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19.

Ein Festtag ist's! Ein lachender Frühlingsmorgen! Ueber der alten Stadt Tannenrode mit den grauen Gassen und den spitzen Giebeldächern wehen lustig die Linden in ihrem ersten Grün. Sie streben hoch hinauf zu dem schlanken Kirchlein mit dem zierlichen Glockenturme, der, vom Morgenglanz umflossen, hinunterblickt in das stille Tal, durch welches in Frühlingsschauern brausend ein klares Wässerlein springt. Wetterfest hebt sich auf trutzigem Fels die alte Burg Tannenrode empor.

Ihre Fenster sind geschlossen. Einst wehten Purpurfahnen von rauschender Seide weit in das Land hinein, wenn der Fürst von Büsingen alle Jahre ein oder zwei Mal nach Tannenrode kam, um dort Hof zu halten. Dann wachte das kleine, graue Tannenrode aus seinem Dornröschenschlaf auf wie eine Märchenprinzessin, und reges Leben, Spiel und höfische Feste erregten das Blut der Jugend und machten die Alten gesprächig und geschäftig.

Das war nun schon lange nicht mehr vorgekommen in Tannenrode. Der alte Fürst Ernst Heinrich von Büsingen hatte unentwegt an den Traditionen seines Hauses festgehalten, aber sein Nachfolger, der junge Fürst Dolf Dietram, hatte, wie es schien, keinen Sinn für pietätvolle Ueberlieferungen.

Die Tannenroder verdachten ihm das sehr, umsomehr, da er doch gewissermaßen ein Tannenroder Kind war. Er hatte die größte Zeit seiner Gymnasial- und auch einige seiner Militärjahre in Tannenrode verlebt, und nun hatte er ihre alte, graue Stadt vergessen.

Ab und zu war freilich das Gerücht durch Tannenrode geschwirrt, der Fürst komme zu kurzer Rast auf die Burg. Man hatte auch in dem alten Schlosse gerüstet und Vorhänge und Polster geklopft, aber der Fürst war nicht eingekehrt.

Zuletzt hatte man kaum noch acht auf die alte Burg, die so eigenwillig ins Land sah. Und wie der Fürst ausschaute, den man nur als Jüngling gekannt, hatte man fast vergessen.

Und nun war eines Sonntags die Kunde durch die Stadt geeilt, der Fürst wäre in Tannenrode. Gestern abend, als der Mondenglanz so schimmernd über den Dächern lag, sollte er eingetroffen sein. Aber es war wohl doch nur ein Gerede. Niemand hatte ihn gesehen, und so gründlich man auch zu der alten Burg aufspähte, die Purpurstandarte rauschte nicht von ihrer Zinne weit ins Land hinein, und alle Fenster blieben geschlossen.

* * *

Den Weg, der von dem kleinen Kirchlein mit dem schlanken Turm zu dem stillen Friedhof führte, schritt Aniane, die kleine Jane an der Hand. Das Kind mit dem wehenden Blondhaar trug ein Körbchen mit Veilchen, die weithin ihren Duft spendeten.

Aniane hatte das Haupt tief gesenkt. Sie trug ein schwarzes, lang schleppendes Kleid, ein schwarzer Spitzenschleier fiel lose von ihrem blonden Haar hernieder und hüllte sie fast ganz ein.

Sie sah nicht auf. In grübelndem Sinnen ging sie den alten, geliebten Pfad.

Wieder mal daheim. Wieder mal in Tannenrode, der alten Heimatstadt, die so viel Glück und so viel Weh für sie in sich barg, wo sie einst durch endlose graue Gassen geirrt, bis sich ihr die goldenen Gassen auftaten, die ihr die tiefe selbstlose Liebe eines edlen Mannes erschlossen, der immer ihr Freund gewesen, und dem sie es zu danken hatte, daß sie sich nicht selbst verlor, als alles über ihr zusammenbrach.

Wie lange war das her? Nun weilte sie wieder mit Tante Malchen in der alten grauen Gasse von Tannenrode, in der lieben, alten, großen Stube, wo ihr einst die Majorin Buttler den schrecklichen roten Asternkranz zum ersten Tanzstundenballe auf das Haupt gedrückt.

Tante Malchen, die sonst so Gute, war garnicht mit ihr zufrieden. Ausgescholten hatte sie Aniane, daß sie so leichtfertig ein Glück von sich warf, um das Tausende sie beneidet hätten.

