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3.

Der Lunch im Hotel Belvedere in St. Moritz-Dorf war beendet. Man hatte in dem großen Lesesaale noch ein bißchen geklatscht und in den Journalen geblättert, oder man hatte unten in der großen »Hall« in den bequemen Korbsesseln noch ein Weilchen plaudernd gefaulenzt. Dann aber war es still und stiller geworden, und endlich saß nur noch an einem der kleinen, zierlichen Schreibtische eine stattliche ältere Dame, die noch ungemein jugendlich unternehmend aussah und schrieb, während auf einem Polster ihr gegenüber eine schmächtige junge Frau lehnte und mit ängstlicher Sorge den Schriftzügen folgte, die immer größer und energischer wurden.

»So,« schloß die Schreibende jetzt, durch deren blondes, hochfrisiertes Haar sich schon Silberfäden zogen, die Feder fortwerfend, »jetzt habe ich deinem saubern Gatten mal gründlich meine Meinung gesagt.«

»Das ist doch nicht das erste Mal, Mama,« entgegnete die junge Frau müde, und ein ängstlicher Zug trat in ihr blasses Gesichtchen, aus dem sanfte, blaue Augen schüchtern in die Welt sahen. »Wenn du doch das ewige Schreiben lassen wolltest. Wigbert wird dadurch nur noch störrischer und widerspruchsvoller.«

»Das ist es ja eben, Maguhild,« rief die stattliche Dame erregt. »Dein Mann weiß weder, was er seiner Frau, noch was er seiner Schwiegermutter schuldig ist; und ich habe ihm jetzt klipp und klar zu Gemüt geführt, daß ihr euch scheiden lassen müßt. Hast du verstanden? Scheiden!«

»Ja doch, Mama, mir ist ja schon alles gleich. Nur Frieden möchte ich. Deine ewigen Reibereien mit Wigbert machen mich ganz krank.«

»Na, das wird hier schon besser werden, wenn du die Stahlbäder nimmst und tüchtig Brunnen trinkst. Mein Gott, wie komme ich nur zu so bleichsüchtigen Kindern! Es war die höchste Zeit, daß ich dich loseiste von deinem Manne, der den ganzen Tag hinter seinen Büchern hockt und keinen Schimmer davon hat, was er seiner jungen Frau zu bieten verpflichtet ist. Ich bitte dich, bei deinem Vermögen!«

»Ach, Mama, ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn ich in Leipzig geblieben wäre,« entgegnete die junge Frau schüchtern.

»Na ich will nicht hoffen, daß du dich etwa nach dem Manne sehnst, dem seine Bücher und Manuskripte mehr wert sind, als seine Frau. Nein, mein Kind, jetzt wird Schluß gemacht! Denkst du, ich, deine leibliche Mutter, kann es noch länger mit ansehen daß du an der Seite dieses Gelehrten ganz verkommst? Keine Feste, keine Gesellschaft, kein Konzert, kein Theater bei all dem vielen Gelde, das wir dir mitgegeben haben, ist denn das ein Leben?«

»Ich mache mir ja gar nichts daraus, Mama. Ich bin am liebsten bei Wigbert zu Haus.«

»Das muß ich besser wissen. Ich habe dich erzogen. Ich weiß, daß die Gesellschaft dir Lebenselement ist, für die du zu Hause immer gelebt hast. Ich war ja gleich nicht für diese Heirat, aber du und Papa, ihr ward ja wie besessen auf diesen Jüngling, der die Frechheit hat, mir ins Gesicht zu lachen, wenn ich ihm meine guten Ratschläge erteile, die doch nur zu seinem Besten dienen.«

»Du gibst zu viele Ratschläge, Mama,« wehrte die junge Frau und strich am mattlila Hausgewande mit müder Hand hernieder, »ich glaube, an deinen Ratschlägen ist unsere Ehe und unser Glück zugrunde gegangen.«

Die Geheimrätin von Heimburger sprang erregt auf. Ihre knisternde Seidenrobe rauschte auf, und die reichen Brillanten funkelten von ihrem üppigen Busen zu ihrer blassen Tochter hinüber.

