Alfred Wolfenstein
Die gefährlichen Engel
Alfred Wolfenstein

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Der Mixer

Daß ein Mixer ein sehr scheuer Mensch sein kann, bewies in einer Nacht George Phil Roberts. Er bediente die Bar eines Automatenrestaurants. Mit langen Armen nach allen Himmelsrichtungen herumreichend schüttelte er seinen großen blanken Mixbecher. Er mengte die schönsten und buntesten Getränke für die fünfzehn Persönlichkeiten rings auf den Eiffelturmstühlen. Viele andere sahen ihm noch zu, auch von der Straße durch die breite Scheibe, wo sich nur Wind und Regen mixte.

George Phil Roberts war ein kindlicher Mann, der beim Arbeiten unterhaltsam spielte. Mit seinen Gläsern und farbigen Flaschen, mit Zitronen und anderen Früchten, auch mit Zigaretten mußte er jonglieren und tanzte zwischen den Kübeln und musizierte auf der ganzen Bar und handhabte die Hebel der Liköre, Fruchtsäfte und Sahnen, als fahre er über ein Harmonium. In seinem schönen Schwung unterstützte ihn das verstärkte Grammophon, das hinter den kleinen, mit Lachs, Sardinen, Wurst und Käse sich drehenden Karussells erklang.

George Phil Roberts war so angenehm und einfach wie der ganze in Weiß gehaltene Automat. Gern kamen die Menschen noch spät hierher, in Smokings oder mit Mützen, von den Bällen und Nachtschichten, Junge, Alte, auch Einsame, die ihre Wohnungen schlaflos noch einmal verlassen, dazu allerhand 48 Abschaum aus den zeitiger schließenden Lokalen. Viele hübsche Mädchen waren dabei. Er bediente sie so gern wie alle anderen, und sie behandelten ihn als Amtsperson.

Nur eine, die mit ihnen nicht bekannt war, saß Nacht für Nacht, plötzlich aufgetaucht, dicht vor ihm. Sie ließ sich von ihm am liebsten, weil er es irgendwann empfohlen hatte, die Nummer 29 der Großen Liste mixen. Das war ein Ahornblütenmilchpunsch, kürzer Maple genannt, bestehend aus Trockenmilch, Fruchtsaft, Speiseeis, Soda, gequirlt mit Malz, ohne Alkohol. Sie sah ihm zu, aber in Wahrheit sah sie ihn immer an. Sie sog an ihren Strohhalmen und sah ihn von Nacht zu Nacht länger an. Ihr Gesicht war ein kantiges Oval, sie trug schwarze Steingehänge in den Ohren, ihre Augen waren auch schwarz und hart. Es kam dahin, daß sie ihn bis zu einer Stunde lang ansah. Er geriet in die höchste Verwirrung. Er schüttelte seinen Becher nicht mehr wie ein Sturm eine Eiche, nur noch wie ein Wind eine Birke. Er jonglierte mit weniger Sachen, und manches fiel hin.

Der Geschäftsführer (dessen Korpulenz übrigens diesen Posten zwischen den lichten Linien des modernen Automaten in keiner Weise verdiente) verwarnte den Mixer. Als ihn nun das Mädchen um die nächste Mitternacht so lange und so eindringlich ansah, daß er fürchtete, ihr Blick würde bis zur Schlußstunde dauern und dann müßte er sie begleiten und dann könnte sie ihn verführen –: verlor er den Kopf. Das Grammophon machte gerade, zusammen mit dem vorbeistampfenden Autobus als Schlagzeug, eine betäubende Jazzmusik –: da verließ George Phil Roberts lautlos seinen Posten. Er hatte diese Arbeit so sehr geliebt und er enttäuschte auch ungern die sehnsüchtige Liebe der Frau, aber er erkannte –: beides war für ihn nicht zu mixen. 49

So verschwand er aus ihrem unberechenbar lang dauernden, vielleicht ewigen Blick in die Nacht hinaus, während hinter den belegten Broten die schwermütige Schallplatte Garden in the Rain erklang. Der Geschäftsführer, bald alarmiert, stürzte herbei, in Verzweiflung, denn der Andrang war um diese Zeit groß. Aber siehe, der Platz war besetzt. Kühl lächelnd und ohne Zeichen der Sehnsucht stand das Mädchen mit klappernden Ohrgehängen hinter dem Bartisch. Sie schüttelte den Becher und handhabte die Hebel und goß und jonglierte die bunten Gläser den Gästen in die Hände. Und zwischen ihrer flotten Arbeit reichte sie dem Chef ein sachliches Blatt, ein Zeugnis hin. Und sie schaltete in der Festung der Bar wie in einer zielbewußt eroberten Stellung –: als gelernte Mixerin – indessen ein Mixer ihre unglückliche Liebe bedauernd stellungslos durch die Straßen strich. 50

 


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