Erst vor wenigen Tagen war Wigbert von Pflug, der als Abgesandter des Fürsten kam, ihr die vom Staatsrat genehmigten Verträge, die für eine Ehe mit dem Fürsten Dolf Dietram in Frage kamen, vorzulegen, unverrichteter Sache abgereist. Tante Malchen meinte, es sei offenbarer Wahnsinn, diese geradezu glänzenden Bedingungen zurückzuweisen.

Ihre Rechte und die ihrer etwa aus der Ehe mit dem Fürsten Dolf Dietram hervorgehenden Kinder waren bis aufs kleinste geregelt. Die Grafschaft Wartenstein mit den dazugehörigen Schlössern und reichem Besitze war ihr und ihren Erben verschrieben und ihr der Titel einer Gräfin Wartenstein verliehen.

In einem ausführlichen Schreiben hatte der Fürst sie auf die Unterbreitung der Verträge vorbereitet und hatte sie in beweglichen Worten angefleht, ihn nicht zurückzuweisen.

Aniane hatte den Brief still beiseite gelegt, und als der Minister des fürstlichen Hauses, als welcher jetzt Wigbert von Pflug seines Amtes waltete, eintraf, da hatte sie nur ein kaltes »Nein«.

Sie hatte aber doch nicht geglaubt, daß es ihr so schwer sein würde, das Opfer, das sie einer Toten brachte, denn was Dolf Dietram ihr einst getan, das war längst untergegangen in dem heißen Born der Liebe, der noch immer für den Jugendgeliebten in ihrem Herzen quoll.

Selbst Rahel, Zillas Schwester, die jahrelang einen tödlichen Haß für den Fürsten hegte, der Schuld trug, daß ihre Schwester so früh vergehen mußte, hatte noch gestern, als sie mit Wetter Wolf, ihrem Gatten, Tante Malchen besuchte, es ebenso unbegreiflich wie die Tante gefunden, daß sie den Antrag des Fürsten zurückwies.

»Und das kannst du mir vorwerfen, Rahel?« hatte sie die Freundin gefragt, »du, Zillas Schwester und Janes Tante, an die er nicht wieder mit einem einzigen Wort gedacht? Erst habe ich geglaubt, da ich sah, wie tief bewegt der Fürst war, als er so unerwartet Jane als sein Kind erkannte, er würde seine Rechte an Jane geltend machen, er würde mir das Kind, mein einziges Glück, nehmen, aber er hat nicht einmal mit einem Wort des Kindes erwähnt.«

»Und vielleicht würde es doch Janes Glück sein,« hatte Rahel sinnend zurückgegeben. »Sieh, Aniane, einst haßte, einst verdammte ich den leichtsinnigen Prinzen, der uns allen so weh getan, heute, wo das Leben mich gereift, wo ich Not, Kummer, Sorge am Krankenbett meiner Kinder, aber auch höchstes Glück genossen, wo ich der Seele Tiefen und Abgründe kennen gelernt und weiß, wie schwer es ist, das eigene Herz, die eigenen Sinne zu zügeln, da habe ich milder denken gelernt über den Fürsten, weil wir selber nicht wissen können, wohin unser eigenes Herz uns treibt.«

Die Geheimrätin von Heimburger, die extra von Leipzig herübergekommen war, die »liebe Aniane« zu begrüßen, die soeben mit der kleinen Jane aus dem Süden zurückgekehrt war, hatte das Gespräch unterbrochen, und Rahel war abgereist, ohne daß sie noch Gelegenheit gehabt hätte, mit ihr zu reden.

Die Geheimrätin hatte sich als Schwiegermutter des Ministers sehr gefühlt und hatte mit blitzenden Augen verkündet, sie hätte immer gewußt, was für ein tüchtiger Mensch Wigbert wäre. Maja und ihr Mann, der lustige, jüngste Sohn der Tante Buttler, die auch gekommen waren, die Mutter in Tannenrode und Aniane zu begrüßen, hatten dazu so spitzbübisch gelacht, daß die Geheimrätin sie ganz drohend angefunkelt hatte.

