Alfred Wolfenstein
Die gefährlichen Engel
Alfred Wolfenstein

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Ein Sportsmann

An einer Kreuzung der Welt, an einer Straßenkreuzung der Weltstadt, stand in der geharnischten Front der Wagen, zitternd vor dem Ansprung, der blaue Renner Prospers.

Er kam fernher aus dem Westen, abenteuernd über die Oberfläche der Erde hin, und weder sein Auto noch sein Gewissen hatten nennenswerte Pannen erlitten. Jetzt, auf den uniformierten Wink des Polizisten mit den schimmernd weißen Armen, schoß er zusammen mit der eisernen Masse der Wagen vorwärts –

Aber an dieser Ecke begegnete ihm das Unglück, vor dem auch der härteste Fahrer am tiefsten bangt: er überfuhr ein Kind.

Es war ein kleines Mädchen, das noch rasch hinüberlaufen wollte und erschrocken zurückwich und dann noch einen zweifelhaften Hüpfer auf den Damm hinaus machte. Da stieß der Kotflügel sie um.

Das Klingeln, Hupen und Rollen der Straße verwandelte sich für kurze Zeit in ein wildes Menschengeschrei rings um das tote Kind und den Mörder.

Auf der Wache stellte man fest, daß ihn keine Schuld traf. Er konnte sich entfernen. Aber mit dröhnendem Herzen, gleich einem leer laufenden Motor, ging er Tage lang zu Fuß durch diese Stadt. Manchmal stand er an irgend einem Orte still, und ihm war, als stünde all seine Heiterkeit räderlos auf hölzernem Gestell in der Garage seiner Verzweiflung. 16

Aber da er ein Sportsmann war, stieg ein seltsamer Plan in ihm auf. Er begann heimlich nach der Mutter der Kleinen zu forschen. Er ging in ihre Wohnung hinauf. Sie hatte ein Zimmer zu vermieten: eine noch junge bleiche schöne Frau öffnete ihm. Er mietete unerkannt das Zimmer.

Bald konnte er täglich mit ihr sprechen und mit ihr ausgehen. In seinen Freundlichkeiten war ein besonderer Ton, der ihr auffiel. Sie wußte nicht, warum er schon aus solcher Nähe mit ihr sprach, doch sie war nicht mehr allein.

Eines Nachts ging er zu ihr, weckte sie zärtlich und umarmte sie. Es war Gewalt, es geschah in einer traurigen Wohnung, beide trieb der Tod selbst zu einer dunkel schillernden Liebe.

In der langen, von Lust und Leid seufzenden Nacht sah sie zwischen den Küssen ihr kleines Mädchen weiß wie der Mond im Fenster stehen. Aber sie hörte auch mit Freude ihr eignes, neu pochendes Herz, belebt von dem feurigen Körper des Mannes. Und er sah aus ihrem Herzen gleich dem nahenden Morgen ein rosiges Kind aufsteigen, mit den tiefen Augen dieser Mutter und mit seiner frechen, doch das Schicksal unbefangen steuernden Stirn. Da küßte er sie einen Augenblick lang mit wahrer Innigkeit.

Der Mensch, dachte er danach, als er ging, möchte so gern ein Engel sein – vom Himmel hoch – aber er bringt so leicht die Hölle. Wenn mir einmal dieses Wunder gelänge, das Böse wieder gutzumachen – dann wird mir künftig auch die schwierigste Reparatur in der arabischen Wüste gelingen –

Bald darauf startete Prosper nach Osten. Er konnte ihre Tränen beim Abschied ertragen, wieder ganz entfesselt durch die verwegene Nacht und durch den unaufhaltsamen Sport. Er schrieb und telefonierte und telegrafierte stets, wo er war. Und er rollte in Damaskus ein, als er ihre Nachricht erhielt: Sie hatte 17 ein Kind. Da fuhr er weiter, längs der Ströme Asiens. Mit leichten Händen steuerte er das blaue Auto, als sei es ein heiteres Gewissen. Seine Unterhaltungen aber hatten eine väterliche Eleganz –

Und sie, die das Geheimnis seiner Umarmung nicht kannte, ging still wie eine Wissende wieder in hellen Kleidern durch die Stadt, mit ihrem Kinde. 18

 


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