Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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Waidmanns »Glück!«

Es ist ein eigen Ding um das Leibgehege: die Bauern halten das Wild in solchen Revieren für etwas Besonderes, es wird entweder extra respektiert oder mit besonderer Vorliebe, weil es gewissermaßen Hofwild ist, weggeputzt, zum heillosen Ärger des Jagdschutzpersonales, das jahraus jahrein alle Hände voll zu thun hat, um das Revier in Ordnung zu halten. Wer im Leibgeheg öffentlich mit einer Büchse gehen darf, muß schon etwas Besonderes, ein »höheres Vieh«, wie die boshaften Gebirgler sagen, sein, denn Abschußbewilligungen sind so rar, wie der Schußneid hoher Herren häufig zu finden ist. Und wenn nun solch ein Fremdling mit Gewehr gar noch im Forsthause absteigt und höflich vom Forstmeister empfangen wird, dann ist anzunehmen, daß der Fürst selber dem Günstling einen Hirsch oder einen Gamsbock »erlaubt« hat.

Das Volk urteilt oft recht richtig, und manche Bemerkung erweist sich zutreffend, wenn so ein schlichter Holzknecht von einem bewaffneten Fremdling sagt: ein Hofgünstling mag der Kerl sein, ein Jaager ist er nicht. Die Bergburschen lesen es einem vom Gesicht herunter, wie es mit der Waidgerechtigkeit steht. Wehe, wenn ein Jagdgigerl in ihre Hände fällt! Da werden zwar nicht Weiber zu Hyänen, aber der ehrlichste, biederste Gebirgler mit dem treuherzigen Geschau wird zum verschlagensten Gauner, zu einem grundfalschen Menschen, der nur noch ein Ziel vor Augen hat: den ihm und der ganzen Bergwelt zuwideren, faden Kerl zu schlenken (narren) und ihm Unbill zuzufügen selbst auf die Gefahr hin, daß der 84 Gefoppte mit seinem Gamshunger abstürzt und das Genick bricht. Wenn solch ein entsetzliches Jagdgigerl dann noch in einem hirnverrückten Gewand steckt, daß eine Kuh auflachen muß, dann kann es wohl auch vorkommen, daß es dem Forstmeister um die Mundwinkel zuckt, und daß die Forst- und Jagdgehilfen die Faust im Sacke machen, weil der Hanswurst das ganze Revier verschandelt. Erfahrungsgemäß sind solche Exemplare zwar recht wohlthätig für die magere Kasse eines Jagdgehilfen, aber »z'wider« bleibt ein solcher Kerl doch, und geht es dem Personale so, wie Herr von Goethe sagt: Der Deutsche mag keinen Franzmann leiden, doch seine Weine trinkt er gern, – man kann solche Gigerl nicht leiden, doch ihre Kronen nimmt man gern.

In einem Hofjagdrevier, der Name thut nichts zur Sache, war ein Herr aufgetaucht, den man sofort für »etwas Besonderes« ansprechen mußte, denn der Fremde hatte ein nichtssagendes Gesicht, eine elegante Toilette, einen viereckigen Gewehrkasten und schnauzte den Hausknecht im Wirtshause des Dorfes so grimmig an, daß kein Zweifel mehr bestehen konnte: der Fremde war ein Hofrat mit Jagderlaubnis. Im Forsthause wußte man durch ein Dienstschreiben, daß ein Hofrat zum »Einser«abschuß kommen wird. Als der Hofrat aber vor dem Förster stand, da stiegen doch wieder Zweifel auf, denn vor dem Waldbeamten stand ein veritables Gigerl, ein Stutzer in graugrünem Wams mit Goldknöpfen, mit grüner Tuchhose und seidenen Strümpfen und die Füße in gelben Schnabelschuhen. Das Denkerhaupt trug einen giftgrünen Hut mit dem ganzen (!) Stoß des Spielhahns, einem Dachsbart und daneben einem Kunstgamsbart, wie er um drei Mark an »Kenner« in der Stadt verkauft wird.

