Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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Dritter Teil.

Ea(n)chl-Almer.

Ea(n)chl-Almer werden die Almleute und Bewohner des Murbodens jenseits des Gebirgskammes im Sölkgebiete genannt. Ea(n)chl bedeutet jenseits, herißel = diesseits der Gebirgsschneide gegen den Lungau im Salzburgischen, den Murboden und Oberennsthalgebiet.

1.

St. Nicolai nennt sich ein Dörflein weltentlegen, gänzlich vereinsamt im Hochthale der großen Sölk, eines wilden Seitenbaches der oberen Enns. Ein Kirchlein und sieben Häuschen um dasselbe geschart, das Pfarrhaus mit eingerechnet, bilden die Ortschaft am Schlusse des wildromantischen Thales, in das nur Leute kommen, die der Beruf, das Geschäft hereinführt, oder die den kürzesten Übergang nach dem Murboden suchen ohne Rücksicht auf Bequemlichkeit. Mächtige Bergkolosse türmen sich im Rücken zu einer Alpenlandschaft auf, die noch keine hundert Touristen im Laufe des Jahrhunderts gesehen haben, eine Wildnis mit allen Schauern und allen Schönheiten des majestätischen Hochgebirges. Kühn in scharfen Konturen ragen die Zacken und Spitzen des Urgebirges auf, ein Meer von Klippen und doch jede Spitze in anderer Formation, Schuttfelder und Kare in ungeheurer Ausdehnung, Gletschermoränen gleich, Felspartieen und Schrofen von erdrückender Größe und Wucht, dazwischen eingebettet wie Kleinode und Edelgestein smaragdne Seen in schmalen Hochthälern. Das Herz möchte jauchzen, aber die stille Erhabenheit des Hochgebirges schließt den Mund, stumm steht der Mensch im Bewußtsein seiner irdischen Nichtigkeit in diesem Gebilde göttlicher Allmacht. Selbst wenn die junge Morgenröte die 6 Berge küßt und helles Sonnengold die Spitzen anstrahlt, liegt die starre Landschaft düster und schwermütig da, ist doch in solcher Höhe jegliches Leben erstorben, kein Baum mehr, selbst Krummholz reicht längst nicht mehr heran und die leichtfüßige Gemse äst tiefer unten, wo auf schmalen Felsbändern noch spärliches Wildgras wächst, das liebliche Edelweiß blüht, purpurn der Almenrausch erglüht und der Speik seinen aromatischen Duft ausströmt.

Auch die das Dörflein umschließenden Vorberge sind unwirtlich, steil, nur von kümmerlichen Grashalden bedeckt, die erst tief herunten dem Hafer und dünnem Roggen Platz machen. Ist viel zu lange Winter in dieser Einöde, Ende Mai können die paar Bauernbuben noch Schlitten fahren und im September wirbeln schon wieder in lustigem Reigen die Schneeflocken, sobald sich der Regen eingenistet hat in dieser Bergwildnis. Die urbaren Felder sind daher um das Dorf herum bald gezählt, so leicht wie die Hand voll Häuser. Aber zum Pfarr- und Gemeindebezirk gehören gar viele Keuschen und Einödhöfe in den Seitengräben, aus den Querriegeln und Bergrücken, wohin zu wandern es guter Kniee und ausdauernder Lungen bedarf. Das vergrößert den Gemeindebezirk und die Arbeit des Pfarrers, der als Geistespionier heroisch auf Lebensgenüsse verzichtend, gehorsam dem Befehle seiner Oberen, das Häuschen neben der kleinen Kirche bezogen hat. Ein junger Priester, voll Feuereifer für seinen Beruf, zog der Pfarrer vor vielen vielen Jahren ein, ahnungslos vor dem Kommenden, ohne Kenntnis der Hochgebirgsverhältnisse. War ja die erste Pfarrerstellung für den jungen Kaplan, dem es die Brust hob bei dem Gedanken, nun eigener Herr und wirklicher Pfarrer zu sein. Wie der junge Mann so freudig zugriff, als man ihm sagte, die einzige freie Pfarrei könne er haben, aber sie liege böse weit und zu tiefst drinnen im Oberland, da lächelte der Bischof so eigen, aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich und den Drang nach Selbständigkeit soll man im 7 Menschen nicht verkümmern. Wenn's einen später gereut, ist's seine eigene Sache.

Die Sölker Bauern, mürrische, verschlossene Leute, guckten nicht wenig, als eines Tages ein mit vier Ochsen bespannter, hochbeladener Wagen das schmale, ausgewaschene Sträßlein entlang kroch und neben dem Fuhrknecht ein schmucker Geistlicher fürbaß schritt, hocherhobenen Hauptes, das strahlende Auge auf die stolze Bergwelt gerichtet, Glückseligkeit im Herzen. »Das ist deine Heimat geworden, die Stätte deines Wirkens,« murmelte der Geistliche, der beseelt vom Wunsche, sich rasch einzuleben, nach den Namen der Zacken und Felsriffe frug. Kam dem jungen Herrn wunderbar genug vor, daß der Knecht allweil meinte: »Woaß's nöt.« (Ich weiß es nicht.)

Im Pfarrhause angelangt, wanderte der letzte Gulden in die Faust des Fuhrmannes, ein paar Bauern halfen die Wohnung einrichten. Daheim! Welch seliges Gefühl! Zwar ist kein Geld mehr in der Tasche und bis zum nächsten Zahltag noch recht weit, aber dafür wohnt der junge Pfarrer unter eigenem Dache, schläft in seinem eigenen Bett. Wird sich mit Eiern und Mehlspeisen behelfen im ersten Monat, Hühner und Roggenmehl, wie ein Schmalzkübel sind noch vom Vorgänger da, den sie eingegraben haben draußen im kleinen Friedhof.

»Ja, aber wer kocht mir?« fragte am anderen Morgen der neue Gebirgspfarrer den Meßner nach der Messe.

»Der verstorbene Herr Pfarrer that es selbst,« meinte dieser.

»Was, keine Köchin? Und die Wäsche, die Stubenreinigung?«

»Der verstorbene Herr Pfarrer that es selbst,« lautete die lakonische Antwort.

»Gut, aber die Gartenarbeit, das Kammkehren, das Stiefelputzen?«

»Der verstorbene Herr Pfarrer that es selbst.«

8 »Um Himmels willen, wenn aber unsereins krank wird?«

»Dann ist der Hansl da.«

Der junge Pfarrer ließ es nicht auf das Krankwerden ankommen, der Hansl mußte gleich ins Haus.

War ein krachdürres, uraltes Männlein dieser Hansl, wohl an die siebzig Jahre alt, zu schwerer Arbeit nicht mehr geeignet, aber Feueranmachen, Stiefelputzen und Hühnerfüttern, das ging noch ganz gut. Alles andere zu arbeiten mußte der Pfarrer lernen.

Mit der Seelsorge ging es auch nicht so leicht und glatt, wie es sich der junge Pfarrherr vorgestellt. Anfangs predigte er hochdeutsch und philosophierte dabei, wovon die Bauern blutwenig verstanden. Sie wußten, daß er ihr Pfarrer sei, aber kurios genug, denn er kann ja gar nicht einmal verständlich, steierisch, predigen.

