Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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's Veverl vom Walchensee

Ein prachtvoller Morgen um die Zeit der Sonnwend flammte und blitzte über der herrlichen Gebirgslandschaft. Auf den kühnen Höhenzügen des Herzogenstand und Heimgarten leuchtete helles Sonnengold, während im Thale die Nebel durcheinander wogten in toller Flucht vor den siegreichen Sonnenstrahlen, daß die Nebelfetzen zerrissen haltlos aufwärts stiegen und in Duft zerstoben. Die Tannenwände spiegelten sich in dem glitzernden lieblichen Kochelsee, der wie traumumfangen dalag und unter dem Rufe Aurorens zu erwachen begann.

Sinnend blickt ein stattlicher Jägersmann auf dies liebliche Gebilde und lauscht dem Gemurmel der Uferwellchen, die neckisch den Strand küssen und dann schnell wieder zurückjagen, um aufs neue das muntere Spiel zu beginnen. Herzog Ferdinand ist's, der Bruder des weisen Albrecht, der so früh aufgebrochen war, um einen Pürschgang zu unternehmen, ehe er einzog in die Burg zu Tölz, wo der Kanzler Neuhauser, Propst und Caspar Winzerer II. des Herzogs Albrecht Gedanken erwogen, wie der ferneren Zerrüttung im Hause Wittelsbach vorzubeugen wäre, die für den Besitzstand längst bedrohlich geworden war. Des weisen Herzogs Bruder oblag lieber der Jagd und freute sich baß, der Regierungssorgen ledig zu sein; die Bären im Isarwinkel lockten den auf Abenteuer erpichten Jägersmann mehr als das angestrebte Gesetz der Primogenitur. Gestützt auf den Jagdspieß, besah der schmucke Fürst sich leuchtenden Auges das herrliche Bild, das sich immer mehr belebt, je rascher der Sonnenball aufwärts dem Äther zu emporstieg.

81 Wie aufatmend schütteln sich die ersten Tannen und Föhren, daß die Thautropfen blitzend und glitzernd wie Diamanten herniederrieseln, leise wiegen sich die Zweige im frischen Morgenwinde, im Grün des Waldes hüpft und schlüpft es, die kleinen gefiederten Sänger stimmen mit frischen Kehlchen das Morgenlied an zum Preise des allmächtigen Schöpfers, es singt und klingt der Wald, der See, das ganze farbenprächtige Bild.

Hans, dem treuen Jägerknappen des Herzogs, dauert dieses zwecklose Sinnieren bald zu lange, er hustet, wie eben ein munterer Finke seiner aschgrauen Gefährtin einen guten Morgen zurufen will, und schreitet, da der Fürst nicht hört, auf seinen Gebieter zu, um ihn zum Weitermarsch zu gemahnen. Fast mit Bedauern wendet Ferdinand sich ab und schreitet, vom Knappen gefolgt, hinan den Berg, den 1492 Albrecht der Durchlauchtige »den Kesselberg genannt und den Weg und auch die Straßen hat von seiner Kostung machen lassen«. Rechts von der Straße stürzt sich ein Wasserfall über die Felsen zu Thal, daß der weiße Gischt im weiten Umkreise die Farrenkräuter und Gräser netzt, die sich wie die am Sturze trutzig emporwuchernden dunklen Tannen leise wiegen unter der stetig niederrieselnden, in Regenbogenfarben erstrahlenden Wassermenge. Amseln und Drosseln hüpfen durch das feuchte Gewirr die Klamm hinauf, wo die beste Beute, fette lange Regenwürmer, ihrer harrt.

Längst hatten die frühen Wanderer die Felswand passiert, in welche eine mächtige Steintafel eingefügt ist zum Andenken an die Gründung des Kesselbergweges »Von München Heinrich Part erdacht den Sinn, dadurch er ward gemacht« (1492).

Die Höhe ist erklommen, der Wald lichtet sich, es ebnet sich der Weg, am Saume nicken im Schatten Rosenwildlinge, die Röserln vom Walchensee, der dort unten liegt wie ein flüssiges Gedicht melancholischer Einsamkeit. 82 Schwermütig düster liegt der tiefdunkle See zu Füßen der ernsten Bergriesen, ein Liebling der Gebirgsbewohner, und doch wieder gefürchtet wegen seiner Unergründlichkeit und Tücke. Seit vielen, vielen Jahren will der See alljährlich seine Opfer, und nie hat man erlebt, daß er je wiedergegeben hätte, was er einmal verschlungen.

