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18.

Ein taufrischer Sommermorgen fegte über Bayreuth und über den alten Hofgarten mit den hohen Bäumen und den mächtigen Laubkronen, durch welche das Sonnenlicht lugte und zitternde Schatten auf den Kiesweg warf, den der Fürst von Büsingen langsam hinabschritt.

Es war noch früh und der Hofgarten fast menschenleer.

Der Fürst ging, das Haupt tief gesenkt, ganz in Gedanken verloren. Seine Sinne waren noch bei der gestrigen Aufführung der Walküre. Er stand noch ganz unter dem Zauber des mächtigen Tondramas, das sein Herz so seltsam bewegte, und er sah im Geiste noch immer Aniane, wie sie so erschütternd in Jammer und Not die Walküre abwehrte:

»Nicht zehre dich Sorge um mich:
einzig taugt nur der Tod.«

Die ganze Nacht hatte er diesen Schmerzensruf gehört. Er hatte in dieser Sieglinde den Schlüssel für Anianens ganzes Wesen gefunden, und er schauderte vor sich selbst, wenn er daran dachte, daß auch er einst nahe daran gewesen, dieses herrliche Weib zu betrügen, wie er die andere betrogen, die nun wie eine Rachegöttin ihm den Eingang zum Paradies verbot.

Langsam schritt der Fürst weiter und weiter. Eine breite Fichtenallee nahm ihn auf und führte ihn nahe dem stillen Garten der Villa Wahnfried in einen dunklen Hain.

Erschauernd zog der Fürst den Hut, als er an dem efeuumsponnenen, schlichten Grabe des großen Meisters der Töne stand, den ein einziger Lorbeerkranz und ein paar taufrische Rosen schmückten.

Gattin oder Kinder mochten sie als Morgengruß dem stillen Schläfer vielleicht auf die Steinplatte gelegt haben, die alles Wähnen und Wünschen des Meisters zudeckte.

Eine Weile stand der Fürst ernst, wie in betendem Schweigen. Dann aber wandte er sich, langsam dem Ausgange zuschreitend. Vor dem Barockschlößchen, in dem einst die alten Markgrafen gehaust, hielt sein Wagen. Schnell stieg er ein, und hinaus ging's aus den Mauern der Stadt, wo die Langschläfer noch in süßen Träumen ruhten.

Die ernsten Augen des Fürsten wurden heller, als er so in den frischen Morgen hinausfuhr, einem Ziele zu, vor dem er, wie ein Knabe in scheuer Furcht, wie vor etwas Großem, Heiligem zitterte.

Langsam rollte der Wagen dahin. Ueberall blühendes Land. Rosen in Mengen, und der Duft von Linden in der Luft, Linden, die er so sehr liebte.

Eine Stunde lang mochte er so stillträumend dahingefahren sein. Da hielt der Wagen.

Elastisch sprang der Fürst aus dem Gefährt und schritt hinein in den Park, der die »Phantasie« umhegte.

Grüne weite Matten mit prächtigen Baumgruppen taten sich vor ihm auf. An stillen Teichen mit weißen, träumenden Wasserrosen vorbei schritt er dahin. Bemooste Springbrunnen plätscherten geheimnisvoll, und bunte Schmetterlinge taumelten über das tauige Gras.

Ein tiefes, feiertägiges Schweigen waltete ob dem blühenden Parke, in dem schwer und düftereich die Nachtviolen blühten und mächtige Sandsteingruppen Wache zu halten schienen, daß kein Laut die heilige Stille störe.

Stundenlang mochte der Fürst schon umhergeirrt sein in den verschlungenen Parkwegen, aber noch immer dünkte es ihm zu früh, einen Besuch im Schlosse zu wagen.

Er saß und träumte lange auf einer alten Steinbank, ehe er sich dann ermannte und langsam der »Phantasie« zuschritt, die sich weißschimmernd ihm entgegenhob.

Das Schloß, einst Eigentum des Herzogs Alexander von Württemberg, jetzt Privatbesitz, der oft für die Zeit der Festspiele an Fremde abgegeben wird, erhebt sich auf dem Kamm einer leichtbewaldeten Anhöhe. Eine große, breite Terrasse schließt es nach dem Park hin ab. Dieser Terrasse näherte sich jetzt der Fürst.

Umsonst sah er sich nach einem dienstbaren Geiste um, der Anmeldung vermitteln könnte. Er gewahrte niemand. Zögernd betrat sein Fuß die breite Freitreppe. Ueberall das tiefste, verzauberte Schweigen. Auf der Terrasse stand der gedeckte Frühstückstisch.

Wie ihn das zierliche Arrangement anmutete. Plötzlich kam ihm der Gedanke, wie seltsam es sei, hier als ungebetener Gast einzudringen. Nein, er mußte sich schnell nach einem anderen Eingang umschauen. Schnell brach er noch eine blühende Rose vom Strauch und steckte sie in die weiße, leicht gefaltete Serviette auf dem Frühstückstisch. Dann schritt er zögernd zurück.