Ja, einmal predigte er gar von den Spatzen, die det Herr nährt, wie er auch die Lilien auf dem Felde kleidet. War das ein Geguck an jenem Sonntag in der Kirche! Die paar Bauern wetzten sich die Ellbogen und steckten die Köpfe zusammen. In Nicolai gab's ja gar keine Spatzen und Lilien haben die Sölker Bauern in ihrem ganzen Leben nicht gesehen. Glücklicherweise war der Hansl damals in der Kirche und hörte die Spatzengeschichte; der steckte es dem jungen Pfarrer beim Mittagessen und jetzt guckte der Pfarrer. »Was, wirklich keine Spatzen in St. Nicolai?«

»Beileib nöt!«

»Wie ist denn das möglich? Dann hört ja bei uns die Welt auf!«

»Beileib nöt! Wo koa(n) Troad (Getreide) wachst, san a koane Spatzen. Ea(n)chl woltern scho(n).« (Jenseits des Gebirgs [nach Süden] schon.)

Wie das dem jungen Pfarrer zu Herzen ging. So weltverlassen und vereinsamt fühlte er sich, daß ihm gar oft das Weinen näher stand als das Lachen. Und in seinem Gärtchen vor dem Pfarrhaus, da wollte nichts Rechtes 9 wachsen, der junge Seelsorger säete wohl verschiedene Samen, aber es ging nichts auf oder das Wenige schoß ins Kraut. Der Boden wär' nix, viel zu viel hart der Bergboden im Urgebirg, meinte der herbeigeholte Hansl. Schier kein Gemüse das ganze Jahr hindurch und Fleisch höchst selten, bloß wenn einer der Bauern Malheur hatte und eine »derfallene« (abgestürzte) Kuh ausschlachtete.

Wie war es doch im Seminar in dieser Beziehung schön, die »reinen« ägyptischen Fleischtöpfe und jetzt Zeiten der bittersten Entbehrung. Und dazu mit nichts selber kochen, Eier in landläufigen Zubereitungen, »Sterz« aus Bohnenmehl, an Feiertagen aus Roggenmehl mit Butter geröstet und Schmarrn mit Salat im Sommer. Wochenlang nichts anderes, bis ein Hausierer mit ungarischer Salami und Hosenträgern, Siegelringen und Zwetschgen kommt.

Wie der Winter kam mit rauhem Ungestüm und es Schnee herabwarf, als sollte bloß die Sölk davon bekommen, die andere Welt aber nichts, da schlich sich etwas wie banges Zagen in des Pfarrers Brust und in Gedanken frug er sich: »Wie soll das für die Zukunft werden?« Er entbehrte schier das Allernotwendigste und verrichtete Arbeiten, die mit seinem Stand gar nicht vereinbar sind. Aber was will er machen, den wenigen Bauern ging es um kein Haar besser, bloß daß ihre Weiber dem bescheidenen Hauswesen vorstanden. Der Ortsvorstand hat wohl einmal gemeint, es solle der hochwürdige Herr doch probieren, ob nicht eine Weibsperson den Wirtschaftsposten im Pfarrhause übernähme. Darauf schrieb der Pfarrer fort und ein Gaisbub trug das Brieflein die acht Stunden hinaus bis auf die nächste Poststation, aber es kam keine Pfarrersköchin. Nicht daß sich eine am Lohn gestoßen hätte, nein gewiß nicht, aber die Einöde mit ihren Entbehrungen war zu verrufen im Oberland und eine andere Weibsperson als aus dem Gebirge könnt' es ja ohnedies nicht aushalten in der Bergwildnis. Wenn nur wenigstens der Meßner oder der 10 Schullehrer verheiratet wären, damit deren Frauen die dringendsten weiblichen Arbeiten im Pfarrhause hätten verrichten können. Aber so war der Meßner langmächtiger Witwer und dem Lehrer draußen in Mößna, der benachbarten Ortschaft, die eine Schule hatte, dem ginge zum Verhungern bloß noch ein Weib und eine Stube voll Kinder ab.

Der Hansl mußte wohl oder übel das Notwendigste verrichten und später ging's um einen Gedanken besser, wie die Nachbarbäuerin, die zugleich das bescheidene Dorfwirtshaus führte –, eine Viehdirn bekam und selbe aushelfen ließ im Pfarrhof. Das geschah aus Dankbarkeit, weil der Pfarrer einmal im November spät nach dem Segen trotz Schneesturm und einbrechender Nacht hoch hinauf ins Gebirge zu einer verwandten Keuschlerin den SpeisgangKeuschlerin = Hüttenbesitzerin. Nach bäuerlichen Begriffen giebt es Hofbauern, Pächter von Lehen (kleinere Bauernhöfe) und Keuschler, die nur eine Blockhütte, wenig Vieh und ein minimales Grundstück besitzen. – Speisgang = ländlicher Ausdruck für den Gang, den ein Priester mit dem Sterbesakrament zu einem Kranken macht. machte. Den letzten Trost der Religion einem Sterbenden bringen auf stundenlangem Marsche durch das Hochgebirge, mit Frost und Kälte ringend, mit dem Schneesturm kämpfend um das eigene Leben, das ist ein Beruf, der eine begeisterte Hingebung verlangt, einen Opfermut und Heroismus, der anderwärts kaum mehr zu finden ist. Das Pflichtgefühl und die Nächstenliebe treiben den Priester hinaus und jeder geht willig, während der ärmste Bauer und Keuschler am warmen Ofen sitzt.

Jener nächtliche Gang hat dem Pfarrer überhaupt die Herzen seiner ganzen Gemeinde gewonnen. Jeder Bauer empfand ein Gefühl der Dankbarkeit, wie sie durch den Hansl näheres über den Todesgang hörten. War ein Wunder, daß der Pfarrer heimkam mit ganzen Gliedern. An jenem Abend las der Pfarrer behaglich in seiner warmen Studierstube und rauchte sein Pfeiflein, indes Hansl fleißig 11 das Feuer im Ofen schürte und dann wieder nach dem Wetter guckte.

»Grad damisch schneibt's« (es schneit tüchtig) meinte er und fügte dann in seinem rauhen Dialekt dazu, daß es just kein Vergnügen wäre, wenn bei solchem Hundewetter ein Speisgang auskäme (nötig würde).

»Vergnügen gewiß nicht, aber heilige Pflicht,« murmelte der Pfarrer und in Gedanken durchschauerte es ihn, wenn die Notwendigkeit wirklich in solcher Sturmnacht an ihn herantreten würde. Gleich darauf bimmelt die Hausglocke gellend, als sollt' ein Toter aufgeweckt werden aus dem ewigen Schlafe. Den Hansl riß es schier um vor Schrecken und auch der Pfarrer sprang auf und hätte beinahe die Pfeife fallen lassen. Der Hansl macht das Thor auf und gleich darauf wimmert ein blondes Mädel, dicht mit einem Tuche verhüllt, der Pfarrer möcht' um aller Heiligen willen zur Mutter 'nauf in die Huberleiten. Im Nu ist der Pfarrer auch herunten an der Thüre und fragt nach dem Unglück. Unglück wär's keines, aber die Mutter möcht' sterben und ziaght schon (liegt in den letzten Zügen.)

»Aft'n kemmt's eh' z'spat« (dann kommt ihr ohnehin schon zu spät) meinte der alte Hansl, »san woltern drei Stund auffi und der Sturm dazua.«

Aber der Pfarrer hat schon den Lodenrock umgeworfen, eilig holt er das Ciborium aus dem Hauptaltar der Kirche und ein Gebet auf den Lippen tritt er in die Sturmnacht hinaus. Die Laterne und das Glöcklein muß das Mädel tragen, dem alten Meßner will der humane Pfarrer den schauerlichen Marsch nicht zumuten. Pechschwarz ist die Nacht, die Berge dicht verhüllt, Schneewolken fliegen dem Wanderer ins Gesicht und mühsam wird der Marsch schon, wie die letzten Häuser mit dem wenigen Lichtschein verlassen sind. Der Schnee wird immer tiefer, das Steigen äußerst beschwerlich, von Weg oder Pfad keine Spur, er muß erraten, auf gut Glück erklommen werden. In der 12 linken Hand das Ciborium mit dem Sterbsakrament, in der Rechten den Bergstock keucht der Pfarrer aufwärts mitten im furchtbarsten Schneegestöber, vom Sturm durchrüttelt, vor ihm das betende Mädel mit der Laterne und dem schrill klingenden Glöcklein. Bis an die Arme sinken beide ein in den Schnee, der Mut will den Geistlichen verlassen, aber immer erinnert er sich wieder, daß eine Sterbende seiner und des letzten Trostes vor der Wanderung in die Ewigkeit harrt.