Im fröhlichen Sonnenglanze ist freilich von diesen düsteren Eigenschaften des Wildsees nichts zu merken, der heitere Morgen stimmt fröhlich, wie auch die herübergrüßenden Spitzen und Zacken des Karwendelgebirges, des trotzigen Wettersteins und die kühn gebogene Zugspitze gemahnen, fröhlich zu sein und frohen Herzens hinaufzuklettern bis in die Höhe, wo die Freiheit thront.

Auch Herzog Ferdinand, der zum erstenmale diesen Weg gemacht, um über den See durch die Jachenau zur »Purch ze Töllenz« zu gelangen, kann sich dem Zauber dieses entzückenden Bildes nicht verschließen, und lange verweilt er auf dem Abhang, wo sich dann die Straße herab zum Ufer des Walchensees senkt. Beschwingten Schrittes eilen die Männer der Fischerhütte zu Urfarn zu, wo sie Fahrgelegenheit zu finden hoffen dürfen, denn ein mächtiger Einbaum schaukelt sich auf dem glitzernden See. Der Knappe ruft, und gleich darauf öffnet sich die Thüre, aus welcher ein Mädchen tritt, frisch wie ein Thaumorgen, schön wie Gott die Engel erschaffen hat, und züchtig in holder Unschuld. Betroffen schaut der Jägersmann auf diese entzückende Gestalt, die aus dem Paradiese an das Seeufer versetzt zu sein schien. Was das Begehr sei? fragte das schöne rotwangige Bergkind in züchtig dunkler Kleidung, und nochmals muß die Frage wiederholt werden, bis sich über die Lippen des erstaunten Jägers die Worte zwängen.

War der fürstliche Waidmann bisher trotz der entzückenden Gegend etwas erpicht, eiliger vorwärts zu kommen, so zögerte er jetzt, um länger im Anblick der aufblühenden Mädchenrose schwelgen zu können. In zierlicher Redeweise 83 sagte er dem Kinde, wie schön es sei und wie wenig solch eine Blume in die Luft der rauhen Berge passe, allein züchtig bescheiden, doch dabei ernst bestimmt wies Vevi, die Fischerstochter, den ungebührlichen Redetand zurück, der niedrig geborenen Leuten nicht gezieme. Und das Gespräch jäh beendend, lud das schöne Mädel mit einer graziösen Handbewegung den fremden Jägersmann zum Besteigen des Kahnes ein. Gewandt, völlig vertraut mit allen Griffen des rauhen Fischerhandwerkes, schob das zierliche Mädchen den Einbaum über den knirschenden Kies und sprang dann mit einem Satze, einer Gemse gleich, rasch in den Kahn, sofort das Ruder ergreifend. Der Jägersmann hatte keinen Blick verloren, sein Auge hing an dem herrlichen Geschöpf, auf das die Natur das ganze Füllhorn der Reize und Tugenden ausgegossen zu haben schien. Bis an die Schläfe errötete Vevi, als sie die heißen Blicke des Fremden fühlte, verlegen richtete das Mädchen den Blick über den Jägersmann hinaus, auf die sanft ansteigenden Berge.

Heiß brannte die Sonne herab auf den Wasserspiegel, der Herzog wollte es nicht dulden, daß das Kind sich abmühe mit so schwerer Arbeit, er wollte selbst das Ruder führen. Mit stummem Kopfschütteln wehrte jedoch das Fischermädel das Anerbieten ab. Wohl zeigten sich auf der hohen reinen Stirne des Engelkopfes kleine Perlen, allein im regelmäßigen Tempo erfolgte Ruderschlag auf Ruderschlag, und gar bald fuhr der Einbaum am andern Ufer auf. Nach einigen wohlgesetzten Dankesworten mußte der Fahrgast wohl oder übel aussteigen, fast zögernd entfernte sich der Jäger, um so rascher aber fuhr der Kahn unter den schnellen Ruderschlägen des Mädchens zurück ans Ufer nach Urfarn.

