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2.

Die Malojastraße entlang rollte ein elegantes Gefährt. Die feurigen Rappen blähten weit ihre Nüstern und die feinen Hufe berührten den Boden kaum. Eine dichte Staubwolke hüllte den Wagen ein. Der berüchtigte Malojawind hatte sich aufgemacht und die beiden Männer im Fond des Wagens mühten sich umsonst, einen Ausblick auf die Berge zu erhaschen.

»Das muß ich sagen,« nahm der Aeltere der beiden, ein ernst und vornehm aussehender Mann mit stahlharten, etwas tiefliegenden Augen, das Wort. »Dieser Staub könnte einem wirklich das herrliche Engadin verleiden. Da bin ich nun mit dir hierher nach Sils Maria gefahren, um dir gleich nach deiner Ankunft hier alle Herrlichkeiten zu zeigen, und nun schlucken wir nur Staub und immer wieder Staub.«

Der neben dem Sprecher sitzende jüngere Mann lachte sorglos auf, und der den Rücksitz des Wagens einnehmende Kammerherr von Türkheim wandte sich devot zu dem Aelteren.

»Wenn Durchlaucht gütigst verzeihen. Wir biegen jetzt gleich hier links ab, da haben Durchlaucht gleich die glänzendste Aussicht nach dem Fextal.«

»Danke, lieber Türkheim,« gab der junge Fürst Dolf-Dietram von Büsingen kühl zurück., »Sie haben sich ja gut orientiert. Sind Sie vielleicht gestern hier auf Nietzsches Spuren gewandelt, um heute ganz sattelfest zu sein?«

Eine flüchtige Röte flammte über das glattrasierte, etwas gelbliche, faltenreiche Gesicht des Kammerherrn, dessen große weiße Zähne wie die eines Raubtieres funkelten.

»Halten zu Gnaden, Durchlaucht. Ich glaubte, im Interesse höchstdero zu handeln, wenn ich vorher – –«

»Schon gut, schon gut,« wehrte der Fürst ab, und sich wieder zu seinem Nachbar wendend, fuhr er mit leichtem Spottlächeln fort: »Du siehst, lieber Hasso, daß es mir allerorten leicht gemacht wird.«

Wie um sich von einem lästigen Zwange zu befreien, dehnte er einen Moment die schlanke, vornehme und doch sehnige Gestalt, die in dem grauen Touristenanzuge voll tadelloser Eleganz sich neben dem etwas verwitterten Lodenanzug seines Nachbars um so vornehmer ausnahm.

»Wie Durchlaucht befehlen,« gab der andere übermütig lachend zurück, und mit einem Satze war er aus dem Wagen, der soeben hielt, zum fassungslosen Entsetzen des Kammerherrn, der es nicht begreifen konnte, daß dieser Kerl, dieser simple Bildhauer Ludwig Schiemann, es wagte, vor seinem Gebieter auszusteigen.

»Sils Maria, Durchlaucht,« flötete der Kammerherr, den Hut in der Hand haltend und auf das schmucke, kleine Dörfchen weisend, das so licht im Sonnengolde vor ihnen lag.

»Wie ein Lakai steht der Mensch da,« dachte der Fürst, dann aber sagte er, nachlässig mit der Hand in den Ort deutend:

»Erwarten Sie uns in dem Hotel Alpenrose, lieber Türkheim. In einer Stunde denken wir dort zu sein.«

Der Kammerherr klappte wie ein Taschenmesser zusammen.

»Ekelhafter Kerl,« murmelte der Bildhauer vor sich hin, und laut bemerkte er, seinen Arm in den des Fürsten schiebend:

»Ich weiß nicht, Dolf-Dietram, wie du die Gegenwart dieses Menschen unausgesetzt erträgst. Wenn ich du wäre, ich schlüge dem Menschen alle Glieder entzwei.«

»So danke Gott, daß du nicht ich bist. Auch in anderer Beziehung dürfte es für dich angenehmer sein, der Bildhauer Schiemann und nicht der Fürst von Büsingen zu sein.«

»Du hast Verdruß gehabt, Dolf?« fragte der junge Mann warm und faßte fester den Arm des Freundes. In seinen strahlenden Braunaugen lag es wie leichte Besorgnis, und die Spitzen seines dichten, braunen Schnurrbartes zuckten nervös.