Immer aufwärts pfadlos durch den tiefen Schnee in finsterer Nacht, dem trüben Scheine der Laterne nach. Die Erschöpfung nimmt überhand; wenn die Keusche nicht bald kommt, ist der Pfarrer verloren, die Kräfte schwinden, ein böser Husten stellt sich ein, es kommt so warm heraus aus der Brust, Blut – –. Der todesmatte Pfarrer ruft dem Mädel etwas zu, doch der Sturmwind verschlingt den Ruf. Es stürzt der pflichttreue Seelsorger, doch vermag seine Hand eine Felsenkante zu erwischen, die ihn vor dem Todessturz bewahrt. Keuchend bindet sich der Pfarrer das Kirchengefäß mit der Stola um den Hals und mit Aufgebot der letzten Kraft kriecht er auf Händen und Füßen den Rest des Abhanges empor, wo ein Licht aus dem Keuschenfenster blinkt. Er erreicht die Schwelle, spendet der Sterbenden das Abendmahl, doch sprechen kann er nimmer und kaum ist die heilige Handlung vorüber, sinkt der Ärmste bewußtlos nieder. Die Keuschlerin starb nicht in jener Schreckensnacht, aber der pflichttreue Pfarrer kam dem Tode nahe und mußte nach einigen Tagen von herbeigeholten Holzknechten zu Thale getragen werden.

Diese Heldenthat des Einödpfarrers sprach sich bald herum im ganzen Sprengel, sie drang in die letzten Hütten, ehe der furchtbare Schneefall deren Bewohner auf Wochen abschnitt von der übrigen Welt. Kein Wunder, wenn die Nikolaier mit Stolz auf ihren Pfarrer blickten, der, wiewohl sterbenskrank, doch immer seine kirchlichen Funktionen 13 ausübte. Erst wie der Föhn über den Gebirgskamm brauste, die tiefblauen und rostroten Wolken vor sich jagend, die ihr Naß auf die tiefverschneite Landschaft gossen, die Bäche wieder zu rauschen begannen und die Berghalden ihr blickendes Weiß mit dem Schmutziggrau des schmelzenden Schnees vertauschten, die Tannen und Lärchen des Hochwaldes aufseufzten, daß des strengen Winters Macht sich bricht, da erst ward es besser mit dem Bergpfarrer und langsam begann die Genesung.

Ein Sonntag war's im Vorfrühling, ein Tag des Kampfes der wieder erwärmenden Sonne mit Sturm und Regenschauern, als ein Mädchen im Pfarrhause vorsprach und dem Seelsorger einen Buschen Schneekatherln (Schneerosen, die ersten Blumen des Frühlings im Gebirg, die schon ihre Köpfchen hervorstrecken, wenn noch Schnee die Halden bedeckt) brachte, als liebevollen Dank für jenen Speisgang im tiefsten Winter. Wie das den Pfarrer freute!

Nach Amt und Predigt kam auch die wieder genesene Keuschlerin ins Pfarrhaus, um zu danken und dem Seelsorger zu sagen, daß er ihr Mirl (Marie) zur Hausarbeit haben könne ohne Entgeld, nur möge er das junge Ding »g'wanden« (kleiden). So viel Dank wollte der Geistliche nicht nehmen, aber für Lohn wie es Brauch ist im Gebirg wär er's zufrieden. Man sprach hin und her und schließlich ward Mirl richtig »Häuserin« im Pfarrhof. Eine blutjunge Häuserin, ein schmächtiges Mädel, aber zur Arbeit tüchtig wie jedes Steirer Gebirgskind. Mit der Zeit wird es wohl besser werden und Mirl wird schon auch das Kochen lernen und die Hauswirtschaft. Und so kam es denn auch mit den Jahren.

2.

Einer der schmuckesten Burschen im fürstlichen Jagddienst ist der Aschauer Christl (Christian), ein bildsauberer Bursch, schlank und sehnig, der trotz seiner Jugend vollständig hirsch- und holzgerecht ist. Der Waldmeister hält große Stücke auf 14 den Christl, ob dessen Tüchtigkeit und Ausdauer im beschwerlichen Dienste und sagt es oft, daß dieser Gemsjäger beschaffen sei wie die »Purschen« der guten alten Zeit, die ihre drei »Behänge« durchmachten, als Jungens, Lehrpurschen und freigesprochene Jägerpurschen, nachdem sie fährten- und holzgerecht, hunds- und gewehrgerecht, forst- und reviergerecht geworden. So nüchtern der Christl im Dienste war, so fidel konnte er in seiner freien Zeit sein und bei Zitherklang und feurigem Steirerwein gab es keinen lustigeren wie den Jäger Christian. Gar manches Mädchenauge blickte dem schmucken Burschen nach, wenn er von seiner einsamen Diensthütte herabkam ins Waldmeisterhaus zum Rapport. Dabei hielt der junge Gemsjäger viel auf sich selbst.

Es dauerte auch nicht allzulang, daß der Christl zum Herrendienst avancierte und dem fürstlichen Jagdherrn für die nächste Jagd als Begleiter zugeteilt wurde. Das geschah gewissermaßen aus Dankbarkeit, weil der Christl einmal seinen hohen Herrn aus einer sehr unbehaglichen Situation errettete. Um die Zeit der Hahnfalz war's und lebhaft ging's im Jagdschlosse zu Schladming zu, denn der Fürst hatte sich ansagen lassen und wurde tagtäglich erwartet. Alles war auf seine Ankunft vorbereitet, die großen Hahnen sind »verlost« droben auf den schneegekrönten Höhen und in deren Hängen. Es singen die großen Hahnen und auch die »Kleinen« machen sich in den Latschen bemerkbar. Der fürstliche Jagdherr kam jedoch einen Tag früher mit dem Nachtzug und ging, ohne das Schloß zu berühren, gleich ins Revier.

Der Volksmund nennt ihn den besten Schützen der grünen Steiermark und wär er nicht von königlicher Abkunft, so würde das Gebirgsvolk darauf schwören, daß er ein Freischütz ist, der mit Teufelskugeln schießt und immer trifft. Der Fürst stieg an, indes der Adjutant auf seinen Befehl am warmen Ofen des kleinen Dorfwirtshauses der Rückkehr harren muß. Schon ist das »Knappen« der 15 Hahnen zu hören, der Fürst springt an, da knackt es plötzlich im Gebüsch, der Schnee wirbelt auf und mit furchtbarer Gewalt wirft ein Mann sich auf den hohen Jäger. Der Flickhosenmichl ist's, der Hahnverloser, der den vermeintlichen Raubschützen abfängt, zu Boden wirft und mit Riemen fesselt. Anfangs sprachlos vor Schreck kann der Fürst erst später Worte finden, um den Burschen über seine Person aufzuklären. Allein das ist vergebliches Bemühen, der Flickhosenmichl glaubt kein Wort und will dem Raubschützen das Hahnanspringen schon vertreiben. Könnt' jeder sagen, er wär' ein Prinz und Hahnen schießen! Und der Prinz kommt erst morgen ins Revier! Ja, wie der Herr zitternd vor Frost, seinem Unmut über solche Behandlung lauten Ausdruck gab, da ward der Michl gar noch handgreiflich und bearbeitete den vermeintlichen Raubschützen noch mit Faustschlägen. Und wie der junge Morgen anbrach, da eskortierte der Michl seinen Mann quer durch den tiefverschneiten Hang abwärts, sich im Voraus auf das Fanggeld freuend. Der Fürst befand sich in verzweifelter Lage, die Hände gefesselt ging es sich unendlich schlecht im tiefen Schnee, alles Zureden blieb vergeblich.

