Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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Der Bettellods-Adam.Bettellod, Bettelloder, ein liederlicher, arbeitsscheuer, von Bettel lebender Mensch.

Ein seltsamer Mensch, dieser siebzigjährige Adam. Ein dürres Männlein, gebeugt von der Last der sturmdurchtosten Jahre, mit einem faltenreichen Gesicht, aus dem aber die listigen Augen ganz jugendlich in die stolze Bergwelt blicken. Man könnte den Gesichtsausdruck gutmütig und treuherzig nennen, wenn nicht die kleinen Augen eine große Schalkhaftigkeit und Klugheit verrieten, die sich gewöhnlich zum Schaden anderer Leute bekundet. So alt der Adam ist, zur Arbeit nach bäuerlichen Begriffen wäre er noch immer tauglich, aber er mag nicht, schon seit schier einem Menschenalter nicht; er geht lieber »pechern« und bettelt dabei. Pecherngehen bringt Konflikt mit dem Forstschutzgesetz und mit den Forstleuten steht der Adam schon lange Jahre auf Kriegsfuß. In Servitutswaldungen der Bauern kommt es vor, daß gutherzige Leute dem Loder das Pechsammeln gestatten, freilich nicht gerade zum Nutzen des Forstes. Aber was scheren sich die Bauern um forstgerechte Behandlung des Waldes; schlagen was brennbar ist und für die Aufforstung soll der liebe Gott sorgen. Freilich die kaiserlichen Forstleute, die thun, als gehöre die ärarische Waldung ihnen persönlich und lassen einem armen Teufel nicht einmal das Bißl Pech abklauben, das die Tannen ausschwitzen. Also das Pechern ist verboten, aber grad extra deswegen geht der Adam pechern und je öfter man ihn deshalb abstraft, desto fleißiger sammelt er das Harz, für das er wenige Kreuzer 37 erhält. Erwischt ihn ein Forstwart beim Pechern und wird der Adam vor den Bezirksrichter geführt, dann pfeift der Damerl (Name für Adam) auf jeden Rechtsbeistand, er läßt sein Mundwerk laufen wie ein Mühlenrad und in der ersten Zeit ist es ihm wahrhaftig gelungen, den Richter durch sein treuherziges Auftreten rumzukriegen. Da jammerte der Adam über sein hohes Alter, das ihn zur schweren Bauernarbeit untauglich mache, er schilderte mit hinreißender Beredsamkeit die Qualen des Hungers, daß die Zuhörer schier das Knurren des leeren Magens zu vernehmen meinten. Und was das Pechern anlangt, so sei ihm das von verschiedenen Bäuerinnen »verlaubt« worden. Später allerdings kam auch der gutherzige Richter dem Loder auf die Schliche und die Strafliste wuchs zu bedenklicher Länge und sein Akt schwoll immer mehr an. Die höchste Strafe erlitt er vor kurzem und seine Abhandlung vor Gericht erregte das Interesse des ganzen Oberennsthales.

Hoch droben in der Almregion des Viehberges, in einer idyllischen Hochthalmulde, »Sauboden« genannt, von wo aus man den eisgegürteten Dachstein in den Äther ragen sieht, hat der Bettellods-Adam den harzreichen Waldbestand sich zum pechern ausersehen. Ihn schreckte nicht der mühsame Aufstieg durch die Bergwildnis auf schauerlichem Pfade, nicht Nacht und Sturm. Als Kind rauher Eltern aufgewachsen im Hochland, vertraut mit allen Gefahren des Gebirges, an die härtesten Entbehrungen gewöhnt, klettert der siebzigjährige Greis heute noch mit der Gemse um die Wette und schleicht trotz der Ungetüme von eisenbeschlagenen Bergschuhen geräuschlos über die felsigen Pfade. Der Himmel mag bersten und Wolkenbrüche herabprasseln, der Damerl steigt unentwegt aufwärts und seine »Lichter« durchbohren die finstere Nacht wie Katzenaugen.