Aniane mußte lächeln, wenn sie an die gute Geheimrätin dachte, die nun wohl wieder durch ganz Leipzig von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Konzert zu Konzert und Theater zu Theater hetzte und immer atemlos erzählte:

»Mein Schwiegersohn, der Minister, sagt, und mein Schwiegersohn, der Minister, ist dem Fürsten unentbehrlich, oder, Maja muß wieder eine neue Robe haben für die große Cour bei Hofe. Sie will Silberstickerei mit Perlen nehmen.«

Seltsam, wie doch die banalsten Dinge plötzlich unsere Beachtung erregen, wenn das Herz so schwer, zum Brechen schwer ist.

* * *

Immer langsamer wurde Anianens Gang. Die Füße waren ihr schwer. Zum ersten Mal ging sie diesen Weg, als habe sie der Toten etwas abzubitten.

Immer dichter wurde das grüne Frühlingsgerank, das um morsche Kreuze und Wege sproßte.

Jane war vorausgelaufen. Ein jauchzender Laut kam plötzlich aus ihrem Munde.

»Mama Aniane, komm doch schnell, sieh nur, diese Pracht auf Mütterchens Grab. Ach, ist das schön!«

Das Kind stand andachtsvoll, die Händchen gefaltet. Der Korb mit den Veilchen war ihm entglitten, und die blauen Blüten lagen nun auf dem Grabhügel verstreut, der über und über mit duftigen Narzissen bedeckt war.

Nichts war von dem Grün des Hügels und dem Grabmal unter der Blütenfülle zu entdecken, als in Goldschrift der Name »Zilla.«

»Ist das schön,« sagte das Kind noch einmal, und erschauernd sprach Aniane die Worte nach.

Sie wußte, wer das Grab geschmückt. Nur einer konnte es gewesen sein, der eine, der einst so schwere Schuld auf sich gehäuft, als er die Tote verließ. Ein Frühlingsvogel sang jubilierend im Geäst, und vom Kirchlein bebten die Glocken.

Ergriffen sank Aniane in die Knie und barg ihr Antlitz in die duftigen, weißen Blüten. Schwere Tränen lösten sich von ihren Wimpern und fielen wie Tau auf die weißen Sterne.

»Du weinst? Sieh, es lacht die Au,« sprach eine tiefe Stimme ihr zur Seite, und als sie die Augen aufhob, da stand der Fürst an dem Hügel und neigte sich bewegt zu ihr nieder.

Abwehrend sprang Aniane auf. Angst lag in ihren Augen. Fast Hilfe flehend sah sie zu dem Kinde hinüber, das erstaunt und von allem nichts begreifend auf den Mann blickte, der ihr schon einmal begegnet war, so gut zu ihr war, und der nun an Muttchens Grab stand und Tränen in den Augen hatte. Ob er wirklich weinte?

Neugierig hob sie sich auf die Fußspitzen empor.

»Bist du sehr traurig?« fragte sie und tippte mit ihren kleinen Fingern auf seine Wange, über welche ein scheuer Tropfen rann.

»Nein, Kind, ich bin nicht traurig, sondern sehr glücklich,« antwortete der Fürst, des Kindes Hand fest in seine Rechte nehmend, »denn ich habe mein Kind wiedergefunden, mein lange schmerzlich vermißtes Kind.«

Jane sah unsicher von einem zum andern.

»Mutti, wer ist der Mann dort?« fragte sie ängstlich. »Warum sieht er mich so an?«

Aniane schwieg, sie brachte keinen Laut hervor.

»Dieser Mann ist dein Vater, Jane, der Mann der Frau, die hier so still schläft. Kannst du das begreifen?« fragte der Fürst.

Die Kleine schüttelte wild die Locken. »Mein Papa ist tot,« sagte sie bestimmt, das Köpfchen hebend und die grauen Augen prüfend auf den Fürsten richtend. »Das weiß ich gewiß, Mama Aniane hat es mir immer gesagt, wenn ich mit ihr des Abends für ihn betete.«

»Man hat nur geglaubt, daß er tot ist, Jane, und auch er hat nichts von seinem lieben, kleinen Mädchen gewußt, das er verloren, als es noch ganz klein war.«

Unruhig forschten die Kinderaugen in dem bewegten Antlitz, flehend flogen sie zu Aniane.

»Ist es so, Mutti?« lag es in den fragenden Augen.

Aniane senkte leise bejahend die Lider. Ein Schluchzen quoll dann aus dem Munde des Kindes.