Glücklicherweise kam wie ein rettender Engel der Christl des Weges daher auf seinem Reviergang. Der erschrak schier auf den Tod, wie er den gefesselten königlichen Jagdherrn erblickte, noch mehr aber der Flickhosenmichl, der in die Kniee sank und zu wimmern begann vor Angst, weil er glaubte, der Prinz werde ihn jetzt erschießen lassen. Christl that gleich das Nötigste, labte den Fürsten aus seiner Enzianflasche, rieb dessen erstarrte Hände mit Schnee sorgsam ein und brachte seinen Herrn, so rasch es ging, ins Schloß. –

Die schönste Büchsflinte aus dem fürstlichen Gewehrschrank durfte sich der Christl als Geschenk seines dankbaren Herrn auswählen.

Im Dienst ging alles seinen Gang, nur daß zur 16 Blattzeit die Reviere anfingen, durch »Schwarzgeher« (Wilddiebe) beunruhigt zu werden. Die Jäger brachten Tag für Tag schlimme Kunde heim, die den Waldmeister arg vergrämte. Die Ea(n)chler sind wieder an der Arbeit, hieß es im Revier. Wie die Almen jenseits des Gebirgskammes bezogen werden und zwar meist durch junge Senner, spürt der Jäger schon am nächsten Tage Schwarzgeher im Revier. Für die jungen Burschen ist es eine Kleinigkeit, die Gebirgsschneide zu überklettern und ins fürstliche Jagdgebiet einzubrechen. Die Ea(n)chleralmen sind Hochalmen, von welchen die Schneide in wenigen Halbstunden zu erreichen ist. Ist die Sennarbeit bei Einbruch der Dämmerung und am frühen Morgen gethan, so bleibt den Burschen genügend Zeit zum Wildern auf fremdem Gebiete. Werden sie gespürt und verfolgt, so entrinnen sie über den Gebirgskamm rasch und die Jäger müssen von der Verfolgung jenseits ihrer Jagdgrenze abstehen.

Im Ea(n)chler Grund ist, weil meist Kommunaljagden vorhanden, alles abgeschossen, daher die Raubschützen auf fürstliches Wild lüstern sind, fast jede Ea(n)chleralm beherbergt einen Wildpratschützen verschlagendster Art und so hat sich allmählich ein scharfer Gegensatz zwischen Ea(n)chlern und Herißlern ausgeprägt und die Herißljäger sind schlecht auf die Ea(n)chleralmer zu sprechen. Sie scheuen weite, strapaziöse Märsche und Nachtwachen in den Felsen nicht, um Ea(n)chler abzufangen, die sie als ihre Todfeinde anzusehen gewohnt wurden. Der Christl besonders ist der Schrecken der Ea(n)chler geworden, den sie hassen, weil seiner Schnelligkeit kaum einer entrinnen kann, so lange der Raubschütz auf fürstlichem Boden ist. Der Waldmeister gab dem Christl daher auch das Sölkrevier, als sich die Ea(n)^chler neuerdings fühlbar machten. Das war gewiß ein ehrenvoller Auftrag, aber für den Christl war jetzt eine Zeit der härtesten Strapazen gekommen. Tag und Nacht mußte er auf den Beinen sein, kaum zum Schlafen hatte er Zeit, 17 denn das Sölkgebiet umfaßt zwei Hochthäler von kolossaler Ausdehnung und seine Berge türmen sich gewaltig auf.

Rings umschlossen von himmelanstrebenden Felskolossen, auf welchen nur mehr Steinmandeln die Richtung für die ab- und aufziehenden Almleute auf der Schneide markieren, liegt schwermütig wie eine dunkle Thräne auf dem Auge der erstarrten Natur die Flut des kleinen Pillensees im Schoß der wuchtigen Alpen. Unter zwei Felsriffen, die der Volksmund ihrer Ähnlichkeit mit den Löffeln Meister Lampes wegen, die »Hasenohren« nennt, liegt dieser See in steinerner Hoffnungslosigkeit, in einer furchtbaren Steinwüste. Die Felsen senden alljährlich im Lanks ihre steinernen Grüße thalwärts bis an den Rand des eiskalten Sees. Rings um das kleine Gewässer ist jegliches Leben erstorben, kein Baum findet Nahrung, erst nach einstündigem, scharfem Abstieg beginnt der kümmerliche Krummholzwuchs und nicken am schäumenden Sturzbach die Dolden der Alpenrosen in leuchtendem Rot. Ein schwüler Abend war's, als Christl lautlos dieser Öde zustrebte, um im Gemäuer der Felsenriffe die Nacht über scharfe Wacht zu üben. Unheildrohend ballen sich schwarze Wetterwolken, dumpf grollt es im Firmament; der See fühlt den beginnenden Kampf, schon kräuseln sich die Wellen, daß weißer Schaum das felsige Ufer netzt, fahl zuckt es auf im Westen, dann heult der heranbrausende Sturm herab durch die Schründe und Schrofen, Aufruhr verkündend in der entfesselten Natur. Dröhnend folgen furchtbare Donnerschläge aufeinander, die in dem engen Kessel sich vervielfachen im betäubenden Getöse. Hell aufleuchtend zucken die Blitze durcheinander in die rasch eingebrochene schwarze Nacht, auf Felsen, in die gurgelnden Wellen fahren die Sendboten des grollenden Wettergottes. Tief unten im Thale flammt eine entzündete Fichte auf, grausig den dunklen Tann beleuchtend, ein Funkenmeer knistert auf, wie der Wind durch die glimmenden Äste fährt, dann aber prasselt der Regen nieder in 18 schweren Schlägen, dämpfend löschend, was der wütende Strahl entzündet. Der einsame Jäger hat notdürftigen Unterstand unter einem überhängenden Felsblock gefunden, bis das Unwetter sich entladen und verzogen hat über die Felsriesen. Wie es jetzt rauscht im Gemäuer, von Felsband zu Felsband, durch die Runsen und Reuschen plätschert das abschießende Wasser dem gurgelnden See zu, aus dem der tosende Bergbach zu Thale stürmt.

