Willibald Alexis
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
Willibald Alexis

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Fünftes Kapitel.
Mars mit dem Zopf.

Eine Gesellschaft, zur Zeit, als Gesellschaften die Blüte des geistigen Lebens repräsentierten, mag man mit einem Sonnensystem vergleichen. Wenn aber viele Sonnen mit gleichen Ansprüchen da sind, kann sie uns wie ein Universum erscheinen, das, nicht fertig, noch nach einem Zentralpunkt sucht. Ein solches meteorisches Wogen ist für viele unbehaglich, für den Beobachter interessant, für den Maler aufzufassen unmöglich. Er muß sich mit Segmenten genügen lassen.

Die Wirtin wäre gern die Sonne gewesen. Aber eine Sonne muß nicht allein scheinen und leuchten, sie muß auch wärmen. Sie war eine Frau von Verstand und selbst Witz, eine Erscheinung, die nicht ohne Eindruck blieb, aber es war nicht der Verstand und Witz, der fesselt, nicht die Erscheinung, die zugleich imponiert und anzieht. Sie durchdrang die Gespräche, sie wußte sie zu leiten, abzubrechen, aber ihnen nicht den Hauch und die Färbung zu geben, daß sie sich von selbst fortspannen. Sie war die liebenswürdigste Wirtin, die für jeden etwas Angenehmes in Bereitschaft hatte, aber es schien so spitz zugeschnitten, daß die Ökonomie dem Geschmeichelten nicht entging. Es blitzte, wo sie erschien, die Konversation wagte in sanften Wellenlinien einer gewählten Sprache, aber sie stockte plötzlich, wenn sie zu andern Kreisen sich wandte. Man fühlte sich geniert, wo sie hinzutrat, und frei, wenn sie den Rücken gedreht. Das wird freilich in allen Gesellschaftskreisen sein, wo eine an Geist und Bildung überragende Erscheinung der Unterhaltung ihr Siegel aufdrückt, die minder Gebildeten fühlen das unsichtbare Joch, die Magie des Geistes, gegen die sie, ohne sich selbst bloßzugeben, nicht rebellieren dürfen, sie fühlen sie sogar doppelt, wo der Geist sich zu ihren Vorstellungen herabläßt und sie würdigt, in ihrer Sprache zu reden. Aber diese Gesellschaft war eine ungleich andere als die gemischte, in der wir neulich die Geheimrätin zu beobachten Gelegenheit hatten. Sie war eine gewählte. Die Geheimrätin kannte alle, sie wußte, was man vermeiden, was man andeuten dürfe, und doch traf sie es nicht, daß es den Leuten wohl ward. Eine liebenswürdige Wirtin, eine geistvolle Frau! war das allgemeine Urteil; wohlverstanden das, was zwei sich sagten, die sich und ihre Meinungen noch nicht kannten. Wenn sie sich verständigten, kamen einige »Aber« hinterher. »Aber sehr scharf.« – »Geistreich, sehr geistreich, aber ihr Geist schneidet.« – »Enfin«, sagte ein dritter, »sie hat alles, um eine Gesellschaft zu entzücken, nur fehlt ihr der Aplomb.«

Es waren Wandelsterne und Fixsterne. Zu jenen gehörten die Wirtin und ihre Pflegetochter. Wenn jene mit ihrem leisen Tritt die Kreise durchwandelte, konnte man sie mit einer Gespenstererscheinung vergleichen. Das ist ein gewagtes Gleichnis; aber ebenso gewagt ist es doch, wenn andre Adelheid mit dem aufgehenden Morgenstern verglichen oder gar mit einer Sonne, die Frohsinn und Lust verbreite. Wer schärfer gesehen, hätte vielleicht auch die große Anstrengung des jungen Mädchens bemerkt, so zu erscheinen, wie die Pflegemutter es wünschte, immer munter, naiv, geistreich. Es war noch ein anderer weiblicher Stern von sehr verschiedener Natur, auf den wir später treffen werden. Jean Paul war noch nicht da, auch Herr von Wandel ließ noch auf sich warten. Dagegen schien an dem großen Ofen eines Nebenzimmers einer der Fixsterne zu stehen in der Person des französischen Gesandten Laforest. Der Diplomat brauchte seine Kreise sich nicht auszusuchen, oder er wollte es nicht, aber er zog magnetisch die kleinen Lichter an sich. Er war heute sehr aufgeräumt und liebenswürdig, behauptete man. Ein Bonmot ging schon durch die Zimmer. Auf eine unbescheidene Frage: was ihm in Berlin am besten gefalle, hatte er geantwortet: die Öfen. Andere hatten schon gehört, daß er gesagt: es sei das einzige Gute, was er in Berlin gefunden. Noch andere, er habe gesagt: in einer Stadt, wo er nichts kalt und nichts warm gefunden, sei eine Maschine, die man nach Belieben heizen und kühlen könne, der preiswürdigste Gegenstand.

