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15.

Der Minister wandte sein bleiches Antlitz ernst und ohne Groll seiner Gattin zu.

»Er ist ehrlicher als du, Witta,« sagte er, und es war als bebte ein leiser Schmerz in seiner Stimme. »Er versucht nicht einmal das abzuleugnen, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, aber du bist schamlos genug, auch jetzt noch jede Schuld zu bestreiten.« Sich zu der Fürstin wendend, fuhr er mit leiser, fast gebrochener Stimme fort:

»Ich bedaure sehr, daß Durchlaucht Zeuge sein mußten, wie die Ehre eines treumeinenden Mannes in den Staub getreten wurde. Wenn ich mir noch eine Gnade von Durchlaucht ausbitten darf, so ist es die Bitte, über das Vorgefallene auch gegen Ihren hohen Gemahl zu schweigen, bis ich mir erlauben werde, selbst dem Fürsten darüber Aufklärung zu geben und meine Demission einzureichen.«

»Mein lieber Herr von Borghammer,« sagte die Fürstin, die leicht gerührt war, warm ihm beide Hände entgegenstreckend. »Ich beklage Sie tief, und Sie können versichert sein, daß Sie auf mich in jeder Lebenslage bauen können.«

Der Minister neigte sich tief vor der fürstlichen Frau, die jetzt hochmütig das blonde Haupt hob, mit kalten Augen der zitternden Witta ins Gesicht sah und mit hartem Munde sagte:

»Sie haben das Vertrauen, das ich Ihnen viele Jahre geschenkt, arg gemißbraucht, Witta. Ich wünsche, Ihnen nie wieder zu begegnen.«

Noch ein leiser Fächerschlag, ein kalter Blick wie schneidender Stahl, und Witta lehnte allein ihrem Manne gegenüber, der keinen Blick von ihrem Antlitz ließ.

»Ich frage dich hiermit auf Ehre und Gewissen,« nahm Borghammer das Wort, »war der Mann, in dessen Armen ich dich sah, der Bildhauer Schiemann, oder ein anderer? Antworte aber die Wahrheit und bedenke, daß vielleicht ein Menschenleben von deiner Antwort abhängig ist.«

»Deine Eifersucht ist töricht, Kurt. Ich glitt auf dem glatten Marmorboden aus und Schiemann fing mich, um mich vor dem Fallen zu schützen, auf; das ist alles. Du und die Fürstin stempelt eine kleine, harmlose Sache zu einer Tragödie, die nur in eurer Phantasie existiert.«

»Ich frage dich, ob es Schiemann oder ein anderer war, den ich deinetwegen zur Rechenschaft ziehen muß?«

»Natürlich Schiemann, wenn du darauf bestehst. Wer soll es denn sonst gewesen sein?«

»Es ist gut,« entgegnete der Minister eisig. »Die Folgen fallen auf dein Haupt,« und langsam die goldene, von Brillanten funkelnde Uhr – ein Geschenk des Fürsten – aus der Tasche ziehend, sagte er voll unnachahmlicher Kälte:

»In einer Viertelstunde halte dich zur Abreise bereit. Ich werde dich zwar nicht nach dem sonnigen Süden fahren, wie wir geplant, sondern ich werde dich auf das alte Schloß meiner Väter in dem stillen Waldtal bringen, wo du Zeit haben sollst, über das, was du getan, nachzudenken.«

Witta riß mit zorniger Gebärde den Kranz von blühenden Orangezweigen aus den Locken. Der weiße Brautschleier flatterte in Fetzen um sie her.

»Und du glaubst, ich werde in deinen absurden Vorschlag willigen? Bin ich denn deine Sklavin? Ich habe dich nicht geheiratet, um das Leben einer Gefangenen zu führen, oder um mich deinen Launen, die aus deiner albernen Eifersucht entspringen, zu fügen. Frei will ich sein, und du wärest der Letzte, der mich daran hindern sollte, du, den ich niemals geliebt habe, über den ich mich lustig machte mit seiner lächerlichen, altfränkischen Zärtlichkeit.«

Witta wußte, daß es ein Todesstreich war, den sie ihm versetzte, aber sie wollte ihm wehe tun, das sollte wenigstens ihre Rache sein.

