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Filomenas Seereise

In Livorno lebte ein Kaufmann, Pietro Ruggieri mit Namen, der, reich an Gütern, doch vor der Zeit gealtert, in allen Geschäften wohl erfahren, doch zaghaft in Liebesdingen, sich mit der schönen Pisanerin Filomena vermählte, in deren jugendlicher Nähe er neuen Frohsinn zu finden hoffte, während sich Filomena mehr von seinem Gelde als von seinem greisenhaften Körper Lust und Ergötzen versprach.

Doch wie es nun einmal zu gehen pflegt, sahen sich beide Teile gleichermaßen betrogen, denn Filomena, die bis dahin vom frühen Morgen bis zum späten Abend ihre heiteren Lieder gezwitschert hatte, wußte nicht einen Endreim mehr, seit sie in dem strengen Hause Pietros wohnte, und wenn Pietro auf jede Weise bemüht war, sich in die Neigung Filomenas zu setzen und ihr Gutes zu erweisen, es auch an Gürteln, Spangen und anderen derlei Kostbarkeiten nicht fehlen ließ, wie sie das Herz der Damen erfreuen, so bereitete er seiner Gattin doch viel Verdruß durch ein gar eifersüchtiges Wesen, indem er mit aller Vorsicht darauf bedacht schien, daß sich Filomena nicht anderswo hole, was er selbst ihr zu geben außerstande war.

So kam es, daß Filomena, während der alte Pietro seinen Geschäften nachging, in der Abgeschiedenheit des Hauses, wie in einem Kerker, voll bitterer Gedanken ihr trauriges Los beklagte und reichlich ihre Tränen fließen ließ.

Am liebsten saß sie an einem Fenster, das aufs Meer hinausging und von wo aus sie die vielen Schiffe beobachten konnte, die Tag um Tag aus fernen Ländern kamen und nach fernen Ländern gingen, vollbepackt mit den Waren des reichen Kaufmannes Pietro Ruggieri, ihres Ehegemahls. Da erwachte mächtig in ihrem Herzen die Sehnsucht, von einem dieser Schiffe mitgenommen zu werden und nicht ewig als wertloses Gut in kränkender Langeweile zurückzubleiben.

Aber Pietro mochte von einer Seereise nichts hören. Mit weinerlicher Stimme bat er Filomena, sich doch damit zu begnügen, seine Waren immerdar auf der Reise zu wissen; gerade die Bewegtheit der Schiffe, ihr unstetes Kommen und Gehen, lasse ihm selbst die Ruhe und Beständigkeit des eigenen Hauswesens doppelt anziehend und wertvoll erscheinen.

In seinem ganzen Leben habe er sich niemals weiter von seiner Vaterstadt entfernt, als bis nach Pisa, von wo er Filomena heimgeführt. Der Gedanke, die behagliche Sicherheit des festen Landes mit der schwankenden Ungewißheit einer Galeere zu vertauschen, erfülle ihn mit Abscheu, sonderlich, wenn er die Gefahren erwäge, die bei derlei Reisen durch Seeräuber drohten. Sei doch erst kürzlich ein stattliches Schiff Messer Gabriottos von dem Piratenvolk, das jetzt frecher denn je sein Unwesen treibe, angesichts des Hafens selbst zum Kentern gebracht worden, gar nicht zu reden von den Gefahren durch Klippe und Wind oder böse Krankheiten.

Aber Filomena hörte nach Frauenart nicht auf, von der Seereise zu sprechen und wußte es mit Schmeicheln und Bitten so einzurichten, daß sich Pietro an den Gedanken, wenngleich er ihm von Herzen widrig war, allmählich gewöhnte, zumal es ihm schwer ankam, seiner Gattin einen Wunsch zu versagen.

Und schließlich sah sich Filomena in ihrem Vorhaben durch zwei unerwartete Ereignisse unterstützt, die ihr in die Hand spielten, denn es ist nun einmal so, daß die Absichten der Frauen, je törichter sie sind, um so willigere Helfer finden; auch im blinden Zufall.