In einer Herrengruppe musterten einige die Gesellschaft. Man wunderte sich, den Geheimrat Lupinus von der Vogtei unter den Gästen zu sehen.

»Was wundert Sie das?« sagte der Regierungsrat von Fuchsius. »Er ist völlig freigesprochen und alles bleibt ja beim alten.«

»Aber sein Leben auch dasselbe. Es ist doch ein Skandal, wie ich hörte«, bemerkte ein Major, noch in jüngeren Jahren; er hatte nicht den preußischen Pli.

»Wir bleiben alle, was wir sind«, sagte aufseufzend Fuchsius. »Seit Lombard zurück, die Anstrengungen der Königin, neue Lebensgeister ins Ministerium zu bringen, gescheitert sind, ist es mit allen den guten Vorsätzen und den schönen Ansätzen vorüber. Welche trefflichen Reden und Memoiren sind umsonst geschrieben.«

»Zum Teufel mit den Reden!« sagte ein General, den grauen Schnurrbart streichend; aber es leuchtete noch ein Feuer aus seinen lebhaften Augen.

»Das denkt vermutlich der Geheimrat Lupinus auch«, fuhr der Rat fort. »Warum soll er sich genieren? Es schwimmt ja alles wieder in diesem Sumpfe süßer Gewohnheit weiter. Und wenn der Staat selbst sich auf dem Lotterbette weiter streckt und wiegt, was darf er vom einzelnen fordern, daß er sich aufrafft! Der König, das gebe ich Ihnen zu, wünschte es –«

»Wenn er nur wenigstens die französischen Orden nicht angenommen hätte!« rief der General, der sich auf einen Stuhl gesetzt, und preßte die Brust auf der Rabatte zusammen. »Schimpf und Schande! Mag er sie der Clique austeilen, aber der preußische Ehrenrock ist beschimpft, wenn auch Militärs sie tragen müssen!«

»Das kommt auf Ansichten an!« erlaubte sich der jüngere Militär zu entgegnen. »Der feindliche General, den Napoleon in seinen Bulletins lobt, fühlt sich doch mehr geschmeichelt als selbst durch die Orden, die ihm sein eigener Fürst erteilt.«

»Spitzfindigkeiten, mein Herr von Eisenhauch!« fiel der General ein. »Sie gerade würden sich am meisten schämen. – Allianzen, wo sie natürlich und möglich sind, ein Entschluß, wo die Ehre gebietet, und Krieg, wo es die Existenz gilt.«

»Vergebung, meine Herren«, sagte der Major. »Sie wissen, ich bin kein geborner Preuße und habe erst seit kurzem die Ehre, Ihrer Armee anzugehören. Vielleicht gab mir aber meine Stellung als Beobachter von außen Gelegenheit, unbefangener in manchen Dingen die Politik Ihres Staates zu betrachten. Schleudern Sie nicht zu heftige Bannstrahlen gegen die Männer am Ruder.«