»Tag! Mein lieber Forstmeister, Tag, Sie wissen wohl, wer ich bin, ja? Gut. Na, sagen Sie mal, singen die Hirsche gut? Ja? Bravo! Mir ist ein Hirsch erlaubt, und ein Krickel erster Güte soll meine Sammlung vermehren. He, eine Sammlung sage ich Ihnen, Forstmeisterlein, ein Fürst 85 könnte mich darum beneiden. Habe aber auch alles Wunderschöne bei einander, Prachtgeweihe aus Ungarn, bosnische Wildkatzenpfoten, Urbockgehörn aus der Bukowina, Krucken aus Bayern, Tirol, Kärnten, Salzburg und Steiermark –.«

»Wollen Herr Hofrat vielleicht so gefällig sein, mir zu sagen, ob Sie zuerst den Hirsch oder den Gams schießen wollen. Es kommt natürlich auf das Wetter an; dann ist als Gesetz zu betrachten, daß ein Fehlschuß auf den für Sie reservierten Hirsch, gleichviel ob angebleit oder nicht, für »hirschtot« gilt und damit die Berechtigung erlischt. Und bezüglich des bewilligten Gamsbockes ist zu beachten, daß Ihnen der beigegebene Jäger drei Schneiden anweisen wird, daß nur ein dreijähriger, guter Bock, ja keine Geiß, auch keine Geltgeiß geschossen werden darf. Im Falle Herr Hofrat eine Kitzgeiß niederknallen, bin ich gezwungen, dies sofort dem gnädigsten Jagdherrn zu melden und Sie aus dem Revier abführen zu lassen.«

»Hahaha, sehr guter Witz, ich und Geißen schießen, habe selber drüben im Salzburgischen eine eigene Gemsjagd mit vereinzeltem Steinwild.«

»Ich empfehle Ihnen, Herr Hofrat, sich streng nach den Stipulationen zu richten, im eigensten Interesse. Man versteht im Leibgehege keinen Spaß, auch mache ich aufmerksam, daß im Falle eines unüberlegten Schusses und seiner für Geißen verderblichen Folgen ein Vertuschungsversuch nutzlos ist und der Jagdgehilfe die Sache unfehlbar zur Anzeige bringen wird. Herr Hofrat können sich eventuell gute Worte und bares Geld ersparen.«

»Morgen.«

»Empfehle mich recht sehr, Herr Hofrat!«

Gründlich geärgert über den »ekelhaften Kerl von einem Forstmeister«, verließ der Hofrat das Forsthaus, um sich ein Diner zu bestellen. »Ist doch einer wie der andere; diese Forstleute bilden sich ein, nur sie allein verständen was vom Wild, und nur sie allein können schießen. Der Kerl war 86 infam maliziös mit mir, Herrgott von Mannheim, ich werde dem Kerl schon zeigen, was für ein Jäger ich bin, ich, der ich Gemsen in Arabien geschossen habe. Ne, Alter, mich selber brauche ich eigentlich doch nicht anzuschwefeln, ich war ja gar nie so weit drunten und eigentlich – na, der fade Kerl im Forsthause braucht es nicht zu wissen – eigentlich habe ich auch noch keine Gemse geschossen. Mit dem Maul natürlich eine kolossale Strecke, und diesem Maul verdanke ich ja auch diese auszeichnende Abschußbewilligung und – na mir selber kann ich's ja eingestehen – auch die Hofratcharge mit allem, was drum und dran hängt. Wie der Forstmensch einen so bis auf den Grund ansieht, so verdammt klug und durchdringend, ich glaube, der Kerl hat es mir bereits abgeguckt, daß meine Kugel weder Hirsch noch Gams je ereilte. Verfluchte Leute das, die sich den Teufel um einen Hofrat kümmern. Am liebsten kehrte ich wieder um, aber es geht nicht gut. Und dann, was würde man daheim sagen!«

Mit diesem Monolog, halb gedacht, halb gemurmelt, ist das Gigerl im Wirtshause angekommen, wo ihn die Kellnerin gleich fragt, ob er zu Tische Hirschbraten mit Kartoffelklößen haben wolle.