»Ei, ei, Durchlaucht, wollen Sie meuchlings entfliehen,« ließ sich da plötzlich eine helle Stimme hinter dem Fürsten vernehmen.

Jäh wandte Dolf Dietram sich um. Da stand Aniane in der breiten Glastür, die zum Gartensaal führte, und sah ihm halb lächelnd, halb fragend entgegen.

Ein weiches, lang herabwallendes Gewand umhüllte ihre Gestalt. Das köstliche goldene Haar umspielte in duftigen Wellen ihre weiße Stirn und war leicht zu einem großen Knoten am Hinterkopfe verschlungen.

»Sieglinde,« mußte der Fürst denken, als er langsam die Stufen hinanschritt und Anianens dargereichte Hand an seine Lippen zog.

»Verzeihen Sie, Baronin, diesen Ueberfall zu so früher Morgenstunde, allein ich dachte mir, daß später der herrliche Park voll von Besuchern sein dürfte, und Sie auch vielleicht in die Stadt zur Probe müssen.«

»Nein, Durchlaucht,« lachte Aniane. »Wir haben so gründlich geprobt, daß wir jetzt, gottlob! zu Ende sind. Frau Cosima regiert da mit eiserner Hand. Ich bin überzeugt, sie ist schon wieder im Festspielhause, während ich sündiges Menschenkind noch nicht mal an meine »Kundry« heute gedacht habe.« –

»Ich sah und hörte Sie gestern,« gab der Fürst wie in tiefem Sinnen zurück, und seine Augen strahlten heiß zu ihr auf.

Aniane errötete leicht. Es sprach eine so ehrliche Bewunderung, eine so tiefe Ergriffenheit aus dem Tone und im tiefernsten Gesicht des Fürsten.

»Aber wollen Durchlaucht nicht Platz nehmen und mein ländliches Frühstück teilen?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, gab Aniane dem eintretenden Mädchen ihre Anweisungen.

Der Fürst sah voll Entzücken, mit welcher Anmut und Sicherheit Aniane sich bewegte. Aber diese Sicherheit und kühle Gelassenheit machte ihn unfrei. Er war gekommen, um Aniane sein ganzes Innere zu erschließen, und sie behandelte ihn wie einen guten Bekannten, der zufällig des Weges kam, und den sie an ihren Tisch lud, damit er ein wenig raste.

Erriet Aniane seine Gedanken?

Lächelnd befestigte sie die glühende Rose, die der Fürst gepflückt und die auf ihrem Teller lag, an ihrer Brust.

»Sie sind gekommen, Durchlaucht,« sagte sie dann, während ihr der Fürst gegenüber saß und sie anmutig den Tee einschenkte, »um mir über die letzten Lebensstunden unseres gemeinsamen Freundes Schiemann zu berichten?«

Fürst Dolf Dietram erbleichte. Lief nicht ein Zittern durch seine Gestalt, bebte nicht der silberne Löffel in seiner schlanken Hand? Wie seltsam verändert der Fürst war, seitdem ihn Aniane nicht gesehen. Glänzte nicht schon sein Haar an den Schläfen silbergrau? Und er war doch noch so jung an Jahren.

»Ich habe sehr bedauert, Baronin, daß ich Sie, als ich in Paris war, nicht sprechen konnte. Ich wußte ja, daß Sie mir zürnen, und daß Sie nicht vergeben können, aber ich hatte dennoch gemeint, der letzte Wunsch und Wille eines Sterbenden, der mir seine Abschiedsgrüße für Sie aufgetragen, vermöchte Sie zu veranlassen, milde verzeihend den Mann anzuhören, der bitter und schwer unter den Ereignissen der letzten Zeiten gelitten hat.«

»Durchlaucht haben einen schweren Verlust erlitten, ich weiß es. Nicht nur den Freund, auch die Gattin haben Sie hergeben müssen. Ein jähes und schreckliches Ende, unter dem gewiß auch der Erbprinz sehr gelitten hat.«

»Ich danke für Ihre Teilnahme, Baronin, wenn sie auch erst spät ihren Weg zu mir findet. Ich hatte damals gehofft, nachdem Sie mich in Paris abweisen ließen, das Sie wenigstens auf meinen Brief, in dem ich Ihnen einige Andeutungen über Schiemanns Ende machte und auch über die letzten Lebensstunden der Fürstin sprach, mir ein einziges Wort der Teilnahme spenden würden. Es blieb aus.«

Aniane hob stolz den blonden Kopf, aber die langen, dunklen Wimpern verschleierten doch den Blick ihres Auges.