»Die Politik, daß wir uns an der Nase herumziehen lassen, mein Herr Major!«

»Preußen fühlt sich groß und hat doch den Instinkt, daß es nicht so groß ist, um das Gewicht in die Waagschale der Weltbegebenheiten zu werfen, wie damals, als ein jugendlicher Kriegsheld, der Genius des Jahrhunderts, an seiner Spitze stand. Daher die natürliche Scheu, herauszutreten, ein entscheidendes Wort mitzusprechen. Wenn es nun nicht gehört würde? Dann ist der Nimbus hin. Wenn es unterläge? Dann ist seine Existenz hin. Wenn es sich aber den vielfachen Koalitionen unbedingt jedesmal angeschlossen, die seit der Pillnitzer den europäischen Brand statt zu löschen vermehrt haben? Es hätte sich der Selbständigkeit begeben, die ihm Friedrich hinterließ, es wäre kein Körper mehr, eine mitfortgerissene Partikel. Es kämpft und ringt und verhandelt ebenso um seinen Schein als um sein Wesen. Darum das Lavieren, die unleugbaren Zweideutigkeiten seiner Politik, die ihm die Herzen entfremdeten, welche erwartend, hoffnungsvoll ihm in Deutschland entgegenschlugen. Meine Herren, wer unter uns lobt das! Aber nachdem wir so lange den Frieden uns eingehandelt, eingetauscht, ertrotzt oder erbeten, was sollen nicht Männer, die der großen Aufgabe nicht gewachsen sind, vor dem Augenblick der Entscheidung erschrecken! Leugnen wir uns nicht, es heißt jetzt alles einsetzen, alles in die Schanze schlagen, um nicht mehr zu gewinnen, als Preußen hatte, ja, vielleicht nicht das einmal, denn wir wissen nicht, was die mächtigen Verbündeten, denen wir uns hingeben müssen, uns davon lassen! Wundern Sie sich, daß diese Männer auf andere warten, die es ihnen abnehmen, daß sie nicht selbst wagen, die Toga zu schütteln: Hier habt ihr Krieg!«

»Wenn man Sie nicht besser kennte«, sagte der General, »nicht wüßte, daß Sie Ihre Dienste von Staat zu Staat tragen, wo nur Aussicht ist zum Kriege gegen die Franzosen!«

Fuchsius sagte, sich vorsichtig umblickend: »Nehmen Sie sich etwas in acht. Man weiß in Saint-Cloud, daß Sie ein militärischer Ideologe, und ich weiß, daß Laforest Sie beobachten läßt. Aus Enghiens Beispiel wissen wir wenigstens, wie der neue Kaiser zu schrecken versteht.«

»Pah!« rief der General. »Wir sind nicht in Baden. Zügeln Sie indes Ihre Advokatenberedsamkeit, Herr von Eisenhauch. Es könnte Sie mancher mißverstehen. Ich aber sage Ihnen, wer jetzt nicht herbeieilt, um am Brande mitzulöschen, ist so schlimm, als wer Feuer hinzuträgt. Wonach Bonaparte trachtet, liegt klar zutage. Österreich soll erdrückt, zermalmt werden. Ein Tor, wer jetzt noch glaubt, daß Österreichs Vernichtung Preußens Erhebung ist. Das Schicksal hat bestimmt, daß beide Feinde zusammen handeln. Nur darin sollen sie rivalisieren, wer am tüchtigsten losschlägt. Zaudern wir jetzt wieder –«

»So sind wir isoliert und – verloren!« rief Fuchsius.

Ein stolzer Kommandoblick des Generals traf den Sprecher: »Wer sagt das?«

»Wenn wir alle unsere Bundesgenossen von uns gestoßen –«

»Sind wir noch wir selbst.«

Der General hatte sich erhoben, die beiden Herren folgten, sie blickten sich bedeutungsvoll an.

»Ja, meine Herren«, fuhr der General fort, »es wäre ein namenloses Unglück, man könnte uns der Frechheit, des Verrates beschuldigen, wenn wir wieder die Gelegenheit entwischen lassen wie vor sechs Jahren, aus Eigensinn oder Eigennutz. Ein Unglück ja, wenn wir nicht losschlagen, aber verloren sind wir nicht, wenn wir allein stehen.«

Die jüngeren Zuhörer senkten die Augen. Der Veteran aber fuhr mit leuchtenden Blicken und gehobener Stimme fort:

»Nein, meine Herren, vielleicht fügt es das Schicksal so, damit wir noch größer einst dastehen. Sie sind kein Preuße, Herr von Eisenhauch, Herr von Fuchsius ist kein Militär, ich bin beides, und mein Herz pocht laut und froh bei dem Gedanken: wir allein ihm gegenüber! Dann alles in die Waagschale geworfen, und, ich sage Ihnen, wir schnellen nicht in die Luft! Braunschweig, Möllendorf, Hohenlohe, Kalckreuth! sind das nicht Namen, vor denen die Davoust und Bernadotte, und wie sie heißen, erbleichen! Einer genügte schon; denn welcher Ruhm und welche Erfahrung sind da aufgespeichert. Und nun denken Sie, alle diese Namen vor einer Armee, deren Offiziere zur Hälfte noch unter Friedrich siegten, vor graubärtigen Soldaten, die noch sein Auge anfunkelte. Und die Generale, die zum Felddienst zu alt, pflanzen ihre Fahnen auf die Mauern unserer stolzen Festungen. Denken Sie sich dies Korpus von altem Ruhm, unvergleichlicher Taktik, von preußischem Mute beseelt, von Wut entflammt, zehnjährige Unbilden zu rächen, und gegenüber – die zusammengestoppelten, gepreßten Scharen der windigen Franzosen, die nur siegten, weil sie schneller sich bewegen konnten – dies räumen wir ihnen ein –, denken Sie ihn anpreschen mit solchen Schwärmen gegen ein Karree, ein Karree aus der ganzen preußischen Armee, und fragen Sie sich dann, wieviel Napoleon Bonapartes Name wiegen, wieviel Überzahl er haben muß, welche taktische Künste ausreichen, damit er diese Eisenmauer durchbricht. Er wird sie nicht durchbrechen, und wir, wir wollen sehen, wie Friedrichs Geist von Leuthen auf uns herabblickt!«

Es war etwas Hinreißendes in dem Feuer, dem der alte Kriegsmann sich überlassen. Man wußte, als Kornett hatte er unter Friedrich seine Sporen erworben, der große König selbst hatte den Jüngling mit seiner Gnade beglückt. Es war Wahrheit in der Rede, wenn auch nur die des Glaubens.

Man schwieg. Der General tat einige Schritte auf und ab. Dann zog er die Befreundeten zu sich in eine Ecke und sprach mit leiserer Stimme: »Meine Herren, das ist noch keine Entscheidung, und wir dürfen die Hoffnung noch nicht aufgeben. Wir müssen zusammenhalten, arbeiten, minieren, wir müssen Tag und Nacht auf der Hut stehen, dieser Clique auf die Finger zu sehen; wir müssen, zur Ehre unseres Königs, den Hahn gespannt, die Lunte in der Hand halten, und unsere tägliche Losung muß sein: Kein Nachgeben mehr! Und wenn der Allianztraktat mit Frankreich zur Unterschrift auf des Königs Tische läge, dann grade, dann noch zaudert er. Er zaudert, wenn er ein Todesurteil unterschreiben soll; was, wo so viele Tausende durch einen Federzug dekretiert werden! Die Hoffnung, sage ich, nicht aufgegeben, denn ein Lüftchen kann alles ändern. Darin sind wir einig. Im andern nicht. Sie sind beide jung, auf Schulen gewesen, glauben Systeme zu haben. Ich tadle es nicht, ich war auch einmal jung, aber die beste Schule ist das Leben.«

»Aber Herr General geben mir zu –«, was der Major sagen wollte, ward vom General unterbrochen.

»Daß einige Reformen notwendig sind. Ja, einige, Herr Major.« Er hatte ihn am Rock gefaßt und fuhr vertraulicher fort: »Die reitende Artillerie, das bedenken Sie wohl, war Friedrichs Schöpfung. In einem Lieblingskinde sehen die gescheitesten Väter oft nicht die Fehler. Auch ein großer Mensch ist ein Mensch, und darum keinen Vorwurf auf den großen König! Ihre Konstruktion der Lafetten, ich sage es gradeheraus, trotz Tempelhofs Autorität, ist admirabel; sie muß eingeführt werden, was auch der Kriegsminister opponiert. Auch Ihre Ideen über die Bespannung zeigen von dem Scharfsinn, den ich ästimiere. Selbst zugeben will ich, daß in unserm Geschützgießen Verbesserungen möglich sind, aber ich denke, daß unsre Kanonen noch, wie sie sind, einen preußischen Donner orgeln sollen, der die Franzosen an Roßbach erinnern wird. Nicht alles auf einmal! Gegen Ihre Propositionen hinsichts der Spontons bin ich; das sage ich Ihnen jetzt offen raus. Das Spontonexerzitium mag immerhin andern närrisch erscheinen, Narren werden Sie in der Welt überall finden. Das Präsentieren mit dem Sponton ist das Präsentieren der Armee vor sich selbst. Der Fähndrich, der, vor die Front springend, es balanciert, jetzt senkrecht, nun verquer, macht die Honneurs vor dem Feldherrn, dem General, vor dem Bataillon, vor sich selbst, nicht vor dem Publikum. Das halten Sie fest. Der Franzos mag darüber sich mokieren, soviel er will, er hat recht, für ihn ist's Narreteidung, weil er das nicht hat, was wir haben – verstehn Sie mich recht –, unsre Essenz, meinethalben Existenz. Das Sponton ist das Residuum des alten Rittergeistes im preußischen Militär. Wenn ich so sagen darf, es betrachtet sich als eine geschlossene Zunft und ist das Symbolum des Respektes vor sich selbst. Und, meine Herren, schaffen Sie erst die Spontons ab, so fällt auch der Ringkragen, warum nicht auch die Schärpe und der Federhut, und wo ist das Ende!«