»Papa, mein lieber Papa,« lachte sie unter Tränen, ihr Lockenköpfchen an des Fürsten Brust bergend. »Ist es denn wahr? Ich habe auch einen Vater, wie andere Kinder? Einen lieben, guten Vater? Aber du mußt auch zu Mutti gut sein,« rief sie plötzlich erschreckt, aus den Armen des Fürsten in die Anianens flüchtend, »sie ist die Beste, und sie muß auch immer meine Mutter bleiben.«

»Das soll sie auch, Kind,« sagte der Fürst bewegt, Jane auf die klare Stirn küssend, »aber jetzt lauf, Liebling, und pflücke da auf dem Wiesengrund Blumen zu einem Kränzlein für die Mutter, es ist heut ihr seligster, ihr schönster Tag.«

Das Kind flog jauchzend davon. Zu den aufflatternden Vöglein rief sie es jubelnd empor: »Ich habe auch einen Vater.« Den Blumen und Schmetterlingen flüsterte sie es geheimnisvoll zu.

* * *

Der Fürst aber schlug seinen Arm um die bebende Frau, die noch immer am Boden kniete, und zog sie zu sich empor.

»Soll Janes Glück nicht vollkommen sein, Aniane? Oder soll sie die Mutter verlieren, die ihr hier die Tote ersetzt hat, die ich ihr vor der Zeit genommen? Gestern noch in der stillen Mondennacht habe ich gleich nach meiner Ankunft hier meinen Frieden mit der Toten gemacht, und angesichts des stillen Grabes will ich dich noch einmal fragen: Aniane, willst du mein sein? Willst du mit mir gehen, vielleicht in viel Schmerz und Leid, denn der Weg des Fürsten führt über Dornen? Aber auch das höchste, das heiligste Glück schließt es in sich. Ich werbe um dich, Aniane, nicht mit der stürmischen Glut, die den Jüngling einst beseelte und zu unüberlegten Handlungen hinriß, sondern mit der ernsten, heißen, unsagbaren Liebe des gereiften Mannes, der an deiner Seite die Kraft in sich fühlt, gut zu sein und gut zu machen. Heil und Segen meines Volkes und meiner Kinder liegt in deiner Hand, denn auch den Erbprinzen übergebe ich deiner Liebe. Er ist ein lieber und guter Junge, der sehr glücklich sein wird, in Jane ein Schwesterchen zu erhalten.«

Aniane, die sich erschreckt aus des Fürsten Armen frei gemacht, wehrte fast entsetzlich ab.

»Jane, Durchlaucht? Sie soll auch vor der Welt Ihr Kind sein?«

»Es ist die einzige Sühne, die ich der Toten dort geben kann, daß ich noch nachträglich die damals geschlossene Ehe anerkenne und meinem Kinde die Rechte gewähre, die ihm zukommen. Aber nicht allein die Pflicht gegen die Tote spricht in mir, sondern die Stimme des Vaters, die so lange geschwiegen, ruft mit unwiderstehlicher Gewalt sein lange entbehrtes Kind an sein Herz.«

»Und Durchlaucht werden das Aufsehen nicht scheuen? Keine Gefahr nach außen hin sehen, wenn all das Vergangene wieder aufsteht?«

Der Fürst hob das schmale Haupt mit dem Siegerblick. Ein heißes Feuer strahlte in seinen Augen.

»Die wir auf des Lebens Höhe stehen, Aniane, wir müssen auch ihrer würdig sein.

Ich fürchte nichts mehr für mich, seitdem ich erkannt, daß es kein größeres Kleinod gibt, als die Liebe, die alles verzeihende, alles verstehende göttliche Liebe. Jane soll auch vor der Welt meine Tochter sein.«

Da beugte sich Aniane, ehe der Fürst es hindern konnte, auf seine Hand, und ihre roten Lippen berührten in tiefer Demut seine Rechte.

Erschreckt wehrte der Fürst ab, dann aber flammte es wie ein seliges Verstehen in seinen Augen auf, und weit die Arme ausbreitend, zog er das heiß erglühende, bräutliche Weib an sein Herz.

Trunken, und doch voll scheuer, heiliger Liebe, nahm er den ersten Kuß von ihren Lippen.

»Du, du!« flüsterte er, sie selig an sich pressend. »Nun bist du mein. Ich halte dich, Aniane, für alle Zeit, du, meines Lebens bester Teil!«

Und die Glocken vom Kirchlein klangen hell durch all den Sonnenglanz, und die Orgel erbrauste sieghaft, als rauschten tausend Jubelchöre empor.

