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Die Vestalin

Unter dem Konsulate des Aulus Sempronius und des Quintus Fabius Vibulanus ereignete sich der Frevel, von dem ich nun erzählen will. Wenige Jahre erst waren seit dem denkwürdigen Tage vergangen, da im Haine der Furina der Leichnam des verruchten Gajus Gracchus und seines Sklaven Euporus gefunden wurde und so eine Bewegung ihr Ende nahm, die darauf abgezielt hatte, die alten, dem Vaterlande verdienten Geschlechter herabzuwürdigen und das erprobte Alte durch gefahrdrohende Neuerungen zu ersetzen. Der Umsicht des Konsuls Lucius Opimius allein hatte die Stadt in so schwieriger Lage ihre Rettung verdankt, und kurz nach dem Tode dieses verdienten Mannes geschah es nun, daß eines Nachts das Herdfeuer im Tempel der Vesta erlosch, was von alters her als böses Vorzeichen angesehen wird.

Den Dienst beim heiligen Feuer hatte zur Stunde die Priesterin Coelia Ruffila innegehabt, die erste und einzige unter den vestalischen Jungfrauen, die keinem patrizischen Geschlechte entstammte. Nicht wenige wollten darin einen Fingerzeig für die Gefahr erkennen, die dem Gemeinwohl drohte, seit man emporgekommenen Familien den Zutritt zu den höchsten Ämtern freigab, zu denen sie weder die Erziehung noch die nötige Festigkeit des Charakters mitbrachten.

Coelia Ruffila war also um die dritte Nachtwache, während ihr der heilige Dienst oblag, durch ein ungewohntes Geräusch aufgeschreckt worden, das vom nahegelegenen Wohnhause der Priesterinnen herüberdringend, schändliche Einbrecher an ihrer Arbeit vermuten ließ. Die Jungfrau, die vergeblich den verdächtigen Zeichen und einem Lichtscheine, der aus dem Atrium kam, nachgespürt hatte, ließ durch die Wachen, die ihr begegneten und die sie anrief, den Oberpriester herbeiholen, der zu seinem nicht geringen Entsetzen das Herdfeuer im Tempel verlöscht fand und bei näherer Untersuchung in der Tat untrügliche Zeichen dafür wahrnahm, daß ein kühner Eindringling das Haus der Stadtmutter Vesta entweiht hatte.

Auf der Backsteinmauer, die das Gebäude umfriedete, war ein Ziegel herausgebrochen, und im heiligen Haine, der sich zu jener Zeit noch an das Atrium schloß, dort, wo jetzt die heilige Straße im Bogen zum Tempel führt, waren deutliche Spuren männlicher Sandalen zu merken, die schmal und langgestreckt einen vornehmen Besitzer verrieten. Schätze und Briefschaften, die von den Jungfrauen im Tablinum aufbewahrt wurden, erwiesen sich als unberührt, desgleichen die Vorratskammern, wo die Speltähren für den Opferteig und sonstiges geweihtes Gerät lagen, so daß kein gemeiner Dieb am Werke gewesen sein konnte.

Gleichwohl hätte nichts den naheliegenden, aber fluchwürdigen Verdacht gegen die Vestalin Coelia Ruffila wie gegen die anderen Jungfrauen rechtfertigen können. Zu mächtig wirken erlauchte Überlieferungen fort, als daß der einzelne, wenngleich er ihren hohen Sinn mißachtet, sich über sie hinwegzusetzen vermöchte. Sechs an der Zahl waren damals die Priesterinnen der Vesta, wie es das Gesetz vorschreibt. Den Vorsitz führte die siebzigjährige Junia, Tochter des Silanus, ihr zunächst stand Terentia Flavola, die auch schon länger als sechs Lustren, wie das Gelübde sie erheischt, im Hause weilte, dann Campia Severina, achtjährig kaum, vor kurzem erst vom Oberpriester zur Betreuung des heiligen Feuers erkoren, ferner Terentia Claudia und Calpurnia Praetextata, beide in dem Alter, da sonst die Töchter vornehmer Familien in den Ehestand treten, doch beide reinen Gemütes, dem jungfräulichen Dienste der Göttin ohne Falsch zugewendet.