Es geschah also, daß eine tödliche Seuche in Livorno ausbrach, die es ratsam erscheinen ließ, so schnell es nur immer anging, aus der Stadt zu flüchten, und zweitens gefiel es Messer Gabriotto seit einiger Zeit, vor dem Fenster Filomenas am Strande zu lustwandeln. Diese beiden Gefährdungen hatten in ihrem Zusammenwirken die Folge, daß Pietro, nun selbst angsterfüllt, ans Reisen dachte, auch schleunigst eine Galeasse ausrüsten ließ und den Stockmeister antrieb, der im Namen des Hohen Rates die Ruderknechte an die Schiffsherren gab.

Indessen machte er nach Kaufmannsart seinen Überschlag, belud das Schiff mit mancherlei Waren, die er in Zypern vorteilhaft loszuschlagen gedachte, stellte auch für die kostbarsten Güter bauchige Truhen bereit und war in kurzer Zeit so weit gelangt, daß er in See stechen konnte.

Frohen Sinnes betrat Filomena das Schiff, das anmutig auf und nieder ging, wie eine Schaukel, und fand alles willkommen, die Stapelplätze, wie die großen genuesischen Kauffahrer, die ihnen auf der Fahrt begegneten, und die türkischen Schiffe, die aus Konstantinopel kamen.

Und wenn ihre Galeasse von Freibeutern gejagt wurde, flüchtete sie nicht mit Pietro in den befestigten hölzernen Turm auf dem Vorschiff, sondern ließ ihren Gatten sich dort allein mit seiner Angst einschließen und spähte furchtlos nach den Piraten, viel eher begierig dem kühnen Volke zu begegnen als ihm zu entschlüpfen.

Doch unbehelligt traf die Galeasse in Zypern ein, und Pietro, der nun wieder den ganzen Tag damit beschäftigt blieb, die Waren, die er aus Livorno mitgebracht, in Geld zu verwandeln oder gegen andere Waren, wie Teppiche und Seidenzeug, Glas und feines Leder, zu tauschen, sah sich außerstande, Filomena zu bewachen, wie es ihm angezeigt schien, denn am liebsten hätte er sie gar nicht ans Land steigen lassen, sondern in dem hölzernen Turm auf dem Vorschiff eingeschlossen gehalten.

Dazu aber wollte sich Filomena keineswegs verstehen, neugierig besah sie sich die fremde Umgebung, tat sich in den Basaren um, verwies die Händler mit der Bezahlung an Pietro und vergnügte sich so auf ihre Art, als unversehens ihr Gatte auf dem Ladeplatz niederstürzte, wie es schien, von einer nicht unbedenklichen Krankheit befallen, und dies gerade an dem Tage vor der geplanten Abreise, als schon die riesenhaften Truhen, die er aus Livorno mitgebracht, mit neuen Schätzen angefüllt waren, bis auf die letzte und größte, die noch leer stand.

Der Kaufmann Pietro Ruggieri kam aber nicht mehr dazu, die vorteilhafte Ausrüstung seines Schiffes zu vollenden, denn seine Krankheit verschlimmerte sich trotz der sorgfältigen Betreuung, die ihm seine Gattin angedeihen ließ, und am dritten Tage starb er, nicht ohne Filomena über das Schiff und alle Güter, die er sonst besaß, als Herrin eingesetzt zu haben.

Wohl gab er zu verstehen, daß es vielleicht verständiger gewesen wäre, wenn er nicht gegen alle Neigung seine Heimat verlassen hätte und nicht so, im Glauben, einer drohenden Gefahr zu entrinnen, in eine viel schlimmere geraten wäre; denn es sei ein übles Los, in fremdem Lande sein Leben zu beschließen. Doch schnell hielt seine zaghafte, immer besorgte Stimme inne, denn er wollte es vermeiden, Filomena zu kränken.

