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Dyonisius

Dyonisius hatte seine Erzählung beendet, und er schwieg. Alles Bemühen seiner Freunde, weitläufigere Mitteilungen von ihm zu erlangen, blieb erfolglos. Eine unbestimmbare Erregung hatte sich der kleinen Gemeinschaft bemächtigt.

Des öfteren, während Dyonisius sprach, war es den Freunden gewesen, als hörten sie in der Ferne gellende Rufe, die gespenstig verhallten, und Dyonisius hatte dann stets einen Augenblick lang innegehalten, um düster und schmerzhaft vor sich hinzustarren. Nun saß er abseits, seinen Gedanken hingegeben, das Auge im Leeren.

So blieben die Freunde darauf angewiesen, sich die Erzählung, die sie eben vernommen, nach ihrem Gefallen zu deuten.

»Findet ihr nicht,« rief plötzlich Serapion, »daß von dem Schicksale der armen Budur, das uns Dyonisius zuletzt erzählt hat, geheimnisvolle Fäden zu jenem andern der Vestalin Coelia Ruffila hinüberführen, von dem uns Martinianus am ersten Abend unterhielt.«

Die Freunde mußten verwundert zustimmen, und Johannes nahm das Wort: »Budur scheint mir die Erfüllung dessen, was Coelia Ruffila von dem willenlosen Jüngling Lucius Opimius erwartete. Die Frau steht in beiden Fällen zuhöchst. Budur legt das Zeugnis ab, das Lucius Opimius versäumte; sie bekennt sich zu dem Geliebten, sie opfert sich.«

Nun mengte sich auch Malchus ins Gespräch, »Wenn ich es recht bedenke, ihr lieben Freunde,« sagte er, »haben wir insgesamt dieselbe Geschichte erzählt, so verschiedenartig auch unsere Erlebnisse im einzelnen scheinen mögen. Und vielleicht ist es um alle Erlebnisse und alle Begegnungen so bestellt, daß überirdische Fäden sie untereinander verbinden, und daß so eine geisterhafte und liebevolle Gemeinschaft alles Geschehens begründet ist.«

Dieser Art wurde noch eine Weile lang das Gespräch fortgesponnen, um die Wirklichkeit zurückzudrängen, die sich doch am Ende gewalttätig in den Vordergrund schob.

Konstantinus hatte eine Ohnmacht erlitten. Sein geschwächter Körper war den fortgesetzten Entbehrungen nicht mehr gewachsen.

Hatte die Freude, Dyonisius wiedergefunden zu haben, für kurze Zeit neue Zuversicht verbreitet, so teilte sich den Freunden jetzt vollends die Niedergeschlagenheit mit, die von dem Heimgekehrten ausging. Letztes Hoffen schwand.

Da ertönten in der Ferne aufs neue gellende Schreie; aber nicht mehr wie von Klage. Ein Jauchzen war's nun, das die Nacht erfüllte und mit tanzenden Windlichtern näher kam, die über der schwarzen Erde hinglitten.

Dyonisius, der bisher zusammengekauert in einer Ecke gesessen hatte, sprang entzückt auf. Sein Antlitz hatte sich wieder mit Blut gefüllt, und er schob so heftig das Moskitonetz beiseite, daß es abriß und sogleich von einem Windstoß entführt wurde. Er selbst rannte den Lichtern entgegen und dem Klingen von vielen Musikinstrumenten, das schon ganz nahe war.

Atemlos harrten seiner die Freunde. Als Dyonisius diesmal zurückkehrte, hielt er eine Fackel in der Hand, und sein ganzes Aussehen schien verändert. Das wirre Haar spielte im Winde, die Augen leuchteten: »Waffenstillstand, ihr Freunde!« rief er, »Friede für alle Zeit! Sie haben mir den Befehl gezeigt. Der Funkentelegraph hat die Nachricht gebracht. Friede, ihr lieben Freunde. Es ist ein Wandern in der Nacht, endlose Züge; sie nahen mit Geschenken. Seht doch,« er hielt Früchte in der Hand, »seht doch,« er schwang einen Becher. »Die Freude ist wieder in der Welt!«