Diese fünf waren Patrizierinnen, und in ihrem Kreise hatte unter dem Tribunate des Sempronius Gracchus eben jene Coelia Ruffila Aufnahme gefunden, als die Tochter eines reichen Mannes, der dem emporgekommenen Ritterstande angehörte und sich als Staatspächter der Olivenlese, sowie als Teilhaber der mannigfachen Gesellschaften, die zu jener Zeit aufblühten und den gesamten Handel an sich rissen, sein Geld und ein gewisses Ansehen erworben hatte.

Coelia Ruffila war älter als Terentia und Calpurnia, aber es ist nicht in Abrede zu stellen, daß sie an edlem Wuchse beide übertraf, und daß ihr Antlitz etwas Kindhaftes bewahrt hatte, wie das der unmündigen Campia Severina. Willig übernahm sie die schwerste Arbeit und hatte – so ziemt es dem gerechten Geschichtschreiber anzumerken – die allgemeine Achtung, ja sogar die Zuneigung der anderen patrizischen Jungfrauen erworben, obgleich sie dem heiligen Dienste mit einer Heftigkeit, als hätte sie alle im Eifer überbieten wollen, oblag.

Zur Zeit, da ihr das sträfliche Versäumnis widerfuhr, genoß sie in Rom das höchste Ansehen, als wäre sie und nicht die siebzigjährige Junia die Oberste gewesen. Man grüßte sie durch lauten Zuruf, ob sie hinter dem Liktor zur Kamönenquelle schritt, um geweihtes Wasser zu holen, oder im bedeckten Wagen, die sechs purpurnen Bänder, Abzeichen ihrer hohen Würde, im schwarzen Haar, darüber den Schleier, ins Theater fuhr und sich auf ihrem Ehrenplatz niederließ.

Der Oberpriester zu jener Zeit war Titus Lartius, ein Mann an der Grenze des Lebens. Er hatte vormals den Scipio Ämilianus nach Karthago begleitet und die Tempelschätze in der besiegten Stadt von der übrigen Beute gesondert, die den Soldaten zur Plünderung anheimfiel. Niemand lebte in Rom, der weiter zurückdenken konnte als er. Die siebzigjährige Junia, Tochter des Silanus, blickte zu ihm auf, wie die unmündige Campia Severina.

Alle Jungfrauen rief nun der greise Oberpriester der Reihe nach ins Atrium, das sich feierlich ausnahm in seiner weißen und roten Marmorvertäfelung, und musterte jede mit seinem strengen, doch gütigen Blick, der die Dinge des Lebens zu durchschauen gewohnt war. Ohne Zögern wandte ihm Coelia das Antlitz zu. Langsam und gnädig nickte der Greis, ihrer Reinheit wie der ihrer Schwestern gewiß. Er sah der Schuldigen, weil sie nur in begreiflicher Verwirrung ihre Pflicht vergessen, sogar die Rutenstreiche nach, die für solches Versäumnis vorgesehen waren, und ordnete nur eine allgemeine Reinigung des Tempels und des Hauses der Vesta an, wie diese auch heute noch alljährlich um die Iden des Juni stattfindet, damit das Unreine gebannt und in die Tiber gespült werde.

Um so eifriger wurde der Spur des Frevlers nachgeforscht, der menschliches wie göttliches Gesetz mißachtend zur Nachtzeit in das Heiligtum der Stadtmutter Vesta eingedrungen war. Es erwies sich, daß er über den Markt zur Porta Trigemina und von da nach Ostia geflohen war. Seine vornehme Abstammung schien durch die purpurne Verbrämung verbürgt, die ein Wächter vom Aventin an seiner Toga erkannt haben wollte.

Der Flüchtling mußte also der Sohn eines Senators gewesen sein, was dem Verdacht immer schrecklichere und engere Kreise zuwies. Denn in Ostia befand sich die Villa des jungen Servius Opimius, eines Neffen des Konsuls Lucius Opimius und Sohnes des ebenfalls erst vor kurzem als Statthalter in Kilikien verstorbenen Publius Opimius.

Dieser Jüngling, einem so hervorragenden Geschlechte entstammend, hatte bisher mehr durch seinen leichtfertigen Lebenswandel als durch große Taten von sich reden gemacht. Ihm war es also wohl zuzutrauen, daß er statt neuen Ruhm unverdiente Schande auf das Gedächtnis des erlauchten Namens gehäuft habe, den er trug.