Im letzten Augenblicke nur streckte er, eifersüchtig, wie er nun einmal war, seine dünnen Kinderarme nach ihr aus, als wollte er sie mit sich in den Tod nehmen. Aber er mußte allein sterben.

Und da ihm Filomena die Augen geschlossen und ihn züchtig, wie es die Sitte vorschreibt, beweint hatte, ließ sie seinen dürren, ausgezehrten Körper einbalsamieren und in die große Truhe legen, die er für seine kostbarsten Waren ausersehen hatte, und die nun zu seinem Sarge wurde.

Die Männer, die mit solch trauriger Arbeit beschäftigt waren, konnten nicht genugsam erstaunen, wie wenig von dem reichen Kaufmann Pietro Ruggieri übrigblieb; er schien völlig in sich vertrocknet zu sein. »Uccellino,« sagten sie, indem sie an die kleinen, armseligen Vögelchen dachten, deren Körper, reihenweise auf dünne Stäbe gespießt, zu Markt gebracht werden.

Dumpf und leer hallte die Truhe, als man die Nägel ringsum ins Holz schlug. In feierlicher Ordnung wurde sie tief unten ins Schiff gebettet, denn Filomena hatte es sich zugeschworen, die sterblichen Überreste ihres Gatten der Heimaterde wiederzugeben. So bestieg sie traurig die Galeasse, auf der sie voll froher Hoffnung ihre Reise begonnen hatte, einsam, als Witwe, mit der Sargtruhe zu unterst im Schiff.

Aber allmählich siegte Filomenas Heiterkeit über alle finsteren Gedanken, denen sie sich hingab. Sie begann wieder Interesse am Leben zu gewinnen, und da sie von ihrem Turme aus nichts sah, als Himmel und Wasser, und auch kein Piratenschiff sich blicken ließ, begann sie zu wohltuender Zerstreuung auf der Galeasse so gründlich Umschau zu halten, wie sie es sich längst vorgenommen und wie es Pietro niemals erlaubt hatte.

Sie schritt neugierig den Gang zwischen den Ruderbänken entlang, auf denen die Knechte, angekettet, mit nacktem Oberkörper, das Antlitz gegen das Hinterschiff gekehrt, saßen. Da rief sie den einen oder den andern an, fragte ihn nach Namen und Herkunft und welches Schicksal ihn auf die Ruderbank geführt, was zu mancherlei merkwürdigen Erzählungen Anlaß bot, die Filomenas Sinn von dem eigenen düsteren Erleben abzulenken geeignet waren.

Indessen gab es einen Ruderer, einen wilden Gesellen, der niemals einen Blick nach der Schiffsherrin wandte, sooft sie auch an ihm vorüberschritt.

Die Ruderbänke waren »alla scaloccio« angeordnet, das heißt, sie standen quer zur Kielrichtung, und immer drei Männer handhabten gemeinsam den Griff eines Ruders, so daß die beiden Knechte, die neben dem Finsteren, Schweigsamen saßen – wollten sie Filomena dienstbar sein –, sich mehr um Rede und Antwort, als um ihr trauriges Tagwerk bekümmern brauchten, während ihr Gefährte allein mit einem Rucke des schlanken, doch mächtigen Körpers, der alle anderen überragte, die Ruderstange zurückbog und die starken Muskeln an Arm und Nacken im Takte anschwellen ließ.

Diese offen zur Schau getragene Achtlosigkeit mußte Filomenas Ärger erregen; geradenwegs zwängte sie sich durch die Reihen zu dem fremden Ruderknechte hin und stieß ihn mit einem kleinen Stabe, den sie in Händen trug, ein wenig in die Seite, um seine Aufmerksamkeit zu erzwingen.

Doch der Gezüchtigte fuhr so zornig herum, daß seine Ketten rasselten und Filomena, auf den Tod erschreckt, zurücktrat.

»Laßt mich am Ruder, Madonna,« sagte hart der Knecht.

