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Malchus

Wer hätte unserem Träumer diese Erzählung zugetraut!« rief Martinianus, als Malchus innehielt.

Auch Johannes staunte: »Wie seltsam, daß gerade du uns eine Geschichte erzähltest, deren Held mit soviel schmerzlicher Sehnsucht dem soldatischen Handwerk anhängt.«

»Da bin ich euch ein Geständnis schuldig, liebe Freunde«, erklärte Malchus lächelnd. »Die Unfähigkeit, eine Uniform richtig zu tragen, ist mir selbst nahegegangen. Von Jugend auf schwächlich, fühlte ich mich stets zu allem hingezogen, was kraftvoll war oder sich wenigstens so gab. Und je weniger ich mich auf den eigenen Körper verlassen konnte, um so mehr bewunderte ich fremde Lebhaftigkeit.«

Und da Malchus den fragenden Blick seiner Freunde noch immer auf sich gerichtet sah, fuhr er weiter fort: »Wenn es euch nicht langweilt, ihr lieben Freunde, so will ich euch gern den geringfügigen Anlaß mitteilen, von dem sich meine Geschichte herleitet, obzwar da wirklich nicht viel zu erzählen ist und das bescheidene Erlebnis mehr nach innen als nach außen Wirkung übte.

Ich sagte euch schon, daß ich als Knabe von recht schwankender Gesundheit war. Keine der häßlichen Kinderkrankheiten, wie Masern und Scharlach, blieben mir erspart, und so war ich – indessen zwei ältere Brüder sich knabenhaft wilden Spielen im Freien hingaben, zumeist auf meine eigenen Gedanken angewiesen, die in der ewigen Stubenluft etwas Scheues und Abgesperrtes erhielten. Meinen Eltern galt ich als Duckmäuser, meine Brüder gingen mir aus dem Wege.

Ich für meinen Teil wollte es allen gerne recht machen. Mein Herz war erfüllt von guten Vorsätzen und stets bereit, sich hinzugeben. In meiner Einsamkeit war ich oft hinter dem Gesinde her, half mit kleinen Handreichungen, nur in dem Bestreben, mir von irgend jemandem Dank zu verdienen.

Jeden Freitag war großes Räumen. Die ganze Wohnung wurde auf den Kopf gestellt, und es gab für mich eine Menge zu sehen. Meine Mutter war eine gute Hausfrau und achtete darauf, daß alles blitzte und blinkte. Insbesondere alle metallenen Gegenstände mußten an diesen Feiertagen so gründlich gescheuert werden, bis man in jeder silbernen Tasse und in jedem Türschloß sein eigen Bild spiegeln sah. Von diesem Punkte aus gedachte ich mir also Dank und Ruhm zu gewinnen.

In meines Vaters Zimmer standen in einem Glasschranke und auf den Bücherregalen eine Reihe alter, wunderlich geformter Gefäße, und ich hatte oftmals davon reden hören, daß diese Kannen, Krüge und Schalen eine kostbare Sammlung darstellten, die Vater von fernen Reisen mitgebracht hatte. Meine Brüder behaupteten sogar, diese Geräte seien jahrhundertelang in der Erde verscharrt gelegen, oder man habe sie in alten Gräbern gefunden. Dies wollte mir nun allerdings wenig glaubhaft erscheinen.

Immerhin war es mir aufgefallen, daß bei dem allwöchentlichen Räumen und Scheuern gerade diese Geräte, auf deren Besitz mein Vater so stolz war, durch ein unverzeihliches Versäumnis keine Beachtung fanden. Und so hoffte ich einiges Zutrauen der Mutter und das Lob des Vaters zu verdienen, wenn ich hier auf eigene Faust Abhilfe schaffte.

Ich verstand es, mich heimlich in den Besitz des Wischtuches sowie der nötigen Putzmittel zu setzen, und als der nächste Freitag herankam, holte ich die alten Geräte aus dem Glaskasten und von den Bücherregalen und ruhte nicht eher, als bis der häßliche, grüne Belag beseitigt war und die Gefäße wieder aussahen wie neue. Nur einzelne Bruchschäden, wie Sprünge und Bisse, konnte ich natürlich nicht wieder heilmachen.