Wie die Bergkuppen rot erglühten und weiße Nebel sich wie flatternde Schleier herabsenkten, als wollte die Natur die jungen Reize verschämt verhüllen, und es düster wurde draußen auf dem dunklen See, kam Vevis Vater heim zur 84 Hütte mit Beute beladen, die weit drunten aus der Tiefe geholt. Dem erfahrenen, wetterharten Alten wollte heute sein Mädel, das sonst fröhlich wie ein Schwalberl unter der Arbeit zwitscherte und geschäftig das Abendbrot bereitete, nicht gefallen. Das Mädel trug das Köpfchen gesenkt und glitt stumm aus dem Zimmer, als der alte Fischer nach der Ursache der Veränderung an seinem Kinde frug, und zum erstenmale mußte der Alte sein Mahl schweigend und einsam verzehren. Sein Nesthöckerl, wie er scherzweise sein einziges Kind nannte, war scheu wie ein Vögelchen in das Nest ins Dachkämmerlein geflüchtet und ließ sich nicht mehr herablocken.

Thränenden Auges blickte in der Stille der Nacht Vevi hinaus auf den leise murmelnden See, ihr war, als stiege die Seenixe empor aus den dunklen Fluten und sehe sie warnend an mit den geheimnisvollen Augen . . . Bange Ahnung erfaßte das junge Herz, das hörbar pochte in heftigen Schlägen.

Wie der Tag graute, mußte der Vater wieder hinaus aufs Wasser, seinem Erwerbe nach; still waltete Vevi des Amtes der sorgenden Hausfrau. Der Alte schwieg über das sonderbare Verhalten der Tochter, beobachtete sie aber scharf, wenn die stürmische Witterung, die den sonnenhellen Tagen folgte, ihn zum Stubenhocken zwang. Während der Fischer an solchen Tagen seine Netze ausbesserte, richtete er gar oft einen fragenden Blick auf sein Kind, und schüttelte dann den greisen Kopf, wenn er sich gar nichts zusammenreimen konnte. Lange hielt das Stubenhocken nicht an, die Sonne war in ihrer Herrscherzeit und verjagte die grauen Wolken schließlich doch aus dem Wetterkessel hinaus und hinüber über die Berge, und auf die grünen Matten lachte wieder der freundliche blaue Himmel herab.

Vevis Vater hatte den ersten schönen Tag benutzt, um im Urfarner Winkel seine Netze auszuwerfen. Inmitten seiner Arbeit ertönte von der Jachenauer Seite her ein 85 langgedehnter Ruf, der den Alten zum Aufschauen zwang. Die gebräunte, schwielige Hand an die Augen führend, um dieselben vor den Sonnenstrahlen zu schützen, lugte der Fischer hinüber, und bald erblickte er einen Mann, der lebhaft winkend den Wunsch bekundete, übergefahren zu werden über den See. Der Alte überlegte nicht lange, der Fischzug lohnte bei gar so hellem Wetter nicht besonders, und so zog er die Netze ein und steuerte den Einbaum hinüber.

