Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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Ein schmerzlich Wiedersehen.

Traulich warm ist 's in der Schutzhütte, die der sorgsame Alpenverein mitten in die Gletscherwelt gesetzt hat zu Nutz und Frommen der Alpenpilger. Für alle touristischen Bedürfnisse ist gesorgt, nur für das Wetter nicht, das seit Stunden völlig umgeschlagen hat. Der Bergführer war immer einsilbiger geworden, je toller die vom Südwind gepeitschten Wolken über die Tauern jagten, und wie es im echten Bergsteigerschritt, der bekanntlich das »Zeitlassen« zu seinem Motto hat, die Moräne hinaufging, an deren Seite die zerrissenen Gletscherschründe gähnen, da verging auch dem fidelen Maler das Reden, der, von einem weiteren Träger begleitet, aufstieg zur Gletscherwanderung. Verpfuscht, völlig verdorben ist die Bergfahrt allem Anscheine nach und richtig, kaum hat der Künstler mit seinen wetterharten Begleitern das schützende Dach erreicht, da prasselt der Regen, mit Graupeln vermischt, hernieder, und wirre Nebelballen verhüllen alles grau in grau, und gar bald ist der Schneesturm entfesselt, den Jung und Alt fürchtet im Gebirg.

Drinnen in der Stube spendet der Herd behagliche Wärme und die Lampe traulichen Schein, und die einsamen Insassen rüsten sich mit Geduld zur Gefangenschaft. Der Hüttenproviant, die Conserven und Weinflaschen lassen die Cernierung auf Wochen hinaus gefahrlos erscheinen, nur wie es mit dem Hinunterkommen in bewohnte Regionen werden wird, das allein weiß nur der Lenker des Menschengeschickes.

Wie mitten im Winter ist die Nacht heraufgestiegen in die unwirtliche, eisstarrende Höhe. Schon wollen die drei 103 Einsamen sich zur Nachtruhe begeben, da ist's dem Führer, wie wenn ein Schrei heraufgedrungen wäre von der Moräne herauf. Der junge Maler glaubt das zwar nicht, aber das Gewissen, die Pflicht des wackeren Führers ist sofort wachgerufen. Rasch mit Seil und Pickel versehen, tritt der Mann hinaus in die sturmdurchtoste Nacht. Ihm nach der mutige Maler mit dem Träger und, so rasch es geht, eilen sie den gefährlichen Weg zwischen den Steinblöcken hinab. Hart am Gletscher hält der Führer und stößt einen langgedehnten Ruf aus, den gierig der Bergwind erfaßt. Hoooiii – hooo! Dann lauscht der Mann mit vorgehaltenem Ohr . . . Schwach tönt es herauf aus der Tiefe: Hilfeee! – – Die Männer durchschauert es, der Ruf kommt aus dem Gletscher, es muß jemand in einer der vielen Spalten und Schründe liegen. Aber wo? Angeseilt treten sie in das Meer der fürchterlichen Klüfte und rufen wieder. Da tönt es aus nächster Nähe schwach herauf, fast kaum zu hören, denn nebenan rauscht eine Gletschermühle in weitem Trichter. Der Führer rammt mit voller Wucht den Pickel in das Eis, mit bebenden Händen schlingt der Maler das Seil um diese Stütze, die jetzt einen Menschen halten muß auf der Fahrt in die Tiefe des ewigen Eises. Hart am Rand der Gletscherspalte liegend, späht der Führer hinab, seine Luchsaugen erblicken trotz der Finsternis da unten einen Menschenkörper, auf einem Eisvorsprung liegend. Er ruft hinab und schwach kommt die Antwort herauf. »Festhalten!« ruft der Kühne dem Maler zu, dann tritt er die schauerliche Fahrt in die Tiefe an. Das dreifach um den Eispickel geschlungene Seil windet sich langsam unter den Händen des Malers und des Trägers ab, immer tiefer sinkt der Führer. Dann ein Ruck – der Mann ist unten. Eine entsetzliche Pause, wieder ein Ruck am Seile, und mit Aufbietung der ganzen Körperkraft ziehen die beiden Männer, die Füße fest in das Eis gestemmt, die Menschenlast empor. Eine Stauung und heroben auf dem Eise liegt der Abgestürzte. 104 Rasch löst der Maler ihn vom Seile, schleppt ihn weg vom Abgrund, dann läßt er das Seil wieder hinab mit einem Stoßgebetlein auf den bebenden Lippen, daß es noch einmal gelingen möge, ein Menschenleben dem Gletscher zu entreißen. – – Das schwere Werk gelingt, auch der Führer ist wieder heroben.

