Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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Die weiße Leber.

Vor Jahren kam ich auf einer Gebirgswanderung in ein stilles Dorf und steuerte sogleich dem großen Wirtshaus neben der Kirche zu, vor dessen Eingang ein mächtiger Metzgerhund schläfrig Wache hielt. So widerhaarig diese bissigen Köter gegen fechtende Handwerksburschen sind, den Gast unterscheiden sie sofort vom Vaganten und begrüßen ihn schweifwedelnd. Im Flur ist's angenehm kühl, während draußen die Julisonne erbarmungslos herabbrennt. Alles steht angelweit offen im Hause, man sieht in die Küche, in die Stuben, breit ist der Eingang der rauchgeschwärzten Wirtsstube offen, an deren kleinen, bleigefaßten Fenstern Geranien und Nelken üppig blühen, durch die ein neugieriger Sonnenstrahl sich ins Zimmer stiehlt. Auch hier niemand? Doch, hinten im schattigen Plätzchen am Ofen sitzt ein altes Mütterchen traumumfangen. Wie schade, daß der Schlaf der Ahnl gestört werden muß, allein der Durst ist ein unerbittlicher Herr, der nach der Kellnerin verlangt. Doch da kommt sie ja, die ländliche Hebe, die natürlich Marie heißt, wie fast alle Kellnerinnen mit der breiten Geldtasche an der rechten Seite. Wie's mit dem Getränk wär'? 'n guaten Roten hätten wir schon! Also her damit und a Springerl (Sodawasser) dazu. Dann setzt sich die Hebe mit dem unvermeidlichen Strickstrumpf an den nächsten Tisch und neugierig wird der Fremde beguckt. Still wie in der Kirche ist's in der kühlen Stube, die Fliegen summen am Fenster, eintönig tickt die Uhr im braunen Verschlag in der Ecke, von fern klingt gedämpft der Schlag der Kirchenuhr, 60 bisweilen kräht ein Mistkratzerl und Hennen gackern es in die sonnendurchglühte Bergwelt, daß sie eben wieder ein Ei gelegt. Das alte Mütterchen nickt am Ofen und seufzt bisweilen auf.

»Ist wohl die Ahnl?« fragte ich gedämpften Tones die Kellnerin. »Wohl, wohl! In die achtzig schon.« So leise das Gespräch begann, das alte Mütterchen hat uns schon gehört und richtet sich mühsam auf im Lehnstuhl. »Wer ischt da?« fragt die Ahnl mit starrem Blick ins Leere.

»Wolltern a Fremder, Großmutter.«

Das blinde Frauerl murmelt: »So, so!« und sinkt wieder in sich zusammen.

Nun das Mütterchen wach ist, kann ja wieder laut gesprochen werden, zur sichtlichen Freude der Kellnerin, die die Neugierde arg genug quält. Kommen so sowenig Leute da herein in die Einöde des weltverlassenen Thales, Hausierer, ab und zu der kontrollierende Gendarm, sowie der Kurat zum Messelesen im kleinen Kirchlein. Das Gespräch kommt rasch in Fluß, besonders da ich auch nach der Wirtin fragte. Ischt keine da! heißt es.

Und der Wirt?

Ischt auch nimmer da.

Ja, wem g'hört denn dann 's Haus?

Der Arm der Kellnerin deutet auf das alte Mütterchen.

Also, weggestorben.

Ja, liegen alle draußen im Freithof.

Da die Kellnerin das Wort »alle« so sehr betonte, ward ich aufmerksam und beschloß, zum Friedhof hinüberzugehen. Rucksack und Bergstock kann ja die Marie indes aufbewahren. Geschäftig begleitet das Mädel mich bis zum Thor und sagt, die Gräber lägen rechts vom Eingang und richtig fünf Gräber nebeneinander mit gleichen Kreuzen, vier Männergräber und ein Frauengrab, auf dessen Kreuz die ungelenke Hand des Dorfmalers etwas gemalt hat, das Ähnlichkeit mit einer Leber hat.

61 Auf dem Rückwege erwartet mich die Kellnerin bereits und versichert, es hätt' seine Richtigkeit mit der Leber.

Ja, war denn die verstorbene Wirtin leberkrank?

Na, die hat a weiße Leber g'habt.

Was?

Ja, a weiße Leber.

Jetzt interessierte mich die Sache und bereitwillig erzählte die Kellnerin.

Die Wirtin war schon als Mädel schier ein Unglück fürs Dorf. Ein bildsauberes Deandl war sie, eppas Geld war a da und unter den Burschen gab es ein Geriß um das Deandl, das zu bittersten Feindschaften und gar zu Totschlag führte. Wenn's recht durcheinander ging und die Burschen rebellisch wurden, hat das drahrige Deandl die größte Freud' gehabt. Die Ahnl hat allweil abg'wehrt und zug'red't, aber umensunst. Nur so viel hat die Ahnl durchg'setzt, daß 's Deandl do einen einmal g'heirat't hat. Na war doch im Dorf wenigstens unter den Burschen a Ruah. Aber dafür ging im Haus der Spektakel an und der erste Mann hatte ein Höllenleben. Er griff zum Schnaps und nach kaum einem Jahr trugen sie ihn hinaus. Wie das Trauerjahr um war, ging die Anklopferei wieder an und die junge Wittib machte einen auswärtigen Metzger zum Wirt und Herrn. Das gab im Dorf Verdruß, wurde als Zurücksetzung der Einheimischen ausgelegt. Aber der zweite Mann war kreuzbrav, fleißig, schaute auf die Wirtschaft und brachte die Ökonomie in die Höh'. Ein glückliches Leben war es aber auch nicht. Etli fünf Jahr dauerte es, dann wurde der zweite Mann krank und starb. Dann wurde ein Einheimischer Wirt und dritter Mann. Vom Vertragen war aber auch keine Rede, er jammerte, es sei nicht auszuhalten mit der Wirtin und ihren Eigenarten und verbrachte die meiste Zeit außer dem Hause und ergab sich mit Tagdieben dem Trunke. War ein Lasterleben, das die erboste Wirtin zur Hölle umwandelte. Nach einigen Jahren brachte 62 man den Wirt mit eingeschlagenem Schädel vom Joch herab. Er hatte schwer betrunken den Übergang machen wollen und ist abgestürzt.

Die Wittib wartete diesmal zwei Jahre. Dann aber nahm sie den vierten Mann. Im Dorf wie im ganzen Thal aber glaubte es jedes, die Wirtin hätt' eine weiße Leber. Wer ein Weib mit weißer Leber nimmt, muß früher als das Weib sterben. Der vierte Mann erfuhr davon natürlich auch, wurde darob ganz rabiat und nun drehte sich der Spieß. Das Hausregiment führte er und die Wirtin mußte kuschen, so weh ihr das auch that. Das ging einige Jahre gut, dann aber kränkelte der Mann, schleppte sich einige Monat' fort, bis der gefährliche März ihn ins Grab riß.

Noch keine achtunddreißig Jahre war die Wirtin alt und schon vier Männer waren ihr gestorben. Obwohl sie noch immer ein stattliches Weib war, wollte doch in der ganzen Gegend keiner vom Hochzeiten mehr was wissen. Die Wirtin blieb gezwungen Wittib. Mit vierzig Jahren aber muß jedes Weib mit weißer Leber sterben und richtig so kam es auch. Die Ahnl hat alles überlebt und ist wieder Herrin über den schönen Hof worden, was sie ehnder war.

Die Sage von der weißen Leber ist heute noch in einigen Hochgebirgsgegenden verbreitet und wird steinfest geglaubt. 63

 


 


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