Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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Weihnachten im Gebirg.

Grad damisch viel Schnee hat's die letzten Täg runterg'worfen, die Flankerln (Flocken) waren grad net so groß wie die Suppenteller im Pfarrhof, aber recht viel kleiner waren sie auch nicht und grad fleißig war der Peterl mit dem Ausbeuteln der Himmelsbettdecke und darum hat's so »damisch g'schnieben« (geschneit). Im Dorf, wo wegen dem Respekt vor dem Pfarrer der Schnee etwas von der Straße zur Seite geschoben wird, bei welcher Arbeit sich aber auch noch kein Bauer eine Hand verrenkt hat, kann man allenfalls noch weiter kommen, aber gleich die »Leiten« 'nauf, wo im Sommer spärlich genug Hafer wächst, und dann bis zum Holz, da kann einer bloß mit Schneereifen hinauf und selbst da ist er vor dem Einbrechen nicht sicher. Wer nicht' nauf muß, bleibt hübsch bei Kunkel und Spinnrad herunten, aber der Girgl (Georg) hat müssen. Vier Tag hat es damisch g'schnieben, da hat der Jagdleiter den Girgl hinterm Ofen hervorholen lassen und ihn zum Wildfüttern in die »Pergantschen« geschickt. Das ist ein böser Weg um diese Jahreszeit. Selbst im Hochsommer, wenn sich von der Enns weg einige Edelweißbrocker ins Seewigthal verirren, verlangt der Steig vom Spindeleck aufwärts zur Almhütte »Pergantschen« am Hüttensee unter der majestätischen »Hochwildstelle« rüstige Arbeit, ausdauernde Kniee und ausdauernde Lungen. Aber jetzt, wo auf den Riegeln der Schnee metertief liegt und man bis an die Arme einsinkt, wenn man den Weg erst treten muß, jetzt ist das eine Leistung, die bloß ein Birgler fertig bringt, wenn er muß. Also der Girgl ist mit Salz und dem Sack voll Mehl fort. Unten im letzten Häusel hat er 111 noch g'schwind zug'sprochen, weil sein Deandl, die Anamirl (Anna-Marie) doch wissen muß, daß er fort auf die »Pergantsche« muß. Recht war's dem Deandel grad nicht, aber was kannst machen? Auf 'n »heiligen Abend« ist er spatlings (spätestens) doch wieder da. Ein langmächtiger Kuß und der Girgl watet mit seinen Bundschuhen, über die der Bursch Schneestrümpfe gezogen, pfadlos durch den tiefen Schnee aufwärts. Ein gefährlicher Weg, aber er muß gemacht werden. Vier scharfe Stund' im Sommer. Jetzt um Weihnachten werden es achte. Wenn's stürmt oder weht, kommt der Girgl erst im Lanks (Frühling) wieder, aber als toter Mann wieder heim ins Dorf. Es ist ja nicht wegen der Gams, die auch ihre Äsung brauchen, die aber doch durchkommen, wenn sie nicht von den Lahnen (Lawinen) erwischt und verschüttet werden. Hauptsächlich gilt die Fürsorge den armen Rehen und dem Hochwild, das eingehen muß, wenn der Jaager hier nicht hilft, nachdem der furchtbare Schnee alles eingeschneit hat im weltverlassenen Hochthale. Vom Wildheu in der Nähe der Pergantschen wird nimmer viel da sein, also muß aus der Keuschen (Hütte) neuer Vorrat herausgegeben werden. Und wenn der Girgl net bald dazu macht, dann türmt sich die mächtige Schneemauer immer höher auf, der Zugang ins Hochthal wird versperrt und 's Hochwild ist lebendig begraben.

Das alles denkt der Girgl während des Marsches und vor Aufregung und Anstrengung schwitzt der Bursch, daß ihm das Wasser von der Stirn rinnt. Und die Augen flimmern ihm, weil der Schnee so viel blendet, wiewohl es bereits anfängt, »dumper« (dunkel) zu werden. Und drüben im Westen, da hängen gar so schwarze Wolken und schwarz steigen auch die Nebel von der Enns herauf. Darf sich bloß noch der Wind drehen, dann, gute Nacht, schöne Bäuerin! Der Girgl schiebt, so schnell es mit den Schneereifen geht, vorwärts. Brausend stürzt der Wasserfall zu Thale, dem zur Seite der Girgl das Hochthal ansteigt, brausend hebt 112 aber auch schon der Wind an, daß sich die Föhren und Fichten ächzend biegen, erst in kurzen Stößen, dann aber in entfesselter Wut und dazu wirbeln schwere Flocken hinein und wahre Schneewellen treiben vor dem Wind. Nichts wie Schnee, die furchtbaren Felswände weiß überzogen und vereist, Schnee im Thale so hoch, daß kaum mehr die Baumwipfel hervorlugen. Der Girgl hat die Höhe und damit die Thalsohle erreicht, jetzt noch ein Halbstünderl, dann ist er in der »Pergantschen«; hoffentlich steht die Sennhütte noch, das Weitere findet sich dann schon.