»Ne, liebes Kind, Hirschbraten ist nicht, wenn er nicht stark Hautgout hat, je mehr desto besser und dann Pommesfrites dazu.«

»Na, Herr, stinken thut der Hirschbraten nöt, a Jaager ißt koa Wild, das stinkt, sell essen bloß die dummen Stadtleut. Und was Ös no dazua wollt, sell kenn i nöt; und was i nöt kenn, sell ham (haben) wir aa nöt in der Kuchel.«

»Und was habt ihr sonst?«

»Nix, aber a altbackene Semmel wird noch da sein, hübsch verdruckt, weil's die Bauern schon alle in der Hand g'habt haben und den Paaz (weiches Zeug) nöt mögen wollten.«

»Recht hübsche Aussichten! Also bring Sie den Hirschbraten, wie er eben ist, mit Klößen. Und ein viertel Roten dazu!«

87 In Erwartung des Mittagessens liest der Hofrat die auch schon eine Woche alte Zeitung, die in der dumpfen Gaststube aufliegt. Ein paar herbstmatte Fliegen umsummen den einzigen Gast, der allmählich die Lust an dem ganzen Ausflug verliert. Vom Forstmeister ärgert es ihn, nicht zu Tisch geladen worden zu sein, andernteils ist er aber recht froh, nicht in der Nähe dieses unangenehmen Menschen sich aufhalten zu müssen: derartige Leute sehen zu viel und horchen einen in Bezug auf Jagd so ekelhaft aus, daß man nicht weiß, was man sagen soll. Und dann das verdammte Latein, was diese Leute sprechen, es ist eigentlich kein Latein, eine ganz sonderbare Sprache, jeder Ausdruck unverständlich. Hol' der Teufel den Einfall, so spät in der Jahreszeit in die Berge zu gehen. Weiß der Himmel, es beginnt auch noch zu schneien! Das fehlt noch, in diesem verdammten Nest eingeschneit zu werden!

Im Hausflur trampelt es, mit schweren Schritten tritt ein Jäger ein, macht einen unbeholfenen Kratzfuß mit dem groben Bergschuh und stellt sich vor als der Jagdgehilfe, der den Hofrat führen und zu Schuß bringen soll.

»Schön, mein Lieber, setz' Er sich nur her zu mir: wir wollen gleich besprechen, wie die Sache anzufangen ist. Also wo steht mein Hirsch?«

»Eppas weit drinnen ober der Seebachleiten!«

»Was heißt ›eppas weit drinnen‹?«

»Werdet's wohl etliche Stünderl laufen müssen; hernach a paar Stünderln ansteigen und aft'n eppas a wenig pirschen, weil wir den Hirsch nöt riegeln derfen.«

»Zum Kuckuck! Da langt ja ein Tag gar nicht, um den Hirsch vor das Rohr zu bringen.«

»Freili nöt!«

»Wie macht man das dann?«

»Ja wißt's Herr, wir gehen Nachmittag 'nein, steigen an bis zur Diensthütten, dort übernachten wir, und vor Schußlicht müssen wir im Revier sein; wo der Hirsch steht, sell wissen wir schon.«

88 »Diavolo, in einer Diensthütte übernachten, gefällt mir gar nicht. Ist wohl ein gutes Bett drinnen?«

»Na!«

»Oder doch eine gute Sprungfedermatratze mit einer Roßmatratze darauf?«

»Na!«

»Was denn dann?«

»Eppas a alt's Heu!«

»Brrr! Und wie steht's mit der Verpflegung? Ist Flaschenbier oben?«

»Na!«

»Oder ›eppas‹ Wein?«

»Na!«

»Zum Teufel, man muß doch ein Souper haben, auch in einer verfluchten Diensthütte!«

»Wenn der Herr – . . . .«

»Ich bin Hofrat!«

»Is' mir aa recht – wenn S' eppas z' essen haben wollen, müssen S' halt eppas mitnehmen. Um a paar Kreuzer an g'selchten Speck, a paar Schluck Kranawitter und an Scherz Brot. Nur vergessen S' nöt aufs Rauchet. Zum Rauchen muß ma allweil eppas ha'm!«