War der Alte bisher mürrisch, weil nur leichte Ware sich in den Netzen verfangen, so klärte sich sein Gesicht zu freundlichem Lächeln auf, als er des jungen Mannes ansichtig wurde, der auf den Fischer am Ufer harrte. Es war der schmucke, sehnig gebaute Sohn des Erbbauern von Jachenau, der, rasch in den Einbaum springend, dem Alten die Hand treuherzig entgegenhielt und ihn herzlich begrüßte. Wiewohl der Urfarner Fischer nur die Seehütte sein eigen nannte und der alte Bauer vom Erbhof zu den vermöglichen Leuten des Walchgaues zählte, so verband doch eine innige Freundschaft die beiden Alten, die in schweren Zeiten im Feuer vergoldet wurde und sich als echt und unzerstörbar erwies. Der alte Fischer übertrug seine Zuneigung zum Erbbauern auch auf dessen kräftig zum Mannesalter herangewachsenen Sohn, und der Bauer von Jachenau wieder fand an der Vevi unbändigen Gefallen, teils aus Schönheitssinn, der bei dem Erbbauern in besonderem Maße ausgeprägt war, teils, weil ihm das züchtig resolute Wesen, der biedere Charakter des schönen Mädels sehr behagte und ihm Achtung einflößte. Aber auch die jungen Leutchen, des Erbbauern Caspar und Vevi, die schöne Fischerstochter, standen sich nicht feindselig gegenüber. Das kernige Mädel hatte sichtlich Freude, wenn der junge Jachenauer vorsprach und sich am Herdfeuer niederließ, nur störte die treuherzige Freundschaft ab und zu der hell auflodernde Jähzorn des Caspar, der sich zur blinden Leidenschaft, zur sinnlosen Wut steigern ließ durch ein unbedachtes heftiges, wenn auch nicht 86 schlimm gemeintes Wort. War der Zorn verraucht, dann sah der brave Bursch selbst ein, wie unsinnig er sich benommen, und bat, man möge ihm verzeihen. Vevi trug dem Burschen nichts nach, allein im zarten Herzen fühlte sie sich nach solch wüsten Auftritten doch etwas verletzt, und aus diesem Grunde hatte sie bisher für den Erbbauernsohn nicht jene Zuneigung und Liebe empfunden, die zum Altar, zum Bunde für das Leben führt. Caspar ließ es im Laufe der Zeit und insbesondere seit dem Frühjahre nicht an Zeichen besonderer Aufmerksamkeit fehlen, er warb sichtlich um die Liebe der schönen Vevi, allein zum Verspruch war es noch immer nicht gekommen.

Heute trug Caspar, wie der Fischer beim Heimrudern an seinem Gaste bald bemerkte, am Wams einen Rosmarinzweig, eine Symbolik, die der Alte sofort verstand, wenn er auch darüber kein Wort verlor. Zum Vielsprechen schien aber auch der Caspar wenig Lust zu haben, ihn drückte ein schwerer Entschluß, und je näher das Schifflein dem Urfarner Ufer kam, desto mehr wuchs die Aufregung bei dem Burschen, sodaß der alte Fischer ihn schließlich doch begütigte und ihm Mut zusprach, den der Junge sichtlich brauchte.

Vevi hatte den Vater heimfahren gesehen und leistete, die Ankommenden herzlich begrüßend, gleich thatkräftige Hilfe im Ausholen und Ausspannen der Fischnetze. Dann setzte sie dem Vater wie dem Jachenauer Gast saure Milch als Erfrischung vor, der der Vater kräftig zusprach. Nicht so aber der Jachenauer, der keinen Bissen hinabzubringen schien. Teilnehmend fragte Vevi den Freund, was ihm fehle, wie sie ihm helfen könne, und urplötzlich, zu allseitiger Überraschung, war der Antrag dem Burschen aus der Kehle gefahren, daß sie ihm am besten helfe, wenn sie als Ehegespons, als Bäuerin auf dem Erbbauernhofe einzöge, den ihm der Bauer übergeben wolle. Und so bitte er das Mädel herzlich, die rechte Lieb' werde schon kommen, und den bösen Jähzorn werde er schon bändigen, wenn die Vevi 87 ihm dabei recht kräftig helfe. Der Alte war dabei aufgestanden und sah mit Spannung auf sein Kind, das in heißer Röte vor dem Freier stand. Einsprechen wollte er nicht, sein Kind sollte selbst entscheiden. Mit ängstlichen Zügen sah der Jachenauer zu dem vor ihm stehenden Mädchen auf, das sich nun für den Antrag bedankte und unter einem hellen Blick auf den Vater den Verspruch gab. Dem wackeren Mädchen mochte in dem Augenblicke wohl der Gedanke durch den Kopf ziehen, wie dem ergrauten und gebrechlich werdenden Vater die Ruhe auf dem Hofe des Freiers wohlthun würde, und das Herzlein sagte in dem Augenblicke, daß es dem Caspar doch eigentlich recht gut sei. So schied am Abend der Erbbauernsohn im Verspruche.

