Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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Bestraftes Mißtrauen.

Herr Oberniedermayer, seines Zeichens ein ehrsamer Schneidermeister, leidet an einem Fehler: er ist mißtrauisch »bis zum Exceß« und verbittert sich und seiner Ehehälfte das infolge regelmäßig zahlender Kunden sonst angenehme Leben. Überall wittert er Bosheit und Schlechtigkeit und traut den Nebenmenschen alles, nur nichts gutes zu. Das »quisque praesumiter bonus, donec probetur contrarium« eines bei ihm wohnenden Studenten ließ er sich zunächst in »malus« umwandeln und legte dem lateinischen Spruche dann die deutsche Übersetzung unter: »Wer in seiner Präsenzzeit ein (Mutter-)Mal bekommen hat, traue niemand und probiere stets das Gegenteil.«

Nachts vor dem Schlafengehen. pflegte Herr Oberniedermayer regelmäßig den Inhalt seiner Geldbörse sorgsam zu zählen und selber dann unter den Kopfpolster zu legen, wiewohl nur die eigene Gattin mit ihm den Schlafraum teilte. Und daß er das Haushaltungsgeld auf Heller und Pfennig verrechnet verlangt, versteht sich von selbst.

Ein so hochgradig mißtrauischer Mensch wie Herr O. geht nicht gern auf Reisen; er meidet fremde Orte, die naturgemäß von fremden Leuten bewohnt sind, denen man nicht über den Weg trauen darf. Bleib' im Lande und traue niemand! So vergingen wohl an zwanzig Jahre im ehrsamen Schneiderleben, als eines Tages ein Brief an Herrn O. gelangte, der wie eine Bombe einschlug, sodaß vor Aufregung Herr O. einen halben Frack in die »Hölle« warf. Schreiber dieses Briefes ist ein im Lauf der Jahre vergessener Bruder, der als 36 Frater in einem Kapuzinerkloster im Gebirge lebt und nach so langer Zeit sich plötzlich seines Bruders erinnerte und ihn mit Erlaubnis des Guardian zu einem Besuch im Kloster auf mehrere Tage einlud.

Auf das erste Gefühl der Überraschung, dann der Freude über solch' ehrende Einladung folgte aber bald der Gedanke, was wohl der Bruder nach zwanzig schweigsamen Jahren jetzt von ihm will? Offenbar steckt da irgend etwas dahinter, aber was? Das alte Mißtrauen ist wieder wachgerufen. Aber da die Gattin und die engere Stammtischfreundschaft Herrn O. auf das Unschickliche solchen Mißtrauens einem Kloster gegenüber aufmerksam machte und ihm so kräftig zuredete, die Reise als notwendige Erholung anzutreten, so kam es wirklich dazu, daß der Meister, das Geld zur Reise sorglich verwahrt, abdampfte.

Der Empfang im Kloster war recht herzlich, die Brüder fanden sich mit Hilfe des Fraters Pförtner und bestaunten die Veränderungen an sich gegenseitig. Der Pater Guardian war auch recht freundlich und forderte den Meister auf, es sich auf einige Tage im Kloster recht behaglich zu machen.

Der Abend versammelte die Patres und Fratres zur Mahlzeit im Refektorium, das Klosterbier war vorzüglich und kostenlos wie der ganze Aufenthalt, der Meister thaute auf im Kreise der Klosterherren und besonders freute ihn die Einladung, morgen mit einigen Patres über die Grenze ins benachbarte Österreich zu fahren, wo ein Karpfenteich abgelassen wird, dessen Fischinhalt eine willkommene Bereicherung des Klostertisches angesichts der nahenden Fasttage bilden soll. Eine Fischpartie in Gesellschaft von vertrauenerweckenden Klosterbrüdern, das will Meister O. mit Vergnügen riskieren.

Freilich heißt es mit dem Glockenschlag neun Uhr abends nach strenger Klosterregel das Refektorium verlassen; allein Frater Alexander, der wackere Bruder, hatte dem Meister einen Reservekrug auf die Zelle gebracht, wo die Brüder noch ein Stündchen still ihre Interna besprechen konnten. Dann aber heißt es ruhig zu Bette gehen.