Fuchsius und der Major hatten sich angesehen.

»Sie wollen auch gern die Gamaschen forthaben«, fuhr der General freundlich fort. »Der preußische Soldat ohne die Gamasche, sage ich Ihnen, ist nicht mehr der preußische Soldat. So kennen sie uns, so sollen sie uns wieder kennenlernen, anders nicht. Weiß wohl, liebster Major, was Sie in Ihrem Memoire über die Massenbewegungen sagen. Charmant exprimiert, fein beobachtet. Durch diese schnellen Evolutionen, daß er gleichsam aus einem Sack die leichtfüßigen Massen schüttelte, seinen Feind flankierte, von allen Seiten scheinbar zugleich angriff, sofort die Geworfenen durch neue Massen ersetzte, dadurch hat Bonaparte in den meisten Bataillen gesiegt Richtig! Aber gegen welche Feinde! Sehn Sie, offenherzig gesprochen, ich admiriere auch seinen Erfolg und sein Genie, aber was sagt Friedrich in seinen Memoiren? Wenn sich zwei Feldherrn in langen Kampagnen gegenüberstanden, lernen sie sich dermaßen kennen, daß jeder die Manier und die Finten des andern auswendig weiß. Wir sind nun in der Lage, daß wir durch bald zehn Jahre ihn aus der Ferne beobachtet haben, und ich sage Ihnen, dieses großen Taschenspielers Kunststücke kennen wir nun, er aber kennt uns nicht und kann uns nicht überraschen. Seine Choks werden an uns abprallen, wie die Schwärme der Parther an den römischen Triariern, und was unsre Kavallerie anlangt, so braucht niemand in Sorge zu sein. Die Zieten und Seydlitze werden sich finden zur Poursuite, wenn wir einmal die Kanaille geworfen. Freilich, im Laufen kommen wir ihnen nicht gleich.«

Der General glaubte gesiegt zu haben. Der Major aber sah ihn wieder fragend an: »Indessen, mein Herr General, es waren doch auch andere Punkte –«

Der Veteran lächelte mit der Freundlichkeit eines Gönners, der einen Klienten nicht zu herb in die Grenzen des Respektes zurückweisen will.

»Ich habe das auch wohl gelesen und mich über die Intentionen und die wohlarrangierte Explikation gefreut. Aber, meine Herren« – er schien auch den Rat in seine Belehrung hineinziehen zu wollen –, »mit Theorien hätte Friedrich Schlesien nicht erobert; unsere Armee ist nun einmal so und nicht anders, Herr von Eisenhauch. Und so war sie gut, und ob sie dann noch gut bleiben wird, wenn Ihr Rekrutierungssystem durchginge? Um Gottes willen keine neuen Flicken auf ein alt Kleid. Draußen Unruhe, aber Ruhe, Ruhe, Ruhe im Innern. Nichts angerührt! Friedrichs Seele steckt in den Trommeln und den Grenadiermützen so gut als in dem point d'honneur der Offiziere und der Kantonpflicht der Rekruten. Ich räume Ihnen ein, ein Etwas muß anders werden, das Verhältnis der Kapitäne mit Kompanie zu den Kapitäns ohne Kompanie. Diese sechshundert Taler und jene mit vielen Tausenden, mit Equipagen, Reitpferden, Fourgons, Dienerschaft. Das schadet der Disziplin. Das muß anders werden. Die Zahl der zu Beurlaubenden muß den Herren Kompaniechefs genau bestimmt werden und kein Mann darüber.«

