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17.

Sommerglut lag über Franken. Das sonst so stille Bayreuth war in einem Taumel. Ein Strom von Festgästen aus aller Herren Länder, die alle gekommen waren, den Wagner-Festspielen beizuwohnen, durchflutete die kleine, verträumte, markgräfliche Residenz.

Vor dem Festspielhause auf dem sanftansteigenden Hügel unterhalb der Bürgerreuth herrschte reges Leben. Die Einwohner von Bayreuth waren schon frühzeitig mit Kind und Kegel hinausgezogen, um sich die Auffahrt der Festgäste nicht entgehen zu lassen. In dichten Reihen stand das Volk die Fahrstraße entlang und schloß in einem dichten Kranze den großen Platz vor dem Festspielhause ein, der die anfahrenden Festgäste aufnahm. Ein buntes Leben entfaltete sich hier. Auf und ab wandernd oder in lebhaften Gruppen plaudernd und einander begrüßend, erwartete man die Fanfaren, die den Beginn des Festspieles ankündigen.

Nicht weit von der Vorhalle des Festspielhauses stand die Geheimrätin von Heimburger in einer eleganten, weiß unterlegten, kostbaren, schwarzen Spitzenrobe, auf dem hochfrisierten Kopf eine Toque mit matten Rosen und mächtigen Reiherfedern und sah herausfordernd um sich, während sie ihre langen weißen, schwedischen Handschuhe über die Hände streifte.

Dodo lachte in einer Gruppe von Herren und Damen, die sich um die reizende junge Braut geschart – die Verlobung mit Mister Wadson war inzwischen veröffentlicht worden – und sah von Zeit zu Zeit amüsiert auf ihre Tante, die sich wieder gebärdete, als ob ganz Bayreuth ihr untertänig sein müßte.

Jetzt hielt die Tante sogar einen Mann am Rockknopf fest. Himmel, wer war denn das? Ach ja, der berühmte Pianist Harnsen. Dodo fiel es ein, und sie eilte gleich hinüber zur Tante, um mit Harnsen einen Händedruck zu tauschen.

»Werden Sie es glauben,« hörte sie die Tante erbost sagen, »daß die Preise schon wieder höher geworden sind? Noch bei den letzten Festspielen – Ach,« unterbrach sich die Geheimrätin selber, »sehen Sie doch, Herr Harnsen, da ist ja Nikisch mit seiner Frau. Haben Sie gesehen, welch entzückendes Kostüm die schöne Frau von Kraus-Osborne anhatte? Sie singt eine Norne. Als sie noch in Leipzig am Stadttheater war, da war sie ja bei uns wie zu Hause. Wie das eigene Kind,« behauptete die Geheimrätin lau und mit so eiserner Bestimmtheit, daß der Pianist sie ganz erschreckt und verstört ansah. Er hatte doch nicht einen Augenblick an diesen Verwandtschaftsgrad, den die Geheimrätin so betonte, gezweifelt.

»Sie müssen heute unbedingt mit uns bei Riebenstahl soupieren,« fuhr die Geheimrätin fort, »Aniane von Rainer habe ich auch eingeladen. Sie kommt natürlich sicher, schon aus alter Freundschaft. Sie wissen ja, wie sie, als sie noch das Konservatorium in Leipzig besuchte, bei uns ein und aus ging.«

»Ich glaube kaum, Gnädigste, daß die Baronin imstande ist, Ihrer freundlichen Einladung nachzukommen,« nahm Harnsen nach mehreren vergeblichen Anläufen, die Geheimrätin zu unterbrechen, das Wort. »Die Baronin wohnt außerhalb der Stadt, in der Phantasie, und zudem ist Frau von Rammelsburg nach einer Rolle wie die der Sieglinde, garnicht mehr imstande, in Gesellschaft zu gehen.«

Die Geheimrätin warf dem Pianist einen bitterbösen Blick zu.