Wortlos umarmten sich die Freunde, und Maximianus, der Älteste, sprach: »Sollte es denn wahr sein, was Dyonisius verkündet, oder sollte nur ein Teil dessen wahr sein, was er verkündet: dem Morden ist ein Ziel gesetzt, und wir schreiten in eine neue und verwandelte Welt, wir armen Siebenschläfer?«

»Es gibt keine Kaiser und Könige mehr!« rief Dyonisius, »so künden sie. Und alle Menschen sollen Brüder sein, so künden sie.«

»Ist denn wirklich alles Geschehen ausgelöscht, ihr lieben Freunde, alles Furchtbare war nur Spuk und Blendwerk der Hölle?« sagte Maximianus. »Ist wirklich das Reich der Liebe herbeigekommen? Haben wir geträumt bis zu diesem Tage, oder beginnt nun erst der Traum? Und wo scheidet sich die Wahrheit vom Truge?«

Einer nach dem andern traten die Freunde aus der Höhle, mitten ins Licht der Fackeln. Sternschnuppen regneten in der Nacht.

Schweigend blickten sich die Freunde an, und es war ihnen, als sähen sie einander zum ersten Male. Grau und schlotternd hingen die Uniformstücke an ihren abgezehrten Körpern. Unheimlich traf der rote, flackernde Schein ihre vom Leiden gefurchten Wangen. Die Schultern waren gebeugt; das Dunkel der Höhle, aus der sie kamen, lastete noch auf ihnen.

Und jedem der Freunde war es, als erblickte er in dem Antlitz des anderen sich selbst wie in einem Spiegel; fahl und erdfarben, mit zerzaustem Bart, greisenhaft und doch ohne Alter eigentlich; tausendjährige Höhlenbewohner, aufgeschreckt von den Rufen einer neuen Zeit.

Gutes war mit Bösem vertauscht, Heiliges mit Unheiligem. Was früher als Tugend gegolten hatte, wurde nun als Laster gestraft, und wonach man eben noch Häscher ausgesandt, das pries man jetzt auf den Altären.

Geblendet so und taumelnd erkannten die Freunde den Weg, der jenseits des Fackelkreises vor ihnen lag. Und auch dieser Weg war dunkel und schwer von vielen suchenden Schritten und von neuen, ungeahnten Verwandlungen.

Ende

 

Werke von Paul Zifferer
Im gleichen Verlage ist erschienen:

Die fremde Frau. Roman

Sechste Auflage. Geh. 5 Mark, geb. 7 Mark 50 Pf.

Das neue Land, das in diesem starken Buche – »Die fremde Frau« des Wiener Dichters Paul Zifferer – entdeckt wird, ist Heimatland, ein Stück Mähren, zwischen den Karpathen und der fruchtbaren Ebene der Hanna, bunt und vielgestaltig, obgleich immer noch wenig gekannt, von der slawischen Seite eher als von der deutschen, aber wohl wert gekannt zu sein und fruchtbar auch im höchsten künstlerischen Sinne. Hier nun hat ein Dichter seinen Pflug gezogen und zwischen die dampfenden braunen Schollen seine Saat ausgeworfen. Sie ist prachtvoll aufgegangen. Es ist ein Grünen und Blühen in dem Buche, wie in wenig anderen. Menschen wachsen aus dem Boden empor, kraftstrotzend, mit großen Erlebnissen, starken Schicksalen.

(Ostrauer Zeitung)

»Die fremde Frau« von Paul Zifferer gehört nicht zu jenen Büchern, die man beiseitelegt und vergißt, sobald man am Ende angelangt ist. Die Gestalten dieses Buches geleiten einen fort wie liebe, alte Freunde, und die schönen, dichterischen Gedanken dieses Buches halten einen fest noch manchen Feierabend lang, wenn das Buch längst in den Schoß glitt. Dies also ist das eigentliche Geheimnis seiner »Spannung«. Das Buch Paul Zifferers besitzt die köstliche Gabe, vom Alltag abzurücken, Not und Sorge vergessen zu lassen und in ein besseres Land der Verheißung zu führen.

(Salzburger Volksblatt)


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