Herzog Ferdinand hatte die Zeit über der Jagd fleißig obgelegen, deshalb aber keineswegs des schönen Fischerkindes zu Urfarn vergessen. Ihn gelüstete es heiß, die so zufällig gefundene Knospe wieder aufzusuchen. Immer stieg des holden Mädchens Bild vor seinem geistigen Auge auf, immer heißer ward sein Verlangen nach dem Mädchen, das ihn ganz und gar bezaubert hatte. Die klugen Herren mochten auf der Burg zu Tölz beraten, was sie mochten, ihn zog es nach dem düsteren Walchensee zu Vevi. Die Gelegenheit war eben günstig, sein Bruder Albrecht war mit den Kanzlern zu emsig beschäftigt, um seine längere Abwesenheit zu beachten, und zu seinem Hans sagte Ferdinand, er ginge nach der Jagdhütte in der Riß, wohin Hans die Rüden bringen solle. Schnellen Schrittes durchzog Herzog Ferdinand die Jachenau und eilte der Fischerhütte zu Urfarn zu, die den Schatz des Walchensees beherbergte. Liebegirrend umschmeichelte der schmucke Herzog das schöne Veverl, er entrollte ein farbenprächtiges Bild einer goldigen Zukunft, wenn Vevi sein Lieb' werden wollte. Im feurigsten Werben aber unterbrach Vevi mit edlem Anstand den Jägersmann und sagte es rund heraus, daß solcher Antrag eine Schmach sei für ein ehrlich deutsches Mädel. Wenn sie auch nur 88 niedrig geboren, habe der Herr, wer er auch sein möge, kein Recht, sie so zu behandeln. Mit allem Aufgebot ritterlicher Galanterie und Künste versuchte Ferdinand des Mädchens Gunst zu erringen, das ihn verzaubert hatte. Allein Vevi blieb fest. Dem Herzog ward es immer heißer um das Herz, das Fischerkind in seiner holden Lieblichkeit hatte es ihm nun einmal angethan, und so entschloß er sich denn, das Werben nunmehr ernst zu nehmen. Ihm, den die Regierung nichts kümmerte, konnte niemand verargen, wen er zur Burgfrau und Herzogin erhebe. Herzog Ferdinand gab sich zu erkennen und flehte Vevi an, ihm als Ehegespons zu folgen auf seine Burg mit dem Segen des Vaters und des Priesters.

Vevi blieb standhaft und gedachte des Verspruches, der sie band. Ihr Herz empfand nichts für den fürstlichen Werber, mit Würde und Anstand wies das Mädchen den Antrag zurück. Nur die Bitte mochte sie nicht abschlagen, deren Gewährung er als einzige Gunst erklärte, die Bitte, ihn, den Herzog, auf die Pürsch auf den Herzogenstand zu begleiten, nicht allein, sondern begleitet von seinem ganzen Gefolge, damit Vevi es ermessen könne, was ihrer an seiner Seite gewartet hätte. Übereilt, vielleicht auch um den abgewiesenen Fürsten nicht allzusehr zu verletzen, gab Vevi das Wort, den Herzog zu begleiten, und im selben Augenblick kam auch schon die Reue, allein Vevi hatte Stolz und Charakter, ein gegebenes Wort unter allen Umständen zu halten. So ward denn ausgemacht, daß an Laurenzi der Herzog die Vevi zur Jagd abholen werde mit fürstlichen Ehren. Darauf schied der Herzog, der den Kesselberg hinan den Schritt lenkte.

Vevi aber eilte hinauf in ihr Kämmerlein und betete inbrünstig, daß Gott ihr Kraft geben möge, dem Drängen des fürstlichen Herrn zu widerstehen und treu zu bleiben dem versprochenen Bräutigam.

Erstaunt vernahm des Abends der heimkehrende Vater 89 die Kunde, welch hoher Besuch über seine einfache Schwelle geschritten, und völlig einverstanden zeigte sich der Alte mit dem Verhalten seiner Tochter. Nur die Jagd auf dem Herzogenstand wollte ihm nicht gefallen, nach des Fischers Meinung gehörten wohl Herzoginnen und andere fürnehme Frauen zu Jagdgenossen so hoher Herren, niemals aber gemeine Leute. Vevi hätte nicht ja sagen sollen. »Wirst sehen, 's giebt ein Unglück«, sagte der alte Fischer. Dann fiel ihm schwer aufs Herz, was wohl der Caspar dazu sagen werde. Da sei es besser, dem Hitzkopf gleich reinen Wein einzuschenken, ehe er von anderen Leuten Kunde erhalte.