»Ja, ja, ich weiß, ein derartiges Souper führe ich auch immer mit auf meinen Jagdzügen drüben im Salzburgischen, wo ich eine eigene Gemsjagd habe mit Steinwild eingesprengt, dann in Kärnten, in Steiermark . . .«

»So, so! Wenn der Herr Hofrat aber selber a Jagd hat und überall jaagert, wo 's Gams giebt, na' sollt' der Herr aber doch wissen, wie 's in einer Diensthütten ausschaut.«

»Weiß ich auch, mein Lieber, wollte bloß wissen, wie es bei Euch aussieht. Habt Ihr auch eiserne Öfen in den Diensthütten?«

»Na, nirgends!«

»Sollt' Ihr anschaffen. Und wie ist's, singt er schon?«

»I kann gar nöt singen!«

89 »Haha, ich meine, ob der Hirsch schon singt?«

»Sell woaß i nöt!«

»Ein sauberer Jäger, der das nicht weiß!«

»Mit Verlaub, gnä' Herr; bei uns singen die Hirsch' nöt, aber in der Brunft schreien sie«

»Weiß ich auch, mein Lieber, Ihr kennt eben die feinen Unterschiede noch nicht; auf meiner Jagd in Kärnten pflegen die jungen, schwachen Hirsche zu singen, während die guten Hirsche zu Beginn ihrer Liebestollheit nach Rivalen rufen bezw. schreien.«

»Sell is' mir gleich. I muß hiazt bloß wissen, wann wir gehen wollen!«

»Also Nachmittag drei Uhr!«

»Is' recht, gnä' Herr! Vergessen S' aber nöt auf die Büchs' und auf die Patronen. Und sell werden S' eh' wissen, daß bei uns nur die Kugel gilt. Spatzenschrecker giebt's nöt bei uns in die Berg'. Adjes!« –

Der eben aufgetragene Hirschbraten schmeckte nicht; der Hofrat war nun auch ärgerlich über den Jagdgehilfen, der ihn bei aller Unterwürfigkeit doch seine Überlegenheit hatte fühlen lassen, und der Nimrod in spe konnte sich des Gefühles nicht erwehren, selbst diesem Naturmenschen gegenüber eine Niederlage erlitten zu haben. Zudem ist zehn gegen eins zu wetten, daß der Jäger das ganze Gespräch brühwarm dem Forstmeister rapportiert. Hol' der Teufel den ganzen Jagdausflug!

Zur festgesetzten Stunde erwartet der Jäger seinen Herrn am Sträßlein außerhalb des Dorfes, und als dieser endlich, bepackt mit Proviant auf acht Tage, anlangt, nimmt der Jäger schleunigst den schweren Rucksack auf die eigenen Schultern, innerlich hochvergnügt, daß seine Schilderung so trefflich gewirkt hat. Das giebt am Abend wieder einmal ein famoses, kostenloses Schnabulieren, was immerhin etwas wert ist, denn das Schußgeld für den Hirsch wird bei diesem Schützen in Ewigkeit nicht zu verdienen sein.

90 Todmüde langt das Jagdgigerl auf der Diensthütte an, es hat kein Bedürfnis mehr nach Speise und Trank und überläßt den Inhalt des Rucksackes zur Auswahl dem Jäger und wirft sich ächzend in das Heu. Und das nennt man ein Vergnügen! Ehe der Jagdgehilfe, grinsend vor Glückseligkeit, noch die erste Flasche entkorkte, war der arme Hofrat schon hinüber. Und müde war auch der Jagdgehilfe, als er ins Heu kroch, voll des süßen Weines und gründlich satt, wie seit langem nicht.

Eine stille Nacht liegt über dem Bergwald; frostigkalt zieht der Wind herauf, und wirre Nebelhallen umhüllen die Bergspitzen, es wogt und dampft das Thal, und langsam bricht die Dämmerung an. Der Hochgeweihte tritt erhobenen Hauptes auf den Brunftplan, mächtig hallt sein Kampfruf in den erwachenden Morgen, stolz, strotzig begehrend, der Herrscher fordert sein Recht im Bergwald!