»Na, das wird sich schon finden. Meine Tochter Maja ist auch hier. Sie kennen ja wohl noch Maguhilds Zwillingsschwester von Leipzig her?«

»Ja,« lachte eine junge Frau fröhlich auf, Harnsen die Hand reichend. »Aus der Zeit, wo Maguhild und ich uns nicht zu mucksen wagten und immer »Ja, Mama« sagten. Wissen Sie noch, Herr Harnsen? Inzwischen aber habe ich mir einen Mann genommen, ganz selbständig, oder richtiger, er nahm mich, ohne mich und Mama zu fragen. Da ist er!«

»Rechtsanwalt von Buttler,« stellte sich ein keck und lustig dreinblickender, blonder Mann vor.

»Wir haben uns einst vor zehn Jahren in Leipzig gesehen, Herr Harnsen. Gerade damals, als ich mir meine schüchterne, kleine Frau nahm, die jetzt etwas von der Energie ihrer Mutter, meiner verehrten Schwiegermama,« – er machte der Geheimrätin eine tiefe Verbeugung – »in sich wachsen fühlt.«

Die Geheimrätin drohte ihrem Schwiegersohn mit dem Finger. Maja aber lachte fröhlich auf.

»Bei uns zu Hause regieren weder ich, noch mein Mann, nur unsere beiden Buben. Selbst die Großmama hat nichts zu sagen, wenn die Jungen bestimmen, nicht wahr, Mama?«

»Gott sei's geklagt, ihr verwöhnt die Bengels, und ich bin immer froh, wenn ich wieder heil aus dem Hause bin.«

»Ich auch,« stimmte der Rechtsanwalt mit heimlich lächelndem Munde halblaut ein, während er verschmitzt seiner Frau zublinzelte.

»Sieh doch,« rief die Geheimrätin aufgeregt. »Ist das nicht Siegfried Wagner? Natürlich. Ich muß ihn nachher noch sprechen. Wir waren doch damals nach dem Konzert im Lisztverein mit ihm zusammen. Maja, Dodo grüßt mal. Das ist der König von Württemberg. Mein Gott, habt ihr gesehen, wie er unsern Gruß erwidert? Natürlich wird er sich erinnert haben, daß wir damals in Neapel mit ihm in dem gleichen Hotel wohnten. Habt ihr die Prinzessin Vera gesehen? Eine entzückende, charmante Dame. Verneigt euch doch,« raunte sie ihrer Tochter und Nichte zu. »Jetzt kommt Frau Cosima.«

Die jungen Damen sanken knixend in sich zusammen. Frau Cosima Wagners ernste, tiefgründige Augen in dem scharfmarkierten Gesicht unter dem weißen Haar hatten ein Lächeln, als sie grüßend das Haupt gegen die jungen Damen neigte und, ohne die Geheimrätin zu beachten, vorüberschritt.

Frau Heimburger wurde krebsrot.

»Ich glaube gar, Frau Cosima hat uns nicht mal erkannt,« rief sie heftig, »und wir haben doch erst heute morgen in Villa Wahnfried unsern Besuch gemacht.«

»Aber ich bitte dich, Mama,« nahm die junge Frau von Buttler das Wort. »Wie sollte denn Frau Cosima die Einzelnen erkennen, denken Sie nur,« fuhr sie zu Harnsen gewandt fort, »gegen hundert Menschen stürmten heute die Halle der Villa Wahnfried, um Besuch zu machen.«

»Natürlich,« gab die Geheimrätin zurück, »man will doch auch mal einer Soiree in Wahnfried beigewohnt haben. Hoffentlich bekommen wir eine Einladung. Wann ist der heilige Tag?«

»Der Ruhetag zwischen Götterdämmerung und Parsifal, gnädige Frau.«

Die Geheimrätin fächelte sich etwas Luft zu. Dieser blonde Klavierfritze, den sie nie hatte leiden mögen, war ihr, trotzdem etwas Ordentliches aus ihm geworden, noch im höchsten Grade zuwider. Fast schien es, als ob ein leises, impertinentes Lächeln um seine Lippen spielte, als er sie so amüsiert ansah. Glaubte er vielleicht, daß man sie, die reiche Geheimrätin von Heimburger, nicht einladen könnte?

