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Serapion

Die Erzählung Serapions hatte allgemeine Fröhlichkeit verbreitet.

»Ich muß daran denken, wie die ganze Hofgesellschaft gravitätisch hinter dem Sarge des armen Bierzapfers einherschreitet,« sagte Johannes.

»Wenn es nur möglich wäre, sich an Lady Castlemaine heranzuschleichen«, lachte Martinianus, »und ihr ins Ohr zu flüstern: ›Ahnt Ihr es auch, gnädige Frau, wer in dem Sarge liegt, den sechs Edelleute auf ihren Schultern tragen, und um wen also reichlich Eure kostbaren Tränen fließen?‹«

»Gäbe das eine Verwirrung,« rief nun auch Konstantinus, »aber so vortrefflich deine Geschichte ersonnen ist, Serapion – hältst du es im Ernste für möglich und glaubhaft, daß ein so hoher Herr wie Lord Killegrew des Nachts in Sadlers Wells sein Wesen treibe und mit einem Bierzapfer auf Bruderschaft stehe?«

»Um deine Frage zu beantworten, lieber Konstantinus,« erwiderte Serapion, »muß ich wohl mein Geheimnis preisgeben, wie ich dazu kam, mir diese Geschichte zurechtzulegen, und am Ende gefällt sie euch dann nicht mehr, wenn ihr Gerüst, aller Farben entkleidet, nackt und durchsichtig vor euch liegt.

Vielleicht entsinnt ihr euch,« fuhr Serapion fort, da alle ihn durch Zeichen und Blicke ermunterten, »wie einige Jahre vor dem Kriege die Nachricht durch die Zeitungen ging, der Dänenkönig Friedrich sei plötzlich in Hamburg auf höchst geheimnisvolle Weise ums Leben gekommen. Nun, so geheimnisvoll war die Begebenheit eben nicht, wenn auch einigermaßen verdrießlich.

Eine Ferienreise hatte mich damals über Kopenhagen nach Hamburg geführt, und ein Zufall richtete es so ein, daß ich, müßig durch die Straßen schlendernd, gerade am Beinhause vorüberkam, als man die Leiche des Königs dort abholte. Auf näheres Befragen erfuhr ich denn auch später, daß der König kein seltener Gast in Hamburg gewesen sei, und daß er sich gerne damit vergnügte, des Abends, ohne Gefolge, ein gewisses verrufenes Haus im Hafenviertel aufzusuchen. Dort sei er nun einem Schlagfluß erlegen, so hieß es. Und da niemand ahnte, wer der Tote sei, habe man ihn nach dem Beinhause geschafft, wo er unerkannt mehrere Tage verblieben sei; denn gerade an diesem Orte des Schauderns, wohin im allgemeinen nur die Leichen der Ärmsten und Namenlosen gebracht werden, habe man den toten König am wenigsten vermutet.

Diese merkwürdige Begebenheit ging mir lange Zeit nicht aus dem Sinn. ›Wie leicht wäre es da geschehen,‹ sagte ich mir, ›daß sie einen König im Massengrab verscharrt hätten‹ und weiter mußte ich denken, wie der Leichnam des Königs, so bettelarm und entblößt, im Beinhause neben den entseelten Hüllen geringer Menschen lag, die ihn gleichwohl im Tode an Adel und Majestät bei weitem übertrafen.

›Welch ein Gericht,‹ dachte ich mir. Und weiter sah ich die grüne Küste Dänemarks vor mir aufsteigen – es ist ein liebliches Land, singen sie in ihrer Hymne – Kopenhagen stand wieder vor mir, von Sonne überstrahlt, erfüllt von freundlichen, blonden Frauen, die zwischen den deutschen und englischen gerade die Mitte halten und doch so eigenartig sind, in ihrer rotwangigen, lebhaften Frische; vornehme Damen, die in ihrem Auto die Strandpromenade entlang über die ›Lange Linie‹ surren, behende Radfahrerinnen, deren Lachen so hell klingt, wie das Glöcklein an der Lenkstange, und kleine Mädchen, denen man des Abends im Tivoli zum Tanze aufspielt.

Der König dieses Landes aber war in einem verrufenen Hause des Hamburger Hafenviertels gestorben. Wuchs da nicht, wie von selbst, sein Gegenpart aus dem Boden, irgendein armer Teufel, im Elend eingewurzelt, doch adelig in seiner Gesinnung, emporstrebend, wie es jenen König nach der Tiefe zog, und vornehm anzusehen in seiner letzten, tiefste Wahrheit enthüllenden Nacktheit?

Die Worte Horatios fielen mir da ein, wie er anordnet, daß die Leiche Hamlets neben der des falschen Königs hoch auf der Bühne vor aller Augen ausgestellt werde und wie Fortinbras sich für den toten Hamlet entscheidet, nicht, weil er der nächste zum Throne war, sondern der Adeligste: laßt vier Hauptleute Hamlet auf die Bühne gleich einem Krieger tragen – – heißt jetzt die Truppen feuern!«

Die Freunde hatten mit wachsendem Erstaunen verfolgt, wie sich ihnen die Erzählung Serapions allmählich entschleierte, und sie ermahnten Malchus, den Träumer, den nunmehr die Reihe im Erzählen traf, ihnen auch so willkommene Überraschung zu bereiten.

Malchus zog sein Gesicht in bekümmerte Falten. Das Leben erschien ihm nicht eben rosenrot. Die Lage, in der sich die Freunde befanden, gestaltete sich von Tag zu Tag verzweifelter. Das Dorf, aus dem sie bisher alle Lebensmittel bezogen hatten, weigerte sich mit einem Male, auch nur das Notwendigste beizusteuern.

Überdies war Dyonisius seit vorgestern nicht mehr heimgekehrt. Alle Nachforschungen blieben vergeblich.

Keiner der Freunde wagte es, vor den anderen seine Besorgnis einzugestehen, und so sprach auch Malchus, als man sich am nächsten Abend wieder versammelt hatte, mit standhaftem Lächeln:

»Nehmt keinen Anstoß daran, ihr lieben Freunde, daß meine Erzählung den Soldatenrock trägt, wie jene des Martinianus. Sie hat mit Krieg und Kriegshandwerk nur wenig zu schaffen und ist, so hoffe ich, viel eher geeignet, fröhliche als ernsthafte Gedanken in euch zu erwecken, so daß ich mir durch treuliche Einhaltung unserer Satzungen euren Dank zu verdienen glaube.«

Und dann begann er:


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