Christl hat scharfe Wacht gehalten an seiner Grenze, aber vergeblich, Schußlicht ist bereits eingetreten, es flammt der Morgen auf in der durch den Sturm erquickten Landschaft, auf den höchsten Spitzen des Urgebirges flutet helles Sonnengold, es flimmern die Klippenwände und unten im Thale wogt es im Nebelmeere. Wie Christl, unter einem Felsvorsprung liegend, mit dem Glase den Grat absucht, tuscht es tief unten mit scharfem, kurzen Knall und weiter rollt das Echo in den Wänden. Himmellaudon! Wie es den Jäger aufreißt! Rasch wird das Gewehr versichert und nun springt er abwärts mit wuchtigen Sätzen von Felsblock zu Felsblock der flüchtenden Gemse gleich, vorbei am einsamen See, der Klamm zu, durch deren Felsenpaß der Bergbach seine Fluten zwängt. Es verlangt des Menschen größte Geschicklichkeit, in rasendem Laufe diese Klamm sprungweise zu passieren, bald heißt es links, bald rechts auf eine Felsplatte zu springen, bis vor dem großen Absturz im gigantischen Wasserfalle der Querriegel durch einen kühnen Sprung zu erreichen ist. Das scharfe Ohr des Jägers hat die Schußrichtung richtig taxiert und kaum ist Christl den Latschenhang hinab und Deckung suchend in den Föhrenbestand gesprungen, da sieht sein bewaffnetes Auge auch schon, wie ein kleiner Bursche aus dem Gemseneinstand abwärts dem Kar zustrebt, von Zeit zu Zeit sichernd. Das scharfe Glas des Jägers läßt den Burschen deutlich erkennen und Christl hat sofort seinen Plan zum Abfangen fertig. Es ist ein Ea(n)chleröchsler, der ein Gams erbeutet hat 19 und jetzt den Raub der Halterhütten zu schleppen will, die als Ausnahme in dieser Gegend auf Herißelboden steht. Die Bosheit des Ea(n)chlerbauern hat jeden Versuch, diesen Weidgrund samt der Hütte durch die fürstliche Kanzlei abzulösen, verhindert und so hatten die Jäger zu ihrem großen Verdruß eine Laus im Pelze. Die drei Bewohner dieser Halterhütte gehören zu den verschlagensten Burschen des Oberlandes, kühn bis zur Verwegenheit rauben sie, was zu ergattern ist und die Öchsler (Ochsenhirten) sind schier immer dem strafenden Arm der Gerechtigkeit entronnen. Nicht unbezähmbare Jagdlust ist es bei diesen Burschen, die sie zum Stutzen greifen läßt, sondern Gewinnsucht und Eigennutz und hieran sind wohl auch die Verhältnisse schuld. Die Bauern des Murbodens zahlen einem Halter das Jahr über fünfzehn bis zwanzig Gulden und verlangen von Jakobi bis zum Rosenkranzsonntag Sennarbeit und den Winter hindurch Knechtesdienste. Dieser geringe Lohn macht die Leute »nebengriffig.« Zunächst verlangen sie von ihrem Bauer Mitbenützung des Weidegrundes für einige Stück Vieh, die sie auf eigene Rechnung kaufen und »auftreiben«, um selbe im Herbst mit etwas Profit wieder zu verkaufen. Ein Bauer, der dies verweigerte, würde keinen Halter bekommen. Wo dann von diesen Burschen ein Stück Wild abzufangen ist, geschieht es sicher und natürlich nicht gerade auf waidgerechte Weise.

Dem Christl ist das alles genau bekannt, wie er auch die Burschen genau kennt, den alten, listigen Öchsler, der seiner schwachen Knochen wegen sich auf das Schlingenlegen verlegt, den kleinen Melchior, ein Hauptwildpratschütz der schlimmsten Sorte, und den Goaßerbuben (Geißhirt), der das Kleinvieh unter Aufsicht hat.

Wenn der Christl im Bogen ungesehen vor dem Melchior, der heute Morgen ein Gams niedergeknallt hat, die Halter(Hirten)hütte erreicht, dann gehört der Bursch dem Jäger. Rasch wird der Plan zur Ausführung gebracht, Christl ist 20 in der Hütte, sperrt den erschrockenen Alten ins Milchkammerl und erwartet im Anschlage den heimkehrenden Wilderer. Der Schreck über diesen unvermuteten Überfall ist zu groß, der Bursche kann nicht schnell genug schußfertig werden und ist im Nu dingfest gemacht. Wohl flucht er und wild rollen seine Augen, aber nun hilft nichts mehr, der Gefangene muß das Gams aufnehmen, der Jäger trägt den Stutzen und nun wird der Marsch aufs Waldmeisteramt angetreten, von wo dann die Gendarmen den Gefangenen aufs Gericht eskortieren.

3.

Wenn vor dem Rosenkranzsonntag (Anfang Oktober) infolge Schneefalles die Hochalmen verlassen werden müssen, dann dauert der Winter lange. Da wirbelt es lustig herab zu einer Zeit, wo anderswo fast noch Sommerhitze herrscht, der Neuschnee schmiegt sich an die Felsenriffe, das blendende Weiß drückt die Äste der Föhren und Fichten nieder, die grünen Matten mit dem würzigen Futter sind verschwunden, weiß in weiß die ganze Landschaft. Dann beginnt der Kampf in der Natur nach ewigem Gesetze. Kaum hat es zu schneien aufgehört, kommt über die Höhen der Föhn (Scirocco), Italiens und der Adria heißer Atem, der Südsturm fegt brausend durch Berg und Thal, von klatschendem Regen begleitet, der den Jungschnee von den Halden jagt. Die Matten haben jedoch ihr schmuckes Grün verloren, rotbraun und gelblich sind sie jetzt gefärbt und nur der Tannenwald hält Stand in seinem Immergrün. Dann kommt im Spathirgscht (Spätherbst) Reif und Frost, jegliches Pflanzenleben vernichtend, ein langsam Erstarren und Ersterben der Natur und um Virgili (Ende November) ist der tiefste Winter längst Alleinherrscher und Keuschen und Bauernhöfe eingeschneit, daß kaum der Schlot noch aus dem Schneemantel emporragt. Die Obersteirer Bauern sind solche Gefangenschaft von Kindsbeinen auf gewohnt und nehmen 21 sie mit Gleichmut hin, es ist einmal so im Hochland und war bei Ahnl und Großvater auch nicht anders. Wie es dem Herbst zugeht, sieht der Bauer nach den Vorräten und sind diese ergänzt und aufgespeichert, dann mag die Gefangenschaft des Winters beginnen. Und die dauert oft genug ganze Monate, so daß manche Familie in größter Gefahr schwebt, wenn die Vorräte verzehrt und die Versuche des Selbstausgrabens aus dem Schneegrabe vergeblich sind. In dieser Schneewüstenei des Hochgebirges spielt die Umsicht des Gemeindevorstehers und Pfarrers eine große Rolle. Beide kennen ihre Leute und deren Verhältnisse, sie müssen eingreifen, wenn nach ihrer Berechnung in einzelnen Familien die Vorräte in langer Haft verzehrt sein könnten und an Neubeschaffung nicht zu denken ist. Dann muß die Hilfe vom Dorfe hinauf in die weit verstreuten und gänzlich verschneiten Hütten und Höfe kommen, die Leute müssen wie Dachse ausgegraben und ihnen Lebensmittel gebracht werden.

So war die Adventzeit angebrochen, jene weihevolle vierwöchige Erwartungszeit des kommenden Weihnachtsfestes, auf das der ärmste Keuschlerbub wie der reichste Bauer sich freut, nur jeder in seiner Art. Die Landschaft liegt im tiefsten, erschreckenden Winter, abgeschlossen, wie ausgeschieden durch göttlichen Machtspruch aus der organischen Welt, Berg und Thal fast ausgeglichen durch ungeheure Schneewächten, Bäche zugedeckt, von Schneemauern überwölbt und weite Waldgeräumte niedergedrückt im Schneebruch. Doch mag des grimmen Winters Herrschaft toben, die Zeit der Holzgeschäfte ist da und ruft den Forstmann an die Arbeit. Das Langholz muß aus dem Bergwald herabgebracht, das geschlagene Holz hinausgeschafft werden. Da kommt denn um die Adventzeit der Forstadjunkt, begleitet von einem Jäger, herein in die Sölk, ausgerüstet mit Schneestrümpfen, Gamaschen, Schneereifen u. s. w., als gelte es einer Eskimofahrt im Lande der Mitternachtssonne und im Grunde genommen giebt es wenig Unterschied dort und hier in den 22 Seitenthälern der Enns im obersteierischen Hochland. Neun Monate Winter, mehr hat auch der grimmigste Norden nicht aufzuweisen.