Am nächsten Morgen fuhr Vevis Vater über den See und wanderte auf den Erbhof nach Jachenau; spät abends erst kam er nach Urfarn zurück, wo Vevi noch beim Scheine eines Spanlichtes des Vaters harrte. Groß waren die mitgebrachten Neuigkeiten nicht, denn der jähzornige Caspar war nicht auf dem Hofe, es konnte also der Vater auch nicht vermelden, wie der Erbbauernsohn die Kunde aufgenommen. Dafür aber hatte der alte Bauer dem Freunde aufgetischt und ihn getröstet, daß der Junge die Geschichte wohl nicht zu arg auffassen werde. Die Hauptsache wär' ja doch, daß der Verspruch gelte und das Mädel brav und ehrlich den Verlockungen des fürstlichen Weiberjägers kräftig widerstanden habe. So beruhigten sich die zechenden Alten und freuten sich auf die kommende Zeit eines gemeinsamen Austrages, wenn dann die Jungen schaffen werden auf dem Hofe.

Wie aber der heimkehrende Caspar die Kunde aufnahm, kratzte sich der Erbbauer doch bedenklich hinterm Ohr. Der Alte kannte seinen Buben, und wie der sich gebärdete, das grenzte schier an völlige Raserei. Da half kein Begütigen und Zureden, der Junge war rein toll geworden, und so fand der alte Bauer es am klügsten, selbst mit Vevi zu reden, ob es nicht am Ende doch noch möglich sei, daß das Mädel den Herzog nicht auf der Pürsch begleite. Kaum war der Alte aus dem Hause und aus dem Wege zum 90 Fischerhäusel in Urfarn, da griff auch Caspar zum Stock und zog auf entgegengesetzter Seite ab.

Bangen Herzens vernahm Vevi die Botschaft des alten Jachenauers, ihr that es herzlich leid, daß sie jetzt die Ursache sei am Zorne ihres Hochzeiters, allein das Wort sei dem Herzog einmal gegeben, und das müsse sie als braves Mädel gerade so gut halten, wie das dem Caspar im Verspruche gegebene Wort. Und wie gut sie dem Caspar sei, das wisse er noch gar nicht, sie habe das erst so recht deutlich gefühlt, wie der Herzog sie zu seiner Herzogin habe machen wollen. Sie nehme aber vieltausendmal lieber den Erbbauernsohn samt seinem Hitzkopf wie den Fürsten im schimmernden Gewand. Aber auf die Jagd gehe sie, weil sie einmal ja gesagt, mochten die beiden Alten die Schädel schütteln wie sie wollten.

Da war nun nichts zu machen, und so trottete der alte Bauer eben bedächtig wieder heim, nicht ohne Sorge, was sein Bub' noch alles treiben werde in seiner blinden Raserei.

Der Laurenzitag kam mit all seiner sommerlichen Pracht. Die Straße gegen Urfarn heran zog an dem See Herzog Ferdinand in prächtiger Jägerkleidung, mit Gold und Edelsteinen geschmückt und wohl ausgerüstet zur edlen Jagd. Ihm folgten die Ritter und Freunde samt deren Troß und Hunden, ein stattlicher Zug, der direkt auf das Fischerhaus in Urfarn zu sich bewegte.