Der Minister war totenblaß.

Kein Zug in seinem Gesicht zuckte, als er, mit eisernem Griff ihr Handgelenk fassend, ihr zuraunte:

»Kein Wort mehr. Alles ist nutzlos. Du wirst tun, was ich dir befehle, denn nur so ist es möglich, vor den Augen der Welt wenigstens das Schlimmste abzuwenden. Ich bin nicht der Mann, mit dessen Ehre man spielt. Merke dir das. Von deinem Benehmen wird es abhängig sein, ob ich dich als Ehebrecherin mit Schimpf und Schande aus meinem Hause jagen muß, oder ob ich dich, solange du dich verständig beträgst und mir keinen Grund zur Klage gibst, auf einer meiner Besitzungen dulden werde, äußerlich als Herrin, innerlich mir ferner stehend, wie die niedrigste Magd.«

»Ich will nicht,« schrie Witta. »Ich lasse mich nicht zwingen.«

»Hier regiert mein Wille. Mache kein unnötiges Aufsehen, oder du zwingst mich, hier vor all den gaffenden Lakaien, die sich da draußen ja schon in genügender Anzahl angesammelt haben, zu proklamieren, daß des Minister von Borghammers Weib, das er heute gefreit, eine Ehrlose war.«

»Ich hasse dich,« flüsterte Witta zu ihm auf, der jetzt ihre Hand mit festem Griff auf seinen Arm zwang. »Ich hasse dich wie nichts auf der Welt.«

»Das ist dir unbenommen,« gab der Minister zurück, »aber gehorchen, das wirst du jetzt, denn ich will es, und mein Wille ist bis jetzt noch immer Macht gewesen.«

Und mit festem Schritte führte er Witta an der flüsternden und tuschelnden Dienerschaft vorüber, wie ein Sieger, der seine Beute entführt. Und Witta wagte nicht, sich frei zu machen. Sie zwang sogar ein Lächeln auf ihre Lippen, als sie dem Manne folgte, über den sie bis jetzt heimlich gespöttelt, und der ihr Meister geworden, ihr grausamer Meister.

Sie schauerte fröstelnd zusammen, wenn sie daran dachte, daß er die Wahrheit ahnen könnte. Nein, das durfte nie geschehen. Schiemann, der Freund des Fürsten, würde schweigen. Dem war es gewiß noch Ehrensache, sich im Freundschaftsfanatismus für den Fürsten zu opfern. Wenigstens glaubte sie das aus seinen Andeutungen entnommen zu haben. Na, ihretwegen konnte er sich so schuldig bekennen, wie er wollte. Sie selbst würde schon Mittel und Wege finden, sich wieder frei zu machen von der eisernen Faust des Mannes, der töricht genug war, sich einzubilden, daß die geschlossene Ehe ihm eine Macht gab, die ihre Entschlüsse und Handlungen auf die Dauer hemmen konnte. Sie wollte ihm, wenn sie auch jetzt scheinbar nachgab, zeigen, daß Witta von Borghammer nicht nur die schönste, sondern auch die klügste Frau am Hofe zu Büsingen war.

Mit diesen Gedanken fuhr sie an der Seite ihres Gatten hinaus in die sternenlose Nacht, der kleinen, kaum zwei Stunden weit entfernten Besitzung ihres Gatten zu, über die sie immer gehöhnt, weil ihr das Schlößchen zu arm und klein zu einem Aufenthalte für eine gefeierte, glanzliebende Frau erschienen war.

Ohne ein Wort mit seiner Gattin gewechselt zu haben, half ihr der Minister nach der schweigenden Fahrt aus dem Wagen.