»Ich mochte mich nicht mit konventionellen Redensarten abfinden, Durchlaucht und mehr hätte ich nicht zu sagen vermocht. Ueberdies konnte ich Durchlaucht damals in Paris nicht empfangen. Ich saß am Krankenbett meiner Tochter und kämpfte mit dem Knochenmann um das junge Leben.«

»Ihre Tochter?« Der Fürst sprang auf. »Sie haben eine Tochter? Ich habe niemals gehört, daß Sie und Rammelsburg Kinder hatten.«

»Es ist auch nicht Rammelsburgs Kind,« gab Aniane mit einem fast müden Lächeln zurück. »Es ist nur mein Kind, mein einziges Kind.«

Sie sagte es mit einer wilden Leidenschaft, vor der der Fürst fast zurücktaumelte.

»Bin ich denn meiner Sinne mächtig,« murmelte er, Aniane fassungslos in das feine Gesicht starrend, in dem die roten Lippen jetzt in tiefer Bitterkeit zuckten. »Wollen Sie mir alles, auch den Glauben an Sie nehmen?«

»Diese Entscheidung überlasse ich ganz Eurer Durchlaucht. Aber lassen wir das Kind, von dessen Existenz Sie bisher nichts wußten und – nichts wissen sollten, und lassen Sie uns ein wenig durch den Park wandern. Es plaudert sich leichter, und zudem haben wir gleich die Sonne hier. Jetzt ist der Park noch einsam, und ein Morgenspaziergang durch diesen stillen Garten gehört zu meinen täglichen Freuden hier in der »Phantasie.«

Sie sagte es leicht hin, als hätte sie einen gleichgültigen Bekannten vor sich, dem sie die Zeit, weil er nun einmal ihr Gast war, möglichst angenehm vertreiben mußte.

Fürst Dolf Dietrams Hände, die nach seinem Panama griffen, zitterten leicht.

Ein Rätsel war und blieb sie ihm doch. Und er war mit so übervollem Herzen gekommen, und nun behandelte sie ihn wie einen Fremden und tat alles, um ein Mißtrauen gegen sie in seinem Herzen wachzurufen, von dem er weit entfernt war, so sehr ihn auch die bis dahin unbekannte Existenz einer Tochter erschreckt hatte.

Die Füße waren ihm steif und schwer, als er an Anianens Seite, die einen duftigen weißen Gazeschleier über das Blondhaar gelegt hatte, die Stufen hinabschritt.

Auf ihrem Antlitz erschien wieder ein Lächeln und sie plauderte im Dahinschreiten leicht und anmutig über die gestrige Aufführung, über Frau Cosima, über Siegfried Wagner als Dirigent und über einige Künstler, von denen sie wußte, daß der Fürst sie persönlich kannte.

Jetzt bogen sie ein in einen stillen, bemoosten Weg, wo leise und verschlafen die Brunnen plätscherten und großblätteriger Epheu sich an Felskolossen emporrankte.

Dolf Dietram hatte noch kein Wort gesagt. Jetzt stand er plötzlich still und sah ihr mit hartem, fast befehlendem Blick ins Auge, so daß sie wieder das Gefühl hatte wie einst in den Jugendtagen, dem unentrinnbaren Schicksal gegenüber zu stehen, das sie in seinen Willen zwang.

»Warum weichen Sie mir aus?« fragte er fast herrisch. »Warum wollen Sie mir nicht einmal das Recht der Aermsten gewähren, die sich verteidigen können, wenn man sie angeklagt?«

»Ich klage niemand an, Durchlaucht, als mich selbst.«

»Aber Sie verachten mich, und das ist schlimmer, als alle Anklagen der Welt.«

Aniane zuckte die schönen Schultern, die zart durch das dünne Gewand schimmerten. Langsam nahm sie die Schleppe ihres Kleides zusammen und deutete auf die Bank, die am Wege stand.

»Wollen Durchlaucht mir dort erzählen, was Schiemann Ihnen aufgetragen hat? Die Zeit eilt, und ich habe eine Einladung zu Tisch in der Stadt angenommen.«

Der Fürst schüttete fast gewaltsam die Lähmung ab, in die ihn Anianens Nähe gebannt, und sich an ihrer Seite niederlassend, sagte er, über den grünen Wiesenplan blickend, den eine hundertjährige Buche beschattete:

»Ich habe Schiemann gemordet.«

Aniane sah ihm erschreckt in das seltsam verzerrte, bleiche Antlitz.

»Sehen Sie mich doch nicht so hart an,« sagte der Fürst hart. »Glauben Sie vielleicht, ich sei krank? Fürchten Sie sich nicht vor mir? – Ja, ich habe Schiemann gemordet, wie einst Zilla von Wolfhardt, die Frau, die, wie Sie selber sagen, zwischen uns steht für alle Zeit.«

Die Worte rangen sich wie ein qualvolles Stöhnen aus des Fürsten Brust.

Aniane kämpfte die heiße Angst nieder, die plötzlich ihre Seele bestürmte, und sagte sanft und voll milder Güte:

»Lassen wir doch die längst tote Vergangenheit, Durchlaucht. Ich weiß aus den letzten Zeilen Schiemanns, daß ihm das Leben wertlos geworden, daß der Tod ihm ein Freund war.«

»Er hat Ihnen geschrieben? Er hat Ihnen gesagt, daß er sterben wollte?« fragte der Fürst wie in heißer Angst.