»Haben Sie schon gehört, Herr Harnsen,« fuhr sie unbeirrt fort, »daß auch der Fürst von Büsingen hier sein soll? Du lieber Gott. Sie wissen ja, daß er eine Jugendbekanntschaft meiner Kinder ist. Als er in Leipzig studierte, kam er oft zu uns. Aber was ist Ihnen? Hat sein Hiersein Sie erschreckt? Ich glaube, Sie mochten ihn ja wohl immer nicht leiden.«

»Dazu war mir der Fürst doch wohl immer zu fremd, gnädige Frau,« gab Harnsen gemessen zurück. »Doch jetzt gestatten mir wohl die Herrschaften, mich zu empfehlen. Nicht lange mehr, dann gibt man das Zeichen zum Beginn, und ich möchte mich vorher noch ein wenig sammeln.«

»Also auf Wiedersehen heute abend bei Riebenstahl,« verabschiedete ihn die Geheimrätin, ihm huldvoll die Hand zum Kusse reichend, während ihre Augen schon wieder suchend über die Menge irrten und gar nicht gewahrten, daß der Pianist ihre Hand, ohne sie an seine Lippen zu führen, fallen ließ.

Langsam bahnte sich Roald Harnsen einen Weg durch das Gewühl. Nun wußte er, was wie ein drückender Alp ihm den ganzen Tag schon schwer die Seele bedrückt hatte. Fürst Dolf Dietram von Büsingen war hier, und Aniane wußte es nicht. Oder doch? War sie nicht ganz merkwürdig und verstört gewesen, als er sie heute morgen in der Phantasie aufgesucht hatte?

War es wirklich nur die Aufregung vor ihrem ersten Auftreten hier, der Gedanke an ihre Rolle, die sie so beschäftigt hatte, daß sie ihm kaum Rede stand, als er kam, sie wiederzusehen, nachdem er sich vor Jahresfrist, damals in St. Moritz, von ihr getrennt hatte?

Harnsen stürmte weiter.

»Wohin eilen Sie denn so blindlings?« fragte eine sanfte Stimme, und eine Hand legte sich fest auf seinen Arm.

»Verzeihung, Herr Baron,« gab Harnsen ganz verstört zurück, als er in die sanften braunen Augen des Freiherrn Hans Paul von Wolzogen blickte, die ihn leuchtend anblickten, »ich sah Sie gar nicht.«

»Sie scheinen überhaupt nichts zu sehen, lieber Freund, und mir ergeht es fast ebenso. Ich sehe nur unsere Sieglinde. Wunderbar diese Stimme, diese wonnig hehre Erscheinung, dieses Feuer, diese Reinheit, dieser Stil. Die Proben hätten Sie erleben sollen. Ich war hingerissen. Wie diese Sängerin da auf jeder Probe mehr in unsere heilige Sache hineinwuchs. Es wird ein großer Tag, lieber Harnsen. Kommen Sie morgen nicht zu spät. Frau Cosima erwartet Sie, und wir alle freuen uns auf Ihre Kunst.«

Wolzogen wandte sich lächelnd andern Bekannten zu. Noch aber sah Harnsen die reine Begeisterung auf dem edlen Künstlerantlitz mit den großen, melancholischen Augen des Freiherrn, der jetzt das leichtergraute Haar von der Stirne strich und dem Festspielhaus zuschritt.

Und überall schwirrte ihm Anianens Name an das Ohr. Voller Erwartung harrte die Menge.

Frau Cosima, von ihrer Tochter Eva geführt, schritt langsam dem Festspielhause zu. Von hoher Zinne herab kam wie Walkürenruf der Fanfarenklang, der die Gäste zum Beginn lud.

Tiefes, feierliches Schweigen plötzlich ringsumher. Einen Herzschlag lang eine atembeklemmende Stille. Voll Andacht betrat die bunte Menge das Haus, das im Halbdunkel tief geheimnisvoll seine Hallen öffnete.