Mit kurzem Worte verständigte er seine alte Haushälterin, und als Witta dann allein in der großen Schlafstube mit dem mächtigen Himmelbett stand, in welche sie die alte, wortkarge Frau geführt, da kroch zum ersten Male doch etwas wie Furcht durch ihre Seele. Sie fühlte plötzlich, als die alte Frau den Schlüssel umdrehte, mit Entsetzen, daß sie hier eine Gefangene war.

Sie wollte rufen, sie wollte schreien, aber da hörte sie unten das dumpfe Rollen eines Wagens.

Ihr Gatte fuhr nach der Residenz zurück.

Ein wildes Aufschluchzen entrang sich ihrer Brust. Wie wahnsinnig rüttelte sie an der verschlossenen Tür und stampfte wild mit den Füßen. Aber alles im Hause blieb still. Niemand kam, ihr zu helfen, mit ihr zu reden, sie zu befreien aus dieser lächerlichen, fürchterlichen Haft. Und dann wurde sie ruhiger. Ein triumphierendes Lächeln zuckte um ihre Lippen.

Kurt von Borghammer war auch nur ein Mann, und sie kannte die Männer und ihre eigene Macht. Und der Minister war dazu noch ein Mann, der sie liebte, glühend liebte.

Langsam kleidete sich Witta aus. In den leuchtenden und doch so unendlich kalten Märchenaugen glomm ein dunkles Feuer.

Bald verkündeten ihre ruhigen, tiefen Atemzüge, daß die junge Frau fest und süß schlief.

Ein Lächeln lag auf ihrem zarten Gesicht, ein Lächeln, das die Herzen bannte und sie in Fesseln zwang.

In dieser Nacht starben die letzten blassen Rosen im Garten.

Nicht eine mehr flammte glutrot in dieser Hochzeitsnacht, die noch gestern wie leuchtende Fackeln standen.

Der Herbst war mit eisigem Reif gekommen. Der hatte auch einen eisigen Reif um das Herz des Mannes gelegt, der jetzt einsam, mit brennenden Augen zurückfuhr in sein ödes Junggesellenheim in der Residenz.

Dort saß er die ganze Nacht am Schreibtische und schrieb, ohne aufzusehen. Erst als der Morgen grau und fahl heraufdämmerte, warf er sich angekleidet auf sein Lager, aber er schloß kein Auge.

Das Leben hatte ihn so hoch gestellt. Nun mußte er fallen, um ein Weib fallen, das er geliebt, so heiß, so grenzenlos geliebt.

Aber er wollte nicht. Noch nicht.

Langsam erhob er sich wieder. Sorgfältig prüfte er die Pistolen, die er zögernd seinem Schreibtische entnahm. Ein befriedigendes Lächeln irrte um seine Lippen, und ein rücksichtsloser, fast grausamer Zug prägte sich fest in sein ernstes Gesicht.

Nun sah er sein Ziel klar vor sich.

* * *

Professor Schiemann schritt in seinem Atelier unruhig auf und ab.

Der hohe, gewölbte Raum mit den breiten Lichtfenstern und dem Schmuck von Riesenfächerpalmen machte mit seinen weiß aufragenden Bildwerken in der matten Beleuchtung einen fast unheimlichen Eindruck.

Vor einer von nassen Leinentüchern umhüllten Gruppe machte der Künstler Halt.

Mit dunklen, ganz nach innen gerichteten Augen stand er eine Weile davor. Es war, als wollte er sich sammeln, dann schlug er die Hüllen zurück.

Ein befreiendes Aufatmen hob seine Brust.

»Nein, der Aufenthalt hier an dem kleinen Fürstenhofe war dieses Mal nicht verloren gewesen. Er hatte sein Bestes zurückgewonnen, als er dem Rufe des jungen Fürsten folgte, ein Kunstwerk zu schaffen, das später noch von ihm reden sollte. Versunken blickte er der hohen Frauengestalt, die sich dort oben auf dem Postament in erbarmender Liebe zu einem müde am Wege hingesunkenen Manne herniederbeugte, in das mildverklärte Gesicht, das Anianens Züge trug.