»Es ist nichts, Ludwig, wenigstens ist es nicht der Rede wert. Ich habe mich ein bißchen geärgert, und dieser Türkheim macht dazu ein solch süffisantes Gesicht, daß ich auch nicht übel Lust verspüre, ihn zu verprügeln, wenn so etwas angängig wäre.«

»Warum entfernst du den Menschen nicht aus deiner Umgebung? Oft habe ich das Gefühl, als wäre er dein böser Geist, Dolf-Dietram.«

»Mein böser Geist,« wiederholte der Fürst. »Du hast vielleicht recht, Ludwig, aber Türkheim ist mir aus Gewohnheit unentbehrlich geworden, und dann hat er, wie keiner, die Gabe, Geschehnisse ungeschehen zu machen. Ich brauche ihn, und wenn er mir auch oft zuwider ist, so möchte ich ihn doch nicht missen. Jetzt aber, Freund, laß uns die Gegenwart genießen. Wie froh bin ich, dich mal hier ganz allein zu haben, und wie danke ich dir, daß du sogleich meinem Rufe gefolgt bist. Es ist immer ein Kunststück, dich deiner Arbeit zu entreißen, wenn dich eine künstlerische Aufgabe gefangen hält. Aber ein wenig Erholung kommt auch deinem Werke zu Gute, und die »Sehnsucht« in deinem Pariser Atelier wird wohl auch noch zurechtkommen, wenn sie vier Wochen später fertig wird. Inzwischen kannst du hier in der heilkräftigen Luft des Engadin deine Nerven etwas aufbessern, denn daß du welche hast, habe ich schon bei deiner Ankunft wahrgenommen, als du, anstatt mit mir zu plaudern, wie ein Wahnsinniger die Kurliste durchstöbertest.«

Ludwig Schiemann hatte den Hut von der breiten Stirn genommen. Die Sonne spielte in seinem braungelockten Haar, daß es tiefgoldig funkelte.

»Verzeih, ich weiß, es war rücksichtslos, aber es ließ mir keine Ruhe, ehe ich nicht festgestellt, ob die einzige Frau, die mir jemals Interesse hat abnötigen können, und der ich – wenn du es wissen willst – von Paris gefolgt bin, hier Einkehr gehalten hat.«

»Und du hast sie gefunden? Da bin ich doch wirklich neugierig auf das Weib, das den Frauenverächter Schiemann zu zwingen vermag. Im übrigen finde ich es treulos von dir, Ludwig, daß du Weibern nachjagst und mich im Stiche läßt, jetzt gerade, wo ich deiner Freundschaft so dringend bedarf.«

»Du bedarfst meiner? Natürlich stehe ich, wie immer, zu deiner Verfügung, Dolf-Dietram. Nun ich weiß, daß sie hier in St. Moritz ist und wahrscheinlich einige Wochen zur Kur hier bleibt, kann ich ja ganz ruhig sein. Daß ich dich heute morgen im Stiche ließ, mußt du verzeihen.

Es drängte mich hinaus in die schöne Welt, und von dem Marsche nach Pontresina gibt noch mein staubiger Anzug Zeugnis, mit dem du mich bei meiner Rückkehr in den Wagen nötigtest.«

»Ja, ich mußte dich sprechen, ich fieberte förmlich nach dir,« sagte der Fürst, und eine drohende Falte legte sich über seine schmale Stirn.

Sie standen jetzt auf dem engen von Lärchen überwucherten Weg der Halbinsel Chasté, die weit in den Silser See hineinragt. In beider Augen stand eine Frage, wie sie sich jetzt begegneten, dann irrten sie aber plötzlich von einander ab und schweiften weithin über den See, das Tal und bis hinauf zu den schneebedeckten Firnen.

»Es hat dir jemand weh getan, Dolf-Dietram?«

»Weh? Mir hat niemand weh getan, und ich wollte es auch keinem raten. Aber beleidigt hat man mich. Ein Weib, das ich einst vielleicht geliebt, oder das ich zu lieben glaubte, was weiß ich, trat nach langen Jahren wieder in meinen Lebensweg. Ich hatte ein Gefühl, na, sagen wir von Großmut, ich wollte Geschehenes vergessen, und ich ging, um sie aufzusuchen und ihr zu zeigen, daß ich ihr Freund geblieben, und was war die Folge?«

»Sie nahm dich nicht an?«

»Wie, du weißt?« kam es leidenschaftlich von den Lippen des Fürsten, und das bartlose schmale Gesicht mit den harten Zügen wurde finster.

»Nein, ich vermute nur. Aber ich begreife garnicht, wie dich das so aufregen kann. Laß sie doch laufen, die Stolze, Spröde. Es gibt ja genug Weiber in der Welt, und wenn du, wie du selbst sagst, überhaupt nicht mal weißt, ob du sie geliebt hast, so erübrigt sich doch die Sache von selbst.«

Der Fürst stampfte ungeduldig mit dem Fuße. Es lag etwas knabenhaft Trotziges in dieser Zornesäußerung, und der Bildhauer sah ihn mit leiser Mißbilligung an.