Stolz ragten die mächtigen Längspfeiler empor. Ein geheimnisvolles Dämmern lag über dem Parkett mit den immer höher strebenden Sitzreihen, dem sich im Hintergrunde die Fürstenlogen anschlossen. In einer der mittleren Logen, im Dunkel fast, saß ein Mann und starrte auf den Vorhang, als weihevoll aus dem verdeckten Orchester die ersten Töne wie Grüße aus einer andern Welt emporrauschten. Wie stürmisch des Mannes Herz klopfte, der, seines Begleiters nicht achtend, ganz in sich zusammengesunken dasaß und kein Auge von dem Bühnenraum wandte, wo soeben Sieglinde, aus der Pforte des inneren Gemaches tretend, den fremden Mann am Herde hingesunken findet.

Wie gleißte das Goldhaar von Sieglindes Haupt. Wie edel und keusch blühten die herrlichen Glieder der schönen Frau.

Fürst Dolf Dietram von Büsingen im Hintergrunde der Fürstenloge wandte keinen Blick von Aniane, die in dem faltigen, weißen Gewande in anmutsvoller Reinheit vor dem Fremdling stand und so unsagbar hoheitsvoll ihm entgegensang:

»Dies Haus und dies Weib
Sind Hundings Eigen;
Gastlich gönn' er dir Rast
Harre, bis heim er kehrt.«

Und diese Stimme! Wie Glockenton, wie Frühlingsluft brach es daraus hervor. Ein Schauer rann durch des Fürsten Leib. Er beugte das Haupt tief in beide Hände und lauschte mit verhaltenem Atem dem Wechselgesang dort auf der Bühne, der sein ganzes Innere gefangen nahm.

Wie im Traume hörte er Hundings mächtige Stimme dröhnen:

»Heilig ist mein Herd,
Heilig sei dir mein Haus.«

aber die Worte zitterten doch im Herzen des Fürsten wie eine Warnung nach, während er auf Sieglinde starrte, als sie ging, den Männern das Mahl zu rüsten.

Fürst Dolf Dietram war gekommen, um ungesehen und unerkannt Aniane von Rainer als Sieglinde zu hören.

Das Jahr, das schreckliche Jahr, das zwischen heute und ihrem letzten Begegnen lag, hatte ihm zu viel Trübsal und Erschütterndes gebracht, und eine heiße Sehnsucht war in ihm wachgeworden, Aniane wiederzusehen. Immer mächtiger war dieses Sehnen in ihm gewachsen. Wie mit wilder, unwiderstehlicher Gewalt hatte es ihn gepackt. Er wußte ja, daß ihm Aniane ewig verloren war. Er selbst, der immer wähnte, mit kühner Hand nach den höchsten Sternen greifen zu dürfen, hatte sich sein Glück mit frevelnder Hand verschmerzt, und nun führte keine Brücke mehr zu ihm hinüber.

Aber anbeten konnte er sie aus der Ferne. Wie man vor einem stillen Heiligenbilde kniet.

Und nun, da er sie wiedersah, da er ihre Stimme hörte, ihre frühlingsfrische, zaubervolle Stimme, wie sie sich mitleidig zart dem kühnen »Wölfling« dort neigte, da flammten sie wieder auf, die wilden Gluten, die er in ergebener Resignation erloschen glaubte. Er hätte auf die Bühne stürzen und das blonde Weib dort wild an sich reißen mögen, um sie hinauszutragen aus der Halle, hinweg von Hundings Herd, hinaus in die Frühlingsnacht.

Er hörte fast nichts von Siegmunds Erzählung, warum er Wehwald geheißen, er sah nur »die fragende Frau« im Goldgelock, im weißen, von einem Bärenfell umgürteten Gewande.

Atemlos lauschte er den Tönen, als dann die Nacht über den Hundingssaal kam, nachdem Sieglinde, dem Herrn und Gebieter den Nachttrunk zu würzen, mit dem Trinkhorn verschwunden.