Doch Filomena, die wieder einige Festigkeit gewonnen hatte, befahl: »Ihr sollt mir Antwort geben, wenn ich zu Euch rede.«

»Übel steht es Euch an, Madonna,« entgegnete der Gekettete, »Euch mit uns Knechten abzugeben, und übel steht es einem Manne an, der in Fesseln schmachtet, sich mit einer Frau zu unterreden, die seiner zu spotten kam. Holt mich aus den Eisen, Madonna, und ich will nicht mit den Worten sparen. Sonst aber laßt mich.« Und er griff wieder nach der Ruderstange und zählte laut den Takt.

Filomena fühlte sich von der edlen Rede des Mannes gleichermaßen angezogen, wie von seiner edlen Haltung, so daß sie, schnellen Entschlusses, den Profossen herbeirief und ihm befahl, den Mann aus den eisernen Spangen zu lösen, wenngleich die anderen murrten.

Und sie hieß die Mägde, ihm ein Bad anrichten, mit kostbaren Kräutern, die in Zypern aufs Schiff gekommen waren. Und da man nach passenden Gewändern suchte, konnte man keine anderen finden, als solche aus prächtigen Seidenstoffen, die Pietro um viel teures Geld erhandelt hatte.

Als nun der Fremde, solchermaßen herausgeputzt, vor Filomena trat, war er vornehm und stattlich anzusehen und gefiel ihr über alle Maßen.

»Ich heiße Tedaldo,« begann der Fremde, nachdem er vor Filomena Platz genommen hatte, »und ich stamme aus Neapel. Ich liebte eine Dame, die meiner Neigung unwürdig war, und gab ihr alles hin, was ich besaß. Mein Erbe zerfloß. Die letzten Goldstücke setzte ich mit fremden Gesellen beim Buonconvento ein. Das Spiel versagte mir seine Gunst, ich verlor. Ein Freund, um mich zu retten, stellte mich über ein Schiff, das er nach Sizilien ausrüstete. Sarazenische Seeräuber überfielen uns, töteten die ganze Besatzung und ließen nur mich am Leben, weil ihnen meine Geschicklichkeit, mit den Waffen umzugehen, aufgefallen war. Doch zwangen sie mich, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen, und wählten mich zu ihrem Anführer. So durchstreiften wir die See von Kap Minerva bis Scalea in Kalabrien und machten gute Beute, bis wir einmal im Kampfe gegen Übermacht erlagen und mit unserem Schiff zugleich Ehre und Freiheit verloren.«

Gespannt war Filomena der Erzählung Tedaldos gefolgt, denn sie fand in ihr alles vereinigt, was sie bislang hatte entbehren müssen und wovon sie sich darum doppelt angezogen fühlte: ein auf sich selbst gestelltes Leben, Abenteuer und Kühnheit. Ja sogar die jugendliche Leichtfertigkeit, durch die Tedaldo auf die Ruderbank geraten war, wollte ihr mehr zusagen, als die bedächtige Vorsicht, aus deren Gefangenschaft sie selber kam.

Jetzt erst, da ihr die Tage unter den Erzählungen des Fremden wie im Fluge entglitten, wurde sie gewahr, wie sehr sie bis zu jenem Augenblicke in beklagenswerter Langeweile dahingelebt hatte.

So hielt sie Tedaldo wert und traf alle Anstalten, um ihn durch freundliche Rede und gute Bewirtung das Ungemach vergessen zu lassen, das ihm, wenngleich durch sein eigenes Verschulden, doch gegen seinen Stand und gegen seine hohe Gesinnung, widerfahren war.

Und er sprach also zu ihr: »Madonna, nicht genug kann ich, Elender, Worte finden, um Eure Erhabenheit und Trefflichkeit zu preisen, und ich betrachte den Schaden, den ich empfing, als eine glückliche Fügung des Himmels, weil er mir die Gnade Eurer Begegnung brachte.«

Und dann erzählte er ihr von anderen Frauen, die er in fernen Ländern angetroffen, und mit den schönsten, deren Huld ihm zuteil geworden, verglich er sie, so daß Filomena in seinen Erzählungen wie in einem vollendeten Spiegel sich selber blicken konnte, und aller so verschiedenartiger Liebreiz, von dem Tedaldo berichtete, über sie allein ausgegossen schien. Auch dies gefiel ihr gar sehr.

