Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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Der Gebirgshäring.

Gelt, da guckt ihr! Von der Gebirgsforelle habt ihr, liebe Leser, schon gehört und mancher hat die auch schon mit Hochgenuß verzehrt. Aber vom Gebirgshäring, da wißt ihr wenig oder nichts. Doch gemach, lange Zeit hindurch habe ich diese Species selber nicht gekannt.

Mehr als eine Woche hauste ich mit einer unbeschreiblich »hantigen« Wab'n (übelgelauntes, altes Weib), die als Sennerin fungierte, auf einer Alm in den bayerischen Bergen drinnen, nicht allzu weit von der österreichischen Grenze weg. Das richte ich mit Absicht immer so ein, daß die felix Austria nicht allzuweit weg ist – wegen des roten Tirolers, wenn die Sehnsucht nach dem Rebenblut gar zu arg in der Kehle wütet. Es liest sich ungemein ideal, das freie, ungezwungene Leben auf der Alm, aber in der Wirklichkeit sieht sich dieses »frei ist der Mensch« doch ganz anders an und häufig genug merkt mancher, daß er nicht der Mensch ist, den Schiller gemeint hat, als der Unsterbliche jene Worte zu Papier brachte. Schon die Alm selber war geeignet, alle Illusionen, wie sie die Theatervorstellungen der »Münchner« hervorzurufen sehr geeignet sind, gründlichst zu zerstören. Baufällig, morsch, verwittert, von einem Sumpf umgeben, den eine nahe, aber ungefaßte Quelle stetig nährt, erscheint die Almhütte eher abstoßend, und thatsächlich eilen die paar Touristen, die je in jenes einsame, weltvergessene Hochthal sich verirren, hastig weiter, die Ungastlichkeit steht der Hütte am First, wie an der Stirn angeschrieben. Mich schreckt im Gebirg nicht leicht etwas, und gegen merkliche 67 Ungastlichkeit giebt das Altbayerntum ein prachtvolles Gegenmittel: die klassische Grobheit, die beiläufig von der Wirkung ist, wie das Antipyrin gegen die in unseren neuesten Tagen modern gewordene Influenza.

Also ich fand jene Almhütte und war gezwungen, einzukehren, weil der Hunger groß, der Rucksack aber bis auf die unerläßlichen Medikamente leer war. Ein sauberes Dirndl wär' mir – alles in Ehren natürlich – sicher angenehmer gewesen als die zahnlose Wab'n, die die Frage nach einem »Retzel« (Schmarrnmehlspeise) mit einem keifenden »na« beantwortete. Für einen Lumpen konnte die Wab'n mich doch kaum halten, wiewohl der Anzug ziemlich zerlumpt und zerfetzt aussah. »Ob's d' afahrst?« (Ob du wohl gehen wirst) meinte die Wab'n, und natürlich setzte ich mich jetzt erst recht an das Feuer am offenen Herd und wärmte den nassen Rücken. Wie dann noch ein Glasl Enzian verlangt wurde, da war das Eis gebrochen, und die Wab'n schimpfte, daß sich die Worte überschlugen. Gott sei Dank, sie schimpft. Dabei wirft sie aber ein Scheit feichtenes Holz um das andere auf die Glut. Ein schauerlicher Neuling im Alpenleben müßt' doch der sein, der ein solches Anzeichen nicht verstünde. Längst hatte ich behaglich die Cigarre in Brand, traulich zog der Rauch übers Gatterl hinaus in den lauen Abend, ein unendlicher Friede lag über der Natur. Die Blechglocken des Almviehes bimmelten immer näher heran, die Zeit des Abendmelkens kam, das volle Euter treibt das Vieh herab zur Sennhütte. Die Wab'n schweigt schon längere Zeit, hat aber den Wasserkessel aufgestellt. Na wart, du Hantige! Mitten im Sinnieren fuhr ich die Alte an: »Himmelherrgottsakrament, geiht's was z'an Essen oder net?«

»Spater.«

»Ah so!«

Jetzt ward mir die Hinausweisung von vorhin klar. Warten sollte ich, bis das Vieh herabgekommen und gemolken ist.

68 »Na, nix für unguat und da hast a Cigarrn!«

»Gelt's Gott!« (Vergelte es Gott.)

Natürlich war der Friede jetzt prachtvoll hergestellt. Nach der echt almerischen Atzung ging's ins Heu und früh morgens ging's wieder heraus aus der duftenden Liegerstatt. Am zweiten Tage war ich schon Hüatabua (Hirtenknabe) bei der alten Wab'n, am dritten »Melkgehilfe«, am vierten Spreißelmacher und eine Freundschaft herrschte, ganz unbeschreiblich. Die für andere Sterbliche vielleicht entsetzliche Einsamkeit und Abgeschlossenheit ließ mich aufatmen in Glückseligkeit, und bei gutem Wetter giebt's ja nichts Herrlicheres als die Einsamkeit im Hochland, bis – die Unbegreiflichkeiten im Leben sich naseweis vordrängen.

Wenn der Mensch über eine Woche alle Tage dreimal Schmalzkost, Retzel, Almmuas und, Gott steh' mir bei, was für einen Kaffee zu sich nimmt, dann, sollte man glauben, sei der Gedanke an jenen Meeresbewohner, der einst eine Auster geliebt, völlig undenkbar. Aber nein, plötzlich war er da, nicht der Befloßte, nein der Gedanke an ihn mitten in einer herrlichen Hochgebirgsgegend, einem alpinen Schmuckkästlein vergleichbar, dessen Inhalt Gottes freigebige Hand gerade hier auszuleeren für gut fand. Forellengedanken wären eher berechtigt gewesen, aber Häringssehnsucht, nein! Und denkt der Mensch nur an jenen vermaledeiten Fisch, so kratzt es so eigentümlich in der Kehle, bei Altbayern doppelt und dreifach stark, bis er da ist, der entsetzliche wasserhassende, schöne Durst.

Der Leser denke nicht schlecht und halte mich um Gottes willen nicht für einen schnöden Realisten. Aber alles, was recht ist: drei Wochen keinen Tropfen Wein oder Bier gesehen, drei Wochen keinen Bissen Fleisch im Leibe, da ist eine Reaktion unausbleiblich, daß sie aber in Häringsgedanken sich einstellt, das ist unbegreiflich.

Noch unbegreiflicher aber ist – wieder herabgestiegen von lichter Bergeshöhe zur profanen Welt, die von 69 Eisenbahnschienen durchfurcht ist – das Verlangen in dem stattlichen Bauernwirtshaus nach einem – gebratenen Häring.

»Du, den schaug' an, der möcht' an bratenen Harung!« zischelten die Mädels hinten am Tisch des Gesindes und die Knechte murmelten so laut, daß man es drei Häuser weit hätte hören können: »Du, den schaug' an, der spinnt« (spinnt = ist verrückt).

Dann kam er, der gebratene Häring in einer riesigen eisernen Pfanne und mit ihm ein Gestank zum Rasendwerden. O wie süß duftet zerschmelzender Hirschtalg gegen diesen Häringsodeur!!! Ganz selig und stolz brachte die dicke Wirtin den eigenhändig gebratenen, in heißem Schmalz schwimmenden, fetten Häring herbei. Ich mußte augenblicklich hinaus. 70

 


 


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