Wie das Herdfeuer verglomm, an dem der fremde Mann dort rastete, so schien auch sein Leben, sein Stern verglommen. Und als dann plötzlich die Glut hell aufflammt, als die Scheite zusammenstürzen, dem Wölfling das Schwert zu weisen, da fühlte auch er ein Zittern des Mutes in seiner nervigen Faust.

Wo war für ihn Notung, das Schwert, das ihn zum starken Helden schuf?

Er wußte es wohl. Es schlief in der Liebe, in der grenzenlosen, tiefen Liebe zu der Frau dort, die er einst verspottet und gehöhnt. Sieglinde, die dort oben wieder in die Halle trat und sich dem Fremdling neigte.

Welch eine Unergründlichkeit von Leidenschaft und Hingebung klang ihm aus Anianens Tönen entgegen. War das nicht sein eigener, brennender Schmerz, der da aus Anianens Seele zu ihm herüberströmte? War das nicht seine eigene glutvolle Leidenschaft, als das blonde Weib dort in seligster Selbstvergessenheit mit ihrer Zauberstimme sang:

»O, fänd ich ihn heut'
und hier den Freund;
käm' er aus Fremden
zur ärmsten Frau:
Was je ich gelitten
im grimmigsten Leid,
was je mich geschmerzt
In Schand und Schmach, –
süßeste Rache
sühnte dann alles!
Erjagt hätt' ich,
was je ich verlor.
Was je ich beweint
wär mir gewonnen –
fänd ich den heiligen Freund,
umfing den Helden mein Arm.«

Und als dann Aniane in seligster Wonne an der Brust des Helden träumt, als sie, vom Mondenlicht umflossen, von Siegmund voll Ungestüm auf das Lager gezogen wird, zu dem die Frühlingsnacht mit all ihrem knospenden Zauber hereinblickt und Siegmunds Frühlingslied:

»Winterstürme wichen dem Wonnemond«

so süß und betörend an Dolf Dietrams Ohr klang, da war es ihm, als hätte diese Stunde ihn für ewige Zeiten geweiht. Ein Wunder von Schönheit offenbarte sich ihm. Wald und Aue sah er erblühen, der Vögel Sang quoll aus den Lüften. Wie ein Duft von tausend Blumen sproßte es um ihn auf, als »die Liebe« »den Lenz lockte.« Als die bräutliche Schwester der Bruder befreite und es jubelnd, jauchzend erklang:

»Vereint sind nun Liebe und Lenz,«

und dann Sieglinde mit leidenschaftlicher Hingebung ergänzte:

»Du bist der Lenz,
nach dem ich verlange.«

Wie rasend klopfte Dolf Dietrams Herz. Galt das wirklich ihm? Sang sie für ihn, wußte sie, daß er ihren Tönen mit brennender Sehnsucht lauschte, daß er jedes Wort von ihrem Zaubermunde trank?

Nein, nein, sie lebte nur in ihrer Rolle. Das seligste Weib war sie an des fremden Mannes Brust dort, und ein Tor, der den seligsten Mann beneidete, der Aniane umfangen durfte in reiner, schuldloser Liebe.

Die Töne verhallten, der Vorhang sank.

»So blühe denn Wölfingens Blut«

hallte noch Siegmunds Abschiedsruf dem Fürsten in die Seele, dann stand er auf. Mit geschlossenen Augen verließ er die Loge. Er tappte sich weiter, den langen Gang hinan bis zum Ausgang. Er sah nicht die Grüße, die ihm ehrfurchtsvoll, sobald man ihn erkannte, gespendet wurden, er ging wie im Traume, ohne auf seinen Begleiter zu achten, der schweigend in ehrerbietiger Entfernung ihm nachschritt, zum Festspielhause hinaus, durch das bunte Treiben hindurch, durch Anlagen und Baumalleen, bis dorthin, wo es immer stiller und stiller wurde, zur Bürgerreuth hinauf.