Es war nun der Wunsch Filomenas, der ganzen Welt Gutes zu erweisen. Dem Profossen hatte sie einen Beutel, reichlich mit Zechinen gespickt, überbringen lassen, und auch sonst sparte sie nicht mit Geschenken an Schiffsbemannung und Gesinde, so daß ihre gutangebrachte Freigebigkeit allenthalben Frohsinn erweckte, denn die Beschenkten hatten gleichermaßen, wie Filomena selbst, bis zur Stunde unter strenger Zucht geschmachtet.

Nun hörte man sie des Abends im Chore singen, während Tedaldo bei der Schiffsherrin saß, und man hätte meinen mögen, ein festliches Schiff fahre über See, nicht eines der Trauer. Der alte Kaufmann Pietro Ruggieri, dem die Galeasse vor kurzer Zeit noch zu eigen gewesen, mit allen ihren Schätzen, lag vergessen in seiner Truhe zu unterst im Schiffsraum. Doch über ihm war Gesang und das taktmäßige Klirren der Ketten auf den Ruderbänken.

So kam es, daß Tedaldo seine Liebe auf Filomena richtete und auch sie sich nicht mehr wohlfühlte, außer wenn er bei ihr war. Und nachdem er mit aller Ausführlichkeit von seinen kühnen Abenteuern berichtet und Filomena sich nach ihrem Gefallen sattgehört hatte, ging er dazu über, sie bei den Händen zu fassen und zärtlich zu drücken, und wenngleich Filomena sich zurückbog, schloß er sie doch in seine Arme und küßte sie auf den Mund.

Und da nun Tedaldo sich so weit in die Gunst und Neigung Filomenas gesetzt hatte und ihrer Gegenliebe sicher war, mußte sie sich wohl auch darein finden, ihn des Abends, nachdem sie die Mägde fortgeschickt, in ihre Kammer zu lassen, die sich in dem hölzernen Turm auf dem Vorschiff befand und mit kostbaren Teppichen völlig ausgeschlagen war, wie ein einziges schwellendes Lager.

»Madonna,« sagte Tedaldo, »ich liebe Euch, wie nie zuvor ein Weib, und nichts sollte mir willkommener sein, als eine Gelegenheit, es Euch mit Taten zu beweisen.«

So schworen sie sich gegenseitig ewige Treue und wechselten viel zärtliche Worte nach Art der Liebenden. Und dann umarmten sie sich voll Wonne und genossen der größten Lust und Seligkeit.

In jener Nacht nun geschah es, daß die Galeasse in die Nähe der Insel Malta gelangte und gerade, als Filomena in den Armen Tedaldos vom Schlafe umfangen wurde, ein mächtiger Sturm sich aus dem Meere erhob und das Schiff mit solcher Gewalt gegen einen Felsen schleuderte, daß es mitten entzwei brach.

Von der ungestümen Bewegung, die das Schiff emporriß, ehe es zerschellte, hatten die Liebenden kaum etwas gemerkt, mit so vieler Innigkeit waren sie einander hingegeben, und die Vernichtung brach so plötzlich über die Galeasse herein, daß Filomena, mit einem Male statt auf weichem Pfühl in die aufgeregte See gebettet, wenngleich noch immer von den Armen Tedaldos gehalten, nicht anders meinen konnte, als sie sei aus den Höhen des Himmels in eine eiskalte Hölle verstoßen worden.

Und hatten eben noch ihre Lippen, vom Küssen wund, zärtliche Worte geflüstert, so formte sich jetzt nur ein Schrei in ihrer Kehle, der nach Hilfe und Rettung verlangte. Und dieser Schrei schien rings um sie die ganze Nacht zu erfüllen, die auf hohen Wellen auf- und niederschwankte.