Eine Schauernacht war's, wie der Adam von der »Rahnstuben«, einer Holzknechthütte zwischen himmelanstrebenden Felswänden, über den »Bruch« aufwärts strebte. Gegen 38 den schweren Regen schützte ihn der umgeworfene »Kotzen«, ein grobes Stück Steirerloden, die nackten Kniee sind das Naßwerden schon gewohnt. Die Nacht im Freien zuzubringen, ist für den Adam nichts von Bedeutung. Früher war's freilich schöner, da war der Damerl ein fescher, schneidiger Bursche, dem manche Sennerin beim Almbesuch freiwillig das Stückchen Zucker in den Schnaps gab, was im steierischen Hochland eine herzerfreuende, minnigliche Bedeutung hat. Die »zuckersüße Liab« ist hier buchstäblich zu nehmen und »'s Fensterlgehen« überflüssig, wenn der Enzian oder Vogelbirene (Vogelbeerbranntwein) durch die Brentlerin gesüßt ist. Damals hat der Adam auf solche Schnapsspende allemal gleich gesungen: »Deandl, wo hast denn dei' Liegerstatt« – – Vergangene Zeiten das! – Jetzt kriegt der alte Damerl keinen Zucker mehr in den Schnaps und vom Übernachten ist auch keine Rede mehr. Den Bettellods-Adam wollen die Brentlerinnen nicht einmal mehr ins Heu lassen, weil er der berüchtigte Bettellods-Adam ist. Heute muß ihm eine Rindenhütte genügen oder Fichtenäste mitten im Hochwald, ihm genügt eine solche Liegerstatt auch.

Schußlicht war noch nicht, als der Damerl aus den Ästen kroch und im Sauboden das Pechern begann. Eifrig, ohne viel Geräusch kratzte er mit dem Knicker das Harz aus den Fichten in seinen Schnappsack, hurtig von Baum zu Baum, die bebarteten, halberstickten Lärchen verächtlich beiseite lassend. Ein plötzliches Knacken läßt den Damerl aufhorchen, schnell gleitet der Sack zu Boden, aber schon steht der Forstwart in Uniform vor ihm. »Gib Di« (ergebe dich) heißt es, und »na« (nein) lautet die rauhe Antwort. Dem Damerl seine Messerklinge blitzt durch die Luft und die Beiden sind aneinander. Ein kurzes Ringen und der Alte liegt bezwungen am Boden. Schnappsack und Messer versorgt der Forstwart, dann wird der Damerl durch die Bergwildnis abwärts transportiert, dem Gerichtsgefängnis zu. Wär' allweil noch besser im Kotter, wenn 39 nur nicht die gestrengen Gerichtsherren wären, die aus einer Mucken gleich einen Elephanten macheten. Wie der Adam es diesmal auch anstellen wollte, es nutzte nichts, er versuchte zu konstatieren, daß er auf nichtärarischem Grunde pecherte, allein das Verbrechen der öffentlichen Gewaltthätigkeit mit gefährlicher Messerdrohung und Angriff einer Person in Ausübung der Dienstpflicht blieb auf ihm sitzen, gleichviel auf welchem Grund und Boden die That geschah. Einige Tage pechern kostet verschiedene Tage Gefängnis, aber die öffentliche Gewaltthätigkeit – die hat acht Monate Kerker eingebracht.

Der Damerl schaute dem Oberrichter verdutzt ins Gesicht, acht Monate für das Bißl Rumfuchteln mit dem schartigen Messer, das versteht der Adam nicht und deshalb hielt er an die Gerichtsherren eine Ansprache, wie der beste Landadvokat. Aber appellieren geht nicht, weil die Sache schon in zweiter Instanz verhandelt ist zu Leoben. Also die Strafe annehmen. Der Damerl möchte sich die Geschichte zwar noch überlegen, aber die Herren vom Gericht erklärten, er hätte sich den Angriff auf den Forstwart auch früher überlegen sollen.

»Aber a Siebziger und a blutjunger Forstwart?«

»Thut nichts, acht Monate mit Rücksicht auf die vielen Vorstrafen.«

Kopfschüttelnd verließ der Bettellods-Adam das Gerichtsgebäude und in selber Stunde die Amtsstadt. All' seinen Groll ließ er an seinen Füßen aus, und marschierte (weil ihm das Geld zum Fahren fehlte) den etwa zwanzigstündigen Weg in kaum sechzehn Stunden hin zu seiner Keusche hoch droben im Gebirge. Wenn das die Gerichtsherren in Leoben erfahren, die werden sich nicht wenig ärgern und das ist dem Bettellods-Adam seine Rache für das Urteil.

Was er dann machen wird? Mit den Augen zwinkernd meinte der Damerl, er werde schandenhalber die Strafe schon absitzen. – Und wegen dem pechern?

40 Pecherngehen muß er, weil er leben müsse. Aber künftighin werde er das Pech von den Bäumen mit der Zunge abschlecken und kein Messer mehr mitnehmen. Da brauche sich der Forstwart nicht mehr vor einem siebzigjährigen Greis zu fürchten und die Gerichtsherren bringen dann keine Gewaltthätigkeit mehr fertig.

»Ja, a so mach' i 's,« sagte der Damerl und schlich in den Wald. 41

 


 


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