»Und geschieht es nur Janes wegen?« fragte der Fürst endlich, als er lange Aniane stumm Mund und Augen geküßt, »daß du endlich einwilligst, mein zu werden? Antworte, Geliebte, sage es mir.«

»Nein, Dolf Dietram, weil ich dich liebe, tief und wahr. Vom ersten Sehen bis zum letzten Hauch, immer war ich dein, und Rammelsburg, der es wußte, der hat diese Liebe in mir geschützt und heilig gehalten, als wahrhaft liebender Freund.«

Stürmisch zog der Fürst die geliebte Frau an sein Herz.

»Und der andere, dein Freund Harnsen?« fragte er, und es war, als senke sich ein Schatten auf seine Stirn.

Ein sonniges Lächeln huschte über Anianens Gesicht.

»Er telegraphierte mir gestern aus Norwegen, daß er sich dort mit einer blonden Schwedin, einer Jugendgespielin, verlobt.«

»Gott sei Dank,« lachte der Fürst auf, und es klang etwas in dem Lachen, wie der frohe Uebermut der Jugend.

* * *

Abschied nehmend strichen sie beide über den stillen Hügel, dann schritten sie Arm in Arm den Friedhofsweg entlang.

Zwischen dem grünen Gerank sahen sie Janes weißes Kleid, und sie hörten lächelnd ihr lustiges Singen:

»Kuckuck, Kuckuck –
Ruft aus dem Wald.
Lasset uns singen,
Tanzen und springen,
Frühling, Frühling
Wird es nun bald.«

»Nein, es ist schon Frühling geworden,« rief der Fürst, Aniane zärtlich an sich ziehend und ihr trunken in die glücklich lachenden Augen schauend.

Sie standen jetzt an der niederen Friedhofsmauer.

Vor ihnen breitete sich in sonniger Weite das herrliche Tal im Frühlingsschmuck mit dem rauschenden Fluß. Und darüber ragte funkelnd im Sonnenglanz die Burg Tannenrode empor.

Von seiner höchsten Zinne flatterte die Purpurstandarte in die laue Frühlingsluft.

Sinnend standen die beiden und blickten zu der alten Burg auf.

»Werde ich auch die Kraft und die Fähigkeit haben, meine Aufgabe würdig zu erfüllen?« fragte Aniane mit leisem Beben. »Wird mein Können nicht hinter meinem Wollen zurückbleiben bei dem großen Werke, das unsere Lebensaufgabe sein wird, Dolf Dietram, nicht nur für uns, sondern auch für andere, für dein Volk zu leben?«

Da lächelte der Fürst, das alte, stolze, selbstbewußte und doch glückliche Lächeln.

»An deiner Seite, Aniane, fühle ich Riesenkräfte, aber wo die Kraft des einen versagt, da wollen wir uns gegenseitig stützen und aufrichten, da wollen wir nicht müde werden, Nachsicht und Geduld zu üben, dann werden wir Ueberwinder alles Ungemachs sein, dann werden unsere Fahnen sieghaft von der hohen Warte unseres Lebens wehen.«

Lange standen sie und blickten hinein in das blühende Land.

Wie schimmernde Paläste sahen sie ihre Träume hochaufragen zu einem Himmel des Glücks, den sie jubelnd erstürmen wollten, und doch fühlten sie, wie aus dem brausenden Leben heraus sich still ein versunkener Tempel hob, der lockte sie in seinen heiligen Dienst und wies ihnen die höchsten Höhen der Menschheit: Arbeit und Liebe.

Zum letzten Male schlief Aniane in der grauen Gasse von Tannenrode den lächelnden, traumlosen Schlaf sorgloser Jugend.

Morgen schon würde sie hinaustreten, einem neuen Leben voll ernster Pflichten entgegen.

Der Mond schien auf die alten Giebeldächer mit gleißendem Licht. Wie in Silber getaucht flimmerte die schlafende Stadt mit den grauen Gassen in der schweigenden Vollmondspracht.

Still lagen die Felder im blauen Scheine, und von Zillas Hügel ging ein Düften aus hinauf zu der alten Burg, wo von hoher Warte hernieder die rauschende Purpurflagge wehte in das gesegnete Land voll Frühlingsschein.

 

Ende.


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