Als meine Mutter heimkam, führte ich sie klopfenden Herzens in Vaters Zimmer, das sonst niemand während seiner Abwesenheit zu betreten wagte, und zeigte ihr mein Werk. Statt mich aber zu beloben, wie ich es erwartet hatte, schlug sie entsetzt die Hände zusammen, nannte mich einen dummen Jungen, der niemals in der Welt etwas Nützliches vollbringen werde, und versetzte mir zum Schlüsse der Unterredung, die einen so unerwarteten Verlauf genommen hatte, eine schallende Ohrfeige.

Dann ließ sie sogleich einen Mann kommen, den ich bei Vater schon öfter gesehen hatte, wenn es um die Reparatur irgendeines alten Stückes ging. Bedenklich schüttelte er jetzt den Kopf und meinte, er könne ja gewiß die Patina – so nannte er den grünen Belag – auf künstlichem Wege wieder herstellen, und zwar noch ehe Vater von seiner Reise zurückkehrte, aber es werde doch ein tüchtiges Stück Geld kosten.

Meine Mutter holte seufzend ein paar Banknoten herbei, die sie aus einer Sparbüchse nahm, und als der Mann endlich fortgegangen war, zog sie mich in eine Ecke und schärfte mir ein, nur ja nichts von dem ganzen Vorfall meinen Brüdern zu erzählen und auch sonst niemandem im Hause, wenn mir nur irgendwie daran gelegen sei, meine Schandtat gutzumachen. Am wenigsten aber dürfe der Vater von meinem voreiligen Handeln erfahren, damit er sich nicht betrübe.

Hier zu schweigen, gebot mein eigenes Interesse. Das Bewußtsein aber, mit meiner Mutter ein Geheimnis gemeinsam zu haben, machte mich sehr stolz. Ich hütete mich wohl, der Angelegenheit fürderhin vor wem immer Erwähnung zu tun, verfolgte vielmehr ihren Fortgang nur ganz heimlich und aus geziemender Entfernung. Die kostbaren Gefäße waren rechtzeitig zur Stelle, trübe und angelaufen und voll grüner Flecken.

In den nächsten Tagen beobachtete ich oft meinen Vater, wie er, in Betrachtung versunken, vor dem alten Geräte stand – es war dies so seine Art, wenn er von der Arbeit ausruhte – und als er einmal meinen scheuen Blick auffing, rief er mich herbei und erklärte mir den Ursprung jedes einzelnen Gefäßes, und er sprach wieder von der kostbaren Patina und wie es etwas Wunderbares an sich habe, die Spuren der Jahrhunderte einem leblosen Dinge anhaften zu sehen.

Vater war damals so gütig zu mir, wie nie zuvor, und mir würgten die Tränen in der Kehle. Ich hätte ihm so gerne meine Schuld gestanden und mußte doch mein Geheimnis für mich behalten; nur um ihn nicht zu betrüben.

Seht, ihr lieben Freunde, damals erfuhr ich zum erstenmal in meinem Leben, was eine Lüge bedeutet, und auch wie schwer es in der Welt ist, sich auf rechte Art hervorzutun.«

Mit einiger Rührung waren die Freunde der kleinen Erzählung gefolgt, indem sie die inneren Zusammenhänge erkannten, die von Malchus zum Fahnenschneider führten. Manch einer unter den Freunden wußte noch ein Beispiel dafür zu geben, wie übel belohnt zumeist Herzenseinfalt und Güte werden, und als wollte die nahe Wirklichkeit selbst unaufgefordert sich ins Gespräch mengen, wurde den Freunden Meldung erstattet, daß zwei Leute der Begleitmannschaft, die für einen Fiebernden Wasser aus einer nahen Zisterne herbeizuschaffen versucht hatten, von einem feindlichen Posten abgefangen worden waren.

Maximianus bot den Rest seiner Feldflasche. Rosenrot dämmerte der Morgen auf. Dyonisius ließ sich noch immer nicht blicken.

So fiel am nächsten Abend ganz von selbst die Aufgabe des Erzählens an Konstantinus.


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