»Undankbar bist du auch noch, Maguhild?« rief sie aufgebracht. »Ist es denn möglich, daß jemand so kurzsichtig sein kann, wie du? Du mit deiner Schüchternheit hast eben alles verdorben. Auftrumpfen solltest du! – Na, dein Vater hätte mir nur ein einziges Mal so kommen sollen, wie dir dein Mann, dem hätte ich die Flötentöne schon beigebracht.«

»Der arme Papa,« lächelte Maguhild trübe. »Er hat ja bei uns nie eine Stimme gehabt.«

»Schweige gefälligst! Hätte ich nicht immer euch wachgerüttelt, ihr wäret ja alle eingeschlafen. Den ganzen Tag in der Kinderstube! Mein Gott, was habe ich für Kinder!«

»Und was für eine entzückende Nichte, Tante Grete,« rief eine junge Stimme, und ein reizendes blondes Gesichtchen, bog sich übermütig um die Schreibtischecke. »Sieh' mich an, wie steht mir das entzückende Tenniskostüm? Schick? Was? Und der Bibi? – sie klopfte mit dem Tennisschläger gegen den weißen Panama, der keck aufgeschlagen den lockigen Blondkopf krönte, »ich bitte, mich zu bewundern.«

»Aber Dodo, ich bitte dich, willst du denn schon wieder zum Tennis?«

»Aber Tante, das ist doch Ehrensache. Wir haben doch Tournier. Wenn du mitmachst,« fügte sie gegen ihre Cousine Maguhild hinzu, »würdest du auch schon vergnügter werden. Komm, wir spielen in Kulm.«

»Nein, Dodo, danke, es ist nichts mehr für mich.«

»Mein Gott, du tust, als wärest du eine alte Frau, obwohl du kaum siebenundzwanzig zählst. Na, wenn ich wüßte, daß ich in zehn Jahren auch so werde wie du, da will ich doch lieber garnichts mehr von den Männern sehen. Ich werde mich überhaupt nie in die Ehe begeben,« schloß sie melancholisch, »denn ich habe mich heute rettungslos in Einen verliebt, den ich doch nicht heiraten kann.«

»Laß die dummen Witze, Dodo,« verwies die Tante den jungen Uebermut, der mit tieftrauriger Armsünder-Miene dastand, während es verräterisch um die frischen Lippen zuckte, die nur mühsam ein Lachen zurückhielten.

»Ich habe mich heute morgen beim Tennis rettungslos in den Fürsten von Büsingen verliebt,« kündete der siebzehnjährige Backfisch, die kleine Hand beteuernd auf die weiße Lodenjacke legend, unter der ihr junges Herz pochte. »Das ist ja ein ganz entzückender Kerl.«

Die Geheimrätin schrie laut aus, und auch Maguhild von Pflug ließ einen leisen Ruf des Erstaunens ihren schweigsamen Lippen entschlüpfen.

»Ist es möglich, der Fürst ist hier?« rief die Geheimrätin begeistert. »Ist das eine Ueberraschung. Weißt du noch, Maguhild, wie wir seinetwegen, als er noch als junger Prinz in Leipzig studierte, das große Fest gaben und du und Maja so schüchtern wart, obgleich der Prinz euch so auszeichnete? Auszeichnete, sage ich,« fuhr sie mit lebhaften Augen fort, die unter den blonden Wimpern über einer stattlichen, spitzen Nase funkelten. »Hast du es vergessen, Maguhild?«

Jetzt flog ein Lächeln um den feinen, müden Mund der jungen Frau.

»Es bestreitet ja niemand, Mama. Ich weiß nur, daß du furchtbar kühne Pläne hattest, der Prinz sollte eine von uns heiraten, und ich weiß, daß wir, um ihm zu gefallen, in prächtige Staatsgewänder gesteckt wurden, in denen wir uns gar nicht bewegen konnten. Der Prinz tat dir natürlich den Gefallen nicht.«

»Und du begnügtest dich damit, seinen Freund zu nehmen, der so indolent war, nicht mal die Hofstellung anzunehmen, die man ihm bot, in der er doch hätte Karriere machen können.«

Dodo von Heimburger stand staunend. Der Tennisschläger fuhr mit Donnergepolter auf den Boden.

»Ihr kennt den Fürsten? Ach, das ist ja geradezu himmlisch! Er spielt ganz wunderbar Tennis, und wenn er mein Partner wird, dann sterbe ich ja geradezu vor Vergnügen.«

»Na, gib dich man,« mahnte die Geheimrätin trocken. »Der Fürst wird sich hüten, sich um dich zu bekümmern.«

»Na, wer weiß,« lachte Dodo. »Mit seinem Flügeladjutanten habe ich schon heute früh »gesimpelt«. Das ist ja auch ein süßer Kerl, aber der Kammerherr – brr! Vor dem kann einem alles vergehen.«

»Dodo, mäßige dich,« wehrte die Geheimrätin mit hochrotem Gesicht. »Nein, Maguhild, dieses Glück, daß wir den Prinz hier treffen! Es ist kaum auszudenken. Ich will doch gleich an Papa und Maja eine Depesche senden.«