Girgl kommt schwerkeuchend an die Riegelwendung – Krautsakra! Wo ist denn die Hütten? Wo der See? Nichts zu sehen im Dämmerlicht als eine ungeheure Schneewüste. Dem Girgl bricht der Angstschweiß aus allen Poren; findet er die Hütte nicht oder liegt sie unter einer Lahna, dann ist er verloren. Wie aber suchen in der zunehmenden Finsternis, im furchtbaren Schneesturm, der ungeheure Schneemassen unermüdlich in das schmale Hochthal wirft! Nur so viel kann er sich orientieren, daß er sich rechts an die Steilabstürze halten muß. Ein fürchterliches Wandern auf jungem, nicht tragfähigem Schnee, bei jedem Schritt trotz der großen Reifen bis an die Achseln einsinkend. Und keine Rettung vor Augen, ja fast den sichern Tod. Herrgott, wär' er doch daheim geblieben, 's Anamirl hat ganz recht gehabt mit dem Schneesturm bei wendendem Wind. Jetzt kriegt 's Hochwild nichts und der Girgl geht auch drauf.

Plötzlich stutzt der todesmatte Girgl; trotz der Finsternis und des Schneegestöbers erblickt der Bursch etwa einen Büchsenschuß vorn am kleinen, schwerverschneiten Gehölz hin und her huschende Gestalten. Das ist's hungernde Wild, denkt der Girgl, und mit Aufgebot der letzten Kraft schleppt er sich hinüber. Kann die Hütten auch nimmer weit sein! Und das Rudel flüchtet gar nicht, es wittert im nahenden Menschen den Retter, der Äsung bringt in die fürchterliche Schneewüste. Der Bock hebt den Grind und sichert dem 113 Jaagerbuam entgegen, der jetzt nur noch wenige Schritte vom Rudel entfernt ist. Grad will der Girgl über den »paazwoachen« (teigweichen) Schnee, da stoßt der Bursch mit den Reifen an, die Schneemauer vor ihm bietet Widerstand, Herrgott, es ist die Pergantschenhütten bis hoch hinauf verschneit, aber doch noch so viel schneefrei, daß der Girgl hinein kann!

Jessas, dös Glück!

Eine Zeitlang muß der Girgl freilich rumsuchen, bis er 's Schloß findet und den Schnee wegbringt von der Thür, aber dann, o unsäglich wohliges Gefühl! kann er hinein in die halbverschneite Almhütte. Rasch die Reifen von den Füßen, den Schnee aus den Haaren geschüttelt, dann packt der Girgl, wozu ihn sein Jaagerherz antreibt, mit beiden Armen einen Bund Wildheu und schleppt die Äsung vor die Hütte, auf welches das Wild losstürzt, wie wenn es darauf gewartet hätte. Dann tappt der Girgel nach dem Spreißelholz, mit Zünder und Schwamm entfacht, prasselt gar bald ein behagliches Feuer am offenen Herd. Den Stall, der im Sommer das Almvieh bei groben Unwettern beherbergt, öffnet der Girgl dann auf der vorm Wind geschützten Seite für sein Wild.

Der Sturm aber braust fort und stetig wirbelt es vom bleigrauen Himmel – – –

Der Wind hat sich gelegt, aber es schneit fort, ruhig, stetig, lautlos; immer höher wächst die Schneemauer empor, sie hat alles abgeschlossen, den Girgl in der Almhütte mit einbegriffen. Eing'schneit! Gott weiß, wie lang! Ein wahres Glück ist, daß die Pergantschenhütte auch als Jagdunterstand benützt wird, weshalb im Rauchfang g'selchtes Hirsch- und Gamsfleisch hängt und im Kastl neben dem Herd Conserven für den Jagdherrn aufbewahrt sind. Vorm Verhungern ist der Girgl einstweilen geschützt und vorm Erfrieren auch, denn auf etli (etliche) vierzehn Täg' reicht das Holz in der Hütten auch. Aber wie wieder 'naus kommen aus dem Schneegefängnis? Nach dem Girgl seiner Berechnung muß 114 heute der »heilige Abend« sein, also drei Täg' ist er schon eing'schneit. Von der Hütten wird nicht viel mehr zu sehen sein. Daß die nicht völlig begraben ist, macht bloß der erwärmte Kamin, den der Jagdherr voriges Jahr hat einrichten lassen, weil ihn der Hüttenrauch beim Kochen immer so arg in die Augen 'bissen hat. Dieser Kamin ist jetzt dem Girgl sein Glück, er schmilzt den Schnee oben weg und kann daher der Rauch ungehindert ins Freie. Recht licht ist es in der Stuben mit den verschneiten Guckerln freilich nicht, aber warm. Wenn nur keine Lahnen abgehen und die Hütten mitnehmen oder eindrucken! Sonst wär' es für einen Gebirgler schon zum Aushalten. Und dabei hat der Girgl Zeit genug zum Nachdenken. So viel 'denkt hat er schon langmächti nimmer.