Wo vorher Gesang gewesen, hörte man Röcheln und Stöhnen, das von den aufgeregten Wassern gierig eingeschluckt wurde, wie das Klirren von hundert Ketten, das noch lange gewichtig in den Ohren Filomenas lag und sie selbst niederzog, als es schon völlig still um sie geworden war und sie allein mit Tedaldo, von Welle zu Welle geworfen, um ihr Leben rang.

Da gewahrte sie nahe vor ihren Augen einen Gegenstand, einen Balken oder eine Schiffsplanke oder etwas Ähnliches, das ein wenig über das Wasser ragte, und woran sich Filomena in ihrer Todesangst zu klammern suchte.

Mit ihr zugleich hatte Tedaldo den schwimmenden Gegenstand wahrgenommen, und auch er strebte ihm zu, denn es war ihm gleichermaßen willkommen in so harter Bedrängnis einen Stützpunkt zu finden wo er ausruhen und mit einiger Sammlung seine Lage überdenken konnte. Indessen erwies es sich, daß die Planke das Gewicht beider Körper zu tragen nicht imstande war, und Tedaldo, der Filomena zur rettenden Stütze emporgehißt hatte, sah sich selbst erbarmungslos Wind und Wellen preisgegeben.

Undurchdringlich schwarz war die Nacht, die beiden Schiffbrüchigen schienen von der Stelle, wo die Galeasse versunken war, abgetrieben worden zu sein, nirgends zeigte sich ein anderes Brett oder sonst ein schwimmender Gegenstand, wie sie bei Schiffbrüchen umherzutreiben pflegen, und Tedaldo fühlte, unter der riesenhaften Wucht der stets aufs neue anstürmenden Wassermassen, indem er Filomena stützte und sie auf ihrer Planke festhielt, die Kraft seiner starken Arme erlahmen.

Bisher war zwischen den Liebenden, außer gelegentlichem Zuruf, kein Wort gewechselt worden, nun aber, da Tedaldo so nahe den Tod vor Augen sah, begann er durch das Tosen der Brandung auf Filomena einzusprechen.

»Rücket zur Seite, Geliebte,« rief er, »vermag uns die Planke nicht beide zu tragen, so leiden wir gemeinsamen Tod.«

Doch angsterfüllt gab Filomena zurück: »Um der Mutter Gottes willen, Tedaldo, schonet meiner und lasset mir die Planke.«

Und da Tedaldo schon mit beiden Armen neben ihr festen Griff gefunden und den Oberkörper halb aus dem Wasser hob, wodurch Filomena gleich tiefer ins Wasser hinabtauchte, schrie diese entsetzt: »Wie mag Euch nur einfallen, mich solchermaßen zu bedrohen. Habt Ihr mir nicht zugeschworen, in jeder Not mir Beistand zu sein!«

Doch Tedaldo entgegnete rauh: »Madonna, ich sterbe. Und mein Tod ist so bitter wie der Eure. Gönnet mir darum ein wenig Raum.« Und er stemmte schon das rechte Knie auf das Brett.

Nun erzürnte Filomena, die sich um alle Hoffnung des Lebens betrogen sah, und sie eiferte gegen Tedaldo, dessen Antlitz ihr so nahe gerückt war, daß sie seine Züge in der aufdämmernden Morgensonne deutlich unterscheiden konnte.

Vor wenigen Stunden noch hatte sie voll Zärtlichkeit in dieses Antlitz geblickt, nun fühlte sie sich von ihm abgestoßen. Vom Wasser zerwühlt waren die Haare und fielen ungeordnet über die Stirn, die verwittert schien und voller Runzeln vor der Zeit.

So hatte Pietro ausgesehen, zuckte es in Filomena auf, genau so, wenn er des Morgens aufwachte. Von eisigen Schauern fühlte Filomena ihren Körper geschüttelt, da es nun mit einem Male so war, als säße gar nicht Tedaldo, sondern Pietro neben ihr auf der Planke und zöge sie mit sich in die Tiefe.