Golden wogte das Korn und der Duft der Linden wehte ihm wie eine heiße Wolke entgegen. Einmal streifte des Fürsten Blick auch seinen Begleiter, der sich ihm ernst und still zur Seite hielt, und ein stiller Glanz trat in Dolf Dietrams Augen. Immer höher stiegen die beiden Männer hinan. Das Festspielhaus lag schon weit unter ihnen. An der Bürgerreuth vorüber stiegen sie hinan zur hohen Warte. Stolz ragte der Siegesturm, den Bayreuth seinen 1870 und 71 gefallenen Söhnen errichtet, ins Land.

Und oben stand der Fürst, die Augen groß und glänzend auf das fruchtbare Land schickend, das sich im Schmucke seiner goldenen Saaten und dunkelgrünen Wälder weit vor ihm dehnte. Herzlich streckte er seinem Begleiter beide Hände entgegen und sagte warm:

»Habe Dank, Wigbert, daß du mich hierher begleitet hast. Du bist noch der einzige von den alten Getreuen. Jetzt aber kenne ich meinen Weg. Diese Stunde da unten in diesem Weihetempel der Kunst hat mich sehend gemacht, sie hat mir gezeigt, was meines Herzens Heil ist.«

Wigbert von Pflug sah seinen fürstlichen Freund etwas unsicher an. Man hatte ihn damals, als Schiemann starb und der junge Fürst bald zusammenzubrechen drohte unter der Last, dis sich auf seine Seele gewälzt, an den Hof von Büsingen beschieden. Er war nur ungern dem Rufe gefolgt. Sein neuer Wirkungskreis befriedigte ihn, und er fürchtete das Hofleben, das er noch aus den Jugendtagen kannte und das seiner schlichten Natur zuwider war.

Aber der Fürst brauchte ihn. Das war ihm genug, und er blieb – blieb gegen seinen Willen, und in Büsingen erzählte man sich, er sei dem Fürsten unentbehrlich, seine zweite Hand. Man munkelte sogar, daß Professor von Pflug vielleicht Minister werden würde, jetzt, wo Exzellenz von Borghammer, dessen Gemahlin ihrer angegriffenen Gesundheit wegen ständig im Süden weilte, seinen Abschied genommen.

»Du findest mich seltsam, Freund, nicht wahr?« nahm der Fürst das Gespräch wieder auf, dem jungen Gelehrten, dessen blaue Augen entzückt von der hohen Warte weit über die Lande schweiften, näher tretend. »Ich weiß es, aber hier, Wigbert, will ich dir auch sagen, daß du keine Sorge um mich zu haben brauchst. Ich weiß, was dich damals mir entfremdete in den wonnigen Jugendtagen, ich weiß, daß du es mir heute noch nicht verziehen hast, daß ich leichtsinnig ein Mädchen zum Opfer brachte.«

»Durchlaucht, ich bitte,« wehrte der Freund. »Warum alte Wunden aufreißen, die lange vernarbt sind.«

»Die immer wieder aufbrechen, Wigbert, und die mir jetzt zeigen, wie ich büßen kann.«

»Wie Sünde sich in Segen wandeln kann, das haben Durchlaucht gezeigt. Erst vor wenigen Tagen bin ich dort gewesen in dem alten, verzauberten Schlößchen, wo einst Zilla von Wolfhardt als Frau von Hohenau weilte und die glücklichsten und zugleich leidvollsten Jahre ihres jungen Lebens zubrachte. Ich muß gestehen, daß ich die berüchtigte Rosenau, wo der Sage nach jede junge Frau, die einem Büsingen angehört, sterben muß, mit sehr gemischten Gefühlen betrat. Durchlaucht verzeihen, aber ich mußte an die Unglückliche denken, die hier in Sehnsucht und doch in gläubigem Vertrauen des Gatten vergeblich harrte, dem sie sich heimlich vermählt und der immer seltener und seltener den Weg zu ihr fand.«