Heiliger Abend ist heut! Gegen Mitternacht kommen die Bauern von den Gehöften und Keuschen runter, mit den rot auflodernden Kienspänen in der Faust. Und wenn sie »abfahren« auf den unförmlichen Brettlhachi (Schlitten), dann ist es, als fahre ein Funkenregen über den Schnee herab, und von allen Seiten wimmeln, Johannikäferln gleich, die Lichter durch die Nacht der Kirche im Dorfe zu. Und dazwischen tuscht es, weil die »G'scheerten« (Spottname für die kurzgeschorenen, glattrasierten Bauern) 's Schießen net lassen können.

Und dann predigt der Pfarrer von der Geburt des Heilandes und vom Kirchenchor trompetet es und der Schulmeister singt: »Ehre sei Gott in der Höhe!«


Die Anamirl hat heuer keinen Begleiter zur Christmette, ihr Girgl sitzt als Schneegefangner in der Pergantschen und kann Trübsal pfeifen. Am End geht sie, weil der Girgl nicht kommt, gar mit einem andern in die »Metten«. Kruzitürken!

* * *

Wie der Girgl am dritten Tag nicht heimkam, befiel die Anamirl in dem letzten Häusel heraußen vorm Dorf eine 115 Heidenangst. »Der Girgl kimmt nimmer,« jammerte sie eine Zeitlang, dann aber faßte das Dirndl sich und beschloß, Hilfe aufzubieten für den Hochzeiter. Wär' net übel, wenn ihr der Hochzeiter vor der Nase weggenommen würde, jetzt, wo nur noch ein paar Wochen auf den Fasching hin sind! Also der Jagdleiter ist einverstanden, daß sie mit zwei anderen Jaagern auf die Suche geht.

Über Nacht hat es gefroren, der Christtag brachte starke Kälte und eine feste Schneedecke. Schon wie der Frühmesser anhub zu beten, stiegen die Jaager mit der Anamirl noch völlig im Finstern an und gegen Abend waren sie im gräßlich verschneiten Hochthal. Die Pergantschenhütte fanden sie lange nicht, bis ein leichter Rauch sie verriet. Der Girgl ward ausgegraben wie ein Dachs und selig umarmten sich die Liebsleute. Eine Nacht noch mußte Girgl Gefangener bleiben, mit ihm aber seine Kollegen und sein Madel, und weil sie die Hauptsach', den Enzian, nicht vergessen hatten mitzubringen, so ward es ganz fidel. Aber als frommes Dirndl und brave Steirer beteten die Leutln am Abend, daß das Rettungswerk ganz gelingen möge am morgigen Tage zur frohen Rückkehr ins heimatliche Dorf.

War recht notwendig, das Beten. Ganz außer der Art brachte der Stephanitag statt der üblichen steifen Kälten warmen Föhn und Regen. Die armen Leutln brauchten eine Ewigkeit, bis sie aus dem Thalkessel draußen waren, denn Schritt für Schritt sanken sie bis an den Hals in den aufgeweichten Schnee. Und kaum hatten sie den »Höchststein« im Rücken, da löste sich hoch oben in den Wänden ein Schneeball, es rutscht die furchtbare Masse, die Lahn geht ab mit Donnergeroll, alles mitreißend, was ihr im Wege steht. Im Nu war die Hütte verschwunden, die den Girgl beherbergte über Weihnachten, alles zermalmt, vernichtet.


Die Pergantschen-Schwoagerin (Sennerin) fand die Trümmer kaum mehr vor, wie sie hinaufkam, acht Tag vorm 116 Almfahren. Und so oft der Bauer die Pergantschen-Hütten aufbaute, allemal nimmt sie ihm eine Lahn wieder weg. Bloß voriges Jahr nicht, weil der bockbeinig gewordene Bauer die Hütten so miserabel wie möglich errichtete. Da ward sie der Lahne zu schlecht und die Pergantschen-Hütte ist stehen geblieben seitdem.

 

Ende.

 


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