Ueber Anianens bewegtes Antlitz lief Purpurröte. Sie wollte eine Antwort geben, aber sie schloß schnell wieder die schon geöffneten Lippen. Sie wandte den Blick ab, als sie leise entgegnete:

»Mit demselben Rechte könnte ich behaupten, schuld an seinem Ende zu sein. Schiemann schrieb mir« – nur zögernd kamen die Worte von ihren Lippen – »daß ohne mich das Leben ihn nicht locke, und daß er ohne Gram eine Welt verlasse, in der es keine Sehnsuchtsländer für ihn mehr gäbe.«

»Und er hat nichts gesagt, daß er für mich in den Tod ging? Er hat, um einen andern zu schonen, nicht anklagend gefragt: muß ich jenen dunklen Weg gehen?«

Nichts von dem, Durchlaucht. Sein letztes Wort an mich war wie ein jauchzendes Grüßen des Lenzes, voll ewigen Glanzes, voll ewiger Dauer.«

Aufstöhnend schlug der Fürst beide Hände vor sein Antlitz.

»Ich habe ihn getötet, ich,« kam es dann von seinen Lippen, »für mich ging er in den Tod, weil ich, wie er meinte, dort oben auf der Höhe, auf die mich das Schicksal gestellt, erhaben stehen müsse, ohne Schuld und Fehle.

Wissen Sie, Baronin, was das heißt, so hoch zu stehen und sich so erbärmlich, so maßlos elend zu fühlen?

Sie hörten, daß Schiemann im Duell mit dem Minister von Borghammer fiel. Kennen Sie auch die Ursache? – Ich hatte an dem Hochzeitstage des Ministers im Wintergarten eine Unterredung mit der jungen Gattin Borghammers. Witta hatte die Unterredung erzwungen. Sie kennen ja ihre Leidenschaftlichkeit. Sie wissen auch, daß ich vor langen Jahren ihrer Koketterie erlegen war, und nicht ganz frei von Schuld ihr gegenüber zu sein glaubte, weshalb ich widerstrebend in die Unterredung willigte.

Als ich ihr eindringlich auseinandersetzte, daß zwischen uns kein Band mehr bestände und bestehen dürfe, warf sie sich ungestüm an meinen Hals und umklammerte mich mit beiden Armen. In demselben Augenblick schauten die Fürstin und der Minister durch das große Glasfenster in den Wintergarten hinein, Türkheim hatte die Fürstin von der Zusammenkunft verständigt.

Umsonst versuchte ich, tödlich erschrocken, mich den Armen Wittas zu entwinden. Da fühlte ich mich plötzlich zurückgerissen und durch eine Tür gezwängt, die auf den Gang zu meinen Gemächern führte, ein vorgeschobener Riegel nahm mir jede Möglichkeit, wieder in den Wintergarten zu treten. Schiemann tat es, den ich gebeten hatte, ungesehen der Unterredung beizuwohnen; er riß mich zurück, da er das Nahen der Fürstin und des Ministers wahrgenommen. Der Minister glaubte, daß der Mann, in dessen Armen er sein Weib gesehen, Schiemann gewesen sei, dieser erklärte sich zu jeder Genugtuung bereit, und ehe ich es hindern konnte, fand das unglückliche Duell statt, das Schiemanns Leben kostete. Begreifen Sie nun, daß ich der Elendesten einer bin? Begreifen Sie nun, daß ich nicht wachen und schlafen kann vor dem grauen Gespenst, das mich unablässig verfolgt? Was nützt es mir, daß ich den Versuch machen wollte, Borghammer zu beichten? Cr lehnte es einfach ab und bat um seinen Abschied. Wie ich höre, lebt er mit seiner Frau, die stets leidend ist und die er in strenger Hut hält, im Süden. Ich ahne nicht, ob er weiß, daß ich es war, dem früher das Herz seiner Gattin gehörte. Borghammer ist die äußerliche Ehre alles, und darum hält er mit eiserner Hand die Frau fest, die er liebte und die ihn betrog.«

Aniane hörte fassungslos die Selbstanklagen des Fürsten.

Wie dunkel mußte es in seiner Seele aussehen, daß er, der Herrische, Stolze, dem früher ein Menschenleben, ein Menschenglück nichts war, der nur das eine kannte: »Ich will,« so unerbittlich die Sonde an das eigene Ich legte.

Anianens schlanken, weißen Hände lagen fiebernd in ihrem Schoße.

Was sollte sie ihm sagen? –

»Er hat Sie grenzenlos geliebt,« fuhr der Fürst fort, »unser Freund Ludwig. Er hat mir seine letzten Grüße in seiner Sterbestunde ans Herz gelegt, die Aniane, deren Züge sein letztes große Werk, »die Barmherzigkeit,« trug, sie würde auch mir die Barmherzigkeit nicht versagen, die allein mir Ruhe und Frieden wieder zu geben vermocht hätte.«

Eine flammende Röte flog über Anianens Gesicht. Sie wollte aufspringen und fliehen, aber sie konnte nicht. Der Blick der großen, tief eingesunkenen grauen Augen bannte sie.

