie nicht mag. Dazu ist mir das Mädchen viel zu lieb, und ihr ganzes Vermögen steckt in meiner Handlung. Wenn sie nun rabiat würde wie gewisse Leute, die man gegen ihren Willen verheiraten wollte. Ich kenne einen, der lief drum aus dem Hause. Wenn sie nun auch aus dem Hause liefe, nämlich mit ihrem Kapital, verstehst du mich, sie kündigte es mir, weil sie sich nicht verkoppeln lassen will.«

Walter lächelte: »Meine Cousine Minchen ist ein viel zu sanftes Mädchen und liebt ihren Oheim zu innig, um ihr Vermögen ihm zu kündigen.«

»Alle Sanftmut hat ihre Grenzen, wenn's ans Mein und Dein geht. Und – wenn das Vormundschaftsgericht – du fürchtest dich doch nicht, daß Mamsell Alltag eifersüchtig wird, weil du deine Cousine führst? Au contraire, du schlägst da zwei Fliegen mit einer Klappe. Hat sie dir schon erlaubt, sie ins Theater, auf die Promenade zu führen? Sieht sie, daß du ihr zum Trotz ein andres hübsches Mädchen führst, so wird sie vielleicht zuerst maulen, aber dann sich besinnen und nicht mehr, was man so nennt, ›ête‹ sein. – Na, wohin denn mit einem Male?«

»Verzeihen Sie mir, mein Vater, dahin, wo meine Pflicht mich ruft.«

»Desto besser. Ich begleite dich. Geht's zur Mamsell Alltag, so bleib ich vor der Tür und warte auf dich. Was gilt die Wette, ich sehe es dir gleich an den Augen ab, wenn du runterkommst, ob's oben gut stand oder schlimm.«

Walter verbiß eine Bemerkung, er faßte des Vaters Hand:

»Die Zeit ist nicht zum Scherz angetan. Nicht hier, nicht dort. Wenn das aber, was Sie von der Cousine sagten, Ernst war, so, Vater, schnell und deutlich, was hinter diesem Ernste liegt.«

»Der Ernst, Herr Sohn, daß sie ins Theater will, und du sollst sie begleiten.« Dabei stampfte van Asten wieder den Stock auf die Diele, ein Zeichen, daß es ernster Ernst war. »Und warum? – Bilde dir nichts ein. Sie macht sich nichts mehr aus dir. Du sollst sie begleiten, um sie zu beschützen, aus Verwandtschaft und aus sonst was. Sind junge Mädchen nicht neugierig? Werden hübsche Mädchen nicht angegafft? Sind unsre Offiziere nicht nach den Mädchen aus? Sind sie nicht unverschämt im Attackieren? Und willst du noch mehr wissen? Ein Kornett, oder ist er jetzt Lieutenant bei den Gendarmen, ein Herr von Kiekindiewelt, oder wie er heißt, schleicht ihr auf Schritt und Tritt seit letzter Redoute nach. Ein Libertin, ein Taugenichts, ein Verschwender. Minchen ist schüchtern und hat das Pulver nicht erfunden, das weißt du auch. Er zieht sie auf, sie weiß nicht zu antworten. Du sollst für sie antworten. Verstehst du mich? Weißt ja Rat für alles, und wo der Unrat steckt. Nun zeig's mal, nicht mit der Feder, mit dem Maule. Wenn du spitzig wirst, ist's gut; wenn du grob wirst, noch besser. 's ist so einer von denen, die die Beine über die Stuhllehne hängen und 's nicht so genau nehmen, wenn sie einem Bürger auf die Hühneraugen treten. Darum ist es auch für den Bürger gut, wenn er dicke Schuhe trägt. Außerdem hat er sehr viel Geld, also ist er sehr ungeschliffen. Junge, ich bin dein Vater und verbiete dir, dich in Händel einzulassen. Aber wenn ihr so von ungefähr aneinandergerietet, will ich nichts davon wissen. Du hast in Halle eine Klinge geschlagen, in deinem Stammbuch steht auf jeder Seite ein Kreuz von Hieben. Außerdem hatte der Herr Schwertfegermeister die Gefälligkeit, seine Rechnung mir nach Berlin zu schicken. Ich erinnere dich nun nicht darum daran, daß du's mir wiederbezahlen sollst, was ich für dich gezahlt, sondern –«

Walter lächelte: »Sie besorgen, daß ich in Berlin unter meinen Büchern die Kunst vergaß, die ich in Halle betrieb, die Kunst zu handeln. Ich werde Ihrem Befehl gehorchen und Minchen ins Theater begleiten.«

»Nu begleite ich dich, wohin du willst«, sagte vergnügt der Vater. An der Tür hielt er den Sohn beim Rockzipfel: »Walter, 's ist 'ne schlimme Zeit geworden, und sie muß besser werden, oder sie wird noch schlimmer. Sind die im blauen Rock 'ne andere Rasse Menschen? Stammen nur die Junker von Adam und wir andern fielen nebenher von der Bank? Jeden Tag wird ihr Übermut größer. Darum einmal drauflos! Trumpf auf Trumpf. Nicht mit Federkielen, die Feder wird stumpf, je spitzer ihr schreibt. Sie lesen's nicht, oder sie lachen drüber. Aber –«