Am Eingange des neuerbauten Krankenhauses, so hatte es der Fürst bestimmt, sollte es mit sanftem Frieden alle grüßen, die da Leid trugen.

Ein Meisterwerk war ihm geglückt, von überwältigender Wahrheit und reiner Schönheit. Er fühlte es selbst, daß er sein Bestes gegeben. Unwillkürlich hob er die gefalteten Hände zu dem ernsten, schönen Antlitz der geliebten Frau empor. Lange stand er so in stiller Andacht, dann aber schüttelte er, wie im plötzlichen Erwachen, die lichtbraunen Locken von der heißen Stirn.

»Für dich, Aniane,« sprach er dann langsam, »für dich habe ich es getan.«

Wurden da nicht Schritte laut? Draußen auf der Stiege?

Sein Diener hatte ihm, als er spät aus dem Schlosse heimkam, mitgeteilt, daß seine Durchlaucht, der Fürst, schon mehrmals nach ihm geschickt, daß er aber die Auskunft gegeben hätte, der Herr Professor sei noch nicht heimgekehrt.

Der Fürst konnte natürlich nicht ahnen, daß er nach der Szene mit dem Minister länger als eine Stunde planlos durch den fürstlichen Park irrte, seine erregten Nerven zu meistern. Jetzt war er ganz ruhig geworden. Er hatte seinen Diener noch aufs Schloß geschickt, mit der Meldung, der Herr Professor werde morgen mit dem frühesten dem Rufe Seiner Durchlaucht folgen.

Er wollte es verhindern, seinem fürstlichen Freund zu begegnen, ehe die Würfel gefallen waren. –

Morgen, das wußte er, würde ihm der Minister seine Forderung schicken, und wenn wieder der Tag anbrach, würde er vielleicht schon ein toter Mann sein.

Er preßte die Hand gegen die heiße Stirn und warf sich auf das breite, römische Lager, das die Längswand des Ateliers einnahm.

Zwei große Opferflammen, die zu Seiten des Lagers auf hohen Säulen flammten, gaben unsicheres Licht.

Waren die Schritte nicht schon ganz nahe? Schlich so der Tod heran und schwang seine blanke Sichel?

Unsicher sah der Professor auf. In dem matten Dämmerlichte glaubte er eine hohe, in einen schwarzen Mantel gehüllte Gestalt zu erblicken.

»Du kommst früh,« sagte er, ohne den Blick von der dunklen Erscheinung zu wenden. »Was willst du von mir?«

Der dunkle Mantel glitt zur Erde. Der Fürst von Büsingen stand vor dem überraschten Künstler.

Bestürzt sprang Schiemann auf.

»Durchlaucht, welche Unvorsichtigkeit,« rief er abwehrend, »nach den heutigen Erlebnissen. Ich habe vermieden, noch heute der von Durchlaucht gewünschten Unterredung nachzukommen, weil nur zu leicht der Verdacht erregt werden könnte, daß Durchlaucht in irgend einer Beziehung zu dem Vorgefallenen stehen könnten.«

»Und du glaubst,« entgegnete der junge Fürst, »ich werde dulden, daß du die Strafe für mich trägst? Nein, Ludwig. Ich war wohl leichtsinnig, aber ein Feigling war ich nie.«

Des Professors Antlitz zeigte eine düstere Entschlossenheit.