Ein Bienenvolk schwärmte surrend über den sonnengleißenden Hag, in dem zwei schlanke Lindenbäume bräutlich ihr Geäst ineinanderrankten.

Schon lag das Mittagszauberweben in der Luft, und aus fernen Gartentiefen klang goldenes Kinderlachen.

»Haben Sie mir noch nicht verziehen, Aniane?« nahm der Fürst von neuem das Wort. »Gestern, da ich Sie als Sieglinde sah, da ich den süßen Klang Ihrer Stimme lauschte, glaubte ich plötzlich zu wissen, daß »die fragende Frau« dort auf der Bühne das hohe Lied der Liebe nicht vergessen hat, das sie einst in Banden hielt, und eine Sieglinde, erfüllt von dem heiligen Feuer echter Weibesliebe, vermöchte auch zu vergeben, wenn der Mann, den sie einst geliebt, zu ihr kommt und spricht:

Sieh, ich weiß ja, daß ich deiner Liebe nicht wert bin, aber ich will rastlos streben, ihrer wieder würdig zu werden. Erlöse mich und nimm mit milder Hand die Schuld von mir. Laß uns zusammen wirken und schaffen zu meines Landes Glück und Heil. Sei du der gute Engel meines Lebens. Lindere die Schmerzen, die meine harte Hand oft geschlagen und laß mich in deinen Armen ausruhen, wenn des Thrones Bürde mir zu schwer wird und mich zu zerbrechen droht. Einst wollte ich in knabenhaftem Uebermute dich an mich reißen, Aniane, dich brechen, wie ich die arme Zilla, deine fröhliche Gespielin, gebrochen habe. Aber selbst in jener leichtfertigen Stunde, da ich dich unüberlegt zu der Flucht überreden wollte, aus deren Gefahr dich dein späterer Gatte rettete, habe ich dich rein wahrhaftig geliebt.«

»Es war die Stunde,« gab Aniane bitter zurück, »in der ich einen Prinzen auf Ehre und Gewissen fragte, ob es wahr sei, was man über ihn flüstere, daß er es gewesen, der Zilla von Wolfhardt entführte.«

»Und wo der Fürstensproß dir log, Aniane, ich weiß es. Aber die Angst, dich zu verlieren, machte mich kopflos. Ich hätte, um dich zu gewinnen, wohl noch Schlimmeres begangen, als diese Lüge, die mir damals gar nicht so schwerwiegend erschien, da ich mich bereits ganz von der armen Zilla losgelöst hatte. Es war ein toller, unüberlegter Streich, dem Zilla zum Opfer fiel. Türkheim, mein böser Geist, unterstützte all meine abenteuerlichen Pläne und setzte ihre Ausführung ins Werk.

Ich fand Gefallen an dem reizvollen, süßen, sanften Geschöpf, das sich schon in der Tanzstunde in Tannenrode ganz blind und taub in meine Arme warf. Dich, die du so kalt und spröde warst, glaubte ich dann zu hassen, und ich versäumte keine Gelegenheit, dich zu kränken und dir weh zu tun. Witta reizte und stachelte unausgesetzt meine Sinnlichkeit, so daß ich zwischen ihr und Zilla immer hin und her schwankte.

Als man mich meiner angegriffenen Gesundheit wegen nach dem Süden schickte, reifte schnell, von Türkheim begünstigt, der abenteuerliche Plan in mir, Zilla zu entführen und mich heimlich mit ihr zu vermählen. Ob alles zu Recht geschehen ist, ich weiß es nicht. Türkheim arrangierte alles. Ich war kurze Zeit sehr glücklich mit Zilla. Ihr goldenes Lachen, das ich vorhin zu vernehmen glaubte, hatte es mir angetan. Ich brachte sie heimlich in die Rosenau. Dort gab sie unserem Kinde das Leben, einem süßen, kleinen, goldlockigen Geschöpf, das mir entgegenlachte, wenn ich von Zeit zu Zeit heimlich kam, Zilla zu besuchen.

Aber dann fand ich plötzlich seltener den Weg zur Rosenau. Ich hatte dich in Leipzig wiedergesehen, Aniane, ich hatte dich singen gehört, und wie ein Blitzstrahl hatte mich die Erkenntnis getroffen, daß ich nur dich liebte, die Stolze, Spröde, die mit kalten, verächtlichen Augen zu mir aufsah.

Das andere weißt du ja. Daß mein Vater nicht nur von unserer geplanten Flucht Kenntnis erhielt, sondern daß ihm auch der Aufenthalt Zillas durch die rothaarige Rahel verraten wurde, die ihre Schwester endlich aufgespürt hatte.

Ich wurde verhaftet, als Zilla, der man mitgeteilt hatte, daß sie mit ihrem Kinde die Rosenau verlassen sollte, sich zu dir flüchtete.