Seltsame Laute tönen aus der am Saume des Waldes gegen die steil abfallende Bergwiese gelegenen Diensthütte, es orgeln da drinnen organische Wesen wie heraußen im bitterkalten Morgen der Brunfthirsch. Dann ein Schrei des Schreckens, gedämpft zwar durch die Wand der Blockhütte, aber deutlich vernehmbar, ein Gurgeln und Grunzen darauf und schließlich ein infernalisches Hohngelächter. Was ist geschehen? – – – –

Der Hofrat ist durch das Schreien des Hirsches aus dem Schlummer gerissen und so erschreckt worden von dem ihm unbekannten Getöse, daß er ganz entsetzt den schwer betrunkenen Jäger aufrüttelte und zu Hilfe rief. Als dieser endlich munter wurde und die Ursache des hofrätlichen Schreckens erkannte, da lachte er unbändig, ihm ward mit einem Schlage alles klar, er weiß, mit wem er es zu thun hat. Und diesen Menschen auf einen Edelhirsch krumm machen zu lassen, das scheint selbst dem verwilderten Waldmenschen ein ungeheures Verbrechen. Einen Menschen, der sich vor dem Schreien des Hirsches derart fürchtet, daß er andere aus dem Schlafe 91 reißt und zu Hilfe ruft, braucht man nicht zur Hirschjagd zu führen. Der Jäger läßt den Hofrat ohne Aufklärung über das »schreckliche Geschrei« und legt sich gelassen auf die andere Seite.

Erst nach Sonnenaufgang geruhte der Jagdgehilfe, seinen Herrn an die frische Luft zu führen. Von dem »schrecklichen Geschrei« war nichts mehr zu hören, dagegen eräugte der Hofrat sehr bald Kahlwild, und um seine Ruhe war's geschehen. Den Stutzen herunterreißen ist eins, aber schon hat der Jäger das Gewehr weggenommen: »Auf Kahlwild wird nicht geschossen!« sagt er und sieht dem Stadtherrn in seinem Papageianzug mit unsäglicher Ironie ins übernächtige Gesicht.

Dann geht die böse Wanderung weiter in den sakrisch frischen Morgen. Dem Hofrat ergeht's wie im Märchen, er weiß nicht, wohin zuerst schauen, alles so neu und ganz anders, wie der Flachländer sich die Bergwelt vorstellt; so ernst und schauerlich, so majestätisch und drunten im Thal die Wohnstätten der Menschen so friedlich lieblich. Eine Wunderwelt in den Bergen fürwahr! Der ganz ins Schauen versunkene Hofrat stößt an den plötzlich stehen gebliebenen Jäger, der, sich rasch drehend, den Finger auf den Mund legt, zum Zeichen, daß der Hintermann lautlos bleiben solle. Offenbar droht Gefahr, dem Hofrat klopft das zu Tode erschrockene Herz hörbar, vielleicht lauern Wilderer auf die Jäger, und ihn werden sie ohne Erbarmen niederknallen, da er in Begleitung eines Berufsjägers ist und ein Gewehr trägt. Das verfluchte Gewehr! Aber wie von dem Jäger wegkommen? Ohne ihn findet er sich ja gar nicht mehr hinunter ins Thaldorf. Bevor der Ärmste noch einen Entschluß fassen kann, zischelt der Jager: oben am Waldsaum gegen das Bergkopfl zu stehe ein jagdbarer Hirsch, der Herr Hofrat möge tiefhalten und fahren lassen, dann werde es schon ein Blattschuß werden. Zitternd schiebt der Hofrat die Kugelpatrone in den Lauf, jetzt muß er schießen in Gegenwart eines Zeugen, sehr fatal! Er kann 92 zwar den Hirsch absolut nicht sehen, es zeigt sich nur ein roter Fleck oben an der Rodung, möglich, daß das ein äsender Hirsch ist. Also dort hinauf hingehalten. Bum! Vielfältiges Echo in den Bergen, ein Brechen im Wald – –