Man warf zwei Sklavinnen, die im Hause der Vesta Gartenarbeiten verrichteten und sich durch eine gewisse Unruhe verdächtig gemacht hatten, auf einen glühenden Rost, bis sie ein umfassendes Geständnis ablegten: sie hätten den Jüngling wiederholt im heiligen Haine angetroffen, seien aber durch reichliche Geschenke zum Schweigen bestimmt worden. Sie bezeichneten auch einige von den Wächtern, die ebenfalls von Servius Opimius gekauft worden waren.

Aber auch diese, gleichermaßen wie die Sklavinnen gefoltert, blieben außerstande, den geheimnisvollen Zweck anzugeben, der den Frevler zu seiner lichtscheuen Tat bestimmt hatte. Nur so viel berichteten sie unter lauten Schmerzensrufen, daß der Jüngling jeden mit dem Tode bedrohte, der ihm zu folgen oder auch nur nachzublicken hätte wagen wollen, während er es mit reichen Geschenken zu lohnen wußte, wenn ihm niemand auf seinen nächtlichen Wegen entgegentrat. Als man so zur Überzeugung gelangt war, daß von dem erbärmlichen Volk kein weiteres Zeugnis zu erlangen sei, ließ man das ganze Gesinde, soweit Verdacht auf ihm lastete, in einem unterirdischen Verlies, wo man es zusammengetrieben, kurzerhand erdrosseln.

Zugleich aber wurde der Prozeß gegen den jungen Servius Opimius angestrengt, der sich, zur allgemeinen Überraschung, keineswegs aufs Leugnen verlegte, soweit wenigstens seine eigene Person in Frage kam, sondern ohne viel Umschweife angab, zu wiederholten Malen des Nachts in das Haus der Stadtmutter Vesta eingedrungen zu sein. Doch über den Zweck dieser frevlerischen Unternehmungen befragt, hüllte er sich in ein angstvolles Schweigen, das weder Drohungen noch gütliches Zureden zu brechen vermochten.

Er wisse wohl, daß er schwer gefehlt habe, sagte er, aber man solle es ihm, dem Nachkommen eines so erlauchten Geschlechtes, nicht zumuten, daß er seine Schande voll und ganz der Öffentlichkeit preisgebe.

Einige wollten daraus schließen, daß sich Servius Opimius, der seit einiger Zeit schon in Schulden verstrickt gewesen sei, mit dem erbärmlichen Gedanken getragen habe, die reichen Schätze, die von den Priesterinnen der Vesta im Tablinum aufbewahrt wurden, zu stehlen, und daß er an der Ausführung nur durch eine letzte Regung seines Gewissens, vielleicht auch durch unerwartete äußere Umstände gehindert worden sei. Gegen diese Vermutung sprach so manches, nicht zuletzt die Freigebigkeit, mit der Opimius bei seinen wiederholten Besuchen Wächter und Dienerschaft beschenkt hatte.

Andere wieder, deren Spottlust auch vor höchster jungfräulicher Tugend nicht Einhalt kennt, gaben zu verstehen, die Besuche des jungen Servius hätten einer der Jungfrauen gegolten, vielleicht der dunkeläugigen Terentia Claudia oder der gleichaltrigen sanften Calpurnia Praetextata – Jugendgespielinnen im Priesterkleide, die sich niemals eine ohne die andere blicken ließen; oder der doppelt hoheitsvollen, weil niedrig geborenen Coelia Ruffila, oder der sanften Campia Severina, die noch ein Kind war.

Und einige lobten den jungen Servius Opimius wegen seines Stillschweigens, während andere ihn wieder schmähten, weil er so leichthin den Verdacht auf sich nehme, ein gemeiner Dieb und Straßenräuber zu sein, ohne doch den Schimpf, den er nun einmal dem Hause der Vesta angetan, zu verringern. Denn indem er die gerechte Strafe von seiner Buhlerin wende, bringe er alle Jungfrauen gleichermaßen ins Gerede.