»Sie starb bei mir,« gab Aniane tonlos zurück, »und ihre alten Eltern folgten ihr bald nach.«

»Ich weiß, daß man auch dir weh getan, Aniane. Ein Befehl meines Vaters untersagte dir den Aufenthalt in der Residenz. Willkürlich hatte man deinen Vertrag mit dem Hoftheater gelöst, trotzdem man wußte, daß du unschuldig warst und ich allein die Schuld trug. Noch sehe ich dein kaltes, stolzes Gesicht, da du dich für immer von mir wandtest, Aniane, das verächtliche Lächeln um die zuckenden Lippen, als Zilla damals in der Gewitternacht, da ich sie verleugnete, mir zu Füßen zusammenbrach. Rammelsburg wurde auf Befehl meines Vaters mein Kerkermeister, bis ich mich gefügig zeigte, die Prinzessin Geraldine zu heiraten. Er war gütig, verständig und ernst. Er zeigte mir mit mildem Wort den Abgrund, an den ich dich, an den ich uns alle gebracht. Türkheim, der sich in meiner Uniform an meiner Stelle auf den Bahnhof begeben hatte, wurde in dem Augenblick erkannt, als er Büsingen verlassen wollte. Man hatte ihn festgenommen und ihn des Landes verwiesen. Hätte ich ihn doch niemals zurückgerufen. Die Vermählung mit Zilla als ungültig zu erklären, wie mein Vater vorhatte, erübrigte sich, denn sie starb für meine Sünde, und auch das Kind starb, wie sie sagen. Aber ich glaube es nicht. Es war erst bei den Großeltern, und dann, als diese nicht mehr waren, bei Zillas Schwester Rahel, der Frau deines Vetters Buttler, Aniane. Aber auch dort ist es seit Jahren nicht mehr. Wie schon früher erwähnt, haben meine Nachforschungen die Spur der kleinen Jane bis ins Ausland verfolgt, aber keiner wußte genau, wohin das kleine Geschöpf gekommen, das so süß lachen konnte, ein Lachen, das mir noch oft im Ohr klingt, als hörte ich es aus Sonntagsfernen zu mir herüberklingen.«

Eine tiefe Bewegung zuckte in Anianens Zügen, als sie jetzt langsam aufstand und leise sagte:

»Wie Sonntagsfernen, Durchlaucht, mögen auch die vergangenen Tage verwehen. Wir wollen Frieden machen. Was lange vermodert, das soll nicht aufsteigen aus den Grüften. Zillas Andenken lebt in meinem Herzen wie eine zarte, blasse Blume, die nie aufhört zu blühen und zu duften.«

Sie reichte dem Fürsten beide Hände entgegen. In ihren Augen war ein Flimmern, wie von zurückgehaltenen, funkelnden Tränen.

Heiß zog der Fürst die schlanken Frauenhände an seine Lippen.

»Ich danke Ihnen, Aniane, für dieses Wort, und nun noch eine Bitte. Wann kann ich Sie wiedersehen, wo kann ich Sie suchen, um Ihnen zu sagen, wozu mir heute noch kein Recht zusteht, weil mir das Andenken an eine Verstorbene die Pflicht auferlegt, noch vor der Welt zu schweigen.«

Aniane sah ihn bestürzt an und hob abwehrend die Hände.

»Erschrecken Sie nicht, Aniane. Sie sollen mir helfen. Durch Sie will ich das werden, was mir und meinem Lande fehlt, ein Fürst des Segens. Meine Gehilfin sollen Sie sein, und wenn unsere Hausgesetze auch nur eine morganatische Ehe gestatten, so wissen Sie doch, daß meine Liebe, mein Wunsch und Wille meiner Gemahlin den höchsten Platz schaffen werden, den ich ihr an meiner Seite zu bieten vermag. Hier meine Hand, Aniane. Wenn wieder der Frühling kommt, werde ich mir Ihre Antwort holen.«

Aniane schüttelte in ruhiger Abwehr das Haupt. Der weiße Schleier war ihr von dem Blondhaar geglitten. Das Sonnengold spielte mit den krausen Löckchen auf ihrer weißen Stirn.

»Ich danke Ihnen, Durchlaucht, für die Ehre, die Sie mir zugedacht. Sie ist keine Genugtuung, wie Durchlaucht vielleicht glauben, für die Schmach, die ich einst, fast noch ein ahnungsloses Kind, erlitt, als ich gläubig vertrauend dem Manne folgen mußte, der mich an seine Liebe glauben ließ. Ich habe lange gebraucht, das Entsetzliche zu überwinden, und nur die gütige, weise Hand meines Gatten, der Sie ja schon als Knabe gekannt und der Sie lieb gehabt, hat mich vor der Verzweiflung bewahrt. Ich habe mit Rammelsburg ein paar stille, glückliche Jahre durchlebt. Er hat mir geholfen, meinen Lebensmut wieder aufzurichten und in der Kunst das zu finden, was mir das Leben versagte. Mein Gatte ist mir nicht gestorben. Er lebt mir noch immer. Jeden Augenblick, wenn eine Unschlüssigkeit mich bedrückt, kann ich ihn fragen: Was würdest du tun? Und immer weist er mir klar die rechten Wege. Noch heute schreite ich, ob er auch lange tot ist, an seiner Seite durchs Leben.