Klopfenden Herzens sah Vevi den Herzog nahen, es drängte das Blut so siedend heiß durch die Adern, o Gott, wenn nur das Versprechen dem Herzog nicht gegeben wäre. Noch könnte sie zurück, sie brauchte nur das Kämmerlein nicht zu öffnen, aber was müßte der Herzog sich von ihr denken, müßte er dann nicht glauben, sie fürchte sich, sie, die Vevi vom Walchensee, die auf dem wildempörten Wasser oft gewagt, was kein starker Mann zu vollbringen sich getraute! Es ist ja auch nichts Schlechtes, einen hohen Herrn, umgeben von den vielen Leuten, auf die Jagd zu begleiten, 91 und so sei denn das Wort gehalten in Gottes Namen. Vevi bekreuzigte sich und ging dann hinab, den inzwischen vor dem Hause angekommenen Fürsten zu begrüßen. Sie that dies mit edlem Anstand, in tadelloser Verbeugung züchtig die Augen niedergeschlagen, demutsvoll vor dem Herzog stehend, der zärtliche Worte ihr ins Ohr flüsterte. Rufe der Überraschung ertönten im Gefolge, als die ritterlichen Herren solch wunderbarer Schönheit ansichtig wurden, die sie noch nie geschaut, wo die Ritter auch schon waren in fernen Landen. Und jeder beeilte sich, dem schönen, ob solch lärmender Verehrung errötenden Mädchen den Gruß zu entbieten, zu nicht geringem Mißvergnügen des Herzogs, dem dadurch die Gelegenheit entging, nach seiner Absicht mit Vevi ein Zwiegespräch zu führen.

Die Jäger mit den Rüden voraus, brach die Jagdgesellschaft auf, empor den Hang hinüber auf den stolz aufstrebenden Herzogenstand, dem die Jagdausflüge der Albrechte III und IV den Namen gegeben. Leicht wie eine Gemse stieg die schöne Vevi im geschürzten Kleide den Berg hinan, daß der Herzog kaum zu folgen vermochte und sie daher anrief, doch etwas mäßiger den Pfad zu nehmen. Der herzoglichen Mahnung folgend, blieb das Mädchen etwas zurück und wartete, bis der Fürst die Höhe gewonnen. Die sich bietende herrliche Aussicht auf den schwarzen Walchensee, dessen Wellen heute weiße Ränder zeigten und gurgelnd aneinander schlugen, fand in den Augen des Herzogs diesmal keine Gnade, er hatte nur Sinn fürs schöne Veverl, das vor ihm stand mit wogender Brust und roten Wangen, übergossen von einem bezaubernden Liebreiz, daß es dem verliebten Herzog nur so hämmerte in den Schläfen. Sich dem Mädchen nähernd, schlang Herzog Ferdinand den Arm um dessen schlanke Hüfte und beschwor das holde Kind noch einmal, einzuwilligen in die heimliche Trauung im Jakobskirchlein zu Walchensee. Doch unwillig über diese unerlaubte Kühnheit, riß Vevi sich los so heftig, daß der Herzog schier 92 taumelte. Da plötzlich knackt es im nahen Gebüsch, es blitzt auf – donnernd kracht ein Schuß – mit einem jähen Aufschrei stürzt Vevi mitten in die keusche Brust getroffen in sich zusammen, nach wenigen Röchlern das junge Leben aushauchend zu Füßen des entsetzten Herzogs.

Der Schuß alarmiert die ganze Jagdgesellschaft, alles hastet der Unglücksstätte zu mit verstörten Mienen, der Herzog kniet an der Leiche Vevis, eifrig bemüht, das aus der Brust des Mädchens quellende Blut zu stillen, während die entsetzten Jäger nach dem Mörder fahnden. Im Gebüsch finden sie die Donnerbüchse und neben ihr den Jachenauer – tot. Der Unglückliche hat in seiner Verblendung das todbringende Rohr auf sein Herzlieb gerichtet, als er es im Arm des Herzogs erblickte, und kaum hatte er die Kugel aus dem Laufe gejagt, da machte ein Schlagfluß auch seinem Leben ein jähes Ende. – – – –

Eine unbekannte Hand hat dem unglücklichen Veverl an der Todesstätte einen Denkstein gesetzt, damit der Wissende ein stilles Gebet verrichte für die Seelenruhe der armen Fischerstochter aus Urfarn,Das alte Urfarn trägt heute den verschriebenen Namen Urfeld. Professor Dr. Sepp in München hat kürzlich in einem herrlichen Vortrag die historische Episode der Genoveva vom Walchensee behandelt und den Antrag gestellt, es wolle die stattliche Herberge am Walchensee, an der sich im Sommer Hunderte und Tausende in würziger Alpenluft ergötzen und erholen, für alle Zeiten getauft werden: »Zur schönen Genoveva«. die so schnell durch die Mörderhand ihres Liebsten aus dem Leben scheiden mußte. 93

 


 


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