»Noch immer der Alte, Dolf. Die Fürstenwürde, die sich leider früh auf deine jungen Schultern legte, hat dein Temperament nicht zu zügeln vermocht. Das tut mir leid, leid um dich.«

»Die Würde ist mir, wie vielen andern, eine Bürde. Immer kühler weht es da oben um mich her, und bald werde ich ganz, ganz einsam sein.«

»Du bist nicht ganz schuldlos daran, Dolf. Ihr Fürsten, die ihr auf den Höhen der Menschheit wandelt, habt es leichter, als wir armen Sterblichen, sich das Leben nach Wunsch einzurichten.«

Der Fürst lachte bitter auf, dann aber sagte er im Weiterschreiten:

»Es war ein Unglück, daß mein Vater so früh starb, und mein Bruder, der Erbprinz, in so jungen Jahren einem tückischen Brustübel erlag. Was ich nie zu hoffen gewagt und nie gewünscht habe, das geschah. In verhältnismäßig jungen Jahren kam ich auf den Thron. Jetzt bin ich mit zweiunddreißig Jahren ein alter Mann.«

Wieder klang Ludwigs herzerfrischendes Lachen durch die feiertägige Stille über den See.

»Du übertreibst, Dolf-Dietram, und daß du einsam bist, ist nur Phrase. Die Fürstin liebt dich, und der Erbprinz ist ein so prächtiger kluger Bube, daß du alle Ursache hast, zufrieden zu sein.«

»Die Fürstin liebt mich,« griff der junge Fürst das Wort auf. »Mag sein, aber ich liebe sie nicht. Als man mich damals zwang, die Prinzessin Geraldine von Pleß zu heiraten, hielt ich sie für ein unbedeutendes, stilles Gänschen, das sich widerspruchslos meinem Willen fügen würde. Ich habe mich auch darin getäuscht. Geraldine ist anspruchsvoll im höchsten Grade, und ihre maßlose Eifersucht hätte schon, wie du weißt, hier und da beinahe zu einem Hofskandal geführt. Sie macht mir das Leben zur Hölle, und ihre ewigen Eifersüchteleien reizen mich geradezu, ihr Veranlassung zur Eifersucht zu geben.«

»Du Armer,« entgegnete der Bildhauer und sah warm in des Freundes Auge. »Du hast da oben auf den höchsten Höhen nicht gelernt, Opfer zu bringen. Du willst alles, was dein Herz ersehnt, über alle Schranken hinweg an dich reißen, und Hindernisse soll es nicht für dich geben, obwohl dir deine Stellung doch täglich solche in den Weg stellt. Lerne dich bescheiden, Dolf-Dietram, wie unsereiner, und du wirst dem Begriff des Glückes am nächsten sein.«

Schweigend schritten die Freunde Arm in Arm dahin. Traumhaft still war es hier auf dem Wege, wo einst der große Nietzsche gewandelt, wo sein Zarathustra entstanden, wo er das große Lied der ewigen Sehnsucht empfunden und wo er ein großer Einsamer, ein König war.

Wie ein Bann, wie ein geheimes Schauern legte es sich auf die beiden Freunde. Steil ragte hohes Felsgestein vor ihnen aus dunklem Tannengrunde, und wie festgebannt hafteten beider Augen an der beim Näherkommen sichtbar werdenden Inschrift von dem Nachtlied Nietzsches, das man hier zum Andenken an den großen Philosophen in den Stein gegraben hat.

»O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
Ich schlief, ich schlief –
Aus tiefem Traum bin ich erwacht
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –
Lust – tiefer noch als Herzeleid,
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!«

Ein Schauer rann durch des Fürsten Seele. Das »trunkene Lied« des Dichters riß etwas in seinem Herzen auf, was vergessen sein sollte, und als er die Augen jetzt zögernd von der Schrift wandte, gewahrte er, hart an den Felsen gelehnt, eine schwarz gekleidete Frauengestalt, die, kalte Abwehr in den grauen Augen, ihm finster entgegenstarrte.