»Du weißt ja garnicht, Mama, ob der Prinz sich unser noch erinnert,« warf die junge Frau ein. »Es ist alles so lange her, und unsere Bekanntschaft war ja nur sehr flüchtig.«

»Flüchtig nennst du das, wenn man seinetwegen Feste gibt, die Tausende gekostet haben? Na, und all die intimen Mittagessen, zu denen der Prinz so gern kam. Ganz Leipzig hat uns um diese Bevorzugung beneidet.«

Maguhild seufzte. Sie dachte wehmütig an die schreckliche Zeit, da der Prinz ausschließlich das Unterhaltungsthema in der elterlichen Villa abgab, und sie und ihre Zwillingsschwester Maja dressiert wurden, dem Prinzen zu gefallen, der nicht mehr Notiz von ihnen nahm, als die Höflichkeit erforderte.

Aufgeregt wanderte die Geheimrätin in dem Lesezimmer umher. Ihre seidenen Röcke rauschten und ihre lebhaften Augen blitzten.

»Es ist natürlich garnicht daran zu denken, Dodo,« nahm sie energisch das Wort, »daß du heute zu dem Konzert das weiße Spitzenkleid anziehst. Der Fürst wird gewiß anwesend sein. Er kennt ja Aniane von Rainer von Leipzig her, wo sie studierte und wo sie immer bei uns einen Freitisch hatte, jawohl, einen Freitisch. Das wird die stolze Primadonna gewiß längst vergessen haben.«

»Dann wirst du es ihr ja wohl wieder in die Erinnerung bringen, Mama,« warf die junge Frau bitter ein.

»Was soll ich denn anziehen, Tante,« rief Dodo vergnügt, die ihren einen Fuß ungeniert auf die blauen Plüschpolster gesetzt hatte und sich die Bänder ihrer weißen Tennisschuhe festband, »ihr könnt mich so schön machen, wie ihr wollt.«

»Natürlich das blaßrosa Kreppkleid. Es ist entzückend. Du, Maguhild, nimmst das türkisenblaue, und ich werde mich in das erdbeerfarbene Taftkleid werfen. Das macht Eindruck.«

»Welche unglaubliche Farbensymphonis,« lachte Dodo, das Rakett wieder aufnehmend und die Hand der Tante zum Abschied küssend.

»Heute muß ich ja siegen,« rief sie vergnügt. »Hoffentlich fällst du nicht um, liebe Tante, wenn ich als Siegespreis einen silbernen Humpen heimbringe oder ein goldenes Zigarrenetui, nach dem der Adjutant heute sehnsüchtig schielte. Ach, ist der süß!«

Sie küßte ihre Fingerspitzen und war wie ein Wirbelwind draußen, die breite Glastüre weit offen lassend.

»Ein schreckliches Kind, diese Dodo,« seufzte die Geheimrätin. »Na, es war auch kein Heldenstück von deinem Vater, uns das Kind seines Bruders, als der so plötzlich starb und die Frau ihm bald nachfolgte, zur Erziehung aufzuhalsen.«

»Aber Mama,« rief Maguhild empört, »Dodo ist so lieb, so frisch und fröhlich. Sie erhellt ja unser ganzes still gewordenes Haus, seitdem wir verheiratet sind, mit Sonne, und du, Mama, du hast sie doch auch lieb.«

»Ja doch, ja doch! Aber wenn man bedenkt. So'n Mädchen! Tausend Ansprüche und keinen roten Heller,« wiederholte die Geheimrätin und sah kampfbereit um sich.

»Das hat sie ja auch nicht nötig. Papa hat ja genug.«

»Papa? Nichts hat er. Was war er denn, als er mich heiratete. Ein simpler Professor, und ich, ich hätte mit meinen Millionen einen Prinzen kriegen können! – Nein, mein Kind, dein Vater kann nicht so skrupellos über die Gelder verfügen, so wenig wie dein Mann, der auch nichts weiter als Professor ist und von dem Gelde seiner Frau lebt.«

»Das ist nicht wahr, Mama,« rief die junge Frau leidenschaftlich, und ihre blauen Augen zeigten einen Moment etwas von der gefährlichen Energie ihrer Mutter. »Wigbert hat nie etwas von meinem Gelde gebraucht. Eben, weil er das nicht will, leben wir so zurückgezogen. Er meinte, der Haushalt müßte sich nach den Vermögensverhältnissen des Mannes richten.«

»Er ist verrückt, dein Wigbert, verlaß dich darauf. Ein Mann, der ein paar Millionen einfach liegen läßt, ist ein Esel. Na, aber lassen wir das leidige Thema. Komm, mach dich fertig, wir wollen nach der Oberen Alpina Kaffee trinken und uns dann zur Mittagstafel zurechtmachen. Den Wagen, der uns ins Konzert bringt, habe ich auf 8 Uhr bestellt.«

Maguhild erhob sich müde. In demselben Augenblicke trat ein junger Mann mit hastigen Schritten ins Lesezimmer. Auch er war im Tennisanzug und weißen Schuhen, den breitkrempigen Panama tief in das gebräunte, kecke Gesicht gezogen.