37 Für unseren Meister ist das nicht so einfach wie für die frommen Brüder. Erstens ist der Meister seit seiner Wanderschaft vor vielen, vielen Jahren wieder an einem fremden Ort, zweitens in einer fremden Stube, drittens soll er die Nacht in einem fremden Bett zubringen, da heißt es vorsichtig sein. Zunächst untersucht der Meister das Bett und leuchtet unter dasselbe wegen – na ja, es könnte doch jemand unter dem Bette liegen. Da ist also niemand, das Fenster ist vergittert, Nebenthüren existieren nicht, aber die Eingangsthüre der Klosterzelle ist ohne Schloß – heiliger Pankratius, das ist bedenklich! Herr O. hat an fünfzehn Preußenthaler bares Geld bei sich, ein Vermögen also und eine unverschließbare Thüre und der Meister ist wildfremd dazu! Schrecklich! Ist ein bodenloser Leichtsinn von seinem Bruder ihm ein so gefährliches Lokal anzuweisen. Besorgt um Geld und Leben verrammelt der Meister die Thüre so gut es geht mit dem Sessel und dem Betstuhl der Zelle; seine Kleider legt er auf die Bettdecke, um sie ja gleich bei eintretender Gefahr zur Hand zu haben und vorsichtig wie immer zählt er bei trübem Kerzenschein die Thaler. Es stimmt noch alles und flugs wandert die dicke Geldbörse unter das Kopfkissen. Dann pustet der Meister das Licht aus, die Nacht bricht an.

Still ist's im weiten Kloster, von ferne rauscht der Nachtwind im Walde, der Mond wirft sein Silberlicht in den Klostergarten und neugierig gucken seine Strahlen auch in die Klosterzellen. Mit einem Schrei des Entsetzens erwacht der Schneider, ein blutig roter Lichtstrahl erhellt seine Zelle, kein Zweifel, es brennt! »Feuerjo!« schreit er aus Leibeskräften und arbeitet sich rasch aus dem Bette, bebend vor Angst und Schrecken. Hastig sucht er nach den Kleidern, er findet sie nicht, er tappt in seinem Entsetzen nach der Thür: Allmächtiger Gott, sie ist verbarrikadiert, versperrt, er ist gefangen und es brennt das Kloster! Wie besessen heult der Meister das schaurige »Feuerjo« durch die stille Nacht, mit aller Anstrengung bringt er die Thüre endlich frei und nur mit 38 Hemd und Zipfelmütze bekleidet stürmt er in den langen Klostergang, das ganze Kloster alarmierend. Schreckensbleich eilen die Brüder herbei, der Ruf tönt überall, die Klosterglocke wimmert schon um Hilfe durch die Nacht. Der Guardian fragt fliegenden Atems den zähneklappernden Meister im Hemde, wo es brenne?

»Von – meinem – Zimmer – aus – ist – der – Brand – zu – sehen!« stottert der Meister.

Die Brüder laufen nach der Fremdenzelle, in der ein Chaos von Bett und Kleiderzeug und Möbel durcheinander liegt, beleuchtet von blutrotem Scheine. Der Mond lacht still durch ein am Fenster angebrachtes rotes gläsernes Heiligenbild!

Mit der strengen Ermahnung, nun aber recht still sich zu verhalten, wird der Schneider ins Bett geschickt und unten an der Klosterpforte heißt der Pförtner die rasch erschienene dörfliche Feuerwehr wieder heimziehen. Die Matutine hat der Meister natürlich verschlafen, aber zum Frühstück im Refektorium ist er gewissenhaft erschienen, unsicheren Gefühles zwar, ob nicht noch eine Strafpredigt nachfolgen werde für die Nachtalarmierung. Die Brüder kommen still und gemessen wie immer, nur mustern sie mit leichtem Kopfneigen etwas maliziös den nächtlichen Ruhestörer. Doch keiner sagt etwas bis auf den Guardian, der sich ähnlichen Spektakel im Kloster verbittet. Dann aber ist alles wieder gut und die Herren setzen sich zum Frühstück. Der nicht wenig weich und demütig gewordene Meister gelobt, Ruhe halten zu wollen und atmet wie von Centnerlast befreit auf, daß die Geschichte so gnädig abgegangen ist.

Aber da kommt als letzter zum Frühstück des Meisters Bruder, Frater Alexander, ins Refektorium, der nach respektvoller Begrüßung der Patres und des Klosteroberen auf den Meister zugeht und ihm seine Geldbörse mit den Worten überreicht: »Lieber Herr Bruder, beim Aufräumen Deiner Zelle habe ich diese Geldbörse unter dem – Kopfkissen gefunden, die gehört wohl nur Dir im ganzen Kloster!«

39 Wieder machen die Patres ein maliziöses Gesicht und die Fratres kichern. Der Guardian aber meint mit vernehmlicher Stimme, es wäre doch weit besser gewesen, wenn der Herr Gast ohne die Befürchtung, in einem Kloster ausgeraubt zu werden, zu Bette gegangen wäre und still geschlafen hätte, statt das ganze Kloster und das nahe Dorf durch blinden Feuerlärm zu beunruhigen.

Herr O. stottert eine recht unglücklich stilisierte Entschuldigung und bleibt wie mit Blut übergossen demütig auf seinem Wandplatz hocken. Von der Partie zum Karpfenteich hätte er sich jetzt recht gern gedrückt, eigentlich wäre er am liebsten ohne Abschied aus dem Kloster verduftet, aber das geht doch nicht.