Einzelne behaupteten, der junge Servius Opimius habe es auf keine der Vestalinnen, sondern auf eine Dienerin abgesehen gehabt, die sich unter jenen Unglücklichen befand, die man vorlängst ohne Prozeßverfahren habe erdrosseln lassen und der zuliebe ein so tollkühnes und verhängnisvolles Verbrechen, wie das Eindringen in den heiligen Bezirk, verübt zu haben, Servius Opimius, der stets ein Geck und Prahler gewesen sei, begründete Scham empfinde.

Schließlich will ich der Vollständigkeit halber noch ein Gerede vermerken, das zur Zeit unter der vornehmen Jugend umging und besagte, Servius Opimius habe gar kein bestimmtes Ziel verfolgt, als er in den heiligen Hain eindrang, sondern er sei durch eine leichtfertige Wette dazu veranlaßt worden, wie solche von jungen Leuten aus gutem Hause leider allzuoft abgeschlossen werden; oder er habe sich nur von einer Art verwegener Neugierde leiten lassen, die schon Befriedigung im Betreten verbotener Bezirke fand und von der bloßen Nähe der jungfräulichen Priesterinnen, vom Belauschen ihrer abgeschiedenen Einsamkeit sich ausschweifendes Ergötzen versprach.

Erfaßt doch auch den gemeinen Mann ein heiliger Schauer, wenn ihn der Weg am Hause der Vesta vorüberführt, da bei nicht wenigen die Meinung verbreitet ist, es müsse im Allerheiligsten des Tempels neben den Opfergeräten doch irgendein übernatürlicher Schatz der Gottheit verborgen sein, dessen Gegenwart den Frieden des Gemeinwesens verbürge und der von den Priesterinnen sorglich gehütet werde, von niemandem sonst geschaut noch ergründet.

Bei so verwirrter Sachlage wurde die Angelegenheit vor den Senat gebracht, und so sehr auch das Gedächtnis der beiden Brüder Opimius, des Konsuls und des Statthalters, fortwirkte, und wie gern man die Sache niedergeschlagen hätte, um den Zusammenbruch eines so vornehmen Geschlechtes nicht vor der Schadenfreude des gemeinen Volkes sichtbar werden zu lassen, bot sich doch keine Möglichkeit, den Schuldigen zu retten, und der Senat ehrte sich, indem er den Frevler seinem Schicksale preisgab.

Um die Kalenden des April geschah es demnach, als schon die Syringen im heiligen Haine der Vesta zu blühen begannen, daß man den jungen Servius Opimius über den Markt, am Kapitol vorüber, durch die Porta Fontinalis auf das Marsfeld führte, um ihn den Tod durch Kreuzigung erleiden zu lassen, wie er dem freien Bürger für so furchtbare Verfehlung gleich einem schuldigen Sklaven verhängt ist.

Der Oberpriester, dem es zustand, die Beleidigung des Heiligtums zu rächen, führte den Zug, seine Liktoren hielten den Verurteilten, von dessen Toga die purpurne Verbrämung entfernt war, am Arm und an der Schulter fest, zum Zeichen seiner Erniedrigung; die Holzgabel des Kreuzes war um seinen Nacken gelegt, und ein großer Haufen Volkes lief hinter ihm her, zum Spotte Klagelieder anstimmend, lauter arbeitsscheues Gesindel, das durch die Getreideverteilung des Tribuns Gracchus nach Rom gezogen worden war und sich daran ergötzte, den letzten Sproß aus dem Hause des Konsuls Opimius zum Tode geführt werden zu sehen.

Der Jüngling mußte des Leichenbegängnisses seines Vaters gedenken, das eben hier auf dem Markte in aller Pracht abgehalten worden war: wie da Klageweiber und Musikanten den Zug eröffnet hatten und der berühmte Tänzer Polybios, ein Grieche, in Kleidung und Maske den Verstorbenen nachgeahmt hatte, so daß man nicht anders meinen konnte, als den Statthalter selbst in hoheitsvollem Gang seinem eigenen Leichenbegängnis voranschreiten zu sehen.

Besonderen Eindruck hatte auf den Knaben die Ahnenprozession geübt, zu der man die tüchtigsten Komödianten der Stadt ausgewählt, die mit den bemalten Wachsmasken und in der Amtstracht jedes einzelnen der längst verstorbenen Familienmitglieder in goldgestickten und purpurnen Mänteln, auf dumpf hinrollenden Karossen dem erlauchten Toten das Geleite gaben.