»Aniane!« kam es gepreßt aus seinem Munde. »Aniane.« Aber in demselben Augenblick stürzte schon Schiemann auf die blonde Frau zu und rief enthusiastisch, ihre beiden Hände an seine Lippen führend:

»Das nenne ich Glück haben, Baronin, wirklich unbeschreibliches Glück! Sie fliehen von Paris, keiner weiß, welche Bahnen dieser Stern zieht, ich fliege ins Blaue hinein, dem Rufe eines Freundes, des Fürsten von Büsingen, folgend, aber fest entschlossen, den Stern zu suchen, und er geht mir hier auf. Ist das nicht köstlich?«

In Anianes Augen blitzte es auf, als sie jetzt langsam den Blick von dem Fürsten wandte und nun lächelnd zu dem Künstler sagte:

»Ei, ei, Herr Professor. Noch immer der Alte? Ich freue mich sehr, Ihnen hier zu begegnen, trotzdem ich, wie Sie ganz recht sagen, von Paris geflohen bin. Ich wollte gern mir einmal selber angehören.«

»Und da narrten Sie so grausam Ihre Freunde, Gnädigste? Ist das ehrlich, ist das christlich, aber ich vergesse ganz, darf ich Sie mit meinem Freunde, dem Fürsten von Büsingen, bekannt machen?«

Die blonde Frau neigte das stolze Haupt. Kein Zug in ihrem Antlitz verriet, daß sie den Fürsten je gekannt.

»Die Vorstellung ist ganz überflüssig, lieber Ludwig,« rief der Fürst in leicht gereiztem Ton, »die gnädige Frau und ich sind alte Bekannte.«

»Sehr liebenswürdig, Durchlaucht, daß Sie meinem Gedächtnis zu Hilfe kommen.«

Schiemann blickte, eine fliegende Röte auf dem freien, offenen Antlitz, von einem zum andern.

»Ich hatte einst den Vorzug, gnädigste Frau, in der Tanzstunde in Tannenrode Ihr Partner zu sein.«

Ludwig atmete auf. Sonst nichts? Wie er sich doch schrecken ließ.

»Die Tanzstunde ist in meinen Erinnerungen beinahe verblaßt, Durchlaucht,« entgegnete die Sängerin. »Das ist so ewig lange her, und so viel anderes liegt zwischen einst und jetzt. Aber ich will die Herren nicht aufhalten, und für mich ist es auch die höchste Zeit, zurückzukehren, wenn ich heute abend für mein Konzert frisch sein will.«

Ludwig aber rief diensteifrig:

»So gestatten Sie doch wenigstens, Frau Baronin, daß wir Sie zu Ihrem Wagen geleiten.«

Aniane schüttelte das stolze Haupt.

»Nein, lieber Freund, ich brauche den stillen Weg hier an dem See entlang für mich allein. Leben Sie wohl, und wenn Sie mich in den nächsten Tagen im Kurhause aufsuchen wollen, so werde ich mich sehr freuen. Meine Tante, Sie kennen sie ja, wird Sie gewiß noch mit ganz besonderer Freude erwarten. Also, auf Wiedersehen!«

Mit blitzenden Augen vertrat ihr der Fürst den Weg.

»Sie wollen also den Kampf, meine Gnädigste,« sagte er brüsk. »Wohlan denn, ich nehme ihn auf. Sie waren einst berufen, alles Gute in mir zu beleben, Sie haben nur das Böse geweckt durch Ihren Stolz. Sie tragen die Folgen.«

Ein Lächeln zitterte in den stillen Augen der Frau und irrte auch wehmütig um ihre Lippen.

»Der große Einsame, der vor uns war,« entgegnete sie, »hat einst in seinem Zarathustra gekündet:

»Was ein Schöpfer sein muß im Guten und Bösen, wahrlich, der muß ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen. Also aber gehört das höchste Böse zur höchsten Güte: Diese aber ist die schöpferische.« –

Sie schritt, ohne einen Blick für den Fürsten, auf den von Lärchen überschleierten Weg zu, ein leichtes Grüßen für Ludwig in den Augen. Dann verdeckten die Zweige ihre dahinschreitende Gestalt, der beide Männer nachsahen, als hätten sie eine Vision gehabt.

»Ist dies die einzige Frau, die dir gefährlich werden kann?« fragte der Fürst mit abgewandtem Gesicht.

»Ja,« kam es gepreßt zurück, »und sie ist auch die Frau, die dich gekränkt und beleidigt hat, und der du Rache geschworen hast. Gestehe es.«

»Vielleicht,« gab der Fürst zurück, die Augen weit in die Ferne gerichtet.

»Ich werde nicht dulden, daß du sie kränkst, sie steht unter meinem Schutze.«

Der Fürst richtete sich auf. In jeder Miene der Gebietende, stand er vor dem Freunde. Von all der gewinnenden Leutseligkeit, der Herzlichkeit, die seinen Verkehr mit dem Professor auszeichnete, war jede Spur verweht.