Richtig, Punkt neun Uhr steht die Kalesche vor der Klosterpforte, der Guardian, der Klostervater (Küchenmeister), der Cooperator des nahen Dorfes und zuletzt der eingeladene Schneidermeister steigen ein und im raschen Trabe geht's der österreichischen Grenze zu. Vor dem schwarzgelben Schlagbaum ertönt die Frage: »Nichts Mauthbares?« und lächelnd verneint der Guardian diese Frage. Der Zöllner salutiert, die Gesellschaft ist auf k. k. Boden.

Ein Karpfendiner mit Österreicher Weinen – Herr Oberniedermayer ist selig. Prachtvolle Karpfen in allen Nuancen, blau, gebacken und in »schwarzer Sauce« und spottbillig. Drei Karpfen mit zusammen vierzig Pfund im Gewicht läßt sich Herr O. sofort, hübsch in Blätter eingewickelt, reservieren, weil der Herr Guardian sagte, die Fische hielten bis zum Kloster den Transport auf diese Art aus und daheim könne Herr O. seine Prachtkarpfen sofort in eine Lagel setzen. Vom Ruster Ausbruch will sich der Meister einhalb Dutzend Flaschen mitnehmen. Und weil das österreichische Kaisermehl so gut und billig ist, wird er einen Viertelcentner mit heimbringen. Und die bayerische Grenzmauth?

»Na, die Herren werden mich wohl nicht verraten?« stottert Herr O.

40 Der Guardian aber sagt trocken: »Das Verraten ist unsere Sache nicht, aber das Lügen auch nicht. Das Kloster verzollt was zu verzollen ist morgen beim Transport regelrecht.« Jetzt weiß der Meister so viel wie gar nichts, soll er schwärzen oder nicht? Eine weitere Flasche Ruster giebt ihm den Mut zur That: er praktiziert das Mehl unter den Wagensitz neben die nach Wasser lechzenden Karpfen und die Flaschen süßen Weines steckt er in die Taschen von Rock und Paletot. Ganz fidel wird die Rückreise angetreten, der Klosterbedarf an Fischen ist gedeckt und morgen wird in großen Zubern das Heer der österreichischen Karpfen nach Bayern transportiert werden. Den österreichischen Mauthner geht jetzt die Gesellschaft nichts mehr an, aber dafür steht an der bayerischen Grenze der Beamte vom Tagesdienst.

»Nichts Zollbares, meine Herren?«

Dem Schneider wird schwül.

»Gewiß,« ruft der hochwürdige Pater Guardian lächelnd. »Unser Gast hat einen Viertelcentner Kaisermehl, sechs Flaschen Ruster und drei prachtvolle Karpfen!«

Der Schneider ist dem Tode nahe und schwitzt schier Blut vor Angst.

»So so,« sagt der Grenzer und lacht vergnügt. »Hochwürden scherzen nicht übel. Wenn jemand Kaisermehl hat, so soll er's heraus zur Zollwage bringen.«

»Nein, Herr Aufseher, das können Sie von mir nicht verlangen!« ruft der mit den Augen zwinkernde Guardian aus dem Wagen.

»Hilft nichts, das Kaisermehl muß zu mir herein.«

»Ich trage es nicht hinaus, denn ich habe es nicht, habe überhaupt nichts Zollbares, nicht einmal Schnupftabak.«

»Weiß schon, weiß schon, Hochwürden möchten gerne mich ›stimmen‹. Aber auf den Leim gehe ich nicht. Guten Abend meine Herren. Fertig!«

Ein Hieb des Kutschers auf die Pferde und hurtig rollt das Gefährt dem Kloster zu. Totenbleich stöhnt und seufzt 41 der Schneider ein »Aaach« nach dem anderen, er hat Tantalusqualen der Angst ausgestanden.

»So, Herr O.,« sagte der Herr Guardian, »das war die Revanche für den Alarm in der Nacht! Ich glaube, Sie haben Angst genug ausgestanden an der Mauth.«

Herr O. ließ Fische, Wein und Kaisermehl im Kloster und reiste noch am selben Abend mit der Bahn heim. Ihm war übel geworden und das »geschwärzte« Zeug hätte er um alle Schätze Indiens nicht mit heim genommen, er fürchtete von der Grenzwache bis in seine Werkstatt verfolgt zu werden. Sein Mißtrauen aber war noch größer geworden. Nach seiner Auffassung hat ihn auch der hochwürdige Guardian getäuscht durch »Verrat« seiner geschmuggelten Ware. Also selbst im Kloster und vor Klosterherren ist man nicht sicher! Nun aber wird in diesem Leben nicht mehr gereist! Punktum. 42

 


 


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