Mit soviel vergangenen Ehren und soviel verwirktem Ruhm mußte der nichtswürdige Sohn, von den Liktoren einem schimpflichen Ende entgegengeführt, das eigene Schicksal vergleichen. Servius Opimius wußte, was ihm bevorstand, mochte er auch das Zwölftafelgesetz, dessen Kenntnis jeden römischen Jüngling ziert, aus seinem Gedächtnis verloren haben, nicht anders als die Gebote der Sitte.

Er hatte mit den Freunden, die seine Gastereien und seine ausschweifenden Vergnügungen teilten, oftmals der Kreuzigung von Sklaven beigewohnt, er wußte, daß man ihn schimpflich entkleiden würde, und er fühlte schon seine Arme an die beiden Enden der hölzernen Kreuzgabel geschnürt und seinen Körper an dem Marterpfahl emporgezogen und von rohen Knechten zu Tode gegeißelt.

Während aber Servius Opimius diesen peinigenden Gedanken sich hingab, geriet der Zug, dessen traurigen Mittelpunkt er bildete, plötzlich ins Stocken, und zwar dicht an der Porta Fontinalis, schon angesichts der Richtstätte. Das schreckliche Getöse, das den Verurteilten fortwährend begleitet hatte, brach mit einem Male wie durch ein Wunder ab, und als der Jüngling erstaunt den Blick erhob, soweit es ihm die hölzerne Nackengabel gestattete, erkannte er vor dem Torbogen eines jener leichten gedeckten Fahrzeuge, die zu benützen ein Vorrecht weniger ausgezeichneter Frauen ist.

In jähem Rucke hatte das feurige Gespann vor dem breit hinflutenden Menschenstrome sich aufgebäumt, und das betroffene Schweigen der Menge ging bald wieder in lautes Geschrei über, als unter dem hochgespannten Dache des Wagens das unschuldsvoll lächelnde Antlitz der Vestalin Coelia Ruffila sichtbar wurde.

Während die einen den Namen der Priesterin nach alter Gewohnheit in Ehrfurcht aussprachen, fühlten sich die andern durch diese unerwartete Begegnung in ihrem längst gehegten Verdachte herausgefordert und sparten nicht mit ihren Schmähreden. »Sie ist gekommen, um den Frevler sterben zu sehen,« riefen die einen, die andern aber entgegneten: »Sie ist die Schuldige, nun wird es klar. Von ihrem Buhlen kam sie Abschied nehmen, den Göttern zum Hohn. So mag sie denn mit ihm zugleich den Tod erleiden!«

Solchen Rufen gebot der Oberpriester, dessen dünne Greisenstimme gewohnt war, sich auch im lautesten Tumult Gehör zu verschaffen, Schweigen. Er trat auf Servius Opimius zu, der bleich und mit umflorten Augen die Vestalin anstarrte wie etwas Unbegreifliches, und löste ihm selbst die hölzerne Gabel vom Nacken.

»Du bist frei, Servius Opimius,« sprach er. »Wer auf dem Richtweg einer Vestalin begegnet, wird aller Schuld ledig.«

Als aber ein Murren anhob und die Menge, die sich um das willkommene Schauspiel der Kreuzigung geprellt sah, eine drohende Haltung annahm, wiederholte er mit Festigkeit: »Das Zwölftafelgesetz befiehlt es, und die Götter wollen es so. Lerne beide achten.« Und zur Vestalin gewendet, fügte er hinzu: »Diesen Jüngling hat dein Begegnen vom Tode gelöst. Heiliger Brauch, an den keines Menschen Frevel heranreicht, bestimmt es so. Dir indessen, Jungfrau, obliegt der Eid, daß nur Götterwille, nicht verruchte Absicht deine Schritte gelenkt hat. Dein Eid, Priesterin, löse dich von Schmach und Tod.«

So weisem Spruche, vom Oberpriester, als dem ehrwürdigen Hüter des Rechtes und der Sitte kundgetan, konnte sich niemand entziehen. Schon hatten die Zechgenossen des jungen Opimius und alle, die Genugtuung darüber empfanden, den letzten Sproß einer erlauchten Familie auf so wunderbare Weise gerettet zu sehen, sich um den Freund geschart, und nicht wenige schienen bereit, den Jüngling, der eben noch ein Gegenstand des Abscheues gewesen war, durch freudige Zurufe als einen Wiedererstandenen zu feiern.