Es blieb ein Gedankenstrich. An der Haustür setzte er noch etwas hinzu: »Und darum ist's auch gut, daß Friede bleibt. Wenn sie die Franzosen schlagen, dann wär gar nicht mehr mit ihnen auszukommen. Jetzt sprudeln sie vor Übermut, aber daß man sie nicht brauchen will und ohne sie fortzukommen meint, ist ein guter Dämpfer.«

Walter war anderer Ansicht, aber es war nicht der Augenblick, um die des Vaters zu bekämpfen. Über die im Hintergrunde liegende Absicht desselben war er nicht im Zweifel. Er zürnte ihm nicht, daß er von einem Plane, der ihm ans Herz gewachsen, nicht lassen konnte; aber es stimmte ihn wehmütig, daß der Vater mit unerschütterlicher Festigkeit einem unerreichbaren Ziele nachging. Unerreichbar, weil Walter in seinem Willen sich ebenso klar und unerschütterlich dünkte. Aber das Intermezzo oder die kleine Intrige, die der Vater spielte, erheiterte ihn, weil er sie durchschaute und sich in ihrem Netze fangen zu lassen nicht besorgte. Der hübschen Cousine hatte er den Mut, so unbefangen entgegenzutreten wie immer; einem unverschämten Angriff gegen dieselbe zu begegnen, dünkte ihm eine nicht der Rede werte Kleinigkeit; des Vaters Meinung über den Militärübermut teilte er, wenngleich das Übel ihm weder so tief noch so groß schien und er am wenigsten das Mittel guthieß, welches dieser angedeutet. Eine leise Wolke des Unmuts spielte aber doch um seine Stirn, als der Vater seinen Antrag motivierte. Es war eine Wahrheit in des Alten Worten, und der Schatten einer empfundenen Wahrheit spielte in sein Gemüt, als van Asten von seinem Sohne eine Tat forderte, um zu beweisen, daß sein Geist nicht in der Forschung untergegangen sei. Je lächerlicher ihm die Probe schien, um so mehr empfand er den Vorwurf

Als an der Ecke sich ihre Wege schieden, sprach er: »Schlimm ist die Zeit, mein Vater, aber sie ist es schon lange. Was wir können, dürfen wir nicht zeigen, und was wir zeigen, ist nicht, was wir wollen. Eine gründliche Kur tut uns allen not, die Kur, die uns wieder zu Menschen macht, den Bürger zum Bewußtsein erweckt, warum er es ist, den Staat zu dem, daß er Männer bedarf, nicht Automaten. Ist dies Bewußtsein da, dann werden sich auch die Männer finden.«

»Also, du willst jetzt noch nicht mit zur Cousine?«

»Zur Theaterstunde bin ich in ihrer Wohnung.«

»Grüß mir die Mamsell Alltag. – So ein affärierter Mensch! Muß Trost und Hilfe da bringen und da auch, bei hübschen Mädchen. – Apropos!« rief der Vater den Sohn zurück, »was das Bewußtsein anlangt, wär's nicht besser, wenn die Bürger es zuerst kriegten? Wenn da erst viele, wie du zu sagen beliebtest, Männer geworden, dann käme der Staat, meine ich, von selbst zum Bewußtsein, daß er ihrer bedarf. Denke ein bißchen darüber nach!«

Der Alte war fort. Als Walter in die Jägerstraße einbog, rollte der Lupinussche Wagen heran. An der Seite der Geheimrätin saß Adelheid, geputzt wie ihre Pflegemutter, aber ihre Wangen schienen vor Freude zu glühen, wie er sie nie gesehen. Als die Damen ihn erblickten, lächelte die Geheimrätin ihn schelmisch an und wandte sich mit einer liebkosenden Bewegung zu ihrer Pflegetochter. Es kam ihm sogar vor, als küßten sie sich; gewiß hörte er, als der Wagen vorüberrollte, ein lautes Gelächter.

»Was war das!« rief er. »Ein Herz und eine Seele nach diesem Brief! Und sie ruft mich nicht heran, wo sie sehen muß, daß ich zu ihr will.« Er starrte dem Wagen nach, wie in Erwartung, daß er halten, Adelheid sich herausbiegen und ihn rufen werde. Er wartete umsonst. Der Wagen war verschwunden.

Walter hatte recht gesehen und gehört. Aber man kann als Augenzeuge ein Faktum beschwören und hat doch ein falsches Zeugnis abgelegt. Walter hatte nicht das kurze Zwiegespräch belauscht, was die Geheimrätin mit Adelheid vorher gepflogen, nicht die Komödie, die sie ihr zur Pflicht machte. Die Wangen des jungen Mädchens glühten allerdings, aber sie waren vorhin totenblaß, und die Röte war die Schminke, welche die Geheimrätin selbst ihr aufgelegt. »Die Welt braucht nicht zu wissen, was wir wissen«, hatte sie gesagt.


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