In fremdem Lande war er gestorben, um ihretwillen, und hatte sie zur Erbin all seiner Schätze eingesetzt. Sie aber hatte ihn vergessen; so kam er sie holen.

Es schien Filomena in diesem Augenblicke höchster Gefahr, als habe sie den alten Pietro immer geliebt oder als sei sie wenigstens entschlossen, ihn von Stund an zu lieben: Pietro hätte alles für mich hingegeben, dachte sie, er war immer gut zu mir. Nie hätte er so Furchtbares mir zugemutet.

Als Filomena nun wieder auf Tedaldo blickte, wußte sie, daß nur noch Haß zwischen ihnen stand und Kampf: wer leben sollte und wer sterben. Trotzig stemmte sich seine Schulter vor ihr auf. Und sie erkannte das rote Brandmal des Ruderknechtes.

»Hab ich Euch darum aus den Eisen geholt,« schrie Filomena in ihrer Verzweiflung, »damit Ihr Euer Leben vor das meine stellt?«

Und trotzig entgegnete Tedaldo: »Bin ich darum aus den Eisen erstanden, nicht einmal, sondern zehnmal, um durch ein Weib zu verderben! Ich will leben, Madonna. Mag denn mein Schutzpatron entscheiden – oder der Eure!«

In ihrem Grauen und in ihrer Angst, von der Planke zu gleiten, die immer tiefer ins Wasser tauchte, hatte Filomena, der Länge nach sich hinwerfend, mit den Armen umklammert, was sie zu fassen bekam, indem sie zugleich mit den Füßen wild um sich stieß.

Scharfe Kanten spürte sie, an denen sich ihre blutenden Fäuste entlang tasteten, um die sie ihre Arme festspreizte. Und während sie so dalag, dem Tod willkommene Beute, flammte mit einem Male in ihr die Gewißheit auf: es ist Pietros Truhe, auf der ich liege, die Truhe, in die er seine beste Kostbarkeit tun wollte und die sein Sarg wurde. Ich bewahrte sie zu unterst im Schiffsraum. Ich hatte Pietro vergessen, er aber kam mich holen, er riß mich aus den Armen des anderen, er war der Stärkere.

Und Filomena mußte der mächtigen Arme Tedaldos gedenken, wie bei der Arbeit des Ruderns die Muskeln sich schwellten. Doch der tote Pietro war der Stärkere. »Rette mich,« flehte sie in Gedanken zu ihm, heiß und inbrünstig, »rette mich« – bis ihr das Bewußtsein verging und die Wasser über ihr zusammenschlugen.

Aber die Truhe, an deren Kanten sich die Arme Filomenas festgeklammert hatten, hob sich wieder empor, sobald nur der Körper Tedaldos war fortgeschwemmt worden. Und da nun auch die See wieder spiegelglatt war, kamen Fischer herbei, bargen die Truhe und labten die Frau.

Und als man allenthalben die Kunde von der wunderbaren Errettung Filomenas vernommen, strömte viel Volkes herbei, und der Normannenkönig, der über Malta herrschte, bot ihr seine Hand.

Doch sie wollte von dieser Welt nichts mehr wissen, sondern ging in ein durch seine Heiligkeit wohlberufenes Kloster, wo sie die Truhe mit den sterblichen Überresten ihres Gatten unter geweihter Erde begrub, nahe seiner Vaterstadt am Meere, wo sie die vielen Schiffe kommen und gehen sah, hochauf mit kostbarer Fracht beladen, für fremde Länder bestimmt, und ließ sich durch keinerlei Bitten und Vorstellungen bestimmen, von dieser Stätte zu weichen, so daß sie allenthalben ob ihres, dem Andenken des toten Gatten gewidmeten wohlgefälligen Wandels selbst wie eine Heilige Verehrung fand bis an ihr seliges Ende.


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