In diesem Augenblicke hatte wohl mancher schon vergessen, daß er gekommen war, um den edlen Servius Opimius sterben zu sehen, und die nun einmal aufgestachelte Neugierde wandte sich voll dem bedrohten Schicksale der Vestalin Coelia Ruffila zu.

Die Kaufleute und Pächter, alle, die mit ihrem Vater, da er noch lebte, Geschäfte abgeschlossen hatten oder mit einer seiner Gesellschaften in Verbindung standen, alle Niedriggeborenen machten die Sache Coelia Ruffilas insgeheim zu der ihren und hofften, ohne sich doch mit ihrer Meinung hervorzuwagen, daß es der Jungfrau irgendwie gelingen werde, sich von dem schrecklichen Verdachte zu reinigen, der auf ihr lastete.

Ihre Widersacher indessen hielten mit der Überzeugung nicht zurück, daß die Hüterin des heiligen Feuers keineswegs den vorgeschriebenen Eid auf sich zu nehmen vermöchte, und daß sie somit der unerbittlichen Strafe verfallen sei, die das Gesetz für so schwere Schuld vorsieht: ein Grab bei lebendigem Leibe im Mauerring des Lasterfeldes.

»Wohin führte dich dein Weg?« wandte sich der Oberpriester wieder an Coelia Ruffila, deren Antlitz noch immer von jenem kindhaften Lächeln überstrahlt wurde, das ihm seinen eigentümlichen Reiz verlieh.

Und die Vestalin entgegnete: »Ich wollte mich über die Via Lata zur Via Flaminia hinbegeben, wo die edle Cornelia mit schwerem Siechtum kämpft. Ihr gedachte ich von den heiligen Speltähren zu bringen, damit sie genese.«

Diese kühne Rede verursachte neue Erregung, denn niemand hätte es zur Zeit leichthin gewagt, den Namen Cornelias auszusprechen, der Tochter des göttlichen Scipio Africanus, aber Mutter der verruchten Gracchen. Zwölf Söhne hatte sie geboren, zwölf Söhne überlebt. Man wußte, daß sie nun hochbetagt im Sterben lag, von allen Freunden verlassen, und man empfand es als Kühnheit, daß sich die Vestalin zu solchem Wege bekannte.

Die Vermutung lag nahe, daß hier das Eingeständnis geringerer Schuld von dem größeren Verdachte ablenken sollte. Der Vestalin gegenüber stand Servius Opimius, wortlos noch immer und wie gelähmt, der Nachkomme jenes Mannes, der Cornelias letzten Sohn hatte töten lassen. Man konnte nicht glauben, daß die Priesterin, um diesen Jüngling zu retten, sich an das Sterbebett der Frau begab, die ihn und sein Geschlecht verwünschen mußte.

Indessen hatten die Liktoren alle Vorbereitungen getroffen, um aus schnell herbeigetragenen Strohgarben das Feuer zu entfachen, vor dem es einer Vestalin zukam, ihren Eid zu sprechen. Immer mehr Volkes strömte aus der Stadt, drängte zum Marsfelde, um, abgesondert von den andern heiligen Jungfrauen, die ein Liktor eilig zur Schwurstätte entboten hatte, die noch immer heiter lächelnde Coelia Ruffila zu sehen, die so vereinsamt stand, als habe sie mit all dem heftigen Treiben nichts zu schaffen und hielte mit sich selbst und ihrer Göttin Zwiesprache.

Viele priesen die Anmut ihrer Haltung und ihre Schönheit. Einzelne, die hinzugekommen waren, meinten, es sei unmöglich, an ihre Schuld zu glauben, wie sehr auch der Schein gegen sie spreche, und sie erinnerten daran, daß die Mutter des erlauchten Zwillingspaares Romulus und Remus, die ehrwürdige Ilia selbst eine Vestalin gewesen sei, die in Arglist von dem tückischen Amulius, der die Gestalt eines Gottes annahm, entehrt wurde. Andere mahnten an das Beispiel der Vestalin Tucia, die ihre Unschuld erwies, indem sie mit einem leeren Siebe aus der Tiber Wasser schöpfte und auf den Markt trug, wo sie es vor den Füßen des Oberpriesters ausgoß.