Der Fremde wird mühselig die steile Moräne empor zur Schutzhütte getragen. Gerettet!! – – Dann wird der Fremde untersucht: ein Beinbruch, die Arme gequetscht und eine böse Wunde am Kopf. Mit Hilfe des im Verbandkasten befindlichen Materiales werden die Wunden gewaschen und verbunden. Ein dankbarer Blick lohnt die Samariterarbeit.

Nach mehrtägiger Pflege des Kranken, eines Kaufmanns aus der Schweiz, der allein in die Wildnis eindrang und, vom Unwetter überrascht, die Richtung verfehlend von der Moräne abseits auf den Gletscher geriet und in eine der zahllosen Spalten fiel, – besserte sich das Wetter, die stolzen Gletscherriesen erstrahlten im leuchtenden Sonnenglanze, schöner denn je zeigte sich die Majestät des Hochgebirges. Für den Maler handelte es sich nun nicht mehr um die beabsichtigte Gletscherwanderung, sondern um den Transport des liebgewonnenen Verletzten.

In einer geflochtenen Tragbahre aus dem Inventar der Schutzhütte schleppten die Wackeren ihren Verwundeten hinunter die vielen Stunden, bis sie im ersten Hochleger (Hochalm) Unterstützung durch Senner bekamen. Im Dorfe untergebracht, ward der Verletzte dann von dem herbeigeholten Arzt übernommen. Treu hielt der junge Maler am Krankenbett des auf so seltsame gefährliche Art gewonnenen Freundes aus, verständigte dessen Familie von dem Unfall und sorgte emsig für sein Wohl. Wie dann die Gattin herbeigeeilt kam zur weiteren Pflege, da erst trat der Maler die Weiterreise an mit dem Gelöbnis, von sich hören zu lassen.


105 Nicht ganz zwei Jahre waren ins Land gegangen. Zum Briefeschreiben war wohl der gute Wille vorhanden, aber nicht immer die Zeit. Ein paar Briefe wanderten von der Schweiz heraus und von Bayern wieder hinein in das schöne Land der Eidgenossen, dann trat, wie es schon geht im Leben, ein Stillstand ein und endlich blieben die Briefe ganz aus. Der Maler bekam neue Aufträge für seine Künstlerhand, die ihn voll und ganz in Beschlag nahmen und jene gefährliche Bergfahrt war längst vergessen.

Der Herbst des zweiten Jahres war herangebrochen und mit ihm der ehrenvolle Auftrag, das Rathaus des »deutschen Venedigs« mit Gemälden zu schmücken, fast vollendet. Wie sich der junge Künstler des Erfolges, der allgemeinen Anerkennung freute!

Eines Tages drang eine Schreckensnachricht auch in das Stübchen des jungen Malers, draußen auf dem See in der Nähe des Hafens sind zwei Dampfer ineinandergefahren, der eine Dampfer ist gesunken und hat mehrere Menschenleben mit in den Grund genommen.

Der Künstler fuhr mit einem Nachen an die Unglücksstätte, just brachte der Taucher das erste Opfer der Katastrophe aus der Tiefe.

Ein Mann ist's mit verzerrten Zügen. Den Maler durchzuckt es, großer Gott, dieses Antlitz! Der Tote ist – kein Zweifel! – es ist der Fremde aus der Gletscherspalte, der Freund von der Schutzhütte.

Was dem ewigen Eise nicht gelang, dem Wasser ist's gelungen.

Mit Thränen in den Augen reklamierte der Freund den Leichnam und noch trauriger als damals ward ihm die Pflicht, die Gattin des Toten von dem Unglück zu verständigen. Bis des Ertrunkenen Weib erschien, hielt der Maler die Totenwacht, die Brust bewegt über dies schmerzliche Wiedersehen. 106

 


 


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