»Würde diese Bestimmung genügen?«

»Für jetzt, Herr Major, wenn wir das durchsetzen, können wir zufrieden sein. Wenn Sie mich aber nicht verraten wollen, in meinen Ideen gehe ich weiter. Es wird eine Zeit kommen, wo der Kapitän nichts mit dem Traktement seiner Leute zu schaffen haben darf, wo sie nur in einem Konnex reiner Disziplin zueinander stehen. So muß es einst kommen, sag ich Ihnen, aber diese Zeit erleben nicht wir, vielleicht nicht unsre Kinder. Denn – der Mensch muß nicht zu klug sein wollen, oder es ist vorüber mit aller Autorité.«

Der General ging.

»Eine aus lauter Preußentum konzentrierte Säure!« sagte der Major.

»Und doch immer noch einer der Bessern«, entgegnete der Rat. »Er wird sich auch, wenn es gilt, in seiner verrosteten Rüstung noch mit einem gewissen Geschick rütteln.«

»Was hilft's den andern!« rief der Major, der sich in den Armstuhl mit einem Schmerzensseufzer niederwarf. – »Ist dies die Hauptstadt des großen Genius, von dem das Licht nicht über sein, nein, über unser aller Deutschland aufging! Deutschland glaubt wenigstens noch, daß es hier hell sei; es ist der Anker, an den seine letzte, schmerzliche, krampfhafte Hoffnung sich klammert.«

»Hat man es Ihnen draußen anders geschildert?«

»Nein! Aber der Tand, das Spiel und die Eitelkeit hielt ich für die Maske, unter der der männliche Entschluß, die Vorbereitung zur Tat, sich verbirgt. Der blonde Arminius ließ auch die schönen Römerinnen lange mit seinen Locken spielen. Mit dieser Selbsttäuschung reiste ich durch Ihre Provinzen. Es sieht knöchern aus, überall ausgewachsene Kleider, schlotternde Glieder, eine Maschine, die klappert. Der Geist nur kann das zusammenhalten, tröstete ich mich; der Nimbus um Friedrichs Thron flimmert noch in so wunderbarem Flammenglanz, von fern gesehen. Und nun hier zur Stelle! Aus Kreisen in Kreise, aus Gesellschaften in Gesellschaften werde ich geschleppt. Irgendwo, hoffe ich, wird ein Vorhang sich lüften, die Stimme von Sais ertönen. Aber ein Vorhang nach dem andern reißt –«

»Und Sie sehen nur Draht, Stricke und Kulissenschieber, der Dirigent fehlt.«

»Sie haben doch einen König, der nüchtern blieb unter den Taumelnden, der nicht blasiert ist, ein scharfes Auge hat für das Unziemliche, der nicht den Esprit fort spielen will, um seine Frivolität zu entschuldigen und seine Unwissenheit zu verbergen. Er will das Gute –«

»Gewiß! Und es überkommt ihn oft ein Schauer, in mancher Morgenstunde fühlt er, es kann so nicht mehr lange gehen. Aber von wem soll er erfahren, wie es gehen muß? – Keine Stände, keine Magnaten, kaum etwas, was einem Adel ähnlich sieht. Die Prinzen, was sind sie ihm? Die Polterer verträgt er nicht, die Genies sind seiner Natur zuwider. Unsre Minister kennen Sie, unsre Kabinettsräte noch besser. Sie leben nur in den Tag hinein, zufrieden, wenn sie bis morgen gesorgt haben. Er ist friedfertig, und alle Morgen präsentieren sie ihm eine Schüssel: ›Ruhe!‹ Mit Maßlieb und Vergißmeinnicht geschmückt: ›So sieht es bei uns aus, Majestät, und sehen Sie, wie es draußen aussieht, wo sie alles bessern wollten.‹«

»Aber er ist Friedrichs Enkel!«

»Grade der ist sein Spukbild. Wo es ihm zu arg wird, wo er darunterfahren möchte, es anders haben, sagt man ihm: ›Das hat doch unter Friedrich bestanden, und es ging ganz gut!‹ Oder gar: ›Majestät, das hat Friedrich selbst eingerichtet.‹ Dann erschrickt er; in seiner Bescheidenheit getraut er sich nicht, es besser machen zu können. Und dies heilige Gespenst wird dem jungen Fürsten grade von denen zitiert, welche vor seinem Geist in Staub und Asche versinken müßten. Es sollte mich nicht wundern, wenn der König einen förmlichen Widerwillen gegen seinen Großoheim einsaugte, so störend wird sein Bild ihm überall vorgehalten, wo er etwas Selbsteigenes durchsetzen will.«