»Herr Hofrat müssen ein andermal fest im Feuer liegen und dürfen die Lichter nicht zumachen, wenn's tuscht!«

»Liegt der Hirsch?«

»Na, g'feit (gefehlt) ist er, natürlich g'feit, und die Kugel ist in den Baumstrunk daneben. So, den ersten Abschuß hätten wir, und hiazt gehen wir hoam, Herr Hofrat.«

Bis die beiden den bequemen Thalweg erreichten, kam dem Jäger so etwas wie Reue, den armen Jagdgast so »papierlt« (geuzt) zu haben, und in einer Anwandlung von Mitgefühl fragt er ihn, ob ihm bei seinem notorischen Pech denn vielleicht jemand vor Antritt des Jagdganges »Glück« gewünscht hatte?

»Freilich, die Kellnerin und die Wirtin, und der Wirt wünschte speziell ›Waidmanns Glück‹!«

»Na, da haben wir die Bescherung!«

»Wieso?«

»Jeder, der beste Jäger fehlt, muß fehlen, muß Pech haben und muß ohne Beute heimkommen, wenn ihm jemand ›Glück‹ wünscht, wenn einem außerdem eine schwarze Katz' über 'n Weg läuft und das erste Wesen, das einem begegnet, ein altes Weib ist.«

»Das weiß ich auch!« rief der Hofrat, der sofort wieder renommierte, als er auf ebenem Boden stand.

»Mit Verlaub, gnä' Herr, Sie wissen von deni G'schichten in die Berg' gar nix, und wenn S' mir gegenüber nochmal aufdrah'n wöllen, dann verzähl' ich, was heut' Nacht passiert is' mit dem ›schrecklichen Geschrei‹.«

»Pst, pst, lieber Alter! Hier hat Er sein Schußgeld, und was im Rucksack ist an Fressalien, das gehört auch ihm.«

»Vergelt's Gott tausendmal! Und zum Dank will i' 'm gnä Herrn ein Mittel verraten, wie man's Pech vertreibt, 93 das Waidmannspech, das in Waidmannsheil umgewandelt wird.«

»Da bin ich aber doch neugierig.«

»Sehr oanfach, Herr, wenn Sie ausziehn zur Jagd, so lassen Sie sich von Ihrer Frau oder sonst einem weiblichen Wesen unter vierzig Jahr' einen Besen nachwerfen, und das Weib soll rufen: ›'n guaten Anblick, Jaager!‹«

»Wirklich? Das will ich mir merken! Besten Dank! Und nun sind wir vor meiner Behausung, also Adieu. Wegen des Gamsbockes sprechen wir heute Abend bei einem Glase Wein!«

Wie das Essen heute mundete! Ein wahrer Wolfshunger, den der Hofrat in Galizien und Polen zu beobachten Gelegenheit hatte. Und abends wieder Appetit für drei. Die Kellnerin Burgl (Notburga) meint zwar, die Bergluft zehre, und der Herr Hofrat hätt' sich gehörig ausgelaufen droben bei die Hirsch'! Der Grasgrüne aber versichert, immer wenn er auf Hirsche gehe, solchen Appetit zu haben. Das mache der herzstärkende Anblick des Hochgeweihten. Diese Erfahrung habe er noch immer gemacht im Salzburgischen, in der Steiermark, in Tirol und Kärnten.

Die paar Bauern in der Wirtsstube staunten nicht wenig, daß der Herr so weit herum komme und überall jagen dürfe. Sie bekamen für ihr Staunen rauchbare Cigarren, nur mußten sie ihre Pfeifen weglegen. Bei jedem Glase Rötel ward der Grasgrüne gesprächiger, und bald war er im saftigsten Latein. Die erlegten Gams, Hirsche und Steinböcke wirbelten nur so herum, das Jagdgigerl war im herrlichsten Fahrwasser und so im Eifer, daß es den Forstmeister gar nicht gewahrte, der inzwischen eingetreten war und seinen Mantel an den Ofenstangen aufhing. Erst sein Waidmannsgruß schreckte das Gigerl auf und brachte es in Verlegenheit.