Unter derlei Wechselreden lohten weithin sichtbar die Flammen auf, und feierlich klang die Frage des Oberpriesters: »Dich frage ich, Coelia Ruffila, Priesterin des heiligen Feuers, bist du zum Eide bereit?«

Da streckte Coelia Ruffila die Hände gegen die Flamme und sprach die Formel: »Vesta, du Schützerin der römischen Stadt, wo ich dir mehr als drei Lustren heilig und rechtschaffen gedient und eine reine Seele und einen keuschen Leib habe, so offenbare dich und hilf mir und dulde nicht, daß deine Priesterin eines elenden Todes sterbe. Habe ich aber etwas Unheiliges begangen, so tilge die Schuld von der Stadt durch meine Bestrafung!«

Mit fester Stimme, die Ruhe und Zuversicht um sich verbreitete, hatte die Vestalin den Eid gesprochen. Die von ihrer Schuld überzeugt waren und zur Sühne ihren Tod verlangten, wurden schwankend, denn wie könnte solcher Frevel einer Vestalin zugemutet werden, daß sie bei der reinen Flamme die Strafe der beleidigten Gottheit selbst, auf sich herabrief.

Einzelne ihrer Anhänger trafen schon Anstalt, die solcherart durch ihren Eid gereinigte Priesterin wie im Triumph zum jungfräulichen Tempel der Stadtmutter Vesta heimzugeleiten; denn verblendet ist die Gunst der Menge.

In diesem Augenblicke ereignete sich ein höchst unerwarteter Zwischenfall, der im Rate der Götter beschlossen schien, um Tollheit von Vernunft, schamloses Verbrechen von geschmähter Ehrbarkeit zu sondern.

Als nämlich die Vestalin bei den letzten Worten angelangt war: »Habe ich aber Unheiliges begangen, so tilge das Verbrechen durch meine Bestrafung,« da geschah es, daß Servius Opimius, der mit sichtbaren Zeichen innerster Erregung den ganzen Vorgang begleitet hatte und wohl im Herzen die edle Empfindung seines Gewissens erwachen fühlte, mit dem Ausdruck starren Entsetzens im Antlitz und zugleich der Hingerissenheit eines Liebenden auf Coelia lossprang und ihren vorgestreckten Arm zurückriß, so, als wollte er sie vor der Strafe der beleidigten Gottheit beschützen. In demselben Augenblick geschah es auch, daß die Flamme, die bisher gerade und steil in die unbewegte Luft geragt hatte, von einem plötzlichen Windstoß erfaßt wurde und erlosch.

Diejenigen, die vom alten Glauben an das hohe Walten der Götter sich abgewendet hatten, und deren gab es auch zu jener Zeit schon einzelne zum Schaden ihres eigenen wie des Staatswohles, behaupteten spottend, jede Strohflamme müßte ebenso rasch verlöschen, wie sie angefacht worden sei, während die Wohlgesinnten in diesem Zeichen die offensichtliche Mahnung des Himmels erkannten.

Indessen gab das mitteilsame Betragen des Jünglings Servius Opimius für menschliche Gerichtsbarkeit Zeugnis genug.

Der Oberpriester winkte den Liktoren, die sogleich der schuldigen Priesterin die Binde vom Haupte rissen, während die anderen Jungfrauen sich mit allen Zeichen des Abscheues von ihr wandten. Nur die unmündige Campia Severina schluchzte leise.

Servius Opimius aber, der jetzt erst die Folgen der Tat überblickte, begann laut zu wehklagen und zu beteuern, Coelia Ruffila sei unschuldig, und er wolle an ihrer Statt den Tod auf sich nehmen. »Ich habe sie verführt!« rief er, »ich drang ins Heiligtum, ich beschwatzte sie, die Reine. Eros stand mir bei, dem Unseligen.«

Nur mit Mühe gelang es den Freunden, zu verhindern, daß er Hand an sich legte. Sein Schmerz griff ans Gemüt. Um so mehr mußte die Haltung Coelia Ruffilas befremden und abstoßen. Ihr Antlitz, das vorher von einem glücklichen Lächeln überstrahlt gewesen war, schien mit einem Male hart und kalt. Aus fremden Augen blickte sie den Jüngling an, und ihm war, als trüge sie eine jener starren Wachsmasken, die in seiner Kindheit so großen Eindruck auf ihn geübt, oder als fiele jetzt erst eine Maske von ihrem Antlitz, die sie bis zur Stunde getragen.