»Aber, mein Gott, Ihr großer König nannte sich Rex Borussorum, König der Preußen! Wo sind denn seine Preußen! Hat denn das Volk gar keine Stimme mehr, das ihn einst auf seinen Schildern trug? Oder war der Schmerzenslaut auf seinem Sterbebett eine Wahrheit? War der Große wirklich müde, über Sklaven zu herrschen?«

Der Rat zuckte die Achseln: »Das ist eine Frage, mein Herr, über die wir die Antwort der Zukunft überlassen.«

»Aber wenn keine Stimme, hat Ihr Volk auch keine Sinne mehr? Wo die Sturmglocken über den Kontinent läuten, wo der nächtliche Feuerschein von allen Seiten, der Brannstgeruch den Siebenschläfer aufwecken muß, schläft das preußische Volk allein da fort, begreift es nicht, was selbst jener verrostete General ahnt, daß es sich um Sein und Nichtsein handelt! – Wo der Geist schläft, wacht doch das Interesse. Für die Notdurft, den Vorteil ist auch im Sklaven der Sinn rege.«

Der Eifer des Majors verwandelte das halblaute Gespräch oft in ein lautes. Der Regierungsrat hatte, mit vorsichtigem Blicke Wache haltend, den Eifer zu dämpfen versucht. Er setzte sich jetzt dicht neben ihn:

»Mein teuerster Freiherr, rufen Sie alles hier an, nur nicht das Interesse. Wer soll denn wünschen, daß es anders wird? Sie befinden sich ja noch erträglich wohl, und die Kette klinkt auch noch ineinander, wenn man nicht zu stark dran reißt. Der Ertrag der großen Güter steigt, ihre adligen Besitzer zahlen keine Steuern, und ihr Wert läßt sich durch die bekannten Künste im Hypothekenbuch ins Enorme hinaufschrauben. Ein Krieg, und dieser Wert sinkt. Und sollen die Junker ihn wünschen, denen im Heere, am Hofe, selbst in der Regierung die obersten Stellen nach wie vor reserviert sind! So viel Bürgerliche sich auch dazu im Laufe eines Jahrhunderts aufgeschwungen, sie blieben Ausnahmen oder gingen da oben in die Klasse der Bevorzugten über. Sollen die Kaufleute einen Krieg wünschen oder auch nur eine Änderung? – Sie seufzen unter starken Abgaben, aber der Handel blüht, und sie werden reich. Die übrigen Staatsdiener werden zwar kärglich bezahlt, aber pünktlich. Wenn ein Krieg die Kassen leert, woher dann die Besoldung nehmen?«

»Ist das Ihre ganze Nation! Haben Sie nicht Künstler, Handwerker, Männer der Wissenschaft, kleinere Grundbesitzer, Bauern, die unter einer drückenden Einteilung der Lasten seufzen?«

»Sie seufzen wohl, aber sie sprechen nicht mit. Und wenn sie zu sprechen Lust hätten, so haben sie noch nicht zu denken gelernt. Mein Herr Major, Preußens Volkssinn steckt noch immer unter dem blauen Rocke. Und nun betrachten Sie auf den Wachtparaden diese schwerfälligen alten Offiziere, diese Pontacsnasen, diese Kapitäne, die kaum die Schärpe um den Leib pressen, in den sie drei Viertel ihrer Kompanie verschluckten. Sollen die Besserung wünschen, nach Neuerung verlangen? Ich gebe Ihnen zu, es sind nicht alle so, die Armee zählt schon viel jüngere Offiziere, voll Feuer, Eifer, Begeisterung –«

»Aber die Begeisterung ist eine Fuchtelklingenbegeisterung«, unterbrach der Major, »und ihr Herz schlägt nicht fürs Vaterland, nur für das point d'honneur und den Esprit de corps –«