»Du wirst erlauben, lieber Ludwig, daß ich selbst Entschließungen treffe, und daß ich mir von niemandem, auch von dir nicht, Vorschriften machen lasse.«

Ludwigs goldbraune Augen wurden fast schwarz. Seine große, kräftige Gestalt streckte sich, als wollte sie sich zermalmend auf den Mann stürzen, der da so nachlässig, und doch so nachdrücklich die fürstliche Würde zeigend, vor ihm stand.

»Da wären wir also auf den Punkt gekommen, über den wir so oft diskutierten,« bemerkte der Bildhauer mit zuckenden Lippen, »der Punkt, an dem unsere Freundschaft scheitern könnte.«

Der Fürst wandte sich hastig dem Freund zu.

»Ludwig,« rief er erschreckt, und seine Stimme bebte, »du liebst diese Frau?«

»Mehr als mein Leben.«

»Und sie liebt dich?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und wenn sie nun mich liebte, und ich sie? Was dann?«

»Dann würde ich schweigend zurücktreten, vorausgesetzt, daß du es ehrlich meinst, und ihr ein Glück an deiner Seite bieten kannst. Da das unter den obwaltenden Verhältnissen ausgeschlossen ist, kann ich nichts weiter tun, als die Frau, die ich liebe, vor deiner Liebe schützen.«

»Ludwig, du mißbrauchst meine Freundschaft!«

»Nein, ich halte sie heilig. Freundespflicht ist es, dich zu warnen, wenn dein Fuß strauchelt, Dolf Dietram! Das Schicksal hat dich auf eine hohe Warte gestellt, dieses Platzes mußt du würdig sein.«

»Und wenn ich dir nun sage, daß mein Gefühl für die Frau, die du liebst, nicht Liebe ist, sondern daß ich nur das Bestreben habe, sie zu kränken, zu demütigen, weil sie – na, sagen wir – meine Eitelkeit verletzte?«

»So muß ich dir natürlich glauben, Dolf, aber oft kennen wir selber nicht die Gefühle, die uns treiben. Die Baronin Rammelsburg steht unter meinem Schutze, und niemand, auch du nicht, soll sie kränken.«

Jetzt lachte der Fürst leise auf.

»Laß uns doch Frieden machen, Ludwig. Ich verspreche dir, deinem Schützling nichts zu tun, und du wirkst vielleicht darauf hin, daß sie mir nicht länger die offene Feindschaft entgegenbringt, die sie mir vorhin gezeigt. Es wird sich kaum vermeiden lassen, daß wir hier in St. Moritz uns öfter begegnen, und da möchte ich, daß es in Frieden geschieht.«

Zögernd schlug Ludwig in die dargereichte Hand.

»Du liebst sie nicht?« fragte er noch einmal.

»Nein, ich gebe dir mein fürstliches Wort, ich liebe sie nicht.«

Ludwig atmete befreit auf, und Arm in Arm, heiter plaudernd, wandelten die beiden Freunde an dem stillen See zurück, Sils Maria zu. Lieber dem Piz Julia und dem Piz Polaschin brannte schon die Mittagssonne, und eine erdrückende Schwüle brütete in dem stillen Tale, wie ein beklommenes, tiefes Schweigen.

Das legte sich schließlich auch auf die Herzen der beiden Männer, die befreit ausatmeten, als sie endlich das Hotel Alpenrose erreichten, wo schon die Rappen ungeduldig mit den Hufen scharrten und der Kammerherr von Türkheim dienstbeflissen stand und auf einen schnell dahinfahrenden Wagen zeigte, der soeben der Malojastraße zuflog.

»Soeben hatte ich das Glück, die Baronin von Rammelsburg begrüßen zu können, Durchlaucht,« flüsterte er seinem Gebieter zu.

»So? Sie war wohl sehr beglückt, lieber Türkheim, Sie nach so langer Zeit wieder zu sehen,« lächelte der Fürst ironisch. »Im übrigen müssen wir den Wunsch der Dame respektieren, die hier nicht die Baronin von Rammelsburg, sondern Frau von Rainer, die Sängerin, ist.«

Der Kammerherr verbeugte sich tief. Ein spöttisches Lächeln zuckte um seine zusammengekniffenen Lippen, als er nach dem Fürsten und Professor Schiemann in den Wagen stieg.

Die Pferde zogen an, und dahin ging in sausender Eile die Fahrt.

Sils Maria lag still und verträumt, und der Klang der Mittagsglocken zog über den blauen See und schwebte zu den weißen Schneebergen empor, die stolz und hoheitsvoll herniederblickten in das Tal, wo die Menschen im Daseinskampf schwankten zwischen Gut und Böse.


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