Wir werden uns nicht Wiedersehen, Durchlaucht. Ich habe meinen Vertrag mit der großen Oper in Paris gelöst. Die angegriffene Gesundheit meiner Tochter macht einen längeren Aufenthalt im Süden notwendig, und da sie in dem Alter ist, wo sie besonderer mütterlicher Obhut bedarf, möchte ich mich gerade jetzt nicht von ihr trennen.«

»Lassen wir doch das Kind,« rief plötzlich der Fürst heftig, während sich die scharfen Falten auf seiner Stirn tiefrot färbten. »Eins nur sollen Sie mir sagen, Aniane. Darf ich wiederkommen und mir Ihre Antwort holen? Ich werde Sie sicher zu finden wissen, wo Sie auch weilen.«

»Nein, Durchlaucht,« entgegnete Aniane, und ein stilles Lächeln war um ihren Mund, der jetzt wieder so süß und schmerzlich zuckte, wie einst in den Tagen der Jugend, wenn der leichtfertige junge Prinz sie in der Tanzstunde absichtlich gekränkt. »Ich werde niemals Ihre Gattin sein. Ein Fürst hat andere Pflichten, als die, eine Frau nach seinem Herzen zu wählen, deren Wahl ihn vielleicht uneins macht mit seinem Volke.«

Dolf Dietram starrte sie wie geistesabwesend an.

»Sie lieben mich nicht, Aniane, Sie haben mich nie geliebt? Nur ein Wort sagen Sie mir, wenn Sie es können, denn ich fühle es an dem Schlagen meines Herzens, daß die alte Liebe nicht gestorben ist, daß sie ihren Flammenmantel um uns schlägt, und daß sie uns auch jauchzend zur Höhe führt.«

»Es tut mir leid, Durchlaucht, aber ich liebe Sie nicht.«

Kalt und ruhig kam es von ihren Lippen, und doch rangen sich die Worte nur unter blutigen, heißen, ungeweinten Tränen von ihrem Munde.

»Sie lieben mich nicht, Aniane?« fragte der Fürst mit fahlem Antlitz und ganz erloschenen Augen, während sich seine Hände zitternd ballten.

»So war alles ein Wahn?«

Es war, als sinke die hohe Gestalt des Herrschers kraftlos zusammen. Als wollte sie niederstürzen, wie ein gefällter Baum.

Besorgt sah Aniane auf die ganz gebrochene, sonst so königliche Gestalt.

In demselben Augenblick aber klang ein helles Lachen durch die Sommerluft.

Erschreckt, verstört horchte der Fürst auf und strich sich verwirrt über die Stirn.

»Welch ein Klang?« sagte er träumerisch.

»Mutti, Mutti,« hallte es jubelnd aus der Ferne, und ein weißgekleidetes Etwas kam wie der Blitz über den Rasen in Anianens weitgeöffnete Arme geflogen.

»Mutti, sieh nur, zwei wunderschöne Falter habe ich im Netz. – Ach, jetzt fliegen sie fort! Wie schade! Ihr Mantel war blau, und darunter schimmerten goldene Flügel. Hast du sie noch gesehen?«

Aniane preßte das Kind, ein etwa elfjähriges Mädchen mit wehenden blonden Locken, so fest an ihr Herz, als könnte ihr das Kind entrissen werden. Ein Zittern lief durch ihre Gestalt, so daß die Kleine, sich umsonst bemühend, ihr Lockenköpfchen von der Mutter Brust zu lösen, erschreckt rief:

»Bist du krank, Mama Aniane? Warum hältst du mich denn so fest. Laß mich doch los, die schönen Schmetterlinge sind nun sicher fort.«

»Wer ist das Kind,« schrie plötzlich der Fürst auf. »Antworte doch, Aniane, um Gottes Barmherzigkeit willen.«

»Was will der Mann?« fragte die Kleine, die sich jetzt losgehaspelt hatte und sich die wilden Locken von der erhitzten Stirn strich. »Warum sieht er mich so an?«

»Das Kind ist meine Tochter,« gab Aniane abweisend zurück.

»Geh, Liebling,« flüsterte sie dem Kinde zu, »sei freundlich zu dem fremden Herrn. Er ist traurig, und er hat sein Töchterchen verloren, das so alt war wie du. Es ist tot.«

So leise die Worte gesprochen worden, der Fürst hatte sie doch gehört.

Das Kind aber lief zutraulich auf den Fürsten los.

»Armer Mann,« sagte es mitleidig, seine Hand fassend und ihm tief in die Augen sehend. Zwei graue Augenpaare senkten sich ineinander.