Zur Begleitung des Forstadjunkten war diesmal Christl ausersehen und seit Morgengrauen sind beide unterwegs im tiefen Schnee von der Enns herein. Die Bauern haben Schneestangen gesteckt, wo im Sommer das schmale Sträßlein bergeinwärts fährt, jetzt liegt der Schnee klafterhoch auf der Landschaft, von Straße und Bach keine Spur. Heißt tapfer ausschreiten, wenn St. Nicolai zur Winterszeit in zehn bis zwölf Stunden von der Enns weg erreicht wird. Vom kleinen Kirchlein hat das Abendläuten längst erklungen, schwarz ist die Nacht aufgestiegen, da erreichen die Beiden endlich das Dörflein mit seinen sieben Hausnummern. Nicht aus allen sieben Häuschen blinkt ein Licht, manche Leute sind schon zu Bette, wiewohl es erst um die siebente Abendstunde ist. Wer in St. Nicolai übernachten muß, geht zum Pfarrer. Das hat sich so in der Praxis herausentwickelt in den vielen Jahren, weil das kleine Wirtshaus kaum bäuerlichen Ansprüchen genügt.

Christl zieht die Hausglocke, indes der Adjunkt sich den Schnee abstreift. Die Thüre geht auf und ein blonder Mädchenkopf lugt durch die Spalte in die rabenschwarze Nacht. »Wer draußen wär?«

»Der Forstadjunkt mit einem Jäger!«

War das eine Freude beim Pfarrer, daß er in winterlicher Einsamkeit solchen Besuch bekommen. Lustig prasselt das Feuer in dem ungeheuren Kachelofen und strahlt behagliche Wärme aus. Konventwein aus dem Stifte Admont steht aus dem Tisch, nur wegen des Essens jammert der Pfarrer, daß er gar so wenig seinen Gästen bieten könne. Aber die Mirl werde schon was fertig bringen, die Herren hätten die Wahl zwischen Rühreier und Pfannkuchen. War das ein fideles Abendmahl! Einfach und bescheiden, aber gewürzt durch Frohsinn und Genügsamkeit. Richtige 23 Jägersleute haben nun mal keine besonderen Bedürfnisse und ein Gebirgspfarrer auch nicht. Dann wurden die Pfeifen in Brand gesteckt und munter ging der fröhliche Redefluß.

Nur der Christl war auffällig still; so oft Mirl, die junge Pfarrersköchin ins Zimmer trat, brachte er die Augen nicht weg von ihrer lieblichen Gestalt und sehnsüchtig folgten ihr die Blicke bei jeder anmutsvollen Bewegung. War auch ein Prachtmädel geworden, diese Mirl, so ganz anders wie der Sölkerschlag der mürrischen Hochthalbewohner. Ein frisches Mädel mit goldblonden Zöpfen und klugen Äuglein, voll und doch schlank im Wuchs, nichts verkümmert, wie das im Gebirge so häufig anzutreffen ist. Der geistliche Herr hatte so manchen Blick des Christl schon aufgefangen, doch sagte er nichts. Das Gespräch kam bald auf das Holzgeschäft des Forstadjunkten und das interessierte auch den beteiligten Pfarrer und so merkten beide nicht, daß Christl das Zimmer verlassen und die Küche aufgesucht hatte. Erst wie die Weinkrüge leer waren und gefüllt werden sollten, ward der schmucke Jäger vermißt und gleich darauf kam lieblich errötend die Mirl herbei, die Krüge zu füllen. Schalkhaft drohte der Pfarrer mit dem Finger, er möchte nicht gern seine Köchin verlieren. Wie da das Aushalten im Pfarrhof beteuert wurde! Der geistliche Herr solle ja nicht glauben, daß die Mirl ihn verlassen werde, nein gewiß nicht. Aber im Herzensschrein sah es doch schon anders aus, und richtig, wie das Holzgeschäft erledigt war nach einigen Tagen, da waren der Christl und die Mirl im Verspruch und treuherzig bat der Jägersmann den guten Pfarrer um die Einwilligung an Elternstelle. Das konnte nun der Pfarrer nicht, aber Fürsprecher will er schon sein bei der Mutter der braven Mirl, sobald es Menschenfüßen möglich sein wird, die Höhe zu erklimmen, wo die Keuschen steht.

Die Seligkeit im Herzen stapfte Christl dann mit dem Forstadjunkten heimwärts, jetzt kann es ihm nicht mehr 24 fehlen, und wenn noch sein hoher Jagdherr Ja sagt und am Ende gar noch etwas beisteuert zum jungen Haushalt, dann Juchhe!

4.

»Wo i geh' und steh
Thuat mir mei' Herz so weh'
        Um mein' Steiermark!
Ja, glaubt's ma's g'wiß,
Wo das Büchsal knallt
Und da Gamsbock fallt
Und mein guter Herzog Johann is'.

Wer die Gegend kennt,
Wo ma's Eisen brennt,
Wo die Enns daher rauscht unt' im Thal;
Und vor lauter Lust
Schlagt oan da die Brust,
Wie so lusti alles überall.

Ja, es is a Freud,
Meine liab'n Leut',
Wann da Bua schö juchazt in der Welt';
Wann der Hirsch aufspringt,
Und wann d'Senn'rin singt,
Daß es schall'n thuat schön weit und breit.

Ja, i siech mi scho'
Ganz verzückt und froh
Mit mein' Buam auf die Alma geh'n,
Mit an frisch'n Muat,
In mein' Steirer Huat,
Aftn stolz am Kogl obmat steh'n.

Auf der Felsenwand,
In an Steirerg'wand,
Wann i do mein liebsten Buam siahg,
Wann sei Büchsal knallt
und der Gamsbock fallt,
War's a Wunda, wann i's Hoamweh kriag?«

Mit der Blüte des lieblichen Edelweiß kommt die Schußzeit der Gemsen, des edelsten Wildes des Hochlandes. Vom 25 1. August an darf der waidgerechte Jäger die Gemspirsch antreten und bald darauf werden auch die Treibjagden in den großen Revieren abgehalten. Der fürstliche Jagdherr war gekommen, der fröhlichen Jagd zu obliegen und sein sicheres Rohr brachte flüchtige Gemsen zu Dutzenden auf die Strecke. Von Hochthal zu Hochthal zieht der Fürst mit großem Troß, überall einen bis zwei Tage in dem jeweilig in stille Wildnis gebetteten Jagdschlößchen wohnend, bis das riesige Terrain abgejagt ist. Eine strenge Vorschrift im fürstlichen Jagddienst fordert speciell das Begehen des Reviers sofort nach Beendigung einer Treibjagd, da die Erfahrung lehrte, daß nach dem Fürsten die Ea(n)chleralmer mit Vorliebe jagen, offenbar in der Voraussetzung, daß mit dem Fürsten das gesamte Jagdschutzpersonal in das nächste Hochthal weiterzieht und somit immer ein Revier »rein« sei.

Just war im Thale der kleinen Sölk und Tuchmoargraben das »Riegeln« beendet und der Revierdienst traf turnusgemäß den Aschauer Christl. Wohl wäre der Jäger lieber mit der Jagdgesellschaft hinüber in die Großsölk, wo zu St. Nicolai sein Herzlieb weilt, das er viele, viele Wochen nicht mehr gesehen. Ein pflichttreuer Jäger hat nicht viel Zeit zum Fensterlngehen. Aber wenn die Jagden vorüber sind, dann darf der Christl um den Heiratskonsens einschreiten und die seligste Zeit bricht für ihn an.

