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Martinianus

Als Martinianus seine Erzählung beendet hatte, nahm Konstantinus als erster das Gespräch auf. Er lobte den stolzen Sinn der Vestalin Coelia Ruffila, weil diese, einem jammervollen Tode preisgegeben, doch jede Hoffnung von sich wies, als könnte Lucius Opimius sie in einem kühnen Handstreich befreien, und so dem ungetreuen Jüngling ihre Verachtung voll zu erkennen gab.

Maximianus geriet mit Serapion darüber in Streit, ob die Vestalin mit Vorsatz den Todesweg des schuldigen Lucius Opimius gekreuzt und einen falschen Eid auf sich genommen habe.

Da entschied Johannes: »Mir scheint dieser Vorsatz deutlich genug, denn wie könnte Coelia sonst das Erschrecken des jungen Opimius so tief als Schuld empfinden, wenn sie nicht vorher selbst Zeugnis ihrer opfermutigen Seelenstärke gegeben hätte. Wer möchte auch daran zweifeln, daß die Vestalin diesen Jüngling ehedem geliebt habe, da wir doch mit ansehen, wie sich ihr so schwer beleidigtes Gefühl in seine Umkehrung – Haß und Verachtung, wandelt.«

Vorsichtig tastend sprach Malchus: »Wir haben Abrede getroffen, ihr lieben Freunde, daß jede Begebenheit in geziemender geistiger Erhöhung vorgetragen werde. Sollte es indessen nicht auch von wichtigem menschlichen Aufschluß sein, wenn uns jetzt Martinianus zur Vergleichung noch in knappen Worten den ursprünglichen Aufriß seines Erlebnisses mitteilte.«

Hierauf erwiderte Martinianus nach einigem Besinnen: »Kein Zauberer von Beruf – und jeder, der fremde Zeiten und ein versunkenes Schicksal zum Gegenstande seiner Erzählung macht, übt doch irgendwie das Handwerk eines Totenbeschwörers –, möchte sich leicht bereit finden, derart sein bestes Geheimnis preiszugeben. Da wir aber so ganz abgeschieden sind von aller weltlichen Neugierde – denn wovon wir uns heute unterreden, wird vielleicht morgen schon mit uns zugleich in dieser Höhle zur ewigen Ruhe bestattet –, will ich mit meiner Beichte nicht zurückhalten, obgleich sie eine schmerzliche und wenig ruhmreiche Erinnerung meines Lebens bloßlegt.

Im Hause meiner Eltern war eine junge Magd bedienstet, ein liebes Ding, zu munteren Scherzen geneigt und brav. Meine Eltern hielten sie strenge, wie sie mich strenge hielten. Ansehen und Hausehre waren Worte, die sie gern im Munde führten.

Ich weiß nicht, wie es geschah – vielleicht leistete die innige Gemeinschaft unserer Wohnung Vorschub, vielleicht die bleierne Langeweile, die auf uns beiden gleichermaßen lastete –, kurzum, die Magd ergab sich dem heiß aufflammenden Begehren des Knaben. Sie hatte vordem keinem anderen Manne angehört.

Die Ärmste kam in die Hoffnung. Es konnte meinen Eltern nicht verborgen bleiben; ich selbst stand eine Höllenangst aus. Meine Eltern wiesen die Magd aus dem Hause. Es wurde wieder viel von Ansehen und Hausehre gesprochen; ich schämte mich in den Boden hinein. Die Magd schnürte ihr Bündel und verriet mich nicht.

Wenige Monate später – die Angelegenheit war schon einigermaßen in Vergessenheit geraten –, wurde die Magd in einem anderen Hause, wo sie wieder Dienst gefunden hatte, von der Polizei aufgegriffen und ins Gefängnis gebracht. Man beschuldigte sie, ihr Kind getötet zu haben.

Die Eltern versteckten vor mir die Zeitung, die den Fall beschrieb, wie sie immer taten, wenn etwas in der Zeitung stand, wodurch ich hätte verdorben werden können. Heimlich, unter hundert Ausflüchten und Lügen, gelang es mir, als Zuschauer an der Gerichtsverhandlung teilzunehmen.

Die Schweißperlen standen mir auf der Stirne, als man die Magd verhörte. Sie wurde nach dem Vater ihres Kindes gefragt, und sie schwieg. Der Vorsitzende, ein alter, freundlicher Herr, legte ihr nahe, ob sie denn nicht etwas Besonderes zu ihrer Rechtfertigung mitzuteilen habe. Ob sie nicht verführt worden sei oder in einem Zwange gehandelt habe. Sie schwieg.

Man verurteilte die Unglückliche zu einer Gefängnisstrafe. Der Weg in die Zelle führte sie dicht an mir vorüber. Sie hatte mich schon die ganze Zeit bemerkt; ich wußte es. Jetzt wollte ich leise ein Wort des Dankes stammeln, sie um Vergebung bitten, aber sie warf mir einen kalten und fremden Blick zu, den ich nie vergessen werde, und schritt mit Festigkeit aus dem Saale, ohne auch nur durch geringes Hinzögern in meiner Nähe Aufenthalt zu nehmen. Seither habe ich nichts mehr von ihr gehört.

Dies ist meine Geschichte.«

Die Freunde schwiegen. Jeder hing seiner Betrachtung nach, und man vermied weitere Unterredung.

Ein Eseltreiber wurde herbeigeschafft, den sein Tier, von Hunger und Schlägen gereizt, in die Schulter gebissen hatte. Blut troff aus dem Ärmel. Martinianus, der einiges von der ärztlichen Kunst verstand, nahm sich seiner an. Der Mann, hager und grau, weinte vor Schmerz und rief fortgesetzt nach seiner Mutter.

In der Ferne dämmerte es. Das Kreischen von Raubvögeln war nun in der Luft und das leise Wimmern des verwundeten Eseltreibers, der eingeschlafen schien,

 

Am nächsten Abend, um die festgesetzte Stunde, begann Johannes seine Erzählung.


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