»Ich segne den Zufall,« sagte er, »der es mir möglich machte, Durchlaucht vor dem Zorne des Ministers zu retten und mich als den Uebeltäter hinzustellen. Es ist der einzige Dienst, den ich meinem hohen Gönner und Freunde leisten kann, und den sollten mir Durchlaucht gönnen.«

»Laß den Ton,« gebot der Fürst, »ich ertrage ihn nicht. Hast du denn gar keinen Begriff, was ich leide, was ich empfinde, wenn ich denke, daß der Minister dich vor seine Pistole fordert daß du mit deinem Blute, mit deinem Leben bezahlen könntest, was ich durch Leichtsinn verschuldete, als ich der Aufforderung des unseligen Weibes folgte, um ihr für immer Lebewohl zu sagen? Niemals werde ich dulden, daß du als der Unschuldige die Vergeltung trägst. Sobald der Tag anbricht, werde ich den Minister zu mir rufen lassen und ihm den wahren Sachverhalt darlegen. Er wird –«

»Auch dich nicht schonen. Ich kenne ihn,« ergänzte Schiemann. »Nein, Dolf Dietram, es wäre wenig klug und einsichtsvoll gehandelt. Der Skandal wäre unermeßlich, und da der Minister seinen Abschied nehmen müßte, für das Wohl des ganzen Landes von weittragendster Bedeutung.

Mit Fingern würde das Volk auf dich weisen, dem du als Herrscher ein Vorbild sein sollst, deine Gemahlin, die Mutter des Erbprinzen, würde öffentlich beschimpft sein, und niemand hätte dadurch, daß du dich selbst bezichtigst, etwas gewonnen. Du aber hättest alles verloren, darum laß mich der Schuldige sein, wie es ein glücklicher Zufall gefügt, und gönne mir das eine, wenn nicht leben, so doch für dich sterben zu können.«

Er streckte dem Fürsten beide Hände entgegen, und Dolf Dietram zog den Freund, qualvoll aufschluchzend, an seine Brust.

»Es kann, es darf nicht sein, Ludwig. Wie könnte ich je wieder froh werden, wenn ich dich opfern ließe? Ich danke dir für deine Liebe, für deine treue Freundschaft, die ich erst jetzt ganz erkenne. Aber dein Opfer kann ich nicht annehmen, ich darf es nicht.«

»Auch nicht, wenn ich dir sage, daß mein Leben nur noch für eine kurze Spanne Zeit bemessen war? Ich glaubte, noch hohen Aufgaben gerecht werden zu können, ich hoffte noch, wie ein Adler zur Sonne zu steigen, aber ich brauchte eines, die Liebe. Sie blieb mir versagt. Die Eine, die Hohe, die auch du kennst, der mein letztes Wort hier geweiht ist, hat mir jede Hoffnung genommen, die einst mein zu nennen. Das hat mir die Flügel gelähmt, und ich war fest entschlossen, meinem Leben selbst ein Ziel zu setzen, wenn das Werk hier vollendet war.«

»Du willst mich täuschen, Ludwig. Ein Mann, wie du, der stirbt nicht an unglücklicher Liebe. Du willst es mir leicht machen, das Entsetzliche zu tragen, was doch nicht zu ertragen ist.«

Und die Augen zu der Frauenfigur erhebend, die in dem geheimnisvollen Licht der Fackeln zu leben und zu atmen schien, trat er plötzlich tief erschrocken und ergriffen einen Schritt zurück.

»Aniane,« stammelte er, »Aniane.«

»Sieh ihr ins Antlitz,« gebot der Künstler, und dann sage mir, ob es nicht in Anianens Sinne gehandelt ist, wenn ich mit dem Minister den Strauß ausfechte, den die Ehre gebeut?«

»Und ich werde es nicht dulden, nie! Lieber schreie ich meine eigene Schande hinaus in die Welt, ehe ich diesen grenzenlosen Betrug zugebe, der vielleicht ein Menschenopfer fordert.«

Ein leises Lächeln stahl sich über des Künstlers Antlitz.