»Warum marterst du mich so, Wigbert?«

»Als ich dann aber von der Kastellanin, der prächtigen Frau Buntzer, geführt, die noch heute Zilla wie eine Heilige anbetet, das Schloß betrat, wo die Frau gelebt, die dich Dolf Dietram,« er vergaß die förmliche Anrede, auf die er sonst dem Fürsten gegenüber streng hielt, »mehr als ihr Leben geliebt, und sah, was du aus dem Schlößchen geschaffen, da schwand mein Groll gegen dich, und ich fühlte die Segenshand, die auch aus Schuld und Fehle emporwächst, wenn Reue sie läutert. Ueberall ein Jauchzen und Singen in dem alten, verwunschenen Haus. Wo einst Tränen gesät, da sproßte das Glück, die Freude! Hundert junge, frische Kehlen jubelten durch das alte Schloß. Kinder, die weder Vater noch Mutter hatten, Mädchen mit blauen und braunen Augen, süße Geschöpfe, jede im Kranze der Unschuld und Jugend, und dankbar, daß sie, die Elternlosen, ein Heim gefunden.

Frau Buntzer berichtete redeselig, daß die Kinder sich sehr glücklich fühlen, und daß die Erziehungsanstalt Rosenau den Fluch, der einst auf dem alten Schlosse lastete, in tausendfachen Segen verwandelt hätte. Auch ich habe diese Empfindung gehabt.«

»Nein, Wigbert, du täuschst dich, der Fluch wirkt fort und fort. Auch ich glaubte den Zauber erloschen. Trotzdem wollte ich nicht leiden, daß die Fürstin Geraldine das alte Schloß betrat, als wir es einweihten zu seinem heiligen Zweck, seiner ernsten Bestimmung. Ich hatte der Fürstin gebeichtet. Es war damals, als Schiemann starb. Ich hatte sie gebeten, Geduld mit mir zu haben. Konnte ich ihr auch keine Liebe bieten, so wollten wir doch versuchen, Freunde zu sein. Und Geraldine war großdenkend genug, mir zu vergeben. Aber sie wollte auch nicht von kleinlicher Furcht gepeinigt erscheinen, und trotz meiner und aller Abmahnungen bestand sie darauf, an der Einweihungsfeier der Rosenau teilzunehmen.«

Wigbert sah erschreckt in das bleiche Antlitz des Fürsten.

»Du glaubst, Dolf Dietram?«

»Daß der Fluch der Ahnin die Fürstin traf. Denn zwei Tage nach dem Besuche der Rosenau war die Fürstin tot. Du weißt, daß sie bei ihrem tollkühnen Reiten den Todessturz tat, ich aber weiß, daß sie an dem Fluche zugrunde ging, der auf unserem Hause liegt, dem rettungslos alle verfallen, die ihren Fuß über die Schwelle der Rosenau setzen.«

»Zufall, Durchlaucht. Jetzt weht die Segensfahne echter, hoher Menschlichkeit über dem stillen Schlosse mit dem verwilderten Garten. Da kann kein Fluch standhalten, den einst die Sünde gebar.«

»Weshalb nennst du mich nicht mit dem Namen, der mir so hold aus Jugendtagen klingt, Wigbert. Gönne mir wenigstens das Glück, wenn wir allein sind, ganz Mensch zu sein. Ein Freund dem Freunde.«

Fest fügten sich die Hände der beiden Männer ineinander.

»Du bist entschlossen, bei mir zu bleiben, Wigbert?« fragte der Fürst. »Ein einziger Getreuer wenigstens in meinem Reiche?«

»Wenn ich dir dienen und nützen kann, gern. Meine kleine Frau hat zwar eine heillose Angst vor dem Hofleben, du kennst sie ja mit ihrer Sensibilität, aber meine Schwiegermutter ist glücklich, und sie hat sogar dieser Aussicht wegen großmütig unser Ausreißen damals in der Schweiz verziehen. Seitdem sie einsehen gelernt, daß wir uns unsere eigenen Wege zu bahnen verstehen, ist sie ganz leidlich geworden, so daß ich wohl hoffen kann, unbehelligt von ihr friedlich in Büsingen zu leben.«

»So danke ich dir, Wigbert. Ich weiß, daß du viel aufgibst meinetwegen, aber ich bin so gewöhnt, von meinen Freunden und denen, die mir nahe stehen, Riesenopfer anzunehmen, daß ich auch dieses von dir erbitte.«

Der Fürst hatte es nicht ohne Bitterkeit, mit zuckenden Lippen, gesagt.