Christl ist vor Morgengrauen an einem Septembertage dem Tuchmoargraben zu auf die Pfandlscharten. Wie ein Schatten gleitet er lautlos durch den stillen Bergwald, scharf auslugend nach verdächtigen Gestalten. Mit dem anbrechenden Morgen wird die Vogelwelt lebendig, vertraut ziehen Rehe heraus in die Lichtung, tief unten erklingt das Almgeläute des aufziehenden Viehes, nachdem die Melkarbeit gethan. Christl wandert stetig weiter, die bedenklichen Teile des Revieres kommen erst und darum heißt es sehr vorsichtig sein. Er durchquert die Bromleiten ins Ornegg und hat damit das Gamsrevier betreten, das sich in riesigen 26 Felscouloirs aufbaut. Wie der Jäger die Klammlrinn passiert und eben das Spektiv (Fernrohr) aufnehmen will zur Absuchung des Gemäuers unter der Tuchmoarscharten, da tuscht es zweimal und donnernd fährt das Echo durch die Schluchten. Den Christl reißt es schier um, aber kalt Blut! heißt es beim Jäger.

Nun gilt es rasch und lautlos der Schußgegend zuzueilen und die Raubschützen abzufangen. Bei dem schwierigen Terrain eine Höllenarbeit, für den Christl aber eine Spielerei. Er pirscht sich immer näher an, die Spitzbuben müssen in dem Föhrenbestand sein, das Gemäuer ist sauber. Immer in Deckung näher, von Stamm zu Stamm, dann wieder sichernd und losend, über kleine Wände hinaus, hinab, bis sein Adlerblick zwei Burschen erspäht. Kein Zweifel, es sind Ea(n)chleralmer, just mit dem Aufbruch von zwei Gemsen beschäftigt.

So sicher fühlen sich die Burschen, daß sie ziemlich laut reden miteinander. Christl schleicht näher, jetzt erhebt er den Bergstock, ein Ruf und mit furchtbarer Wucht erfolgt ein Hieb auf den nächst am Boden sitzenden Raubschützen. Im Nu ist der zweite Bursche in der Höhe, er hat statt der Büchse den Bergstock erwischt, mit Blitzesschnelle vollführt er einen Hieb auf des Jägers Gewehr, der alte Riemen reißt und die Waffe kollert das Wandl hinab. Ein fürchterlicher Augenblick, doch Christl ist schnell gefaßt, er holt zum Hieb mit dem Bergstock aus, ein Kampf auf Tod und Leben, aalglatt weichen beide den wuchtigen Schlägen aus, so weit es der Boden erlaubt, es glühen die Wangen, die Augen schleudern Blitze, jede Bewegung wird verfolgt, da rührt sich auch der zweite Bursche wieder, er überwindet den Schmerz und gleitet, ehe Christl es verhindern kann durch einen zweiten Schlag mit seinem Stecken, das Wandl hinunter, wo des Jägers Gewehr liegt. Ein wilder Schrei des Triumphes, ein Knacken und von unten herauf bedroht der Ea(n)chler im Anschlag des Jägers Leben. Christl sucht 27 augenblicklich Deckung, der andere Raubschütze benützt diesen Augenblick, bückt sich blitzschnell, erfaßt seinen Stutzen und springt in wuchtigem Satze das Wandl hinab. »Fort, fort!« rufen beide und schnell wie der Sturmwind eilen die Raubschützen durch das Dickicht. Christl will sein Gewehr nicht missen, noch hat er Bergstock und Hirschfänger und Mut für Drei. Auch er springt die kleine Wand hinab und jagt in tollem Laufe den Raubschützen nach. Diese haben die Verfolgung geahnt, sie wissen, daß jetzt der Kampf aufs Äußerste kommt, die Büchsen an der Wange erwarten sie den anstürmenden Jäger. »Gebt Enk!« ruft Christl, doch der eine Raubschütze giebt Feuer auf fünf Schritte, mit dem Kugelschuß in der Brust stürzt der Jäger zu Boden. – – –

Jetzt erfaßt Entsetzen die Ea(n)chler, wie gelähmt stehen sie vor dem Opfer der grausen That. Der todwunde Jäger röchelt noch. – »Nöt leiden lassen!« jammert der eine Bursche, dem die Kniee schlottern vor Entsetzen. Und der Mörder schreitet bebend auf den Jäger zu und giebt ihm den Fangschuß mit Schrot in den Kopf. Ein letztes Zucken und der Geist des armen Opfers ist entflohen. – – – –

Wie gebannt bleiben die Raubschützen auf dem Schauplatze des Verbrechens. Der Jüngere jammert verzweifelt über diesen Ausgang, die Reue erfaßt auch den andern, den Mord wollte keiner. Voll Entsetzen werfen sie des Jägers Gewehr in ein Erlengestrüpp, einen letzten Angstblick auf den Toten, dessen verglaste Augen zum Himmel starren – dann eilen beide mit ihren Stutzen wie von Furien gejagt, dem Felsrondell zu und auf schwindelndem Pfade über die Scharte hinüber zur Grafenalm auf der Ea(n)chlseite.

5.

»Wo nur der Aschauer bleibt?« fragt sich der Revierjäger Frosch, der nun schon stundenlang am vereinbarten Treffplatz sitzt und auf Christl wartet.

28 Auf eine oder zwei Stunden Differenz kommt es im Hochgebirgsrevier nicht an, so genau läßt sich das Eintreffen nicht berechnen. Aber der Frosch wartet nun schon über drei Stunden, die Dämmerung breitet sich aus, früh bricht die Nacht an. Der einsame Jäger wird nun doch unruhig, vielleicht ist dem Christl etwas passiert, er will nun zunächst die Diensthütte des Christl aufsuchen, auf einen Nachtmarsch kommt es ja nicht an.

Doch auch dort nichts vom Christl, nur sein Hund ist da. Frosch nimmt den »Hirschmann« an die Leine, schreibt für Christl einen neuen Treffpunkt auf und legt den Zettel auf den Tisch. Dann schreitet Frosch mit Christls Hund hinaus in die Nacht, er will Christls Revier wenigstens teilweise durchgehen, eine innere Unruhe und Sorge um den jungen Freund treibt ihn dazu.

So wandert er den langen Weg durch den Tuchmoargraben und erreicht nach Mitternacht die dortigen Almhütten. Hier eine kurze Rast bis zum Tagesanbruch, dann wandert Frosch hinüber ins Ornegg. Wie der Hund jetzt zieht an der Leine!

Frosch wird aufmerksam, er löst den »Hirschmann«, ein paar Sätze hinan den Hang in den Föhrenbestand, der Hund giebt Hals und Standlaut.

Alle Wetter! Frosch steigt rasch an, findet den Gamsausbruch, also Raubschützen! An ein Unglück zu denken, ist jetzt keine Hexerei mehr. »Hirschmann« windet, er nimmt an und schießt davon. Gleich darauf ertönt ein Klagegeheul, der Hund hat seinen Herrn gefunden – tot.

Welch erschütterndes Wiedersehen! Gestern noch gesund und blühend mit seinen 26 Jahren, liegt der schmucke Jäger heute durch die Brust geschossen todeskalt im feuchten Grase. Ein kurzes Gebet für den armen Freund und Kollegen!

Dann aber sucht Frosch peinlich genau den Schauplatz ab und eine halbleere Schnapsflasche, zugestopft mit einem 29 aus Windeln gedrehten Leinwandfetzen findet er. Diesen Fund bringt Frosch aufs Gericht.