Aber der Redestrom war einmal entfesselt und ließ sich, da der Wein im Kopf war, nicht mehr eindämmen. Schmunzelnd hörte der Waidmann von altem Schrot und Korn die 94 Renommagen des Jagdgigerls an und ließ sich durch die Reviere von Kärnten, Tirol, Steiermark und Salzburg führen, ja bald kam auch noch Polen und Rußland daran, und selbst vor der Türkei schreckte der Mundjäger nicht zurück. Wie er aber endlich einmal ausspuckte, benutzte der Forstmeister diese Gelegenheit zur Frage, wie es denn heute früh mit dem Brunfthirsch gegangen wär'?

»Schlecht, herzlich schlecht, und daran sind die Burgl und die Wirtin schuld mit ihrem verdammten Glückwunsch!«

Das sei freilich eine böse Sache, meinte der Forstmeister.

»Na, wir wollen morgen diesem skandalösen Übelstande schon abhelfen.«

»Wieso denn?«

»Ich werde mir officiell einen guten ›Anblick‹ wünschen und einen Besen von der Burgl nachwerfen lassen beim Antritt des Jagdganges.«

»Allerdings ein gutes Mittel, das aber meist nur bei Berufsjägern von erhoffter Wirkung ist.«

»Ich rechne sicher auf Erfolg, auch habe ich meine unfehlbare Büchse frisch gefettet.«

»Auch ganz gut, zumal für eine windheikle Büchse!«

»O, dafür habe ich den Garantieschein meines Gewehrlieferanten, dagegen kommt kein – Wind auf.«

»Wie Sie glauben, Herr Hofrat, und nun wünsche ich für morgen einen ›guten Anblick und ein kräftiges Waidmannsheil!‹«

»Danke bestens, wir werden den Bock schon runterholen. Gute Nacht, Herr Forstmeister!«

Ein trüber Morgen brach an, der Himmel griesgrämig, von Wolken schwer verhängt, Regen und Schnee drohend, so gar kein Wetter für eine erfolgreiche Gamsjagd. Aber der Grasgrüne will hinaus ins Gamsgebirg, und gegen etwaigen Regen schützt ja der Wettermantel. Also rasch hinunter zum Frühstück!

»Guten Morgen, Herr Hofrat!« ertönt es im Chorus der 95 Holzknechte und Bauern, die, weiß der Teufel warum, so zahlreich in der Gaststube sitzen. Und an der Ofenstange hängt ein Besen, geschmückt mit Latschenästen, gleichsam als wäre ein Riesen–»bruch« darauf befestigt.

»Aha, der bestellte Besen!« denkt das Gigerl, kann sich aber eines unangenehmen Gefühles nicht erwehren, denn das Besennachwerfen hat der Hofrat sich ohne Publikum gedacht. Jetzt aber auf den Jagdgang zu verzichten, ist nicht gut angängig. Er würgt den herzlich schlechten Kaffee hinunter, greift nach Stock und Gewehr, die Burgl kommt eben herbei und wünscht Waidmannsheil. Im Nu sind die Bauern und Holzknechte hoch und drängen dem Grasgrünen nach zur Thür hinaus. Draußen stehen die Jagdgehilfen in Erwartung, Burgl packt den latschengeschmückten Besen, schwingt ihn ostentativ, und im selben Augenblick schreien die Lumpen: »Hoch, Waidmanns ›Glück‹!« Dem Gigerl fliegt der zu scharf geworfene Besen an den Kopf, der Hut fällt herab, die Bauern lachen sich krumm, und unter schallendem Hallo flüchtet der Grasgrüne durch das Dorf. An jeder Hausthür stehen die Dörfler, und immer wieder ertönt der Ruf: »Waidmanns ›Glück‹!«

Eine Stunde später war das Jagdgigerl unter Verzicht auf den Gamsabschuß abgereist.

 

Ende.

 


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