Wigbert aber legte beschwichtigend seinen Arm um die Schulter des Freundes und deutete weit hinaus in das Land.

»Sieh die goldenen Saaten, wie sie wogen, wie ihre Halme sich flüsternd neigen, sieh, das ganze, blühende Land in Sommersglut, in Segensfülle. Mehr als alles das ist dein. Du bist berufen, ein Füllhorn des Glückes auszuschütten über alle, die arm und unglücklich sind und zu der Warte, auf der du stehst, gläubig und vertrauend aufzusehen. Du bist reich, Dolf Dietram, in der Liebe deines Volkes, wenn du sie dir zu erhalten verstehst, reich in der Liebe deines Kindes. Der Erbprinz entwickelt sich prächtig. Mit Stolz schaut das Land auf ihn als seine Zukunft, und du willst klagen?«

»Nein, Wigbert. Du hast recht, ich darf nicht klagen. Geraldine ging versöhnt von mir. In meiner Hand lag ihre erkaltende Rechte, ein Lächeln sonnte ihren Mund, und sie dankte mir – dankte mir, der ich sie doch betrogen hatte – daß ich ihr noch zuletzt ein so reiches Glück gegeben. Ich glaubte, nie mehr frei atmen zu können nach diesen entsetzlichen Ereignissen. Weltfern wandte ich mich von allen ab, nur, um meiner Trauer zu leben. Als aber die Kunde zu mir kam, daß Aniane, unsere kleine Aniane, Wigbert, über die wir dereinst in der Tanzstunde von Tannenrode gespöttelt, bis ihr die Tränen in die großen, klaren Augen traten, hier die Sieglinde und die Kundry singt, da machte ich mich in tiefstem Inkognito auf, um sie endlich wiederzusehen.«

»Du wirst keine Unbesonnenheit begehen, Dolf Dietram?«

Der Fürst schüttelte ernst, mit wehem Lächeln das Haupt.

»Das wird Aniane schon verhindern. Aber sprechen will ich sie noch einmal. Morgen will ich hinaus auf die »Phantasie« morgen, ganz allein will ich versuchen, sie zu sprechen.«

Wigbert schüttelte den dunkelblonden Kopf, und die blauen Augen waren voll tiefer Sorge.

»Warum die Wunden aufreißen, die sich kaum geschlossen?«

»Nein, es wird Balsam für meine Wunden sein, dieses Wiedersehen. Heute schon, als ich sie sah, das hehrste, das herrlichste Weib, als ich ihrer süßen, wunderbaren Stimme lauschte, da fühlte ich die Kraft, die von dieser Sieglinde ausging, mich aus tiefstem Staube zu erheben. Komm, Freund, die Spielzeit rückt näher. Bald werden wieder Fanfarenklänge weit ins Land hinein künden, daß die Pause zu Ende, und daß wir wieder den Weihetönen lauschen dürfen, auf welche die Menge da unten schwatzend und lachend harrt.

Komm, Wigbert, auch dieses war eine Feierstunde mit dir auf der hohen Warte. Komm, laß uns abwärts gehen.«

Er schob seinen Arm in den des Freundes. Still schritten sie hinab, an der Bürgerreuth vorüber, dem Festspielhause zu. Aus den Linden stieg ein betäubender Duft, und von der Ordenskirche in St. Georgen wehte der Glockenklang herüber. Die Sonne war im Verscheiden. Blutrot leuchtete sie in den flatternden Fahnen des Festspielhauses, dieses Weihetempels der Kunst, der, weithin sichtbar, überallhin in das fruchtschwere Land mit den wogenden Saaten grüßte, die golden im Abendlichte glühten.


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