»Menschenopfer! Wir opfern sie doch täglich, unsere Mitmenschen, im Kampfe ums Dasein. Jeder will voran, der erste sein. Im Lebenskampfe treten wir unbarmherzig nieder, was sich in den Weg stellt, darum laß dich's nicht grämen, Dolf Dietram, wenn ich das Glück habe, für den Freund, den ich liebe, den ich verehre, zu sterben, sondern glaube mir, ich danke dir für dieses süße Ausklingen eines Lebens, das seinen Wert für mich verlor, das doch vernichtet ist.«

Ungestüm riß der Fürst den Freund an seine Brust.

»Ich liebe dich,« sprach er mit geschlossenen Augen, »fast so heilig und rein, wie ich Aniane geliebt habe.«

»Der ich würdig zu werden hoffe,« ergänzte der Professor, indem er ein liebenswürdiges Lächeln auf seine Lippen zwang. »Im übrigen ist es noch nicht so weit zum Sterben. Wer weiß, wie alles kommt. Meine Hand ist sicher und mein Auge klar. Vielleicht endigt alles mit einer Schramme, und die schöne Frau, um derentwillen das alles geschieht, lacht darüber.«

»Sprich nicht von ihr. Grausam bin ich bestraft, daß ich nicht die Kraft hatte, mich früher, und sei es mit brutaler Gewalt, von ihr frei zu machen. Ich könnte mich selbst verachten und meine Schwäche. Versprich mir,« fuhr der Fürst fort, seine Hand auf des Freundes Schulter legend, »dich nicht eher der Pistole des Ministers zu stellen, ehe ich nicht mit ihm gesprochen habe. Es muß einen Ausweg geben, dieses schreckliche Duell, das einem Mord gleichkommt, zu verhindern. Ich werde dem Minister alles offenbaren. Er ist ein einsichtsvoller Mann, er wird mir glauben, wenn ich ihm versichere, daß ich keins von seinen Rechten verletzt habe, so lange er ein Recht an die Frau hatte, die uns alle betrog.«

»Das wirst du nicht tun, Dolf Dietram. Stolz und rein muß dein Banner durch die Lande wehen. Zu der hohen Warte, auf der du stehst, darf kein Mißton, kein frevelnder Laut spöttelnder Bosheit empordringen. Deinen Fürstenschild rein zu halten, ist deines Lebens erste Pflicht.«

»Und meine Seele? Sie kann getrost im Staube liegen,« grollte der Fürst, »darnach fragt niemand. Schon als Knabe hat man sie geknechtet, und hat mich dadurch von Untat zu Untat getrieben. Mord ist es, wenn ich dein Opfer annehme.«

»Was wir im Herzen tragen, Dolf Dietram,« gab der Künstler warm zurück, »das kann uns niemand nehmen. Da können wir büßen und bereuen und gut zu machen suchen, da können wir für unsere Vergehen tausendfachen Segen stiften, und wenn mein Tod – sollte er mir beschieden sein – dazu beiträgt, das Leid anderer Menschen zu mildern, birgt mein Sterben ein reiches Glück. Aber nun laß uns hoffen, Dolf Dietram, daß die Schatten weichen. Schon bricht der Morgen an. Der morgende Tag ist noch mein, ist unser. Ich halte dich an meiner Brust. Lebe wohl, und bringe Aniane, wenn ich falle, meinen letzten Gruß.«

Der Fürst preßte stumm des Freundes Hand. Ein letzter Blick traf noch auf das liebliche, ernste Frauenantlitz, über welches der Künstler jetzt wieder die schützende Hülle legte, und während er hastig den Mantel umwarf und zur Tür schritt, sagte er fest und bestimmt:

»Du darfst nicht sterben, Ludwig, nicht für mich. Ich weiß jetzt einen Ausweg aus dieser Wirrnis. Auf Wiedersehen, mein Freund.«

Der Künstler winkte stumm mit der Hand.

Das Morgenlicht brach durch die Scheiben, als der Fürst das Atelier verließ.

Auf des Professors Antlitz lag ein Lächeln. Sinnend sah er in das Morgenlicht, aus dem wie eine Fata Morgana das ersehnte Ziel vor ihm aufstieg.


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