»Halt, mein Herr, es gibt auch –«

»Ich sah, ich hörte sie auf meiner Reise. Mir ward bange, wenn ich dachte, daß Preußen auf diesen Säulen allein ruht, und die Säulen sind unterspült und gelöst von der Erde, die sie tragen soll. Ich schauderte, wenn ich hörte, wie man überall vor den Soldaten die Schubläden und Türen verschließt, als wären es nur geworbene Landsknechte, nicht des Landes Söhne. Doch sei das, mögen sie noch Leibeigene sein, nicht dem Vaterlande, ihrem Kapitäne. Aber, allmächtiger Gott, welche Sprache mußte ich unter diesen hören in den Wachtstuben der Herren Offiziere. Wäre das Deutschlands Adel, so wäre er verloren, nur schmählicher als der Frankreichs; nicht unter der Guillotine, er stürbe an einem inneren, fressenden Schaden. In den kleinen Städten, wenn der Bürger dem Fuchtelexerzitium zusah, welche Urteile! Sie gönnen es den Junkern, daß sie recht tüchtig mal von den Franzosen geklopft würden. Und das mußte ich von guten Patrioten hören. Weiß man denn nichts davon hier? Ist man blind, taub, stumpf? Ist das nicht ein Zersetzungsprozeß, der den Blutlauf erstarrt?«

Der Major empfand einen Stoß an seinem Ellenbogen: »Pst! Laforest wirft schon lange von seinem Ofen her beobachtende Blicke.«

»Mag er es!« rief der Major aufstehend. »Lieber ihm in den Rachen, als da dem neuen Rhinozeros.«

Das neue Rhinozeros war der eben eingetretene Legationsrat von Wandel, eine Sonne, die sofort ihre Trabanten hatte.

»Ich kann den Menschen nicht leiden, ich weiß nicht warum«, sagte der Major.

»Das geht anderen auch so, Herr von Eisenhauch, zum Exempel unserm Minister. Bovillard möchte ihn gar zu gern in unsern Staatsdienst ziehn, Exzellenz haben aber eine unwiderstehliche Aversion.«

»Ist es denn wahr, daß er die sieben Adler von Napoleon hergebracht hat?«

»So ist es.«

»Dann ist's ja klar, er ist eine französische Kreatur.«

»An dem Herrn ist mir noch nichts klar.«

»Mir scheint er gefährlich.«

»Ist's Ihnen darum zu tun, Aufklärung über den Punkt zu erhalten, lassen Sie uns zu Laforest gehen. Der Kreis um ihn lichtet sich.«

»Sie warnten mich eben vor ihm.«

»In seinem Rayon ist man wenigstens vor seinen Spionen geschützt. Es ist sogar gut, daß Sie sich ihm arglos zeigen.«

»Wie sollte er aber dazu kommen, uns Aufschlüsse zu geben?«

»Er gehört nicht zu den zugeknöpften Diplomaten. Überdem ist er jetzt satt. Bonapartes Gesandter hat, was er will, hier erreicht. Er kann den nonchalanten Plauderer spielen. Er kann nicht allein den Rock aufknöpfen, auch das Hemde aufreißen, damit wir seine Brust schlagen sehen. Die gewinnende Vertraulichkeit wird auch wohl noch zum Leimstock für eine harmlose Fliege. Wie vergnügt alle von ihm fortgehen! Trauen Sie keinem seiner Worte, und doch ist es möglich, daß er uns die reinste Wahrheit schenkt. Denn ob er mit ihr oder mit der Lüge uns täuscht, ist ihm gleichgültig. Übrigens weiß er alles, was hier geschieht, und früher und genauer als der Polizeipräsident. Was der König beim Frühstück geäußert, läßt er schon am Mittag chiffrieren. Er kennt die Anträge der Minister, die nicht bis zum Könige durchgedrungen sind, weil die Kabinettsräte Widerstand leisten, und ehe noch Seine Majestät eine Silbe davon erfahren, fliegt der Kurier damit schon nach Paris.«

»Warum macht man Laforest nicht zum Minister des Auswärtigen ?«

»Besser des Innern. Der russischen Fürstin ward vorgestern ein Brillanthalsband gestohlen. Die Polizei suchte umsonst. Er hat es gefunden. Gestern erhielt die Fürstin das Band, heut die Gerechtigkeit die Diebe!«

»Oh, wer den Dieb, der Deutschlands Heiligtum gestohlen, der Gerechtigkeit überlieferte!« seufzte der Major. »Ob wir uns auch an die fremde Diplomatie werden wenden müssen?«


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