* * *

Vom Waldmeisterhause weht die schwarze Trauerflagge, heute wird die Leiche des erschossenen Aschauer Christian erwartet und im Friedhof zu Gröbming bestattet. Von allen Höfen und Keuschen eilen die Leute herab, um den feierlichen Kondukt zu sehen. Zum letztenmale und als toter Mann wandert Christl durch die Thäler seiner geliebten, schönen Heimat, seine Kollegen im Jagdschutzdienst tragen die auf Tannengrün ruhende Leiche bei Fackelschein mit umflorten Gewehren hinaus. Das ganze Personal giebt dem Toten das letzte Ehrengeleite mit dem Waldmeister an der Spitze, dem die Thränen von den Wangen perlen. Seinen braven Burschen ihm wegzuschießen! Es drückt dem biederen Alten das Herz schier ab vor Schmerz.

Und wie die Erdschollen dumpf auf den Sargdeckel aufschlugen und der greise Priester seine ergreifende Rede beendete, da schwur jeder bei sich, den gemordeten Kollegen zu rächen. Und im Pfarrhause zu St. Nicolai trauert eine liebliche Mädchenblume um den erschossenen Bräutigam, fast vergehend im herben Schmerze.

Energisch ging das Bezirksgericht vor, die Schuldigen zu eruieren, Gendarmen forschten in den entlegensten Winkeln und Almen, die Gerichtsherren hielten Lokalaugenscheinnahme am Thatorte ab, die Untersuchung wurde mit großem Eifer geführt.

Es dauerte nicht lange und die Thätigkeit der Gendarmerie hatte den ersten Erfolg aufzuweisen, es fand ein Gendarm in einer Keuschen eine Windel von gleicher Leinwand, zu welcher jener Schnapsflaschenpfropfen paßte. Das Keuschlerweib wurde darob scharf inquiriert, geriet in Widersprüche und gestand schließlich, daß ihr Mann mit noch zwei anderen an jenem 12. September wildern gegangen war. Noch in 30 derselben Nacht wurden die drei Männer ins Gerichtsgefängnis verbracht. Sie gestanden zu, gewildert und zwar in der Nähe des Tuchmoargrabenrevieres Gemsen geschossen zu haben, aber den Mord hätten sie nicht verübt, hätten davon überhaupt erst später gehört. Damit geriet die Sache ins Stocken, die Untersuchung förderte neue Momente nicht mehr zu Tage, doch wurden die drei Raubschützen in Haft behalten.

So verfloß ein Jahr und wieder war es Herbst geworden im Hochlande der oberen Enns, da verlangte am Jahrestag des Verbrechens ein Bursche den Pfarrer des einsamen Dörfleins Krakauhintermühlen jenseits des Gebirgskammes zur Beichte. Der Bursche bat so dringend, seiner Sünden losgesprochen zu werden, daß der Priester rasch zur Stola griff und die kirchliche Handlung begann. Anfangs erstaunt über die Gemütsbewegung des Almers, horchte der Pfarrer hoch auf, wie der Bursche in tiefster Zerknirschung seine Beteiligung an der Schauderthat am Ornegg eingestand und reumütig um die Vergebung Gottes flehte. Die Geschichte jenes Todesschusses war dem Ea(n)chlerpfarrer wohl bekannt, bewegt sie doch heute noch die Gemüter dieser Gegend. Eindringlich redete der Priester dem Burschen ins Gewissen, wie die Gerechtigkeit es erfordere, daß dieses Geständnis vor dem Richter wiederholt werde, erst dann könne die Vergebung Gottes erfleht werden. Ein kurzer Seelenkampf und mit Festigkeit legte der Almer in die Hände des Priesters das Gelöbnis, noch in selber Stunde zum Richter behufs Anzeige zu wandern.

Und wirklich, am Jahrestage der unglückseligen That am Ornegg erfolgte durch den Almer Bogensperger am k. k. Bezirksgericht Murau die Selbstanzeige der Anteilnahme am Verbrechen und zugleich nannte der Bursche den wahren Mörder, den Ea(n)chleralmer Namens Siebenhofer Hans, der beide Schüsse auf den Jäger Aschauer abgegeben.

31 Noch in selber Stunde trug der Telegraph diese Kunde nach dem Untersuchungsgericht in Gröbming, ungeheuere Aufregung in dem einsamen Marktflecken erregend. Sofort wurden alle Schritte zur Verfolgung gethan, Jäger und Gendarmen durchsuchten das ganze Gebirge diesseits und jenseits des Kammes und der Siebenhofer Hans, ein verwegener Bursche wurde nach heftiger Gegenwehr von einer Ea(n)chlalm weggeführt und eingeliefert. Während sein Genosse reumütig die That und seine Beteiligung am Wilddiebstahl eingestand, leugnete Siebenhofer alles hartnäckig. Das Bezirksgericht Gröbming beschloß auf Anordnung des Kreisgerichtes Leoben die erneute Lokalaugenscheinnahme mit Konfrontation der Raubschützen am Thatorte, zu welchem Zweck beide Burschen gefesselt in Begleitung zahlreicher Gendarmen und Jäger über das Gebirge zur Tuchmoarscharte den halsbrecherischen Gemssteig herab ins Ornegg transportiert wurden.

Eine waffenstarrende Gesellschaft harrte der Verbrecher am Schauplatz der That. Je näher die Burschen der Stätte kamen, wo sie vor Jahresfrist den armen Jäger ums Leben gebracht, desto aufgeregter wurden sie. Bogensperger stürzte, am Thatorte angelangt, in die Knie und gestand abermals mit zitternder Stimme, daß hier der Siebenhofer den todbringenden Schuß abgefeuert habe.

»Fluch dir, Elender!« rief plötzlich eine Stimme. Es war die Mirl, die Braut des erschossenen Jägers, die den weiten Weg hereingewandert war zur Konfrontation. Mittlerweile war das ganze wilde Terrain von den fürstlichen Jägern abgesucht worden, weil das Gewehr des Aschauer noch immer fehlte. Kaum hatte Mirl den Mörder in furchtbarer Aufregung verflucht, da fand einer der Jäger im Erlengestrüpp das verrostete Gewehr und überbrachte es dem amtsführenden Richter. In diesem Augenblick schwand die Selbstbeherrschung des Almers, den Blick auf die Todeswaffe gerichtet, streckte er die Arme wie abwehrend gegen 32 das Gewehr aus, sank nieder und gestand bebend die unglückselige That.

Das Schwurgericht in Leoben fällte kurz darauf das Urteil: Sechs Jahre schweren Kerkers für den Siebenhofer Hans, einige Monate für den Almer Bogensperger.

Nur wenige Jahre hielt der Ea(n)chler diese Strafe aus, er starb, wie die Gebirgler sagen, an Mangel der Bergluft, ausgesöhnt mit Gott, reumütig, mit einer unstillbaren Sehnsucht nach der Bergheimat im Herzen.

* * *

Ein eisernes Kreuz auf schwerem Steinsockel im Friedhof zu Gröbming (Oberennsthal) trägt die Inschrift:

»Hier ruhet Christian Aschauer
Sr. Hoheit Prinz Coburg'scher Jäger
im 26. Lebensjahre meuchlings erschossen (1887).

Hier ist ein Herz der Ruh' gegeben,
Das Niemanden gehaßt im Leben,
Das dennoch fiel durch Mörders Hand,
Das Gott verschont im Kampf fürs Vaterland.
D'rum freundlich blick' auf diesen Stein
Und weih' mir eine Thräne, denkend mein.
R. I. P.«

 


 


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