Auch die Stimme der Priesterin schien verwandelt und aller Güte beraubt, da sie nun, des Widerspruches der Menge nicht achtend, also zu reden begann.

Es sei nicht ihre Absicht, um Gnade zu flehen, sagte sie. Niemandem aber stehe es zu, eine Sterbende zu beschimpfen, so als habe sie ihre Ehre leichthin beschwatzen lassen. Erhobenen Hauptes habe sie gelernt, ihre Opfer darzubringen, und peinigend sei ihr nur der Gedanke, daß sie einem Manne alle Kraft ihrer Seele hingegeben haben solle, der keine Regung des Gewissens verspürte, solange es um seine Lust und um das eigene Leben ging, dessen Seele aber zerbrach, als er nichts mehr zu fürchten hatte. Zur Stunde beteure sie denn, angesichts des nahen Todes, durch keinerlei Regung diesem Servius Opimius verbunden zu sein, der verwegen scheinen mochte, als er in den heiligen Hain der jungfräulichen Göttin drang, aber der im letzten Augenblicke, und bei jeder Tat komme es immer auf den letzten Augenblick an – sich als hilfloser Knabe erwies, keines Opfers und keiner Hingabe wert.

Bei diesen Worten unterbrach der Unwille des Volkes die schamloseste Rede, die je von einer Priesterin der Vesta gehalten wurde, und man vernahm nur noch ihre Bitte, es möchten die Speltähren aus ihrem Wagen unverzüglich der sterbenden Cornelia gebracht werden. In unbegreiflicher Milde willfahrte der Oberpriester diesem Wunsche.

Dem unparteiischen Geschichtsschreiber aber ziemt es, nicht zu verschweigen, daß die schuldige Vestalin, wenngleich sie zweifelhafter Herkunft war, in stolzer Haltung den Tod auf sich nahm, und diese Festigkeit ließ sie in den Augen einer leichtgeblendeten Menge achtenswerter erscheinen, als den edlen Jüngling Servius Opimius, dessen beklagenswertes Schicksal die Geschichte eines vornehmen Hauses beschloß.

Man führte die Vestalin zu dem unterirdischen Gange im Mauerringe des Lasterfeldes, nahe dem Colliner Tor, wo für die Schuldige in einer eilig geöffneten Höhle ein Lager aufgeschlagen und eine Lampe, ein Brotlaib und zwei Krüge bereitgestellt worden waren. Während die Verurteilte leichten Trittes über die schwankende Leiter in ihr Grab hinabstieg, sprach der Oberpriester seine Gebete, worauf die Leiter emporgezogen und die Öffnung zugemauert wurde, ohne daß es dem Jüngling Servius Opimius, der wie ein Rasender, laut schluchzend und klagend, dem Zuge folgte, gelang, auch nur einen Blick der Verurteilten auf sich zu lenken.

In der nächsten Zeit sah man ihn des öfteren an der Porta Collina umherstreichen. Kein Wehruf, kein Klagelaut drang durch das nasse Gemäuer, die Wachen, die man in weiser Vorsicht verdoppelt hatte, wehrten dem Jüngling den Weg.

Gleichwohl verbreitete sich das Gerücht, als habe Servius Opimius die schuldige Vestalin aus ihrem Gefängnis befreit. Um die erregte Menge zu beruhigen, blieb nichts übrig, als nach einiger Zeit die Gruft vor dem versammelten Volke öffnen zu lassen.

Man fand die Vestalin Coelia Ruffila im Tode aufrechtsitzend, beide Hände vor sich hingestreckt, wie damals beim Schwure vor der reinen Flamme. Die Lampe, die man ihr ins Grab mitgegeben hatte, war nicht entzündet worden. Auch der Brotlaib war unberührt.


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