Forschend, in heißer Angst, und doch mit Schmerz und Rührung kämpfend, blickte der Fürst auf das liebliche Kind, das seinen jungen Mund jetzt plötzlich innig auf seine Hand drückte und dann strahlend zu ihm aufsah.

»Du mußt nicht traurig sein,« plauderte sie wichtig, die goldnen Locken schüttelnd. »Mama Aniane sagt, nur wer Böses getan hat, darf über sich selber weinen. Du aber bist gut, du hast nie Böses getan, nicht wahr, Mama?«

Zärtlich, mit zitternden Händen strich der Fürst über das blonde Köpfchen. Mit beiden Händen hielt er es fest und sah dem Kinde tief in die Augen, dann beugte er sich erschüttert über das zarte, blumenhafte Gesichtchen und küßte es voll heiliger Andacht auf den kleinen, roten Mund.

»Mutti, warum weint der gute Mann? Sei doch gut zu ihm. Ich habe ihn lieb. Er sieht aus wie mein Papa, der schon lange tot ist, und von dem ich das Bild habe, als er noch klein war. Willst du es sehen?«

Und mit geschäftiger Eile löste sie eine kleine Kapsel von ihrem Hälschen. Sein eigenes Bild als Knabe blinkte dem Fürsten aus der Kapsel entgegen.

»Aniane,« rief der Fürst. »Aniane, ist es denn möglich? O, du, du Herrliche, Große, Einzige.«

Aniane stand wie vernichtet.

»Geh, Jane,« rief sie, sich mühsam fassend, »lauf schnell zu Großmama Buttler und sage ihr, daß sie dir Kuchen gibt, ich komme gleich zurück.«

Das Kind sah einen Augenblick verwirrt um sich, dann knixte sie lachend, und wie ein Schmetterling gaukelte sie über den Rasen, dem Schloß »Phantasie« zu, das jetzt weiß und hart im Sonnenlichte durch die grünen Bäume flimmerte.

»Zillas Kind, mein und Zillas Kind,« sagte der Fürst erschüttert, »und du, Aniane, hast es gehegt und gepflegt, du.«

»Laß mich,« sagte er, als sie ihm wehren wollte, »ich weiß alles. Nun leugne so viel du willst, nun weiß ich voll seligen Entzückens, daß eine Zeit kommen wird, wo du um des Kindes willen dem Vater verzeihst. Nun weiß ich, Aniane, daß du mich liebst!«

Er zog noch einmal ihre Hände an seine Brust, an seine voll Tränen stehenden Augen und an seine zuckenden Lippen. Dann ging er, den Hut ziehend, durch das gleißende Sonnenlicht.

Aniane, die wie gelähmt verharrte, sah ihm nach.

Wie stolz und elastisch er dahinschritt. Nicht mehr ein gebrochener Mann, sondern ein Fürst, stolz und gebieterisch.

Jetzt wandte er sich noch einmal zurück. Die kleine Jane hockte auf der Veranda und warf ihm lächelnd Kußhändchen und Blumen nach.

Ein sonniges Lächeln, wie es Aniane noch nie bei dem Fürsten gesehen, grüßte zurück. Noch einmal senkten sich seine Augen tief in die ihren, und ein Meer von Wonne und Seligkeit strömte über sie hin.

Zitternd tastete sie sich die Steintreppe, die zum Schlosse führte, empor.

Ihre Kraft war zu Ende. Nun war ihr Glück für immer vorbei, denn auch das Kind, das sie so lange ängstlich vor ihm gehütet, würde sie nun verlieren.

Es wurde dunkel vor Anianens Augen. An der Tür zu dem großen Gartensalon brach die blonde Frau lautlos zusammen.

Wie ganz von ferne hörte sie nur noch das jauchzende Kinderlachen, das für sie vielleicht schon bald für immer verstummte.

Draußen im Parke verblühten die dunklen Rosen, und die Linden streuten weithin ihre duftenden Blüten.

* * *

Der Fürst aber fuhr still zurück.

In seinen ernsten, grauen Augen stand ein frohes Leuchten und ein stolzer, zielbewußter Wille. In der Feststadt flatterten ihm die Fahnen entgegen, und die Straßen waren durchwogt von den Festgästen, die zum heiligen Gral wallfahrteten, den eines Künstlers Meisterhand dort entzündet. Nun wußte der Fürst, daß auch von ihm der heilige Gral gefunden, »des höchsten Heiles Wunder,« »des Heilands holder Bote,« die ewig gleichbleibende, göttliche Liebe.

Und wie eine heilige Sühne schien ihm die Zukunft, die er formen wollte. Sie sollte ein ewiges Gedenken sein an den geopferten Freund und an Zilla, und eine ewige Hoffnung, das Glück, das unendliche Glück zu gewinnen.

Ernst und sinnig muß das Glück kommen! dachte der Fürst auf dem Gange in seine Gemächer. Dann gab er Befehl, die Abreise vorzubereiten.


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