»Fräulein von Heimburger schon fort?« rief er atemlos, den Panama von dem dunklen Kraushaar reißend. Wie schade, ich glaubte sie noch zu treffen.«

Dabei hing sein Blick aber unverwandt an Maguhilds blassem Gesicht.

Die Geheimrätin sah es mit Genugtuung. Wenn das der langweilige Professor, ihr Schwiegersohn in Leipzig, wüßte, daß der junge, hübsche Fremde hier ihrer Maguhild auf Leben und Tod die Cour schnitt! Er war ein bezaubernder Mensch, dieser Mister Wadson, ganz das Gegenteil von dem pedantischen Wigbert! Jetzt lachte sogar ihre Maguhild ein klein wenig, als sie ihm Bescheid gab:

»Dodo ist schon lange fort, Mister Wadson, Sie kommen zu spät.«

»Ach kaum, meine gnädige Frau, wenn Sie mir gestatten, Sie auf den Tennisplatz zu begleiten? Es wird heute nachmittag interessant.«

»Ich weiß wirklich nicht,« wich Maguhild aus, »ich müßte mich auch noch umziehen.«

»Ich warte auf Sie bis zum Ende aller Tage,« gab er feurig zurück.

»Na, der geht ja nicht schlecht ins Zeug,« dachte die Geheimrätin befriedigt und wandte sich ihm huldvoll zu:

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, Mister Wadson, daß Sie meine Tochter herausreißen aus der Einsamkeit, in die sie sich vergrübelt, ich danke Ihnen herzlich dafür.«

Mit einer königlichen Gebärde reichte sie ihm ihre von Brillanten funkelnde Hand, die er flüchtig an seine Lippen führte.

»Wollen Sie hier auf mich warten?« fragte Maguhild mit einem lieblichen Neigen des dunkelhaarigen Köpfchens. »Ich bin bald zurück.«

»Ich bin so glücklich, daß Sie mitkommen,« rief der junge Mann begeistert.

Maguhild ging, ihrer Mutter leicht zunickend, hinaus, die Geheimrätin aber sagte überlegen:

»Machen Sie sich's inzwischen etwas gemütlich bei uns, Mister Wadson. Nicht wahr, Sie sind aus London?«

»Zu dienen, meine Gnädigste.«

»Sind Sie auch da geboren?«

»Nein.«

»Nicht? Ach! Wo stand denn Ihre Wiege?«

»In Kalifornien.«

»Das ist da, wo es die vielen Goldminen gibt,« lobte die Geheimrätin.

Der junge Mann hätte am liebsten laut aufgelacht, er blieb aber toternst, als er mit kläglicher Miene seufzte:

»Leider habe ich davon gar nichts zu sehen bekommen, gnädigste Frau.«

»Das schadet nichts,« tröstete sie gönnerhaft, denn sie hatte sich schon durch ihren Bankier über die Familie Wadson erkundigen lassen, und das Resultat war ein glänzendes gewesen. »Das Geld ist ja doch nur Chimäre. Meine Kinder haben ganz arme Männer geheiratet, jawohl, ganz arme Männer.«

Wieder ging ein Lachen durch die blauen, von buschigen Brauen und dunklen Wimpern umschatteten Augen Mister Wadsons, doch wurde ihm eine Antwort erspart, denn soeben trat Maguhild, die in ihrem weißen Tenniskleid sehr jugendlich und mädchenhaft erschien, ins Zimmer. Nach einer tiefen Verneigung gegen die Geheimrätin eilte er ihr entgegen.

»Ade, Mama,« rief die junge Frau heiter.

»Ade, mein Kind, sei recht vergnügt,« gab die Geheimrätin zärtlich zurück.

Ihr hochfrisiertes blondes Haupt nickte befriedigt, und mit Vehemenz drückte sie jetzt ein großes, graues Siegel auf den energischen Brief, den sie an ihren Schwiegersohn geschrieben hatte.

»Scheidung,« das ominöse Wort, hatte sie dick unterstrichen.

Draußen aber schien golden die Sonne und flirrte über den Tennisplatz und flimmerte in den blaugrünen Wellen des Sees, in denen sich die schneebedeckten Berge spiegelten, und ein Lachen klang durch die Luft, ein goldenes Lachen der blassen Frau Maguhild, die mit geschickter Hand ihren Schläger führte.


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